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Zurück ins Funkhaus

Anmerkung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts über den Rundfunkbeitrag (BVerfG v. 18.7.2018, 1 BvR 1675/16 u.a.)

Ein Gastbeitrag von Dr. Kay E. Winkler

Das Bundesverfassungsgericht hat am 18. Juli 2018 entschieden, dass die Schaffung des auf Wohnungen anfallenden Rundfunkbeitrags im Grunde verfassungsgemäß ist. Lediglich wegen der für Zweitwohnungen zu entrichtenden Beiträge sind die Landesgesetzgeber nun zu einer Korrektur aufgerufen.

Der staatlich organisierte Rundfunk erfährt durch dieses Urteil eine weitgehende Bestätigung, allerdings auf Kosten des bislang geltenden finanzverfassungsrechtlichen Abgabensystems.
Galt bislang die Steuerhoheit des Bundes, können nun die Länder qua Vorzugslast nahezu beliebige Abgaben erheben, die sich faktisch nicht von Steuern unterscheiden. Schlimmer noch: das bislang geltende Gebot der Belastungsgleichheit wird ebenfalls über Bord geworfen, indem die Abgabenschuldner unabhängig vom persönlichen wirtschaftlichen Nutzen und unabhängig von ihrer individuellen Leistungsfähigkeit die Abgabe in fester Höhe entrichten müssen.

Das Märchen des Vorteils der Fernsehberieselung

Zunächst bleibt das Bundesverfassungsgericht seiner bisherigen Linie zur Abgrenzung von Steuern und Vorzugslasten grundsätzlich treu und korrigiert die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zum Rundfunkbeitrag in dieser Hinsicht. Das entscheidende Abgrenzungskriterium zu einer Steuer ist das Vorliegen eines individuell-konkreten Nutzens. Das Bundesverwaltungsgericht hatte in seiner Entscheidung vom März 2016 lediglich auf den individuellen Vorteil abgestellt, der aufgrund statistischer Annahmen zum Fernsehkonsum jedem Bewohner in Deutschland zugerechnet werden dürfe (BVerwG, 6 C 6.15, Rn. 29). Damit wäre der Vorteil aber einerseits eben nicht bei jedem Bewohner vorhanden, sondern nur bei den meisten, und andererseits verliert der Vorteil durch die Zurechnung auf jeden Einwohner seine Individualität (vgl. Winkler, K&R 2016, 478, 479).

Allerdings vermag auch das Bundesverfassungsgericht nicht, die Subsumption der Tatbestandsmerkmale des Rundfunkbeitrags unter die eigene Definition einer Vorzugslast überzeugend darzustellen. Die Argumentation ist lückenhaft und in sich widersprüchlich. Es entsteht der Eindruck, dass das Gericht bemüht war, die Tatbestandsbegriffe zum gewünschten Ergebnis hinzubiegen.

So iteriert das Gericht zwar die Ausgangsannahme, dass ein Beitrag eine „individuell-konkrete Zurechnung des mit dem Beitrag belasteten Vorteils zum Kreis der Belasteten“ benötigt, dass ein „besonderer wirtschaftlicher Nutzen“ vorliegen und die Möglichkeit bestehen muss, „aus der Sache konkrete Vorteile oder Nutzen zu ziehen“ (Rn. 66, 75). Allerdings fehlt eine Begründung, warum der allgemein verfügbare mögliche Rundfunkempfang einen „individuell-konkreten“ Vorteil darstellen soll. Im Gegenteil stellt das Gericht eingangs fest, dass der Beitrag für „die jeweils individualisierbare Möglichkeit des Rundfunkempfangs“ erhoben werde (Rn. 60). Die mögliche Individualisierung einer Möglichkeit ist jedoch gerade kein bereits individueller Vorteil.

Der konkret-allgemeine individuell-abstrakte Nutzen-Vorteil

Faktisch setzt das Bundesverfassungsgericht den „konkret-individuellen Vorteil“ mit einem „abstrakt-generellen Nutzen“ gleich. Dies wird in den Ausführungen zur Belastungsgleichheit überdeutlich. Dort heißt es, der personenbezogene Vorteil könne „nur abstrakt bestimmt“ werden (Rn. 102). Der Wert der Empfangsmöglichkeit sei bei allen Wohnungsinhabern gleich. Mit anderen Worten: die bebeitragte Möglichkeit des Rundfunkempfangs ist generell bei jedem Einwohner vorhanden und ihr Nutzen nur abstrakt bestimmbar. Bislang war abstrakt das Gegenteil von konkret und individuell das Gegenteil von generell. Nun nicht mehr.

Auch von seiner Prämisse, der Beitrag müsse einen „besonderen wirtschaftlichen Nutzen“ (Rn. 66) vermitteln, rückt das Bundesverfassungsgericht ab. In einer langatmigen Passage über die Bedeutung des anstaltsbetriebenen Rundfunks für die publizistische Vielfalt in der Gesellschaft (Rn. 77 ff.) wartet das Verfassungsgericht mit einer abenteuerlichen Begründung für die Existenz des staatlichen Instituts auf, die so vom Gesetzgeber nicht angeführt worden war und eher wie eine Presseerklärung der ARD klingt. Der staatlich organisierte Rundfunk sei gerade in Zeiten des Internets und seiner Konzentrations- und Monopolisierungstendenzen zunehmend wichtig (Rn. 79). Es wird auf „Algorithmen“ hingewiesen und die „schwieriger werdende Trennbarkeit zwischen Fakten und Meinung, Inhalt und Werbung“ hervorgehoben (Rn. 79 f.).

Nun mag es sein, dass manche aus Sicht der Richter eine intellektuelle Stützhilfe benötigen, um sich im Dschungel der Meinungsvielfalt zurechtzufinden. Jedoch sollte das kaum für die Gesamtbevölkerung gelten. Den Rundfunk der Bundesländer würde der ein oder andere im Gegenteil als anachronistisches Belehrungsprogramm einordnen können, das seine Ideologie als Aufklärungsinstrument der Siegermächte beibehalten hat. Freiheitlich-demokratisch denkende Menschen würden einen Gesinnungsrundfunk, wie er vom Bundesverfassungsgericht mit den Stichworten „Filter“ und „Orientierungshilfe“ postuliert wird (Rn. 80), eher als Nachteil bewerten. Der Glaube, der den Interessen der Regierungsparteien nahestehende Landesrundfunk garantiere einen unabhängigen Journalismus, darf getrost als naiv bezeichnet werden. Jedenfalls wird in den Ausführungen des Gerichts nicht ansatzweise deutlich, worin für den Bürger ein wirtschaftlicher Nutzen des Landesrundfunks bestehen soll.

Willkommen im Abgaben-Land

Die Konsequenzen des Urteils für das Abgabensystem der Republik sind weitreichend. Die Grenzen zwischen Steuer und Vorzugslast verschwimmen vollends. Das Bundesverwaltungsgericht vermochte noch aufgrund seines falschen Ansatzes, die statistische Typisierbarkeit rechtfertige die Annahme einer Vorzugslast jedermanns, Schranken für ausufernde Abgabenformen zu etablieren (BVerwG, 6 C 6.15, Rn. 28).

Indem das Bundesverfassungsgericht jedoch nunmehr die Individualisierbarkeit der Möglichkeit einer Nutzung als ausreichend für eine Vorzugslast ansieht, eröffnet es immer weiteren Abgaben der Länder Tür und Tor. Praktisch bietet fast jede staatliche Leistung die individualisierbare Möglichkeit, sie zu nutzen. Eine weitere abgabenrechtliche Tatbestandsvoraussetzung, wie das Vorhandensein eines Geräts, ist nicht mehr vonnöten. Daher kann eine Vorzugslast für eine staatliche Leistung schon dann verlangt werden, wenn nicht ausgeschlossen ist, dass jemand irgendwann mal einen Nutzen aus der Leistung zieht. Die Vorzugslast kann zudem von jedermann verlangt werden, weil jeder stets von seiner abstrakten Möglichkeit individuell Gebrauch macht oder nicht.

Was kann einem Wohnungsbeitrag für den öffentlichen Nahverkehr noch entgegnet werden? Wie kann ein Bürgerbeitrag für die Brücke, den Tunnel oder den Flughafen vermieden werden? Wie kann die Finanzverfassung einer allgemeinen Personenabgabe für die Landeskulturförderung Einhalt gebieten?

Die Wohnung als Personenersatz

Das Bundesverfassungsgericht sieht keine Notwendigkeit, einen sachlichen Zusammenhang zwischen dem Abgabengrund und dem Anknüpfungsgrund für den Beitrag zu verlangen. Das Gericht gewährt dem Gesetzgeber vielmehr einen weiten Spielraum (Rn. 87), der sich nicht einmal an der Wirklichkeit, sondern nur an Wahrscheinlichkeiten orientieren muss (Rn. 88). Dieser weite Spielraum höhlt die Abgrenzung zwischen Steuer und Vorzugslast weiter aus. Im Ergebnis werden der Fantasie des Gesetzgebers für weitere Abgaben außerhalb der Steuergerechtigkeit keine Grenzen mehr gesetzt.

Das Gericht verstrickt sich in Widersprüche, indem es das Anknüpfen an die Wohnung erlaubt, weil dort angeblich der Rundfunkempfang erfolge. Einerseits soll es nicht auf die Nutzung ankommen, sondern nur auf die potenzielle Individualisierung einer abstrakten Möglichkeit, andererseits darf der Beitrag auf die wahrscheinliche Nutzung bezogen werden. Einerseits wird die Wohnung als Hauptort der Nutzung anerkannt, andererseits soll aber für die mögliche Nutzung in Betrieben und im Auto ebenfalls ein Beitrag entrichtet werden. Die Vorzugslast muss daher im Ergebnis nicht für den identifizierten Vorzug, sondern kann beliebig für mehrere, nicht auf den Vorzug bezogene Tatbestände erhoben werden.
Beinahe stimmig wäre es gewesen, eine Personenabgabe einzufordern. Denn die mögliche Individualisierung ist nach der Argumentation des Gerichts ein persönlicher Vorteil im Sinne einer Vorzugslast (Rn. 100). Das Gericht erkennt dies im Grunde auch an, indem es einen Pro-Kopf-Beitrag für zulässig erachtet (Rn. 88). Es vermeidet aber die Begründung, warum ein Pro-Kopf-Beitrag nicht vorzugswürdig wäre. Der Verweis auf einen Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers kann nicht überzeugen, weil die beiden Abgabenmaßstäbe im Hinblick auf die Sachnähe des postulierten Vorteils nicht annähernd gleichwertig sind. Der Wohnungsmaßstab ist weder im Hinblick auf die Belastung einzelner noch auf die Anzahl der Belasteten mit einem Pro-Kopf-Maßstab zu vergleichen. Es ist bereits semantisch ausgeschlossen, dass beide Maßstäbe für dieselbe Abgabe angemessen sein können. Das Gericht stellt sogar explizit fest, dass es an der „Verknüpfung der staatlichen Leistung mit der Raumeinheit der Wohnung“ fehlt (Rn. 100).

In Bezug auf die denkbare Anknüpfung an ein Empfangsgerät verliert die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts vollends die Nachvollziehbarkeit. Das Gericht wiederholt sogar seine Rechtsprechung, wonach „erst durch das Bereithalten eines Empfangsgeräts eine konkrete Nutzungsmöglichkeit“ entsteht (Rn. 90). War nicht die „individuell-konkrete“ Nutzungsmöglichkeit Voraussetzung für den Beitrag? Inzident geht das Gericht zwar von einem notwendigen Zurechnungszusammenhang zwischen Vorteil und Beitragslast aus. Dieser wäre bereits durch die Möglichkeit der Beschaffung eines Geräts gegeben (Rn. 90). Wie ist nun aber der Vorgang der Gerätebeschaffung mit dem Innehaben einer Wohnung verknüpft? Ist die Wohnung Voraussetzung zum Kauf eines Radios? Darf pro Wohnung nur ein Fernsehgerät installiert werden?

Halbes Recht für doppelte Haushaltsführung

Immerhin, so könnte man sagen, haben die Verfassungsrichter ein Einsehen für die Inhaber von Zweitwohnungen. Da jeder gleichzeitig nur einmal in den Genuss staatlichen Rundfunks kommen könne, verbiete sich die Inanspruchnahme für Zweitwohnungen von Inhabern, die bereits einen vollen Beitrag zahlen. Vordergründig erscheint diese Korrektur schlüssig. Allerdings steigert sich der persönliche abstrakte Vorteil, wenn Rundfunk auch in der Zweitwohnung potenziell abgerufen werden kann. Es soll ja auf die Individualisierbarkeit und nicht auf den Nutzen ankommen. Zudem ist die Argumentation nicht stimmig in Bezug auf die Abgabe im nicht-privaten Bereich. Dort wird auf den wirtschaftlichen Mehrwert abgestellt, den Betriebe vom Rundfunk angeblich hätten (Rn. 113 ff.). Wenn aber jede Person bereits im privaten Bereich zahlen muss, verbleibt im beruflichen wie bei der Zweitwohnung kein Mehrwert, der eine doppelte Inanspruchnahme rechtfertigt.

Mit der Ausnahme von Zweitwohnungen reißt das Bundesverfassungsgericht neue Rechtsunsicherheiten in das brüchige System der Rundfunkabgabe. Überwiegend wird eine Zweitwohnung beruflich als doppelte Haushaltsführung veranlasst sein. Die Familie bleibt am Erstwohnsitz. Macht es nun für die Befreiung einen Unterschied, ob die Ehefrau den einen und der Ehemann den anderen Beitrag entrichten oder ob ein Ehegatte für beide Beiträge herangezogen werden soll? Wie will die Landesrundfunkanstalt dies nachhalten und Ungerechtigkeiten ausschließen? Wird diese Befreiung bei Alleinstehenden, gleichgeschlechtlichen Partnern und ohne Trauschein Zusammenlebenden jeweils anders gehandhabt werden?
Spannend wird sein, wie der Gesetzgeber bei der Zweitwohnungsbefreiung eine europarechtliche Diskriminierung vermeiden wird. Wie wird jemand zu behandeln sein, der seinen Erstwohnsitz im EU-Ausland und seinen Zweitwohnsitz in Deutschland hat (oder umgekehrt)? Würden solche Personen EU-rechtlich im Vergleich zu Inhabern von Mehrfachwohnungen in Deutschland benachteiligt, wenn sie für den weiteren Sitz in Deutschland die Rundfunkabgabe zahlen müssten? Kommt es darauf an, ob sie in dem anderen Land eine ähnliche Abgabe zahlen müssen, oder ob diese wie in den Niederlanden weggefallen ist?

Bundesrecht bricht Europarecht

Insgesamt zeugt das Urteil nicht gerade von einer ausgeprägten europarechtlichen Feinfühligkeit. Bei der Frage der Pflicht zur Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV macht es sich das Bundesverfassungsgericht bequem. Es möchte kein „Vorlagenkontrollgericht“ sein (Rn. 141). Dies ist verständlich. Allerdings muss es sich im Hinblick auf die Rechtsweggarantie auch die Frage gefallen lassen, wer denn sonst das EU-Recht in Deutschland durchsetzen soll. Der Europäische Gerichtshof lässt keine Klagen der EU-Bürger wegen einzelstaatlicher Verstöße gegen das EU-Recht zu. Wie das Verfahren zum Rundfunkbeitrag zeigt, kann das letztinstanzliche Gericht das EU-Recht einfach umgehen, wenn es denn nur irgendeine rudimentäre Prüfung der Rechtslage vornimmt. Der unachtsame Richter wird durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts privilegiert. Wenn es ihm gelingt, die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht zur Kenntnis zu nehmen, drängen sich ihm keine Zweifel auf, die ihn zu einer Vorlage an den Gerichtshof zwingen.

Das EU-Recht spricht eigentlich eine andere Sprache: für die Vorlagepflicht ist nicht erforderlich, dass Zweifel an der EU-Rechtskonformität bestehen. Vielmehr kann eine Vorlage nur dann unterbleiben, wenn keine Zweifel vorliegen. Von einer solch eindeutigen Rechtslage war hier nicht auszugehen.

Das Bundesverfassungsgericht stützt sich auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, wonach genehmigte Beihilfen insbesondere dann einer erneuten Prüfung durch die EU-Kommission bedürfen, wenn sie im Kern geändert werden (Rn. 148). Selbst wenn diese juristische Weichenstellung für noch niemals genehmigte Beihilfen wie diejenigen der Landesrundfunkanstalten gelten sollte: die entscheidende Frage ist, ob die Änderung der Finanzierungsform, wonach nun alle Wohnungen anstelle von Empfangsgeräten bebeitragt werden, eine Änderung im Kern der Beihilfe zur Folge hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat alleine den Effekt der Änderung auf das Gesamtaufkommen betrachtet. Ob dieses Kriterium für eine Verneinung einer wesentlichen Änderung ausreicht, ist jedoch durch den Europäischen Gerichtshof gerade noch nicht beantwortet worden.

Im Gegenteil hat der Europäische Gerichtshof in den vergangenen Jahren Entscheidungen erlassen, die deutlich in die Richtung der Argumente der Beschwerdeführer weisen. Demnach ist die Änderung im Kern nur für die Frage relevant, ob eine bestehende Beihilfe als neue Beihilfe zu bewerten ist. Davon unabhängig ist die Pflicht zur vorherigen Anmeldung einer jeden Umgestaltung einer Beihilfe (EuGH, Rs. C-74/16, Rn. 86). Der Europäische Gerichtshof spricht insofern von einem Missverständnis seiner Rechtsprechung (EuGH, Rs. C 590/14 P, Rn. 56). Wird eine Änderung nicht angemeldet, ist das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 AEUV für die gesamte bestehende Beihilfe anzuwenden, also auch für den nicht geänderten Teil (EuGH, C-467/15 P, Rn. 51 ff.).

Das Privileg bestehender Beihilfen gilt im Übrigen nur für Maßnahmen, die bereits vor Inkrafttreten des AEUV eingeführt waren (EuGH, Rs. C 74/16, Rn. 87). Für die Bundesrepublik können damit lediglich Beihilfen vor Inkrafttreten des ehemaligen EWG-Vertrags von 1957 in Betracht kommen. In Bezug für den SWR ist das Vorliegen einer bestehenden Beihilfe damit zweifelhaft, weil diese Landesrundfunkanstalt erst im Jahr 1997 gegründet wurde. Ähnliches gilt für die erst 1992 neu gegründete Dreiländeranstalt MDR und den im Jahr 2002 errichteten RBB. Da die Rechtssubjekte, welche die Beihilfe der Länder empfangen, zum Inkrafttreten des AEUV noch nicht bestanden haben, kann auch die Beihilfe in Form des durch die jeweilige Landesrundfunkanstalt erhobenen Rundfunkbeitrags schwerlich als damals schon bestehende Beihilfe eingeordnet werden.

Die abweichende Darstellung der EU-Kommission in dem sogenannten Beihilfenkompromiss überzeugt nicht, da sie fehlerhaft davon ausgeht, dass die Landesrundfunkanstalten in der ARD zusammengeschlossen bzw. integriert worden seien (EU-Kommission, K(2007) 1761, Rn. 200 ff.). Jedoch handelt es sich bei den Rundfunkanstalten um rechtlich selbständige Einheiten der Länder, während die ARD lediglich eine Kooperation der Anstalten ohne eigene Rechtspersönlichkeit darstellt (vgl. § 3 ARD-Satzung). Die ARD ist eine wirtschaftliche Betätigung der Beihilfenempfänger und nicht selbst Beihilfensubjekt.

Die neue Freiheit der Zwangsunterstützung

Die Prüfung der Medienfreiheitsrechte nach Art. 5 GG fällt ebenfalls verkürzt aus. Das Bundesverfassungsgericht begutachtet lediglich, ob die Freiheit der Medienwahl nachhaltig beeinträchtigt ist (Rn. 135). Dabei verkennt es bereits, dass einer Vielzahl von Bürgern, für die 210 Euro im Jahr eine Entscheidungsgröße sind, nach Abzug der Zwangsabgabe die Auswahl anderer zahlpflichtiger Medien nicht mehr offensteht.

Darüber hinaus stellt es die entscheidende Frage nicht: was ist mit den Bürgern, die ganz bewusst den Rundfunk der Bundesländer ablehnen, sei es aus Gründen der politischen Nähe der Redaktionen, sei es aus Gründen der indoktrinativ präsentierten Hofberichterstattung oder der fehlenden journalistischen Qualität? Die Gründe können vielfältig sein. Sollte hier Art. 5 GG nicht nur die Freiheit der Medienwahl, sondern auch das Recht verbürgen, ein Medium nicht finanziell unterstützen zu müssen? Wäre dies nicht die einzige Möglichkeit gewesen, eine Rest-Staatsferne des staatlich organisierten Rundfunks zu gewährleisten? Würde man die Wahlfreiheit nach Art. 38 I GG nicht auch als ausgehebelt ansehen, wenn der Bürger gezwungen wäre, für eine bestimmte Partei zu spenden?

Das Bundesverfassungsgericht trägt hingegen seine Überhöhung der Rundfunkfreiheit fort. Weil sich der Landesrundfunk auf Art. 5 GG berufen kann, wird ihm quasi ein eigenes Schattenrecht gewährt, das das lautet: der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat immer recht. Dies ist kurios, weil Art. 5 GG als Abwehrrecht gegen den Staat eigentlich vor allem den Bürger vor staatlicher Gewalt schützen soll.

Angesichts der Ausstattung mit staatlicher Vollstreckungsgewalt kann das höchste Gericht sich nicht damit herausreden, der Landesrundfunk sei „öffentlich-rechtlich“ und „staatsfern“. Dies sind inhaltlose Worthülsen. Es kommt nicht darauf an, ob die Regierungen unmittelbar Kontrolle ausüben dürfen oder nur mittelbar über die von den Regierungsparteien entsandten Mitglieder der Rundfunkräte. Unerheblich ist auch, ob der Landesrundfunk als Anstalt des öffentlichen Rechts organisiert ist oder eine andere Form der Staatsverwaltung annimmt. Entscheidend ist, dass dem Landesrundfunk unmittelbare staatliche Gewalt gegen den Bürger zusteht.

In Anbetracht der schwerwiegenden logischen Mängel und Inkonsistenzen hinterlässt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts den Eindruck, dass alleine die Partikularinteressen der Landesrundfunkanstalten maßgeblich für die Entscheidung waren. Bei der Urteilsverkündung fehlten nur noch die abschließenden Worte: „Damit gebe ich zurück ins Funkhaus.“

Dr. Kay E. Winkler LL.M. Ph.D. (Wellington) ist Jurist und Rechtsökonom. Zu seinen langjährigen juristischen Interessen zählen Wettbewerbs- und Regulierungsrecht sowie die ökonomischen Auswirkungen der Rechtssetzung. Diese Anmerkung stellt seine rein private Meinung dar.

, Telemedicus v. 13.08.2018, https://tlmd.in/a/3311

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