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Wunschzettel an die Bundesregierung

Ein Kommentar von Adrian Schneider

Nachdem das Bundesinnenministerium kurz vor der Wahl seinen Wunschzettel verfasst hat, möchte ich nachziehen und meine Wünsche an die neue Bundesregierung loswerden. Es geht mir nicht um die Parteien und Personen, die sie nun stellen werden. Meine Wünsche richten sich vielmehr an die Bundesregierung als Institution. Sie sind absichtlich hoch gesteckt und voller Idealismus – der Mensch muss schließlich Träume haben.
1. Keine aktionistische Symbolpolitik

Ich wünsche mir eine Bundesregierung, die nicht panisch reagiert, sondern besonnen agiert. Ein Amoklauf ist kein guter Anlass, über das Verbot von „Killerspielen” zu diskutieren. Und die letzten Monate der Legislaturperiode sind auch kein guter Zeitpunkt, im Schweinsgalopp ein Zugangserschwerungsgesetz durchs Parlement zu bringen. Ein symbolisches Schrauben am Bundesdatenschutzgesetz nach zahlreichen „Datenschutz-Affären” hilft genauso wenig, wie ein Hacker-Paragraph, der faktisch nicht angewendet wird. Vor allem, wenn auf der anderen Seite schon seit vielen Jahren eine grundlegende Reform des Telemediengesetzes aussteht und an allen Ecken und Enden Regelungen fehlen.

Liebe künftige Bundesregierung, nehmt euch die Zeit, eure Pläne in Ruhe zu überlegen und langfristige Strategien zu verfolgen, anstatt euch die Tagesordnung kurzfristig von der BILD-Zeitung diktieren zu lassen.

2. Handwerkliches Geschick

Ich wünsche mir eine Bundesregierung, die in der Lage ist, ihren Willen handwerklich korrekt aufs Papier und dann durchs Parlament zu bringen. Vorschriften „von unglaublicher Länge”, wie die §§ 28, 29 BDSG, ungenaue Formulierungen wie in § 101 UrhG oder verschlafene Meldepflichten beim Netzsperren-Gesetz sind nicht nur peinlich, sondern sie verursachen auch Rechtsunsicherheit und unnötige Kosten.

Und die Liste der Beispiele ließe sich fast endlos fortsetzen: Von seitenlangen Vorschriften im Telekommunikationsgesetz, bis zur Pflichtablieferungsverordnung, von der selbst die zuständige Behörde überrascht wird.

Liebe künftige Bundesregierung, ihr würdet staunen, wie viele rechtliche Probleme sich in diesem „Chaos-Raum Internet” in Luft auflösen würden, wenn ihr einfach mal das ins Gesetz schreibt, was ihr auch meint. Nicht mehr und nicht weniger. Dann muss euch das Bundesverfassungsgericht auch nicht mehr diktieren, wie eure Gesetze auszusehen haben.

3. Sachverstand vor Parteilinie

Ich weiß, das klingt jetzt sehr idealistisch, ich wünsche es mir aber trotzdem: Politik mit Sachverstand. Ich fühle mich für dumm verkauft, wenn die amtierende Justizministerin mir erklären will, dass Netzsperren funktionieren, aber nicht weiß, was ein Browser ist. Das selbe gilt für den Bundesinnenminister, der die Online-Durchsuchung als notwendiges Mittel verteidigt, aber selbst einräumt, „nichts davon zu verstehen”. Man kann sicher nicht auf jedem Themengebiet Experte sein, aber wenn ein gewisses Grundverständnis bei politischen Entscheidungen fehlt, dann besteht die Gefahr, dass sie nicht aus politischer Überzeugung, sondern aus einem dumpfen Unverständnis heraus gefällt werden.

Liebe künftige Bundesregierung, lasst den Sachverstand nicht der Parteilinie weichen. Und straft nicht eure eigenen Sachverständigen ab, wenn sie zu Ergebnissen kommen, die euch nicht gefallen.

4. Der unterschätzte Bürger

Ich wünsche mir eine Bundesregierung, die den Bürger nicht unterschätzt. Die meisten Bürger sind nicht politikverdrossen, ganz im Gegenteil: Sie sind es leid, nicht ernst genommen zu werden. Wenn über 130.000 Bürger eine Petition gegen Netzsperren unterzeichnen, dann ist das ein Zeichen dafür, dass viele Menschen in Deutschland etwas verändern wollen. Ja, es war absehbar, dass die Petition das Gesetzgebungsvorhaben nicht vollständig kippen konnte. Aber dass sie die Bundesregierung derart unbeeindruckt lassen würde, habe ich nicht erwartet. Vielmehr werden diese 130.000 Menschen als Minderheit betrachtet, die vernachlässigt werden kann. Als Freaks, die nicht akzeptieren wollen, dass das Internet „Verkehrsregeln” braucht.

Und die Petition gegen Netzsperren ist nur das spektakulärste, bei weitem aber nicht das einzige Beispiel dafür. Das gleiche Phänomen kann man bei der Diskussion um das Verbot von „Killerspielen” beobachten. Dieter Wiefelspütz (zukünftig Opposition) hat das sehr schön auf den Punkt gebracht: „Ich bin […] Rechtswissenschaftler. Ich benötige keine wissenschaftlichen Gutachten, um Fragen der Menschenwürde zu beurteilen. Das kann ich selber”.

Es ist genau diese Arroganz, die dafür gesorgt hat, dass die großen Volksparteien zunehmend ins Trudeln geraten. Denn sie entfernen sich immer mehr von der jungen Generation. Die Parteien nehmen diese Generation nicht ernst, sondern wollen ihr eine Politik über ein Medium aufdrängen, von dem die Entscheidungsträger (erklärtermaßen) selbst nichts verstehen.

Liebe künftige Bundesregierung, nehmt eure Bürger ernst. Andernfalls droht euch ein Generationenkonflikt: Denn „dieses Internet”, das ihr als Bedrohung und als „rechtsfreien Raum” betrachtet, ist für viele Menschen in diesem Land fester Bestandteil des Alltags. Viel mehr, als für euch selbst. Und rechtsfrei war das Internet noch nie. Es funktioniert nur nicht nach den bürokratischen Strukturen, die ihr gewöhnt seid.

5. Das Ende des Stückwerks

Ich wünsche mir ein Ende des Stückwerks. Bei vielen Bereichen des Medienrechts braucht es keine Feinjustierung, es braucht eine große Lösung. Und ich wünsche mir eine Bundesregierung, die den Mut hat, auch solche großen Dinge anzugehen.

Ich denke dabei zum Beispiel an das Bundesdatenschutzgesetz: Hier wird es Zeit, reinen Tisch zu machen. Das Gesetz hat sich längst selbst überlebt und verursacht oft mehr Probleme, als es Lösungen bietet. Schon die Systematik des Gesetzes schreit danach, von Null anzufangen, einfach mal aufzuräumen, umzusortieren und eine solide Alternative auf die Beine zu stellen. Eine die Widersprüche beseitigt und Klarheit schafft.

Ähnlich sieht es im Urheberrecht aus, das an allen Ecken und Enden knarrt und wo wir eine grundsätzliche Überarbeitung brauchen, um einen vernünftigen Bogen zwischen gerechtem Schutz und notwendiger Freiheit zu spannen. Ob mit oder ohne Leistungsschutzrechten für Verlage.

Das ist wahrscheinlich alles viel zu viel verlangt. Aber genau das ist es, was ich vermisse: Die großen Ziele und den Willen, überhaupt Änderungen herbeizuführen.

Liebe künftige Bundesregierung, habt den Mut, auch mal tabula rasa zu machen und die Dinge gründlich anzugehen. Mit kleinen Änderungen in Detailfragen werdet ihr jedenfalls nichts verbessern. Auch nicht eure Wahlergebnisse.

, Telemedicus v. 28.09.2009, https://tlmd.in/a/1510

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