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Was bringt der neue JMStV?

Am 25. März haben sich die Ministerpräsidenten auf einen fertigen Entwurf zur Änderung des Jugendmedienschutzstaatsvertrags (JMStV) geeinigt. Dieser Entwurf liegt mittlerweile zur Vorunterrichtung in den Länderparlamenten – bekannt ist aktuell nur eine ältere Version (PDF).

Pressekoferenz der Ministerpräsidenten am 25. März 2010 in Berlin
© Staatskanzlei Rheinland-Pfalz

Der neue JMStV enthält neben einer Vielzahl von Einzelkorrekturen vor allem eine umfassende Neuregelung bezüglich Zugangskontrollen und Kennzeichnungspflichten, geregelt in einer kompletten Neufassung der §§ 5, 11 und 12 JMStV.
Schon de lege lata regelt der JMStV Rundfunk und Telemedien soweit als möglich einheitlich. Dies trägt dem Prozess der Medienkonvergenz Rechnung, führt aber dazu, dass Telemedien nicht internet-typisch reguliert werden, sondern sehr rundfunkähnlich. Dies wirkt gelegentlich unfreiwillig komisch, so z.B. wenn das Gesetz erlaubt, jugendgefährdende Inhalte im Internet nur zu bestimmten Zeiten zugänglich zu machen (§ 5 Abs. 5 JMStV n.F.)

Ein allgemeines Jugendschutzsystem für Internetseiten

Die zentrale Änderung des JMStV findet sich in einer kompletten Neufassung des § 5 JMStV. Der Gesetzgeber versucht hier, ein System der Alterskennzeichnung zu etablieren, so wie es schon bei Filmen oder Computerspielen eingesetzt wird. § 5 Abs. 1 JMStV n.F. lautet auszugsweise:

Sofern Anbieter Angebote, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, verbreiten oder zugänglich machen, haben sie dafür Sorge zu tragen, dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufen sie üblicherweise nicht wahrnehmen. Die Altersstufen sind:

1. ab 6 Jahren,
2. ab 12 Jahren,
3. ab 16 Jahren,
4. ab 18 Jahren.

Die Altersstufe „ab 0 Jahre” kommt für offensichtlich nicht entwicklungsbeeinträchtigende Angebote in Betracht.

Die Regelung stellt eine Art Grundregel auf: Alles, was jugendgefährende Inhalte enthält, muss gegen Zugriffe dieser Jugendlichen geschützt werden. Was sich auf den ersten Blick liest wie eine allgemeine Zensurklausel, wird in den folgenden Absätzen der Norm erheblich relativiert. Festzuhalten ist aber, dass die Norm sämtliche Inhalteanbieter am selben Maßstab misst – es gibt keine Ausnahmeklausel für Mikromedien wie Blogs oder private Webseiten.

Problematisch dürfte gerade für die Mikromedien sein, sich in das Altersraster überhaupt einzufügen. Woher sollte ein Blogger oder Podcaster wissen, ob sein Angebot nun für Kinder ab 12 oder doch eher ab 16 gefährdend wirkt? Während große Inhalte-Anbieter sich einer Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle unterwerfen können, die eine solche Einordnung rechtssicher vornehmen darf, bleibt den kleinen Inhalteanbietern dieser Weg verwehrt – der Jahresbeitrag für eine ordentliche Mitgliedschaft in der Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) beträgt mindestens 4.000 Euro. Problematisch ist die Pflicht zur statischen Einordnung außerdem auch deshalb, weil Webseiten dynamische Medien sind: Anders als Filme, Bücher oder Computerspiele enthalten sie keinen statischen Inhalt, denn man abschließend beurteilen kann, sondern sie ändern sich unter Umständen im Minutentakt.

Jugendschutz und user generated content

Insbesondere relevant werden dürfte diese Problematik für web2.0-Angebote, die user generated content verwenden – die Spanne reicht hier von Videoportalen wie Dailymotion bis hin zu kleinen Internet-Foren. Hier stellt § 5 Abs. 3 JMStV n.F. eine Sonderregelung auf:

Die Kennzeichnung von Angeboten, die den Zugang zu Inhalten vermitteln, die gemäß §§ 7 ff. des Telemediengesetzes nicht vollständig in den Verantwortungsbereich des Anbieters fallen, insbesondere weil diese von Nutzern in das Angebot integriert werden oder das Angebot durch Nutzer verändert wird, setzt voraus, dass der Anbieter die Einbeziehung oder den Verbleib von Inhalten im Gesamtangebot verhindert, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen, die das Alter der gekennzeichneten Altersstufe noch nicht erreicht haben, zu beeinträchtigen. Der Nachweis, dass ausreichende Schutzmaßnahmen ergriffen wurden, gilt als erbracht, wenn sich der Anbieter dem Verhaltenskodex einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle unterwirft.

Die Regelung besagt, dass Angebote mit user generated content auch dann in eine niedrige Altersstufe eingruppiert werden können, wenn sie in Einzelfällen gefährdende Inhalte enthalten – vorausgesetzt, die Betreiber „verhindern” den Verbleib solcher Inhalte. Gemeint sind hier offenbar Systeme der Nutzer-Selbstkontrolle wie das bei Youtube eingesetzte „Flag this Video”-System, eventuell auch die Einrichtung interner Beschwerdestellen. Auch hier werden große Anbieter, die sich einer Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle anschließen können, privilegiert.

Im Ergebnis begründet dieser Absatz für Anbieter von user generated content eine Pflicht zur Überprüfung und Überwachung ihrer Angebote. Zwar haben die Bundesländer Hamburg, Bremen und Saarland auf Initiative der Grünen eine Protokollnotiz in den Vertrag übernommen, die das ausschließen soll – die gehört aber nicht zum Gesetzestext und kann maximal als Auslegungshilfe dienen. Hier setzt sich dann m.E. aber der eindeutige Wortlaut des Gesetzes durch.

Wie erfüllt man die Jugendschutz-Pflicht?

Die Pflicht, „Sorge zu tragen, dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufen” jugendgefährdende Inhalte „üblicherweise nicht wahrnehmen” dürfte im Ergebnis sehr viele deutsche Webseitenbetreiber betreffen: Inhalte, die Kinder unter 6 Jahren beeinträchtigen können, sind in der Spruchpraxis der Jugendschutzaufsicht häufig. Gerade Telemedien, die ein erwachsenes Zielpublikum anpeilen, enthalten unter Umständen ungewollt Inhalte, die solch kleine Kinder beeinträchtigen könnten. Für solche Webseiten gilt eine Ausnahmeklausel in § 5 Abs. 7 JMStV n.F.:

Ist eine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung im Sinne von Absatz 1 nur auf Kinder unter 12 Jahren zu befürchten, erfüllt der Anbieter von Telemedien seine Verpflichtung nach Absatz 1, wenn das Angebot getrennt von für diese Kinder bestimmten Angeboten verbreitet wird oder abrufbar ist.

Das bedeutet: Alle Angebote, die nur auf die jüngsten Kinder beeinträchtigend wirken könnten, müssen nichts tun – außer, diese Kleinkinder nicht gezielt anzusprechen. Unzulässig ist es nur, Angebote für unter 12-Jährige direkt mit Inhalten zu verknüpfen, die für diese beeinträchtigend wirken könnten.

Für alle Anbieter von Inhalten, die auch beeinträchtigend für Kinder über 12 sein könnten, bleibt es aber bei der Pflicht aus § 5 Abs. 1 JMStV. Um diese zu erfüllen, bleiben noch weitere Möglichkeiten: Unter anderem, ein Altersverifikationssystem vorzuschalten oder eine Schnittstelle für Jugendschutzprogramme zu installieren.

Altersverifikation und Kennzeichnungspflichten

Die Verwendung von Altersverifikationssystemen ist in § 5 Abs. 5 Nr. 1 JMStV n.F. genannt:

Der Anbieter kann seiner Pflicht aus Absatz 1 dadurch entsprechen, dass er durch technische oder sonstige Mittel die Wahrnehmung des Angebots durch Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufe unmöglich macht oder wesentlich erschwert

Neben den Altersverifikationssystemen lässt es die Literatur für ein „wesentliches Erschweren” auch ausreichen, wenn die Seite nur kostenpflichtig erreichbar ist (Liesching, BeckOK JMStV § 5 Rn 6). Für die meisten Webseitenbetreiber, die ihre Angebote unter großem Aufwand so gestaltet haben, dass es so wenig Zutrittsschranken wie möglich gibt, kommt diese Lösung jedoch nicht in Frage.

Für sie bleibt nur die Möglichkeit des § 11 Abs. 1 Nr. 1 JMStV. Dort wird eine weitere Möglichkeit eröffnet, der Pflicht zum Jugendschutz nachzukommen:

Der Anbieter von Telemedien kann den Anforderungen nach § 5 Abs. 5 Nr. 1 dadurch genügen, dass … Angebote, die geeignet sind, die Entwicklung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen zu beeinträchtigen, für ein geeignetes Jugendschutzprogramm programmiert werden

Die Etablierung dieser Jugendschutzprogramme ist m.E. das Kernanliegen der Reform. Es handelt sich um Programme, die besorgte Eltern auf den heimischen Computern installieren können, um auf diese Weise ihre Kinder von unerwünschten Webseiten fernzuhalten. Diese Programme müssen die Internet-Provider an ihre Kunden vermarkten (§ 11 Abs. 1 S. 2 JMStV n.F.). Als Anknüpfungspunkt soll diesen Programmen die Selbst-Kennzeichnung der Internetseiten dienen, die die Webseitenbetreiber vorgenommen haben, um ihrer Pflicht nach § 11 Abs. 1 JMStV n.F. nachzukommen (§ 11 Abs. 2 S. 1; § 12 S. 1 JMStV n.F.). Es handelt sich, wie Robin Meyer-Lucht bei Carta treffend formuliert, um eine „Staats-API für Jugendschutzprogramme”.

Wie genau diese Schnittstelle für die Jugendschutzprogramme aussehen soll, ist noch zu klären (§ 12 S. 2 JMStV). Vermutlich geht es um die Einfügung bestimmter Metadaten in den HTML-Code der Webseiten.

Umsetzung und Durchsetzung

Die Pflicht zur Zugangsbeschränkung (d.h. effektiv die Kennzeichnungspflicht) können die Aufsichtsbehörden mit Ordnungsmitteln durchsetzen. Ein Verstoß ist auch eine Ordnungswidrigkeit, kann also mit Bußgeldern geahndet werden (§ 24 Abs. 1 Nr. 4 JMStV n.F.).

Anzumerken ist noch, dass die Neufassung des § 5 JMStV, auch wenn sie sich auf den ersten Blick so liest, keine Regelung zu Netzsperren enthält. Ob und wie die Jugendschutzprogramme eingestellt werden, entscheiden die Eltern selbst – insbesondere auch die Frage, ob sie Angebote, die gar nicht gekennzeichnet sind, für ihre Kinder freigeben oder nicht. Davon abgesehen bleibt es bei dem (schon länger bestehenden) § 59 RStV.

Keine Lösung im Aufsichts-Wirrwarr

Der JMStV wurde auch bisher schon beherrscht vom Prinzip der „regulierten Co-Regulierung”: Das bedeutet, die jeweiligen Inhalteanbieter organisieren ihren Jugendschutz selbst, durch eigene Aufsichtsinstanzen wie die FSF (Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen) oder die FSM (Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter). Die eigentliche staatliche Aufsicht kontrolliert dann nur noch, ob die Selbstkontrollen ordentlich arbeiten. Dieses Prinzip verankert der Gesetzgeber auch für die oben beschriebenen Zugangskontroll- und Kennzeichnungspflichten – die großen, kommerziellen Internetunternehmen, die in der FSM organisiert sind, werden beim Umgang mit den neuen Pflichten privilegiert (vgl. z.B. § 5 Abs. 2 JMStV n.F.).

Ungelöst bleibt jedoch das Problem der Zuordnungs-Wirrwarrs. Seine Ursache findet dieser Zustand in der Tatsache, dass oft ein und derselbe Inhalt über verschiedene Kanäle verbreitet wird – die Zuständigkeit jedoch jeweils an das Trägermedium anknüft. So kann ein Computerspiel z.B. parallel per Download und als Datenträger vermarktet werden und gleichzeitig, da auch im Internet spielbar, einen Telemediendienst darstellen – Zuständigkeiten sind dann (teils be- oder verschränkt) begründet für die KJM, die FSM, Jugendschutz.net, die USK und die BPjM. Diese verschiedenen Instanzen haben sich bisher noch nicht über eine Zuständigkeitsabgrenzung geeinigt, und auch der neue JMStV löst dieses Problem nur in Teilbereichen.

Neue Impressumsvorschrift für gewerbliche Webseiten

Bereits früher gab es für gewerbliche Anbieter, die jugendgefährende Inhalte vermarkteten, die Pflicht, einen Jugendschutzbeauftragten zu bestellen (§ 7 Abs. 1 JMStV). Die Kontaktmöglichkeit zu diesem Jugendschutzbeauftragten muss mit dem neuen JMStV in das Impressum aufgenommen werden (§ 7 Abs. 3 S. 2 f. JMStV n.F.):

Der Anbieter hat wesentliche Informationen über den Jugendschutzbeauftragten leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und ständig verfügbar zu halten. Sie müssen insbesondere Namen, Anschrift und Daten enthalten, die eine schnelle elektronische Kontaktaufnahme und unmittelbare Kommunikation mit ihm ermöglichen.

Fazit

Die Pflicht zur Zugangsbeschränkung aus § 5 Abs. 1 JMStV führt insbesondere für die Mikromedien zu einem unverhältnismäßigen Aufwand. Es bleibt abzuwarten, ob die Aufsichtsbehörden bis Januar 2011 noch praktikable Instrumente entwickeln, um den kleinen Webseitenbetreibern zu ermöglichen, ihre Webseiten einzustufen und zu kennzeichnen. Selbst wenn dies der Fall sein sollte und sich die „Staats-API” in Deutschland durchsetzt, betrifft dies immer noch ausschließlich inländische Webseiten – der ganz überwiegende Teil der Medieninhalte, die konsumiert werden (gerade auch die jugendschutzrechtlich problematischen) bleibt außen vor. Ebenfalls unreguliert bleibt das zweite große Einfalltor für jugendgefährende Inhalte: Die Handys der Kinder, mit denen diese auf den Schulhöfen Musik und Videos tauschen – und, sobald Multimedia-Handys auch für Kinder erschwinglich werden, auch ins Internet gehen werden.

Allgemein kann man sich fragen, ob die Einführung eines strikteren Jugenschutz-Regimes überhaupt geeignet ist, einen besseren Jugendschutz für deutsche Kinder zu etablieren. In der Praxis reagieren Anbieter regelmäßig, indem sie einen Serverwechsel durchführen – das Angebot wird dann im Ausland gehostet und dadurch dem Zugriff der deutschen Behörden entzogen (§§ 1, 3 TMG).

Ob der JMStV sein Ziel – einen besseren Jugendschutz – erreichen wird, ist insofern fraglich. Aktuell drängt sich der Eindruck auf, die Jugendschutznovellen seien hauptsächlich Beschäftigungstherapie für hauptberufliche Jugendschützer – während sich die Jugend selbst immer freier und unkontrolliert Zugang zu allen Arten von Medien verschafft. Ob dies den Kindern wirklich schadet, ist derweil umstritten (PDF, S. 54 ff.).

Arbeitsentwurf zur Änderung des JMStV (PDF).

Carta zum neuen JMStV.

Kurt Beck verteidigt den neuen JMStV.

Replik von Alvar Freude (AK Zensur)

Replik von Thomas Stadler (Internet-Law).

Umfangreiche Abhandlung zu Pornografie von Prof. Starke (PDF).

Nachtrag, 20.4.2010: Mittlerweile hat uns die Staatskanzlei Rheinland-Pfalz einen aktuellen Entwurf zur Verfügung gestellt.

, Telemedicus v. 19.04.2010, https://tlmd.in/a/1694

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