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„Wir brauchen eine öffentlich-rechtliche Suchmaschine“

Ob wir nun eine Digitalkamera kaufen wollen, den passenden Cloud-Service suchen oder die Ukraine-Krise verstehen möchten: In den allermeisten Fällen fangen wir mit einer Suche bei Google an. Vertrauensvoll legen wir unsere Fragen in die Hände eines Unternehmens in Mountain View – meist ohne uns zu fragen: Welche Interessen stehen hinter Suchergebnissen? Sind diese Interessen in einem Suchergebnis erkennbar? Und kann es überhaupt ein neutrales Suchergebnis geben?

Der Vorwurf stark interessengesteuerter Suchergebnisse ist in aller Munde, und er steht auch auf der europäischen Agenda. Google missbrauche seine Marktmacht, benachteilige Konkurrenten, bevorzuge eigene Dienste, heißt es da. Zerschlagung, Aufspaltung, Regulierung – es kursieren verschiedene Denkansätze. Daneben steht eine weitere Idee: ein duales System von Suchmaschinen. Zu den privaten Suchmaschinen soll sich die öffentlich-rechtliche Suchmaschine als neutrale Alternative gesellen, lautet der Vorschlag.

Der Rundfunk als Joker gegen Googles Marktmacht? Ja, meint NDR-Verwaltungsrätin Gräfin Kerssenbrock im Telemedicus-Interview: „Wir brauchen eine öffentlich-rechtliche Suchmaschine mit ausschließlich dienender Funktion.”

Telemedicus: Gräfin Kerssenbrock, wenn ich bei Google einen Suchbegriff eingebe: Suche ich dann selbst – oder findet Google für mich?

Gräfin Kerssenbrock: Die Antwort auf diese Frage gibt Google selbst unter Punkt 10 – „Gut ist nicht gut genug” – seiner Unternehmensphilosophie:

„Selbst wenn Sie nicht genau wissen, wonach Sie suchen: Unsere Aufgabe ist es, im Internet eine Antwort zu finden. Wir versuchen, Bedürfnisse unserer Nutzer weltweit zu erkennen, bevor diese explizit ausgesprochen sind, und diesen Bedürfnissen dann mit Produkten und Diensten gerecht zu werden, die immer wieder neue Maßstäbe setzen.”

In der Regel haben wir das Gefühl, dass wir selbst etwas suchen, denn wir geben ja den Suchbegriff zumindest teilweise ein. Tatsächlich sind Suchergebnisse nach Relevanz sortiert, mittels eines PageRank-Algorithmus. Die Suche ist durch das eigene Suchverhalten personalisiert und schließlich wird uns mit der Autocomplete-Funktion aktiv vorgeschlagen, was wir anscheinend suchen.

Jede dieser Funktionen bei Google ist extrem nützlich und sehr komfortabel, haben jedoch wenig mit einer individuellen Suche zu tun. Wenn ich dann noch auf der ersten Seite der Suchergebnisse nach der Wahrnehmung der ersten drei Vorschläge meine Suche beende und mit den Ergebnissen zufrieden bin – dann hat wohl nur Google für mich gesucht.

„Eine Suchmaschine mit ausschließlich dienender Funktion.”

Sie verfechten die Idee einer öffentlich-rechtlichen Suchmaschine. Was kann man sich darunter konkret vorstellen? Eine Suchmaske mit ARD-Logo – und ohne bezahlte Ergebnisse?

So einfach ist das leider nicht. Fast 95 Prozent der Deutschen nutzen Google als Suchmaschine – eine faktische Monopolstellung. Wir sind an den Suchkomfort gewöhnt, an die optische Anmutung, an die Verknüpfung mit weiteren nützlichen Diensten wie zum Beispiel Google-Maps, an die Verbindung mit Sozialen Netzwerken und vieles mehr.

Ob auf einer Suchmaschine ARD, ZDF oder etwas Drittes steht ist unwichtig – entscheidend ist, was drin ist. Eine öffentlich-rechtliche Suchmaschine müsste eine vergleichbare Nutzenfunktion haben wie Google, jedoch bereinigt um den Einfluss verschiedenster Interessengruppen auf das Suchergebnis.

Google ist ein Wirtschaftsunternehmen mit dem legitimen Ziel, Geld durch sein Angebot verdienen zu wollen. Suchanfragen bei Google sind aber kostenlos; der Suchende ist nicht der Kunde bei einer privatwirtschaftlichen Suchmaschine. Kunde ist der Werbetreibende, der mit seinem Werbeetat die Angebote von Google refinanziert, der gefunden werden will, der seine Homepage optimieren möchte, der vor dem Mitkonkurrenten wahrgenommen werden möchte.

Wir brauchen eine öffentlich-rechtliche Suchmaschine, die ausschließlich eine dienende Funktion für eine informierte Gesellschaft im wachsenden digitalen Datenberg hat, ohne wirtschaftliche Interessen verfolgen zu müssen.

Rundfunk, da denken die meisten an Radio, Fernsehen und ein bisschen Online-Mediathek. Was hat all das mit einer Internetsuchmaschine zu tun?

Rundfunk ist ein Verbreitungsweg: Rundfunk ist die drahtlose oder drahtgebundene Übermittlung von Daten durch physische Wellen. Eine Suchmaschine ist ein Massenkommunikationsmittel im Massenmedium Internet, das funktionell dem körperlosen Übertragungsweg Rundfunk zuzuordnen ist.

Gibt es einen Auftrag, ein Gebot für die Einrichtung einer solchen Suchmaschine?

Allgemein ja, konkret nein. Unser Grundgesetz ist dynamisch, anpassungsfähig an Veränderungen in einer Gesellschaft und gleichzeitig unveränderbar, wenn es um Grundsätze geht. Dafür steht ausdrücklich die Ewigkeitsgarantie aus Art. 79 III GG.

Art. 5 I S. 2 GG fordert vom Staat grundsätzlich, die Rundfunkfreiheit zu gewährleisten. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Blick auf die besondere Wirkung des Rundfunks – das heißt seiner Suggestivkraft, Aktualität und Breitenwirkung, festgestellt – dass es einer positiven Ordnung bedarf, um die dienende Funktion der Rundfunkfreiheit für eine demokratische Gesellschaft sicherzustellen. Teil dieser positiven Ordnung ist auch der Funktionsauftrag an einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der im Rahmen einer hinkenden Dualität die privatwirtschaftlich bedingten Defizite privater Rundfunkanbieter ausgleichen soll, um die Rundfunkfreiheit zur Entfaltung zu bringen. Suchmaschinen sind bisher rein privatwirtschaftliche Angebote. Es gibt kein vergleichbares Angebot, das damit verbundene Defizite im Rahmen der zu gewährleistenden Rundfunkfreiheit gegenwärtig ausgleichen könnte. Im Gegenteil: Auch die Auffindbarkeit inhaltlicher öffentlich-rechtlicher Angebote mit ihrer Ausgleichsfunktion für private Angebote unterliegt im Internet den Grundsätzen, Suchalgorithmen oder Autocomplete-Vorschlägen privater Suchmaschinenanbieter. Eine Gewährleistung der Rundfunkfreiheit durch den Staat, wie ihn das Grundgesetz fordert, ist das nicht.

„Ein Suchalgorithmus ist kein einmaliges Wunderwerk.”

Nun hat der Markt längst Fakten geschaffen – Google ist seit Jahren unangefochtene Nummer eins. Hat eine öffentlich-rechtliche Konkurrenz überhaupt eine Chance? Und wer schreibt einen guten Suchalgorithmus?

Der sogenannte „Lock-in-Effekt”, einmal bei Google – immer bei Google. Ja, diese Frage nach der Chance eines derartigen Angebots auf einem verteilten Markt mit einem faktischen Monopolisten ist sehr berechtigt. Auch das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder davor gewarnt, dass Entwicklungen im Medienbereich Fakten schaffen können, die unumkehrbar sein können. Trotzdem bin ich fest davon überzeugt, dass ein öffentlich-rechtliches Suchmaschinenangebot eine Chance hätte. Wenn Nutzen und Komfort ohne Werbung vergleichbar wären, gleichzeitig jedoch Datenschutz und Nichtabgreifen des persönlichen Nutzungsverhaltens garantiert werden – in Verbindung mit Transparenz und Kontrolle des Suchalgorithmus – dann wäre eine Alternative konkurrenzfähig. Menschen wollen ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung wahrnehmen, sie verzichten nur darauf, wenn der vermeintliche Preis gering ist.

Ein Suchalgorithmus ist kein einmaliges Wunderwerk. Es gibt ja auch zahlreiche andere private Suchmaschinen, die aus unterschiedlichsten Gründen in Deutschland keine ernstzunehmende Konkurrenz für Google darstellen. Wenn man frei von wirtschaftlichen Zwängen die Entwicklung eines qualitativ und inhaltlich definierten Suchalgorithmus ausschreiben würde, wird es ausreichende Angebote geben.

Kann eine Suchmaschine überhaupt objektiv sein? Die Reihenfolge von Suchergebnissen beinhaltet ja immer auch eine Wertung.

Ein Suchergebnis wird immer subjektiv sein, weil Menschen die Kriterien für die Suche festlegen. Genau an dieser Stelle wird eine Suchmaschine zum Inhalteanbieter, obwohl sie doch „nur” die Inhalte Dritter auffindbar macht. Man kann sich nur um Objektivität bemühen. Ein Suchergebnis kann aber neutral sein, das heißt, es folgt nicht bestimmten Interessen. Die Neutralität kann durch einen öffentlich-rechtlichen Auftrag definiert werden, der seinerseits einer gesellschaftlichen Kontrolle unterliegt – wie wir dies bereits aus dem Rundfunkstaatsvertrag kennen.

Die Sorge um die Neutralität von Suchergebnissen mag ja begründet sein, ebenso die Sorgen um die Meinungsvielfalt, wenn wir uns komplett von Google abhängig machen. Aber: Nicht nur die Suchmaschine beeinflusst ein Suchergebnis. Auf der anderen Seite steht die Suchmaschinenoptimierung (SEO), die dafür sorgen soll, dass Angebote auf der Trefferliste weit oben landen. Neutralität ist damit ohnehin utopisch, könnte man meinen. Oder: Wer die bessere SEO hat, ist „gleicher” als die anderen.

Das ist die Frage nach der digitalen Existenz, nach der digitalen Wahrnehmbarkeit. Wer nicht gefunden werden kann, existiert nicht im digitalen Zeitalter. Und weil der Suchmaschinennutzer selten die Suchergebnisse auf Seite 2, 3, …. zur Kenntnis nimmt, kommt der SEO eine zentrale Bedeutung zu. Das Internet ist voll mit mehr oder weniger guten Anleitungen zu SEO. Wenn alle dies nutzen würden, müsste sich der Effekt selbst neutralisieren. Wenn jedoch einzelne mit mehr Aufwand ihre Platzierung bei der Suche verbessern können, durch das Klickverhalten der Nutzer in ihrer vermeintlichen Relevanz bestärkt werden und zusätzlich Werbung in verbundenen Medien schalten, dann sind wir von Vielfaltssicherung und Neutralität weit abgerückt.

Statt ein neues Angebot zu schaffen, wäre eine Regulierung bestehender Angebote denkbar, wiederum kontrolliert durch eine Medienaufsicht. Könnte man nicht mit guter Regulierung auf eine öffentlich-rechtliche Suchmaschine verzichten?

Regulierung ist der Eingriff in einen Markt mit Wettbewerbsverzerrungen. An dieser Stelle setzt die EU-Kommission in dem gegenwärtigen Verfahren gegen Google an. Für inhaltliche Anforderungen an die Neutralität von Suchergebnissen ist aber nicht das Wettbewerbsrecht zuständig.

Würden wir die gegenwärtig existierenden Suchmaschinen einer positiven Ordnung unterwerfen, um inhaltliche Anforderungen an die Suchergebnisse und das Suchverhalten definieren zu können, stoßen wir schnell an unsere rechtlichen Grenzen und Möglichkeiten. Wir reden über internationale Konzerne mit Firmensitz in den USA – wir haben dies beispielhaft beim Thema Datenschutz studieren können. Wir reden über privatwirtschaftliche Unternehmen, die sich im Zweifel auf Grundrechte berufen können.

„Eine Form der Selbstaufgabe der Gesellschaft”

Angenommen, die öffentlich-rechtliche Suchmaschine wäre beschlossene Sache. Wie sähe die gesetzliche Ausgestaltung aus?

Das habe ich bereits kurz skizziert. Ein klarer öffentlicher Auftrag im Rahmen eines Staatsvertrages durch die zuständigen Länder in Verbindung mit unabhängiger Kontrolle, so wie wir es aus dem Rundfunkstaatsvertrag kennen.

Entscheidend ist jedoch die Frage was es bedeutet, wenn man nichts unternimmt, keine Alternative aufbaut oder auf eine ferne europäische Lösung wartet. Der Staat würde seiner Gewährleistungspflicht aus Art. 5 GG nicht genügen und den Suchmaschinennutzer in Deutschland dem Marktführer Google alternativlos ausliefern. Es wäre eine Form der Selbstaufgabe der Gesellschaft, wenn sich Grundrechte an technologische Entwicklungen anpassen oder gar unterwerfen würden.

Gräfin Kerssenbrock, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Dagmar Gräfin Kerssenbrock, LL.M. ist im NDR-Verwaltungsrat und war Vorsitzende des NDR-Rundfunkrates. Sie ist Diplom-Volkswirtin und Diplom-Juristin in der Kanzlei Graf Kerssenbrock & Kollegen.

Masterarbeit von Gräfin Kerssenbrock zur öffentlich-rechtlichen Suchmaschine.

, Telemedicus v. 13.05.2015, https://tlmd.in/a/2947

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