Ein Gastbeitrag von Florian Jäkel, Marburg
Neues aus der Anstalt: Kurt Beck, rheinland-pfälzischer Ministerpräsident und Vorsitzender der Rundfunkkommission der Länder, überlegt (ungeachtet des Grundsatzes der Staatsferne des Rundfunks) nach Medienberichten, die Infokanäle von ARD und ZDF aufzugeben. Phoenix als gemeinsamer Sender solle gestärkt werden, zudem bestehe neben arte und 3sat keine Notwendigkeit für weitere öffentlich-rechtliche Kulturkanäle. Es gehe um die Schaffung „zeitgemäßer, den finanziellen wie programmlichen Herausforderungen entsprechende(r) Strukturen“.
Was sich oberflächlich als Verschlankung der öffentlich-rechtlichen Angebote darstellt und damit zur zeitgenössischen Kritik an diesen Angeboten passt, ist bei näherem Hinsehen indes keinesfalls zeitgemäß. Auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, die – bisweilen zu recht – gegen Expansionen der öffentlich-rechtlichen Anbieter herangezogen werden, ist dieses Ansinnen nur schlecht vertretbar.
Die institutionelle wie finanzielle Sicherung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erfolgt bekanntermaßen über die „dienende“ Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Zur Gewährleistung der informationellen „Grundversorgung“ der Bevölkerung (die private Anbieter nicht zu leisten in der Lage sein sollen) durch die Anstalten werden diese durch die Rundfunkfreiheit einerseits beauftragt und gleichermaßen protegiert. Dabei bedeutet „Grundversorgung“ nicht nur ein Mindestmaß an Information, sondern dass „im Prinzip dafür Sorge getragen sein (muss), dass für die Gesamtheit der Bevölkerung Programme angeboten werden, welche umfassend und in der vollen Breite des klassischen Rundfunkauftrags informieren und dass Meinungsvielfalt in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise gesichert ist“ (BVerfGE 74, 297 (325)).
Als im Zusammenhang mit Becks Äußerungen problematische Kernelemente der Grundversorgung stellen sich die umfassende Information der Gesamtheit der Bevölkerung dar. Die Gesamtheit der Bevölkerung muss terminologisch nicht weiter geklärt werden. Umfassende Information soll dadurch gewährleistet sein, dass „die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in möglichster Breite und Vollständigkeit Ausdruck findet“ (BVerfGE 57, 295 (320)).
Mit einem Abdecken des Informationsinteresses der gesamten Breite der Bevölkerung kann jedoch nicht nur die „gesamte Breite“ z.T. boulevardesker Berichterstattung oder bisweilen ungemein seichter Unterhaltung in den Vollprogrammen gemeint sein. Zwar findet auch diese mit Blick auf die Grundversorgung ihre Berechtigung; auch muss an dieser Stelle auf die hohe Qualität journalistischer Berichterstattung in den Nachrichtenformaten und vereinzelten Dokumentationen hingewiesen werden. Grundversorgung muss aber, will man sie richtig verstehen, insbesondere auch die kulturelle Breite in einem schon fast feuilletonistischen Sinne abdecken. Ihr ist eine „kulturstaatliche Funktion“ immanent. (Starck, NJW 1992, 3257 (3258)).
Gerade über die informationelle und kulturelle Qualität suchen die öffentlich-rechtlichen Anstalten ihre Abgrenzung zu den gern geschmähten privaten Angeboten. Auch diese Abgrenzung begünstigt die Rechtfertigung des öffentlich-rechtlichen Systems, insbesondere im Lichte der „Solange und Soweit“-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der öffentlich-rechtliche Angebote nur dann verfassungsrechtlichen Vorrang genießen, solange und soweit von diesem die Grundversorgung gewährleistet ist (Vgl. BVerfGE 73, 118 (158f.); 83, 238 (299)).
Das Problem von Kultur ist ihre ungeheure Vielfalt
Ob man zur Gewährleistung der nötigen kulturellen Breite im Fernsehen tatsächlich ein ganzes Bündel von Spartensendern braucht, ist das eine. Ob man diese jedoch zugunsten der Vollprogramme (deren Rechtfertigung angesichts eines ggf. „verschlankten“ öffentlich-rechtlichen Angebots kaum in Frage zu stellen wäre) reduziert (wie zuvor bereits durch den Chef der schleswig-holsteinischen Staatskanzlei, Arne Wulff, gefordert), das andere. Letztere beinhalten zwar auch „Kultur“, jedoch teilweise auf Sendeplätzen, die selbst der interessierteste Zuschauer nicht immer wahrnehmen kann.
Ohne Frage senden arte und 3sat als Spartensender daneben vergleichsweise „hervorragende“ (Beck) Kulturprogramme. Leider in einer oftmals inhaltlich konservativen Programmstruktur. Ein wesentliches „Problem“ von Kultur ist dabei gerade ihre ungeheure Vielfalt. Auch wenn es zwei Spartensender arte und 3sat gibt, geht damit eine ausreichende Abdeckung kultureller Vielfalt nicht zwangsläufig einher. In einer Gesamtbetrachtung wiesen die öffentlich-rechtlichen Angebote ohne die neueren Inhalte aber durchaus ein Defizit auf, was allein schon durch die überaus positive Resonanz hierzu verdeutlicht wurde. Dieses Defizit darf geradezu kompensiert werden; hier besteht – anders als beispielsweise im Falle der Internetangebote der Anstalten, die jedoch intern kaum in Frage gestellt werden – durchaus eine Notwendigkeit für ein öffentlich-rechtliches Angebot.
Ein zusätzlicher Beitrag zur Grundversorgung
Dies leitet zum zweiten ggf. betroffenen Kernaspekt der Grundversorgung über, der gesamten Breite der Bevölkerung: Wesentlich für die Beibehaltung der neueren Informationskanäle oder jedenfalls deren Angebote spricht nämlich deren Altersstruktur: Die demografisch bisweilen einseitige Programmorientierung der herkömmlichen Kanäle deckt in keiner Weise die gesamte Bevölkerung ab. Popkultur und andere, vermeintlich juvenile Inhalte sind dabei keineswegs nur von Interesse der „jungen“ Rezipienten. Und sollte dies hypothetisch doch der Fall sein, wäre es kein hinreichendes Argument, derartige Inhalte nicht zu senden. Die vornehmlich außerhalb „jugendlicher“ (was ein durchaus weites Feld ist) Rezipientenschichten angesiedelten Sendungsinhalte (will man von KiKa absehen, der aber ebenfalls nicht diese Zielgruppe bedient) machen ein Angebot für eben diese „jüngeren“ Schichten nötig.
Die neueren Programme ergänzen damit letztlich das bisherige Angebot um eine verfassungsrechtlich gebotene Breite an Inhalten, die sowohl sachlich (neue bzw. andere Informationsinhalte) als auch personell (Rezipientenstruktur) einen zusätzlichen Beitrag zur Sicherung der Grundversorgung leisten.
Das hiergegen geführte Verschlankungsargument greift demgegenüber zu kurz: Aufgrund der öffentlich-rechtlichen, verfassungsrechtlich abgesicherten Konkurrenz zu privaten Angeboten sind zwar in der Tat ein angemessener Umfang bestehender Angebote und eine maßvolle Programmexpansion nötig. Dies kann seitens der Anstalten jedoch nicht dazu führen, in den beizubehaltenden Vollprogrammen inhaltlich mit privaten Formaten nahezu zu konvergieren und eine Absicherung des Grundversorgungsauftrages (mithin der eigenen Rechtfertigung) über kulturell und informationell hochwertige Formate zu vernachlässigen.
Der Grundversorgung ist eine Quote fremd
Ebenfalls gegen eine Programmexpansion könnte die bisweilen geringe Quote kultureller Programme und die damit verbundene Frage nach der Gebührenverwendung vorgebracht werden. Hier steht das öffentlich-rechtliche Fernsehen vor dem bekannten Dilemma, Gebühren einerseits maß- und sinnvoll verwenden zu müssen und nicht zu expansiv vorzugehen (wozu Quoten als Indikator bedingt hilfreich sein können), andererseits zur Rechtfertigung u.a. eben dieser Gebührenfinanzierung programmatisch aber „breit“ aufgestellt sein zu müssen. Der Grundversorgung ist eine „Quote“ indes fremd. Ihr geht es nicht um die Befriedigung einzelner, aber möglichst großer Bevölkerungsgruppen, sondern – erneut – der gesamten Bevölkerung. Eine quotenbasierte Argumentation stünde gerade dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nach seinem Selbstverständnis nicht gut zu Gesicht. Die finanzielle Ausstattung der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten sollte ein zusätzliches Angebot, das die Breite der kulturellen Inhalte erweitert bzw. konsolidiert, indes tragen können. So werden beispielsweise nicht unbeträchtliche Millionenbeträge an Gebührenmitteln in zwar breitenwirksame, aber ohne weiteres privat zu veranstaltende Champions-League-Übertragungen und den Rechtekauf hierzu investiert. Ein Einsatz dieser Mittel für eine ausgewogene, hochwertige (und daher von der Grundversorgung tatsächlich gedeckte) Programmstruktur wäre verfassungsrechtlich stimmiger, insbesondere da hier private Angebote durchaus Defizite aufweisen.
Eine kulturelle (!) Expansion öffentlich-rechtlicher Angebote ist damit durchaus im Sinne der Grundversorgung, um dem Bedürfnis und der Anforderung umfassender Information gerecht zu werden. Als „Lösung“ kommen dabei zwei Möglichkeiten in Betracht: Zum einen ein Beibehalten (eines Teils) der neueren Sender, ggf. in um Synergien bereinigter Form. Hierbei könnte gar über eine Ausweitung dieser Sender auf alle Empfangsmodalitäten nachgedacht werden, da die teilweise Beschränkung auf digitale Verbreitung nicht die gesamte Breite der Bevölkerung erreicht und insofern auch dem Ziel der Grundversorgung widerspricht. Zum anderen wäre eine Aktualisierung der Programmstruktur aller herkömmlichen Sender denkbar und vielleicht eine noch kohärentere, jedenfalls aber eine effizientere Lösung. Dabei dürften allerdings nicht nur die Spartensender betroffen sein, sondern auch die Vollprogramme.
Wandel hin zu einem breitenwirksameren Gesamtangebot
Optimal wäre dabei ein Wandel hin zu einem kulturell hochwertigeren, zeitgemäßeren und damit letztlich auch breitenwirksameren Gesamtangebot, das zudem aufgrund seiner Qualität keine Konkurrenz zu privaten Angeboten darstellte, sondern sich positiv von diesen abhebte. Von einer Realisation des Letzteren ist jedoch aus vielerlei Gründen kaum auszugehen, weshalb wenigstens die neueren Angebote jedenfalls grundsätzlich beibehalten werden sollten. Anderenfalls verspielten die öffentlich-rechtlichen Anbieter einmal mehr einen Teil ihrer Glaubwürdigkeit – und auch ihrer Rechtfertigung –, strichen sie den gerade erst geschaffenen, kulturellen Zuwachs in der Senderfamilie ersatzlos nach kurzer Zeit wieder aus dem Programm.
Mit der Befürwortung kultureller Expansion öffentlich-rechtlicher Angebote geht kein „Freibrief“ für andere Vorhaben und Erweiterungen des Programmangebots unter dem Deckmantel der Moderne einher. Der offenbar missverstandene Ruf nach einem zeitgemäßen Angebot der öffentlich-rechtlichen Programme kann allerdings gerade nicht in der Reduktion tatsächlich zeitgemäßer und hochwertiger Angebote liegen. Er sollte vielmehr anderenorts, im Bereich de facto substituierbarer Formate, seine Beantwortung finden. Damit ARD und ZDF doch neo bleiben.
Florian Jäkel, geboren 1986, ist seit März 2011 Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Institut für Rechtsvergleichung/ Forschungsstelle für Medienrecht und Medienwirtschaft der Philipps-Universität Marburg. Seine Forschungs- und Interessenschwerpunkte liegen dabei im Bereich des Internet-, Rundfunk- und Persönlichkeitsschutzrechtes. Im Rahmen seiner Dissertation beschäftigt er sich mit verfassungsrechtlichen und regulatorischen Aspekten eines telekommunikationsrechtlichen Themas. Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Ansicht des Verfassers wieder. Kontakt: [email protected]