An Google Street View scheiden sich die Geister. Ist das systematische Fotografieren der Welt eine wegweisende Technologie oder der Untergang der Privatsphäre? Mit zehn Argumenten pro und contra Street View streiten wir darüber: Knapp, zugespitzt und ein bisschen polemisch.
1. Wer sich in der Öffentlichkeit bewegt, muss damit leben, als „Beiwerk“ fotografiert zu werden.
Das Recht am eigenen Bild gilt nicht grenzenlos. Nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG dürfen Personen auch ohne ihre Einwilligung fotografiert werden, wenn sie lediglich als „Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit“ abgelichtet werden. Genau das ist bei Google Street View der Fall: Google fährt nicht durch die Welt, um Personen zu fotografieren, sondern um Straßen und Ortschaften aufzunehmen. Die Personen können sich deshalb nicht auf ihr Recht am eigenen Bild berufen.
2. Es gibt kein „Recht am Bild der eigenen Sache“: Gebäude aufzunehmen, ist erlaubt.
Es gibt kein Recht, das es Google verbieten würde, Außenaufnahmen von öffentlich zugänglichen Gebäuden zu machen. Im Gegenteil: Das Urheberrecht (§ 59 UrhG) sieht sogar ausdrücklich eine Panoramafreiheit vor, ebenso das Kunsturhebergesetz (§ 23 KUG). Und das ist auch gut so: Im öffentlichen Raum soll der Staat nur in Ausnahmefällen bestimmen dürfen, was man fotografiert und was nicht.
3. Was andere dürfen, muss Google auch dürfen.
Niemand käme auf die Idee, einem Fotografen zu verbieten, Straßen aufzunehmen. Reiseführer, Bildbände, überall findet man Fotos von öffentlichen Städten und Wegen. Wenn wir in diesem Fall Fotos von Häusern, Straßen und Passanten dulden, dürfen wir Google nicht verbieten, genau das gleiche zu tun, nur weil Google ein weltweit agierendes Unternehmen ist.
4. Google sorgt dafür, dass die Privatsphäre gewahrt bleibt.
Google tut viel dafür, um die Privatsphäre von abgebildeten Personen in Street View zu wahren. So werden sämtliche Gesichter auf den Fotos verpixelt. Außerdem können Betroffene der Veröffentlichung ihrer Fotos zusätzlich widersprechen. Google tut damit alles, was nur möglich ist, um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung von Passanten zu wahren.
5. Google bildet nur die Realität ab, wie wir sie auch selbst vor Ort sehen können.
Google zeigt mit Street View keine Geheimnisse. Die Bilder zeigen nichts anderes, als man auch selbst vor Ort sehen kann. Ob Sie nun selbst in eine Straße fahren, um sich dort umzuschauen, oder bei Google nachsehen, macht – anders als bei Luftaufnahmen, wo man tatsächlich von oben in den eingezäunten Garten gucken kann – keinen Unterschied. Außer, dass es für Sie bequemer ist. Hinzu kommt, dass die Aufnahmen auch nie sonderlich aktuell sein werden. Die Bilder, die Google veröffentlicht, werden in aller Regel schon viele Monate alt sein. Für Einbrecher, Stalker oder auch zur Marktforschung sind die Daten daher kaum nutzbar.
1. Street View „nützt“ nicht nur einem selbst.
Natürlich sind die Street View-Funktionen nützlich. Es ist zum Beispiel sicher komfortabel, vor der Wohnungssuche das gewünschte Objekt schon einmal von außen virtuell sich ansehen zu können. Allerdings hat die Medaille Street View auch eine Kehrseite. Sie kriegen auf einmal Post von Firmen, die gerne die „dringend notwendigen“ Gartenarbeiten bei Ihnen durchführen möchten? Und Ihr Ex-Partner ruft Sie voller Empörung an, weil das „dunkle Loch“, mit dem Sie bisher geringe Unterhaltszahlungen rechtfertigten, sich nun dank Street View doch als üppiger, lichtdurchfluteter Altbau in München-Schwabing enttarnt? Gehen Sie davon aus: Andere Personen können durch „Street View“ einiges über Sie in Erfahrung bringen.
2. Revolutionierte Technik darf sich nicht an veralteten Gesetzen beurteilen.
Es ist schon eine ein Stück weit krude Argumentation, wenn man die Rechtmäßigkeit von neuesten technischen Services wie Googles Street View allein anhand veralteter und dringend reformbedürftiger Gesetze wie dem TMG und BDSG beurteilen will. Dass das Bundesverfassungsgericht in der Geburtsstunde des informationellen Selbstbestimmungsrechte1983 Probleme von Dienstleistungen wie Street View und Co. nicht kennen und auch nicht vorausahnen konnte, sollte selbst dem glühendsten Google-Fan einleuchten. Gesetze, die weder inhaltlich noch systematisch auf Suchmaschinen oder soziale Netzwerke zugeschnitten sind und damit an der Lebenswirklichkeit eklatant vorbei gehen, taugen nicht dazu, sich dem Problem zu nähern und es gar seriös rechtlich beurteilen zu können.
3. Auch Geodaten können Personenbezug haben.
1983 aber hat das Bundesverfassungsgericht zumindest schon festgestellt, dass es „kein belangloses personenbezogenes Datum“ gibt (BVerfGE 65, 1 – Volkszählungsurteil). Der Begriff ist damit grundsätzlich weit auszulegen und eben nicht einengend restriktiv zu verstehen. Durch Abfotografieren einer Häuserfront, woraus sich Informationen z.B. über die äußere Gestalt von Haus und Wohnung, die Art der Bebauung, der näheren Umgebung und mittelbar auch der finanziellen Leistungsfähigkeit der Anwohner ergeben, kann sich damit sehr wohl im Einzelfall ein Personenbezug begründen. Nicht zuletzt ist Geoscoring ja auch bekanntermaßen seit langem mitbestimmend für die Kreditwürdigkeit einer Person.
4. BGH: Luftbildaufnahmen von Feriendomizil rechtswidrig.
Bereits 2003 stellte auch der BGH fest, dass ungenehmigte Luftaufnahmen der Ferienziele Prominenter einen Eingriff in die Privatsphäre darstellen, sofern jemand unter Überwindung bestehender Hindernisse oder mit geeigneten Hilfsmitteln wie Teleobjektiv, Leiter oder Flugzeug den räumlichen Lebensbereich eines anderen ausspäht (BGH, Urt. v. 9.12.2003 VI ZR 373/02). In überdimensionierten 360°-Kameras, so wie sie auf den Fahrzeugen der Street View-Flotte installiert sind, wird man wohl ein solches, geeignetes Hilfsmittel in Form eines Teleobjektivs erkennen müssen. Und dass für den Schutz von Privatpersonen nochmal strengere Anforderungen gelten müssen als für Prominente, sollte offensichtlich sein.
5. Verknüpfung von Street View mit anderen Diensten.
Webseiten wie „rottenneighbor.com“ sind Internetangebote, bei welchem man seinen Nachbarn unter Nennung von dessen Namen und Anschrift denunzieren kann. Solche und ähnliche „Services“ werden nun durch die Street View-Funktionen inhaltlich noch einmal „aufgewertet“.
Wir sehen: Es gibt sowohl für, als auch gegen Google Street View gute Argumente. Klar wird aber auch, dass das deutsche Recht durch die Fragen, die Street View aufwirft, größtenteils überfordert ist. Vor allem das Datenschutzrecht scheint noch nicht in der Gegenwart angekommen: Braucht der Einzelne mehr oder weniger Schutz vor innovativen Technologien als bisher? Welche Grenzen müssen gezogen werden, welche Freiheiten müssen bewahrt werden?
Diese Fragen kann das derzeitige Recht nicht zufriedenstellend beantworten. Sie sollten deshalb Gegenstand einer breiten und sachlichen Diskussion sein und sind sicherlich auch ein Thema, mit denen sich die Enquête-Kommission in den nächsten zwei Jahren zu beschäftigen hat. Fest steht nur, dass die momentanen gesetzlichen Tatbeständen und Formulierungen Rechtsunsicherheit schaffen. Und das für alle Beteiligten.
Wir freuen uns über ergänzende Argumente in den Kommentaren.