Im Rundfunkstaatsvertrag findet sich an einigen Stellen der Begriff „vergleichbare Telemedien“. Insbesondere gilt dies für die Definition des Begriffs „Plattformanbieter”: Plattformanbieter ist, wer „Rundfunk und vergleichbare Telemedien“ zu einem Gesamtangebot zusammenfasst (§ 2 Abs. 2 Nr. 13 RStV). Vergleichbare Telemedien können aber auch eine eigene Frequenz zugewiesen bekommen (§ 51a Abs. 1 RStV) und unterfallen den Gewinnspielregeln (§ 58 Abs. 4 RStV).
Warum ist es wichtig, was „vergleichbare Telemedien” eigentlich sind? Vor allem, weil der Begriff Anknüpfungspunkt der Plattformregulierung ist. Die §§ 52 ff. RStV stellen besondere Pflichten für solche Unternehmen auf, die Inhalte aggregieren. Zum Beispiel haben Plattformanbieter Übertragungspflichten zu beachten (§ 52b RStV), unterfallen einem Diskriminierungsverbot (§ 52c RStV) und einer Preiskontrolle in der Entgeltregulierung (§ 52d RStV).
Traditionell gelten solche Pflichten nur für die Betreiber von Breitband-Kabelnetzen. Mit Einführung der Plattformregulierung haben die Länder den Anwendungsbereich aber ausgedehnt. Und damit betrifft die Frage nach den vergleichbaren Telemedien plötzlich eine ganz grundlegende Frage des Medienrechts. Wenn „vergleichbare Telemedien” auch z.B. Webseiten oder Videoportale wären, dann wären diejenigen, die sie bündeln, als Plattformanbieter zu behandeln. Dann wären Anbieter wie z.B. Google News oder Youtube plötzlich dem Plattformregime unterworfen.
Telemedien in RStV und TMG
Der Begriff der vergleichbaren Telemedien stellt eine Unterkategorie des einfachen Telemedienbegriffs dar. Einfache Telemedien sind gem. § 2 Abs. 1 Satz 3 RStV, § 1 Abs. 1 Satz 1 TMG
alle elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste, soweit sie nicht Telekommunikationsdienste, telekommunikationsgestützte Dienste oder Rundfunk i.S.d. § 2 Abs. 1 RStV sind.
Aus dieser Negativdefinition eine schneidige Definition des Begriffs „Telemedien“ herauszuarbeiten, ist bisher in der Literatur nicht gelungen. Näherungsweise bezeichnen Telemedien Angebote, die auf klassischen Internet-Technologien aufbauen, d.h. eine Unicast-Technik zur Übertragung nutzen und üblicherweise per Download ausgeliefert werden. Telemedien sind also üblicherweise Internet-Dienste im weitestens Sinn, z.B. E-Mail-Providing, das Anbieten von Speicherplatz oder von Webseiten.
Der Begriff der Telemedien ersetzt das, was früher als „Teledienste“ und „Mediendienste“ bezeichnet wurde. Diese Kategorien waren ursprünglich entstanden, weil Bund und Länder versucht hatten, ihre Zuständigkeiten in der Internet-Regulierung nach der Art der „Dienste“ untereinander aufzuteilen: Der Bund schuf ein „Teledienstegesetz“, die Länder einen „Mediendienste-Staatsvertrag“. Da über Jahre hinweg keine sinnvolle Abgrenzung gefunden werden konnte, entschieden sich Bund und Länder schließlich, sich von diesem Ansatz zu lösen. An Stelle der „Teledienste“ und der „Mediendienste“ sollte eine gemeinsame Regulierung unter dem Begriff „Telemedien“ eingeführt werden. Eine Vorreiterrolle übernahm dabei der JMStV, der schon ab 2003 Telemedien adressierte. Einige Jahre später wurde dann der Rundfunkstaatsvertrag in „Staatsvertrag über Rundfunk und Telemedien“ umbenannt, und der Bund erließ parallel das Telemediengesetz.
Der Weg der vergleichbaren Telemedien in den RStV
Noch bevor der einfache Telemedienbegriff seinen Weg in den RStV fand, nahm der Terminus „vergleichbare Telemedien“ aber einen anderen Weg:
Als die Novelle des Telekommunikationsgesetzes anstand, war dieses auch Gegenstand von Verhandlungen im Bundesrat. Die Länder im Bundesrat machten, wie üblich, einige Änderungsvorschläge im Sinn der Rundfunkfreiheit. Daher wurde auf Betreiben der Länder in § 2 Abs. 6 des TKG 2004 der folgende Hinweis aufgenommen:
Die Belange von Rundfunk und vergleichbaren Telemedien sind zu berücksichtigen. Die medienrechtlichen Bestimmungen der Länder bleiben unberührt.
Ein Jahr später, mit dem 8. RÄStV 2005 nahmen die Länder die „vergleichbaren Telemedien“ dann auch in § 52 und § 53 des damaligen RStV auf. Dies betraf die Vorläufer des heutigen Plattformregimes: Schon damals mussten „vergleichbare Telemedien” unter Umständen zwangsweise übertragen werden. Sie durften außerdem nicht durch Betreiber von Verschlüsselungs-Systemen diskriminiert oder behindert werden.
Erst mit dem 9. RÄStV, der gemeinsam mit dem Telemediengesetz 2007 in Kraft trat, fanden dann auch die anderen, einfachen Telemedien ihren Weg in den Rundfunkstaatsvertrag. Bund und Länder gaben die Kategorien „Teledienste” und „Mediendienste“ vollständig auf und stellten auf Telemedien um. Die vergleichbaren Telemedien waren aber schon vorher dagewesen. Sie haben offensichtlich auch eine ganz andere Funktion als die klassischen Telemedien.
Was sind denn nun eigentlich „vergleichbare Telemedien“?
Nach ihrer Legaldefinition in § 2 Abs. 2 Nr. 13 RStV sind vergleichbare Telemedien solche, die „an die Allgemeinheit gerichtet sind“. Daraus lässt sich nun wenig herleiten: Beinahe alle Telemedien sind an die Allgemeinheit gerichtet, einschließlich fast aller Dienste im Internet. Dafür, dass die Gesetzgeber alle Internet-Dienste unter die „vergleichbaren Telemedien“ fassen wollten, spricht wenig. Im Gegenteil bezieht sich der Begriff offensichtlich auf eine Unterkategorie, die vergleichsweise klein sein soll, weil sie große Privilegien genießt.
Nach der Begründung des 8. RÄStV sind „vergleichbare Telemedien“ solche, die dem Schutzbereich des Art. 5 GG unterfallen. Auch diese Aussage trägt zur Klärung kaum bei: Es sind kaum Telemedien denkbar, die nicht dem Schutzbereich des Art. 5 GG unterfallen. Denn dieser enthält neben der Rundfunkfreiheit auch noch diverse andere Kommunikationsgrundrechte. Vor allem die Meinungsfreiheit schützt den überwiegenden Teil aller Äußerungen, die in Telemedien enthalten sind. Insofern wären nach der Aussage der Gesetzesbegründung quasi alle Telemedien vergleichbare Telemedien.
Denkbar wäre, den Gesetzgeber so zu verstehen, als dass die „vergleichbaren Telemedien“ solche sind, die eine besondere „Relevanz für den gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess“ haben, ohne dabei Rundfunk zu sein. So sehen das einige Stimmen in der Literatur. Die vergleichbaren Telemedien wären insofern neben eine ganze Reihe von Unterkategorien des Begriffs „Telemedien“ einzuordnen, denen besondere Meinungsbildungsrelevanz zugesprochen wird. Beispielsweise kennt der RStV unter anderem auch die „Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten“ (§ 55 Abs. 2 Satz 1 RStV) und „Telemedien mit Inhalten, die nach Form und Inhalt fernsehähnlich sind“ (§ 58 Abs. 3 Satz 1 RStV, § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 TMG). Diese sind als Unterkategorie der Telemedien als „audiovisuelle Mediendienste auf Abruf“ legaldefiniert. Der These von der besonderen Meinungsbildungsrelevanz kann man allerdings entgegenhalten, dass nach dieser Abgrenzung auch Angebote erfasst wären, die primär aus Hypertext im Internet bestehen – also auch normale Webseiten. Diese sollen aber offensichtlich nicht erfasst werden.
Historisch gesehen wurde die Bezeichnung „vergleichbare Telemedien“ häufig als Code für Teleshopping-Sender und Videotext gebraucht. Diese waren nach der früheren Rechtslage nicht als Rundfunk zu behandeln. Mit dem 12. RÄStV haben die Gesetzgeber den § 1 Abs. 1 Satz 4 RStV, der dies noch festgelegt hatte, jedoch aufgehoben. In der Begründung zum 12. RÄStV wird mehrfach und eindeutig klargestellt, dass diese Angebote nunmehr als Rundfunk i.S.d. RStV zu behandeln sein sollen. Am Begriff der „vergleichbaren Telemedien“ haben die Gesetzgeber freilich festgehalten.
Die mittlerweile wohl h.M. grenzt zwischen Rundfunk und Telemedien vorrangig danach ab, ob der betreffende Inhalt linear oder nicht-linear verbreitet wird. Dies entspricht der Systematik der AVMD-Richtlinie, der sich der RStV weitgehend angepasst hat. Das würde bedeuten, als „vergleichbare” Telemedien, solche Angebote zu erfassen, die wie Rundfunk aussehen – aber aufgrund ihrer Nicht-Linearität nicht dem einfachgesetzlichen Rundfunkbegriff unterfallen. Das wären insbesondere Video on Demand-Angebote wie z.B. die ZDF-Mediathek oder MyVideo.
Stellungnahme
Dies würde allerdings der Definition des Plattformanbieters widersprechen: Denn diejenigen, die Video on Demand-Inhalte bündeln, sind nicht Plattformanbieter, sondern Diensteanbieter von Telemedien: Wer ein Portfolio aus Video on Demand-Inhalten zusammenstellt, unterfällt schon der Definition nach § 2 Abs. 1 RStV / § 2 Nr. 1 Halbsatz 2 TMG: Er ist
„natürliche oder juristische Person, die die Auswahl und Gestaltung der angebotenen Inhalte wirksam kontrolliert“
Es wäre aber widersinnig, könnte eine Person gleichzeitig Telemedien-Diensteanbieter und Plattformanbieter sein. Plattformanbieter sind mit Rundfunk- und Telemedienanbietern nicht gleichzusetzen, sondern stellen in der Systematik des Rundfunkrechts die nächst-höhere Aggregationsebene dar.
Aus der Tatsache, dass Anbieter von vergleichbaren Telemedien gem. § 51a Abs. 1 RStV eine Frequenzzuweisung beantragen können, ergibt sich außerdem, dass vergleichbare Telemedien aus der Sicht des Gesetzgebers normale Frequenznutzer sein können. Eine Frequenznutzungserlaubnis für nicht-lineare Verbreitungsformen wäre jedoch technisch unsinnig und ist von den Gesetzgebern auch erkennbar nicht beabsichtigt gewesen. Außerdem werden die Anbieter von „vergleichbaren Telemedien” auch im Rahmen des § 52b RStV berücksichtigt. Dieser betrifft aber nur Übertragungspflichten für Fernseh- und Radioprogramme – das sind gesetzlich festgelegt (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 RStV) nur lineare Inhalte. Das heißt, nach dem Willen der Gesetzgeber des RStV müssen Anbieter von vergleichbaren Telemedien zwangsläufig zumindest auch lineare Anbieter sein – die These von der Beschränkung auf nicht-lineare Angebote ist damit widerlegt.
Daraus folgt, dass „vergleichbare Telemedien“ Inhalte sind, die meistens (nicht zwangsläufig) Inhalte in linearer Form verbreiten, und unter Umständen auch Rundfunkfrequenzen dazu nutzen. Sie sind aber dennoch nicht dem Rundfunk im einfachgesetzlichen Sinn zuzurechnen. Hierfür einen praktischen Anwendungsfall zu finden, fällt schwer. Vor dem 12 RÄStV hätten hier noch Teleshopping-Angebote und Videotext gefasst werden können. Nach der Ausweitung des Rundfunkbegriffs bleibt m.E. kein sinnvoller Anwendungfall mehr übrig. Es gibt auch Stimmen in der Literatur, die den Begriff für gänzlich überflüssig halten und fordern, ihn aufzugeben.
Aktuell lässt sich auf die Frage, was „vergleichbare Telemedien“ sind, damit leider keine befriedigende Antwort formulieren. Es gibt Indizien in verschiedene Richtungen, aber letztlich kein zwingendes Auslegungsergebnis. Am besten wäre es, der Gesetzgeber formuliert die Antwort selbst.
Dieser Eintrag basiert auf einem Abschnitt aus meiner Dissertation „Must Carry: Übertragungspflichten in digitalen Plattformen”, die ich derzeit schreibe.
Auf Telemedicus zum Thema: „ZAK: Netzneutralität ist Frage des Rundfunkrechts”.