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Was steckt hinter dem Streit um Smartphone-Patente?

In der Smartphone-Branche herrscht seit einiger Zeit Ausnahmezustand. Nicht enden wollende Patentstreitigkeiten verunsichern Kunden, Hersteller und Investoren. Vor allem Apple und Samsung scheinen sich in einem Konflikt zu befinden, der längst eine Eigendynamik bekommen hat. Die Gerichtsverfahren rund um Smartphones und Tablets sind kaum noch zu überschauen.

Was steckt dahinter? Welche Bedeutung haben solche Patente für die Industrie? Warum ist der Streit so eskaliert und wie wird es weitergehen? Diese Fragen beantwortet Rechtsanwalt Michael Zoebisch im Interview mit Telemedicus.
Fangen wir bei den Grundlagen an: Was genau schützt ein Patent?

Mit einem Patent kann man technische Entwicklungen für einen bestimmten Zeitraum schützen. Man kann also seine Erfindungen anmelden und kann für einige Jahre – meist etwa 20 – ein Monopol auf diese Erfindung bekommen. Niemand sonst darf sie dann ohne die Einwilligung des Patentinhabers nutzen.

Diese Erfindungen müssen sowohl neu, als auch erfinderisch sein. Kein Mensch auf der Welt darf sie also jemals zuvor gemacht haben. Dabei ist der gesamte Stand der Technik relevant. Wenn also jemand vor einem halben Jahr irgendwo in Indonesien einen Artikel über ein technisches Verfahren geschrieben hat, dann wäre dieses Verfahren nach dem Stand der Technik schon bekannt und eine Patentanmeldung wäre nicht mehr möglich.

Auf der anderen Seite muss die Erfindung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen. Es muss also um etwas gehen, das mit etwas „Hirnschmalz“ und „Pfiff“ entwickelt wurde und das sich von dem, was es schon gibt, absetzt.

In Deutschland gibt es allerdings einige Ausnahmen. Es darf zum Beispiel keine Software sein, das steht so ausdrücklich im Gesetzt. Softwarepatente sind nach deutschem Recht also nicht möglich.

Wo liegen die wichtigsten Unterschiede zum Urheberrecht?

Das Urheberrecht entsteht einfach dadurch, dass ich ein Werk schaffe. Hat ein Werk also eine gewisse Schöpfungshöhe, wird es schon mit dem Schaffungsakt automatisch geschützt. Beim Patent gibt es dagegen ein formalistisches Verfahren. Ein Patent muss ich anmelden, ich muss Fristen wahren und muss meine Erfindung durch das deutsche Patent- und Markenamt, das europäische Patentamt oder andere nationale Patentämter prüfen lassen.

Das Patent wird dann auch veröffentlicht. Jeder kann dann sehen, was ich für einen Patentschutz habe. Anders als im Urheberrecht steht zwischen der Erfindung und dem Schutz also ein Verwaltungsakt von einer Behörde.

Auf dem Smartphone-Markt tut sich in letzter Zeit ja eine ganze Menge in Sachen Patentschutz. Google und Apple investieren dieses Jahr voraussichtlich erstmals mehr für Patente, als für die technische Entwicklung. Ist das ein neuer Trend? Warum stehen Patente im Smartphone-Sektor so im Fokus?

Ein neuer Trend ist das nicht. Auch in der IT-Industrie war es schon immer so, dass ein wahnsinniger Patentpool aufgebaut wurde. Für viele japanische Unternehmen ist das zum Beispiel oft eine Prestigefrage, zu den Top-Patentanmeldern in der Welt zu gehören. Tintenstrahl-Drucker zum Beispiel: Es wird nichts, wirklich nichts geben, was im Zusammenhang mit einem Tintenstrahl-Drucker nicht von irgendwem patentiert ist.

Warum ist das so wichtig? Die Japaner haben früher den Markt so breit mit Patenten besetzt, dass niemand an ihnen vorbei kommt. Da geht es nicht unbedingt, darum, Unterlassung und Schadensersatz von Konkurrenten zu verlangen, sondern um sog. „cross-licensing“.

Dabei geht es darum, sich seine Patente gegenseitig zu lizenzieren, über Kreuz also. Aber nicht nur das: Viele Unternehmen nutzen auch einfach die Technologien der Konkurrenz ganz ohne Lizenz. Kommt dann eine Abmahnung, hat man immer das Argument, dass dieser Konkurrent auch Patente von einem selbst verletzt, wenn man einen Patentpool hat, der groß genug ist. Letztlich geht es also nicht um Unterlassung oder Schadensersatz, sondern darum, mit Patenten Technologien zu schützen und sie strategisch einzusetzen.

Auch in der Mobilfunk-Branche war das früher ein großer Kampf. Da war vor allem Nokia ein sehr starker Patentinhaber. Damals war die Situation aber noch eine etwas andere: Früher waren Mobiltelefone einfach nur Telefone. Heutzutage sind Smartphones kleine Computer. Das Verkaufsargument ist heute nicht mehr die Telefonfunktion, sondern alles andere drum herum. Umso mehr versucht man natürlich genau diese Zusatzfunktionen zu monopolisieren.

Also dienen Patente in Technologie-Branchen vor allem dazu, Lizenzen zu erteilen oder sich selbst abzusichern. Das scheint bei Apple und Samsung ja aber nicht der Fall zu sein. Ist die Situation da eskaliert?

Ja, die Situation ist eskaliert. Aber natürlich sind das vor allem wirtschaftliche Entscheidungen und vielleicht auch ein Stück Firmenphilosophie. Bei Apple scheint diese Entscheidung ja noch Steve Jobs getroffen zu haben, wie es in seiner Biographie heißt.

Aber solche Eskalationen passieren immer wieder mal. Auch in anderen Branchen. Gewöhnlich ist es allerdings schon so, dass die Industrie versucht, solche Auseinandersetzungen zu vermeiden. Man kann eine ganze Menge negativer Publicity bekommen und natürlich kostet sowas auch ein Heidengeld.

Nun hat man nicht den Eindruck, dass es bei diesen Streitigkeiten um große Erfindungen geht. Da geht es zum Beispiel um die Funktion „Slide to unlock“. Das ist nicht nur eine Software-Funktion, sondern auch kein gerade weltbewegendes Feature. Gibt es da in den USA einen Unterschied zum europäischen Verständnis von Patenten?

Tendenziell kann man schon sagen, dass man in den USA auch eher kleinere Erfindungen einfacher patentiert bekommt, während in Europa und Deutschland die Ansprüche da eher etwas höher sind. Aber auch bei uns sind es oft kleine, winzige Weiterentwicklungen, die von Patenten geschützt werden. Auch solche kleinen Weiterentwicklungen können durchaus schützenswert sein.

Aber natürlich ist das auch ein Problem: Wenn ich ein Mobiltelefon habe, auf das vielleicht 100 oder 200 Patente schon angemeldet sind, dann reicht trotzdem ein einziges Patent, das ich verletze, damit dieses Telefon komplett nicht mehr verkauft werden darf.

Und doch fragt man sich schon, ob Patente nicht gerade im IT-Bereich Innovationen blockieren, wo sich vor allem kleine Funktionen schnell als Standard etablieren können. Besteht nicht die Gefahr, dass Innovationen unglaublich ausgebremst werden?

Ja, das ist eine Diskussion, die rund um Patente immer wieder stattfindet. Ein Schutzrecht, das für 20 Jahre eine Erfindung monopolisiert, blockiert unter Umständen auch Weiterentwicklungen. Das ist die eine Seite der Medaille.

Auf der anderen Seite: Wenn Investitionen, die Unternehmen in Produkte und Technologien stecken, nicht geschützt werden, werden Unternehmen irgendwann aufhören, Geld in die Entwicklung zu stecken. Wenn jeder nachmachen kann, was ich teuer finanziert habe, dann rentiert sich meine Investition möglicherweise nicht mehr. Viele Unternehmen würden sagen: Dann lasse ich es halt. Auch ein fehlender Investitionsschutz kann also Innovationen verhindern. Das ist eine Art Henne-Ei-Problematik.

Und speziell im Smartphone-Bereich?

Da ist die Lage im Moment natürlich sehr aufgeheizt. Im Jahr 2009 gab es vielleicht drei oder vier laufende Verfahren in dem Bereich, 2012 sind wir jetzt schon bei etwa 20 großen Verfahren. Da stehen natürlich unglaubliche Kosten im Raum, die irgendwann für ein Unternehmen auch mal existenzbedrohend sein können. Gerade bei mittelgroßen bis kleinen Unternehmen.

Die ITU – die International Telecommunication Union – versucht gerade, ein bisschen Ruhe in die Branche zu bekommen. Man will einerseits verhindern, dass weitere Patentkriege beginnen. Andererseits will man aber auch vermeiden, dass Innovationen nicht mehr auf den Markt kommen. Man hört, dass einige Hersteller von Smartphones im Moment sehr zurückhaltend mit neuen Produkten sind, weil die Patentlage so schwierig ist. Das ist natürlich ein Problem für den ganzen Sektor.

In Deutschland hat sich der Streit zwischen Apple und Samsung ja eher im Geschmacksmusterrecht abgespielt, also gar nicht so sehr im Patentrecht. Woran liegt das?

In Deutschland hatten wir ja vor allem das Verfahren um das Galaxy Tab von Samsung am Landgericht Düsseldorf. Da ging es ja zunächst um eine einstweilige Verfügung.

Das ist zwar ein Stück weit Spekulation, aber ich könnte mir vorstellen, dass es einfacher war, eine einstweilige Verfügung für die Verletzung eines Geschmacksmusters zu bekommen, als für eine Patentverletzung. So ein Geschmacksmuster kann ein Richter – oder in diesem Fall eine Richterin – besser in einem Eilverfahren beurteilen, als ein umfangreiches, sehr technisches Patent mit extrem komplizierten Ausführungen.

Mit so einem Geschmacksmuster – wo es ja vor allem um das Design und äußere Erscheinungsbild geht – kriege ich also bedeutend einfacher eine einstweilige Verfügung, als bei einem elektrotechnischen Patent, wo man ohne ein Sachverständigengutachten wahrscheinlich nicht weit kommt. Ich glaube deshalb, dass das eher eine prozesstaktische Erwägung war.

Es liegt also nicht daran, dass der Schutz von Patenten nicht ganz so weitreichend ist, wie etwa in den USA?

Nein, nicht zwingend. In Deutschland haben wir natürlich keine Softwarepatente, aber darum ging es in dem Verfahren ja auch nicht. Ansonsten: Wenn ich eine Verletzung eines Schutzrechtes habe, ist es eher selten, dass ein europäisches Gericht zu signifikant anderen Ergebnissen kommt, als ein amerikanisches Gericht.

Wenn nicht direkt ein Patent verletzt wird, sondern es vor allem um die Frage der Ähnlichkeit von Produkten geht, ist es natürlich immer eine Auslegungsfrage. Aber dass amerikanische Gerichte hier strenger wären als europäische, kann man so nicht sagen.

Die Patentstreitigkeiten um Smartphones und Tablets haben die Branche ganz schön aufgewirbelt. Kann das so weitergehen?

Man muss sich klar machen, was die Unternehmen wollen: Die Strategie von Apple war ja anfangs vor allem, Samsung daran zu hindern, groß zu werden. Das hat nicht funktioniert. Apple hat da eher einen klassischen Pyrrhussieg errungen. So wie es aussieht wird Apple am Ende ja sogar einige seiner Geschmacksmuster verlieren, weil die Gerichte eher skeptisch sind, ob diese so Bestand haben können.

Samsung ist jedenfalls zumindest im Europa nah an der Marktführerschaft. Und selbst diese immensen Schadensersatzzahlungen in den USA kann Samsung locker wegstecken. Apple wird seine Position als Nummer eins also weder verteidigen noch erreichen können. Ein so aggressiver Streit zwischen Apple und Samsung hat also eigentlich keinen Sinn mehr.

Wer aber wirklich unter diesen Streitigkeiten gelitten hat, waren Google und Motorola, indirekt auch Microsoft. Das sind die Unternehmen, die im Smartphone-Bereich noch nicht so vorne dran sind, dass die mit nennenswerten eigenen Patenten das Spiel mitspielen können. Google hat ja versucht, mit dem Kauf von Motorola einen eigenen Patentpool aufzubauen. Aber das wird nicht reichen, um gegen Apple bestehen zu können. Das sind also die unglücklichen Dritten, die dadurch erwischt wurden, dass die Gerichte in den USA viele wichtige Patente bestätigt haben, um die alle anderen Hersteller nicht herum kommen.

Diese Unternehmen sind durch die Patentstreitigkeiten aufgeschreckt worden. Die haben sicher einige Produkte in den Schubladen, die sie gerne auf den Markt bringen würden, es wegen der aufgeheizten Situation um die Patente aber nicht können.

Die Situation ist die, dass sich die zwei Großen der Branche bekriegen, sich aber nicht so richtig weh tun, weil sie viel zu tief in der Branche drin sind. Dabei zertrampeln sie aber die Zwerge, die am Rand stehen und machen denen den Markt kaputt.

Vielen Dank für das Interview

Michael Zoebisch ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei rwzh Rechtsanwälte in München. Er beschäftigt sich vor allem mit den IT-relevanten Bereichen im Patent- und Markenrecht und berät international Unternehmen aus diesen Branchen. Michael Zoebisch ist Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz und Fachanwalt für Informationstechnologierecht.

Foto: Alle Rechte vorbehalten

, Telemedicus v. 16.10.2012, https://tlmd.in/a/2444

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