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ZAK: Netzneutralität ist Frage des Rundfunkrechts

Die Kommission für Zulassung und Aufsicht der Landesmedienanstalten (ZAK) hat ein Thesenpapier zur Netzneutralität (PDF) aufgestellt. Der unbefangene Beobachter mag sich fragen: Landesmedienanstalten – beaufsichtigen die nicht eigentlich die Fernsehsender? Was haben die Landesmedienanstalten mit Netzneutralität zu tun?
Um die Frage zu beantworten, muss man sich zunächst in Erinnerung rufen, dass die Landesmedienanstalten nicht nur die Inhalte von Fernsehen und Radio auf Rechtmäßigkeit überprüfen. Die Landesmedienanstalten haben eine ganze Palette von Aufgaben, die teilweise spezifisch technische Materien betrifft. Zuständig sind die Landesmedienanstalten – in Gestalt der ZAK – auch für den etwas schillernen Begriff der Plattformregulierung (§ 36 Abs. 2 Nr. 4 und 5 RStV). Dahinter steckt eine Ansammlung von Pflichten, die so genannte „Anbieter von Plattformen” betreffen. Was allerdings eine Plattform genau ist, ist bisher noch nicht geklärt – und das ist sicherlich auch Hintergrund davon, dass die Landesmedienanstalten die Plattformregulierung nun sogar mit Netzneutralität in Verbindung bringen. Deshalb soll zunächst versucht werden, etwas Klarheit in die Bedeutung des Begriffs zu bringen.

Zum Begriff der „Plattform”

Das Tatbestandsmerkmal „Plattform” ist im RStV seltsamerweise nicht definiert. Eine Definition findet sich lediglich für das Merkmal „Anbieter einer Plattform” in § 2 Abs. 2 Nr. 13 RStV. Versucht man daraus eine Definition für „Plattform” heraus zu destillieren, ergibt sich in etwa:

Eine Plattform ist eine digitale Übertragungskapazität oder ein digitaler Datenstrom, auf dem Rundfunk und vergleichbare Telemedien (Telemedien, die an die Allgemeinheit gerichtet sind) mit dem Ziel zusammengefasst sind, diese Angebote als Gesamtangebot zugänglich zu machen.

Bestimmende Merkmale der Definition sind die Begriffe „zusammengefasst” und „Gesamtangebot”. „Zusammengefasst” bedeutet: Zuvor gab nur es eine lose Ansammlung von Rundfunkprogrammen und vergleichbaren Telemedien; dann erscheint der Plattformbetreiber und verbindet diese in einer Weise, in der sie nicht einfach so wieder getrennt werden können. „Gesamtangebot” bedeutet: Der Plattformbetreiber nimmt diese Zusammenfassung von Programmen und vermarktet sie gemeinsam, als ein eigenes Produkt. Er vermarktet sie aber auch nicht irgendwie, sondern in Form einer „digitalen Übertragungskapazität” oder eines „digitalen Datenstroms”. Gemeint ist damit, dass eine Plattform nur dann vorliegt, wenn die Kunden das Gesamtangebot in digitaler Form, über Kabel, Funk oder Satellit beziehen.

Werbung von Kabel Deutschland für ein Plattformangebot

Die Plattformregulierung wurde mit dem 10. RÄStV 2007 eingeführt. Hintergrund der Neuregelung war die Digitalisierung des Rundfunks. Wegen technischer Fortschritte ist es mittlerweile möglich, in Kabelnetzen, per Funkwellen und auch per Satellit eine unglaubliche Vielzahl von Programmen zu transportieren. Die Zeiten, in denen ein TV-Rezipient nur ein bis drei Programme empfangen konnte, sind vorbei. Heute sind problemlos 100 Programme möglich. Zählt man Online-TV dazu, geht die Zahl in die Tausende. Das „alte” Rundfunkrecht ist aber noch der Zeit verhaftet, in der es nur sehr wenige Fernsehsender gab. Wer damals einen solchen Sender kontrollierte, hatte viel Macht in der Hand – und viele Möglichkeiten, diese Macht zu missbrauchen. Deswegen sieht der Rundfunkstaatsvertrag für die Betreiber von Fernsehsendern immer noch sehr strenge Pflichten vor.

In den Zeiten des digitalen Rundfunks ist die Situation aber eine andere. Es gibt zwar noch Fernsehsender mit viel Reichweite (z.B. RTL oder ARD), aber diese sind die deutliche Minderheit. Die eigentliche Macht liegt – so sieht es zumindest der Gesetzgeber – bei den Plattformbetreibern. Diese haben viel mehr Einfluss darauf, welche Fernsehprogramme der Kunde ansieht. Und sie können diesen Einfluss auch benutzen, um politisch Einfluss zu nehmen oder sonstwie die öffentliche Meinung zu instrumentalisieren. Deswegen werden sie nun ähnlich – und auch ähnlich streng – reguliert, wie die Rundfunkanbieter selbst.

Wer aber sind die Plattformbetreiber? Ursprünglich gemeint sind vor allem die Kabelnetzbetreiber. Das sind Unternehmen wie z.B. Kabel Deutschland oder Unity Media, die ein großes Netz betreiben, das zur Verbreitung von Fernsehprogrammen dient. Wenn diese Netzbetreiber nicht reguliert würden, könnten sie z.B. bestimmten unerwünschten Sendern die Verbreitung verweigern oder anderen hohe Zahlungen („Einspeiseentgelte”) abverlangen.

Bei den Kabelnetzbetreibern hört die Plattformregulierung aber nicht auf. Unter die Definition „Plattform” fallen nach Ansicht der Landesmedienanstalten auch Pay-TV-Angebote wie Sky oder Online-TV-Webseiten wie Zattoo. Und mit dem aktuellen Papier fangen die Landesmedienanstalten nun an, darüber nachzudenken, ob auch ein nicht-neutrales Internet eine solche Plattform sein könnte.

Zum Thesenpapier der Landesmedienanstalten

Zunächst macht die ZAK klar, wo sie sowohl ihre Aufgabe sieht, als auch die des Rundfunkrechts insgesamt: In der Vielfaltssicherung. Diese Vielfalt ist nach Meinung der ZAK aktuell vor allem durch das neutrale Internet gewährleistet. Schon das, könnte man sagen, ist eine kleine Sensation: Mit dieser Feststellung rütteln die Landesmedienanstalten an den Grundfesten unserer Rundfunkordnung.

Statt von einem neutralen Internet spricht die ZAK – m.E. sprachlich besser – von einem offenen Internet:

Dass es [neben den Plattformen] das offene Internet gibt, ist ein wichtiges Instrument der Vielfaltssicherung und des Zugangs auch kleinerer und innovativer Anbieter. Es dient der Innovation, Kreativität und Erweiterung an Informationsangeboten. Diese offenen, plattformfreien Räume erlauben es, den Plattformbetreibern größere Spielräume im geschlossenen Bereich zu eröffnen. Offenheit ist zudem die beste Voraussetzung für die Förderung kreativer Inhalte und Anwendungen.

Falls aber die Netzbetreiber, die Internetzugänge vermarkten, die Netzneutralität eingrenzen, kann das schon anders aussehen:

Verlangt ein Netzbetreiber ein Entgelt dafür, dass ein bestimmter Inhalt transportiert wird, oder dass dies schneller oder in besserer Qualität als bei anderen geschieht, ist diese Offenheit nicht mehr gegeben und es ist zu prüfen, inwieweit das Plattformregime des Rundfunkstaatsvertrages greift.

Die ZAK bildet hier also ein Paar von Gegensätzen: Einerseits ein völlig offenes Netz, an das sich jeder anschließen und darüber die Inhalte seiner Wahl transportieren kann – das Internet. Andererseits ein völlig geschlossenes Netz, bei dem der Netzbetreiber alleine entscheidet, wer sich anschließen darf und welche Inhalte transportiert werden – eine Plattform im Sinn des Rundfunkstaatsvertrags. In ihrem Papier deuten die Landesmedienanstalten nun an, auch ein nicht-neutrales Internet könne der Plattformregulierung unterfallen.

Internet ohne Netzneutralität – eine Plattform i.S.d. §§ 52 ff. RStV?

In der Tat: Der Gedanke der ZAK liegt nicht ganz fern. Wo Vielfalt ist, muss diese gesichert werden. Und wo Vielfalt gesichert werden muss, sind (grundsätzlich) die Landesmedienanstalten gefordert.

Auf der Skala zwischen einem „offenen Netz” einerseits und einer geschlossenen Plattform andererseits liegt ein nicht-neutrales Internet-„Netz” irgendwo dazwischen. Die Inhalte-Anbieter sind von ihren Rezipienten nicht völlig abgeschnitten, so wie sie es wären, würden sie aus einem Fernsehkabelnetz ausgeschlossen. Aber wenn ein Netzbetreiber z.B. die Inhalte von Spiegel Online deutlich schneller weiterleitet als die von Tagesschau.de, hindert das natürlich die Chancen dieses Web-Angebots. Ein offenes Netz ist das nicht mehr.

Die Drohung des Landesmedienanstalten, zu prüfen, ob die Regeln für die Plattformregulierung (die §§ 52 ff. RStV) greifen, dürfte allerdings genau dabei bleiben: beim Prüfen. Denn ein „Zusammenfassen” von Inhalten i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 13 RStV liegt bei einem nicht-neutralen Internet genauso wenig vor wie ein „Gesamtangebot”. Aber die Landesmedienanstalten haben einen guten Draht zu den Ministerpräsidenten, und die Ministerpräsidenten entscheiden im Rundfunkrecht (fast immer), was Gesetz wird. Es wäre insofern durchaus nicht undenkbar, dass in einem 15. oder 16. Rundfunkänderungsstaatsvertrag stehen würde: Ein Internet-Netzbetreiber, der in seinem Netz bestimmte Inhalte diskriminiert oder priorisiert, unterfällt der Plattformregulierung.

Und das wiederum würde bedeuten, dass der Netzbetreiber gesetzlich verpflichtet würde, einen gewissen Prozentsatz seiner Kapazität für ein neutrales Internet aufzuwenden – rundfunkrechtlich spricht man von „must carry” (§ 52b Abs. 1 RStV). Auf diese Weise kommt man von rundfunkrechtlichen Überlegungen zur Netzneutralität. Auf den ersten Blick verquer – auf den zweiten Blick ganz logisch.

Thesenpapier der Landesmedienanstalten (PDF).

Prof. Holznagel hatte im vergangenen Jahr schon einen ganz ähnlichen Vorschlag gemacht.

Aufsatz von Laura Dierking und mir zur Vielfalt des Internets und dessen Auswirkungen auf die Rundfunkordnung.

, Telemedicus v. 24.01.2011, https://tlmd.in/a/1929

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