Ein Kommentar von Adrian Schneider.
Mal wieder hat Wikileaks vertrauliche Dokumente veröffentlicht, diesmal mit mehr oder weniger peinlichen diplomatischen Einschätzungen über verschiedene Politiker und Regierungen. Illegale Hehlerware, die diplomatische Beziehungen zerstört, finden die einen. Ein sinnvoller Beitrag zur Transparenz in der Demokratie, sagen die anderen. Einmal mehr ist damit die Diskussion um die Grenzen der Informationsfreiheit entfacht. Was muss öffentlich sein, was geheim? Welche Regeln brauchen wir im Umgang mit vertraulichen Informationen? Und welche Rolle spielt dabei die Presse?
Informationsfreiheit in der Demokratie
Man kann das Bundesverfassungsgericht nicht oft genug zitieren: Für eine Demokratie ist das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung „schlechthin konstituierend”, es ist „die Grundlage jeder Freiheit überhaupt”. Demokratie kann nur funktionieren, wenn man sich über die Machthaber und solche, die es werden wollen, eine Meinung bilden kann. Um sich aber eine Meinung bilden zu können, braucht man Informationen, man braucht Tatsachen, auf die man seine Meinung stützen kann. Nicht umsonst nennt unsere Verfassung in Art. 5 GG die Meinungsfreiheit in einem Atemzug mit der Informations-, Presse- und Rundfunkfreiheit.
Insofern ist Wikileaks sicher ein wertvoller Beitrag für eine Demokratie. Wikileaks verbreitet Informationen, ungefiltert und ohne Umwege. Der Bürger ist nicht auf Schlüsse angewiesen, die Journalisten aus ihren Quellen ziehen, sondern kann sich selbst ein Bild von den Informationen machen, die der journalistischen Auswertung zugrunde liegen.
Kein Recht auf Geheimnisse?
Doch lässt sich daraus auch schließen, dass es kein Recht mehr auf Geheimnisse gibt? Nein. Auch die Väter und Mütter unserer Verfassung haben das schon erkannt und haben es erlaubt, diese Freiheiten einzuschränken. Denn die Freiheit von Informationen ist kein Selbstzweck, sie ist nicht um jeden Preis zu erhalten. Es ist legitim, manche Informationen von der Öffentlichkeit fern zu halten. So erfasst die Informationsfreiheit im Sinne von Art. 5 I GG auch nur öffentliche Informationen. Jeder hat das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu informieren – nicht aus vertraulichen. Wenn ich also im Zusammenhang von Wikileaks von „Freiheit von Informationen” spreche, meine ich damit nicht den technischen, verfassungsrechtlichen Begriff der „Informationsfreiheit”.
Gründe für die legitime Geheimhaltung gibt es jedenfalls viele: Manche Informationen gehen die Öffentlichkeit einfach nichts an, manche können sogar erheblichen Schaden anrichten. Und manchmal ist die Veröffentlichung von Informationen schon deshalb nicht erlaubt, weil damit ein Vertrauensbruch entstehen würde. Art. 10 GG schützt uns zum Beispiel davor, dass Informationen, die von A nach B gelangen sollen, nicht unterwegs abgefangen werden. Und auch das „nichtöffentlich gesprochene Wort” ist nach § 201 StGB besonders geschützt, damit man sich darauf verlassen kann, dass ein Vieraugengespräch auch wirklich ein Vieraugengespräch ist.
All diese Einschränkungen gelten natürlich nicht absolut und müssen immer mit den Freiheiten aus Art. 5 I GG in Einklang gebracht werden. Dennoch: So wichtig die Freiheit von Informationen auch ist, es gibt auch ein Recht auf Geheimnisse.
Wikileaks und die Grenzen des Erlaubten
Wikileaks geht ganz bewusst an die bestehenden Grenzen, ohne Rücksicht auf Gesetze und politischen Gegenwind. Vielleicht war das auch einfach mal nötig: Die klassische Presse befindet sich seit einigen Jahren in einer „Todesspirale”, echter investegativer Journalismus wird immer seltener. Gleichzeitig bietet das Internet völlig neue Möglichkeiten und viel mehr Raum, um Informationen nicht komprimiert für begrenzten Platz auf Papier, sondern unbegrenzt und vollständig für jedermann zugänglich zu machen. Wikileaks stößt damit in eine Lücke, die durch schwächelnde Printmedien und wachsende Möglichkeiten geschaffen wurde.
Doch Wikileaks muss sich auch seiner Verantwortung bewusst sein. Auch Wikileaks muss eine Abwägung vornehmen und die Folgen seiner Veröffentlichungen abschätzen. Der aktuelle Fall „Cablegate” zeigt das ganz gut: Zumindest was deutsche Politiker angeht, enthalten die Dokumente keine wirklichen Neuigkeiten, die meisten Informationen standen so oder so ähnlich bereits in deutschen Zeitungen. Gleichzeitig ist die Quelle der Dokumente wenig aussagekräftig: Es handelt sich um Einschätzungen einfacherer Botschaftsmitarbeiter, ob sie auch den Meinungen echter Entscheidungsträger entsprechen, weiß man nicht. Nicht umsonst sind die meisten Dokumente zwar „vertraulich”, nicht aber „geheim”. Kurzum: Für die Öffentlichkeit sind diese Informationen wenig wertvoll.
Wirklich brisant ist eher die Veröffentlichung an sich: Für die Amerikaner ist die Veröffentlichung ausgesprochen peinlich. Nicht nur, was die Aussagen über deutsche Politiker angeht, sondern vor allem die Tatsache, dass sie offenbar nicht in der Lage sind, vertrauliche Informationen auch vertraulich zu halten. Das wird Auswirkungen haben: Das politische Klima zwischen Deutschland und den USA wird sicher nicht davon profitieren. Und vor allem: Die Geheimhaltungsmaßnahmen werden hochgeschraubt, die Klassifizierung von Dokumenten wird strenger, der Austausch von und mit Diplomaten wird vorsichtiger. Zumindest was diesen Teil der Dokumente betrifft, hat Wikileaks der Öffentlichkeit möglicherweise einen Bärendienst erwiesen.
Für die Öffentlichkeit bedeutsam sind hingegen die Berichte über Nordkorea oder Saudi-Arabien. Hier sind aber auch die Auswirkungen der Veröffentlichung viel gravierender. Und auch in anderen Fällen muss Wikileaks sich selbst kritisch hinterfragen: Ist es wirklich notwendig, in den Irak-Dokumenten die Namen der beteiligten Soldaten, Opfer und Gegner zu nennen? Welchen Wert hat diese Information für die Öffentlichkeit und welche Folgen hat ihre Veröffentlichung? Kann die Veröffentlichung einiger Botschaftsdokumente möglicherweise zu internationalen Konflikten führen und ist es das wert?
Die Konsequenzen
Im Grundsatz ist Wikileaks eine sehr wertvolle Einrichtung. Informationen sind das Fundament einer Demokratie, ganz besonders solche, die staatliche Institutionen betreffen. Dennoch muss man immer eine Abwägung vornehmen. Denn die ungefilterte Veröffentlichung von Informationen birgt auch Gefahren: Nicht nur für betroffene Personen oder ganze Staaten, sondern auch für den Zugang zu Informationen.
Wikileaks versucht, sich so weit wie möglich staatlicher Aufsicht zu entziehen. Das Projekt hat seinen Sitz und Serverstandort dort, wo die Rechtslage kaum Kontrolle zulässt (früher Schweden, heute wohl Island). Das ist auf der einen Seite verständlich und für Wikileaks auch notwendig. Auf der anderen Seite ist es bedenklich, wenn Wikileaks seine Hoheit über die Information völlig ohne Einfluss von außen – auch ohne nachträgliche Aufsicht – ausübt. Darin unterscheidet sich Wikileaks auch von anderen Medien: Während zum Beispiel der „Spiegel” seine Veröffentlichungen notfalls vor Gerichten rechtfertigen und für die Konsequenzen gerade stehen muss, gilt das für Wikileaks in diesem Maße nicht.
Doch welche Konsequenzen zieht man daraus? Der falsche Weg ist sicherlich politischer Druck und Kriminalisierung. Die Verantwortung von Wikileaks ist enorm – gerade deshalb muss man den Dialog suchen, anstatt Wikileaks (weiter) in den „Untergrund” zu drängen und sich damit jeder Möglichkeit der Einflussnahme zu berauben. Wikileaks ist nur ein Symptom für geänderte Rahmenbedingungen beim Schutz von Informationen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Dazu gehört es einerseits, auf Wikileaks zuzugehen, andererseits, dass auch Wikileaks offen für Kompromisse ist.
Die Demokratie braucht Whistleblower. Sie braucht Personen und Institutionen, die Missstände aufdecken und öffentlich machen. Gleichzeitig braucht sie aber auch verantwortungsvolle Instanzen, die eine Abwägung zwischen Informationsinteresse der Öffentlichkeit und negativen Folgen von Veröffentlichungen treffen können. Das muss das Ziel sein, sowohl von Wikileaks, als auch von Seiten der Politik.
Zum Thema bei Telemedicus: Wikileaks und die Pressefreiheit.