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DSGVO und Klingelschilder: Millionenhohe Bußgelder für Vermieter?

Aktuell sorgen diverse Meldungen über die Rechtmäßigkeit von Klingelschildern für Verunsicherung: Mieter könnten sich durch Namensschilder an Haustüren, die der Vermieter angebracht hat, in ihrer Privatsphäre verletzt sehen und einen Verstoß gegen die DSGVO geltend machen. Das befürchtet u.a. der Immobilien-Eigentümerverband „Haus&Grund”. Angebliche Folge für den Vermieter seien „Bußgelder von bis zu 20 Millionen Euro”, so die BILD-Zeitung am 18. Oktober 2018. Aber was ist tatsächlich dran an dieser Warnung?

Ist die DSGVO auf Klingelschilder überhaupt anwendbar?

Bevor man von einem durch die DSGVO ausgelösten „Klingelschild-Chaos” sprechen kann, wäre zu klären, ob die DSGVO auf solche Klingelschilder überhaupt Anwendung findet. Die Schilder müssten dafür in den Anwendungsbereich der DSGVO fallen.

Der Anwendungsbereich der DSGVO ist in Art. 2 Abs. 1 DSGVO geregelt:

Diese Verordnung gilt für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen.
(Hervorhebung hinzugefügt)

Es muss also entweder eine „automatisierte Verarbeitung” vorliegen oder eine Verarbeitung in einem „Dateisystem”.

Gibt es ein solches „Dateisystem” für Namen auf Klingelschildern? Art. 4 Nr. 6 DSGVO liest sich dazu wie folgt:

Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:
[…]
(6) „Dateisystem ”jede strukturierte Sammlung personenbezogener Daten, die nach bestimmten Kriterien zugänglich sind, unabhängig davon, ob diese Sammlung zentral, dezentral oder nach funktionalen oder geografischen Gesichtspunkten geordnet geführt wird
(Hervorhebung hinzugefügt)

Entscheidend ist damit die Frage, ob die Klingelschilder auf einer strukturierten Sammlung beruhen oder sogar selbst eine strukturierte Sammlung sind. Der EuGH hat in seiner letzten Entscheidung zu den Zeugen Jehovas entschieden, dass selbst die von den Zeugen Jehovas geführten Papiernotizen dieses Kriterium erfüllten, selbst wenn diese nur rudimentär nach Adressen geordnet und dadurch „leicht auffindbar“ waren (EuGH v. 10. Juli 2018, Rs. C-25/17). Vor diesem Hintergrund dürften also auch auf einem Klingelschild schon recht simple Ordnungskriterien ausreichen, z.B. nach Stockwerken.

Ob die Herstellung von Klingelschildern überhaupt in den Anwendungsbereich der DSGVO fällt, ist damit trotzdem in den allermeisten Fällen sehr fraglich. Denn zwar steht in vielen Fällen, in denen Mietgenossenschaften ihre Liegenschaften verwalten – und dazu gehört auch das Anbringen von Klingelschildern – im Hintergrund eine automatisierte Datenverarbeitung. In vielen Fällen bringen die Mieter die Schilder aber auch einfach selbst an oder besprechen dies individuell mit dem zuständigen Hausmeister. Bei großen Mehrparteienhäusern sind die Klingelschilder außerdem oft willkürlich angeordnet, also unstrukturiert. Und bei kleineren Häusern hat das Klingelschild ebenfalls keine strukturierte Ordnung, weil dort von vornherein nur sehr wenige Namen stehen.

Zusammengefasst ist die DSGVO also in der allermeisten Fällen von vornherein gar nicht anwendbar.

Jedenfalls: Berechtigtes Interesse von Vermietern und Dritten

Unterstellt man, die DSGVO wäre hier doch anwendbar, kommt man indes zu keinem anderen Ergebnis. Es käme für die Rechtmäßigkeit dann auf Art. 6 Abs. 1 f) DSGVO an.

Dieser besagt:

Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist:
[…]
f) die Verarbeitung ist zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen […].
(Hervorhebung hinzugefügt)

Ein solches „legitimes Interesse“ kann man aber für Klingelschilder getrost bejahen. Denn in Deutschland ist es ganz üblich, seinen Namen auf das Klingelschild zu drucken. Grund: Sowohl der Vermieter als auch Dritte (z.B. der Postbote oder Besucher) haben ein Interesse daran zu wissen, wie der Name desjenigen Anwohners lautet, bei dem sie klingeln möchten. Das macht es vor allem auch einfacher, bei der richtigen Partei zu klingeln. Da man keine weiteren Informationen über den Mieter aus dem Klingelschild ablesen kann, überwiegt auch nicht dessen Privatsphäre. Denn die Privatsphäre beginnt in diesem Fall erst hinter der Tür, nicht davor.

Rechtlich gesehen gibt es also einerseits ein berechtigtes Interesse des Verantwortlichen (des Vermieters) sowie von Dritten, namentliche Klingelschilder zu nutzen. Und andererseits gibt es auch kein überwiegendes Gegeninteresse der Betroffenen, denn diese wollen das Klingelschild in der Regel ja genauso.

Das Widerspruchsrecht des Mieters im Einzelfall

In Einzelfällen mag das anders sein, beispielsweise wenn ein Mieter besonderen Wert auf Anonymität legt. Für solche Fälle sieht die DSGVO ein Widerspruchsrecht vor. Konkret sagt Art. 21 Abs. 1 DSGVO:

Artikel 21 Widerspruchsrecht

(1) Die betroffene Person hat das Recht, aus Gründen, die sich aus ihrer besonderen Situation ergeben, jederzeit gegen die Verarbeitung sie betreffender personenbezogener Daten, die aufgrund von Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben e oder f erfolgt, Widerspruch einzulegen […]. Der Verantwortliche verarbeitet die personenbezogenen Daten nicht mehr, es sei denn, er kann zwingende schutzwürdige Gründe für die Verarbeitung nachweisen, die die Interessen, Rechte und Freiheiten der betroffenen Person überwiegen, oder die Verarbeitung dient der Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen.

Konkret heißt das: Angenommen die DSGVO ist anwendbar, kann sich der Mieter an den Vermieter wenden und darlegen, warum er im Einzelfall nicht namentlich auf dem Schild genannt werden möchte. Wenn der Vermieter nicht zwingende schutzwürdige Gründe nachweisen kann, warum der Name trotzdem unbedingt genannt werden muss, dann muss er das Schild austauschen. Das ist aber wie gesagt höchstens im Einzelfall der Fall, wenn Mieter dies gezielt verlangen. Es gibt keinerlei Anlass, präventiv allen Mietern in Wohnhäusern ihre namentlichen Klingelschilder wegzunehmen.

Also: Kein Grund zur Panik, die Klingelschilder können bleiben und die Vermieter bleiben verschont!

Der Artikel der BILD-Zeitung im Volltext.
Statt vieler siehe dazu auch die Stellungnahme der Bayerischen Datenschutzbehörde.
Noch mit anderer Auffassung allerdings der Thüringische Landesdatenschutzbeauftragte im Interview mit dem MDR.

Dieser Artikel entstand im Rahmen der Ausbildungsreihe „Recht und Kommunikation”, die gemeinsam von Bird&Bird und Telemedicus angeboten wird. Wollen Sie sich im Rahmen eines Praktikums oder einer Referendarstation als Teilnehmer*in an der Ausbildungsreihe bewerben? Hier gibt es weitere Informationen.

, Telemedicus v. 18.10.2018, https://tlmd.in/a/3326

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