Die Parteivorsitzende der SPD, Andrea Nahles, hat am Dienstag ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie sich zum digitalen Fortschritt äußert. Darin fordert sie unter anderem ein von ihr sogenanntes „Daten-für-alle-Gesetz” und damit verbunden auch eine „Datenteilungspflicht”. Es handelt sich dabei um einen kreativen Vorschlag mit einigen interessanten Punkten zu einem derzeit noch stark diskutierten Bereich – einiges ist kritikwürdig und es bleiben viele offene Fragen. Was es damit auf sich hat, erkläre ich hier:
Das Papier beginnt bereits mit einer recht drastischen Darstellung: So werde der digitale Wandel derzeit durch einerseits den libertären US-amerikanischen Kapitalismus und andererseits den chinesischen Zentralismus geprägt. Der erste beruhe „auf kaum regulierten digital-Märkten und geringem Datenschutz” das zweite „auf Zensur ohne Schutz zentraler Menschen- und Bürgerrechte”. Zwischen diesen beiden drohenden Systemen müsse ein Weg auf Basis europäischer Werte gefunden werden. Die weiteren Ausführungen beschäftigen sich im Wesentlichen mit der Bedeutung von Daten für den Wettbewerb und welcher Handlungsbedarf sich hier ergebe, nämlich zunächst allein der, den Zugang zu Daten zu ermöglichen. Hierzu stellt Frau Nahles drei wesentliche Forderungen auf:
• Nutzung von nicht-persönlichen Daten als Gemeingut
• Aufbrechen von Datenmonopolen durch eine Datenteilungspflicht für marktdominante Unternehmen
• Anreize zum Datenteilen schaffen und Etablierung und Ermöglichung eines sicheren europäischen Datenraums unter Wahrung des DatenschutzesAuszug aus dem Positionspapier von Andrea Nahles
Die erste Forderung bezieht sich auf diejenigen Daten, die eine starke Bedeutung für die öffentliche Bedeutung haben und deshalb frei nutzbar sein sollen. Hierzu zählt Nahles vor allem Daten „in vollständig anonymisierter und aggregierter Form wie Mobilitätsdaten oder Geodaten”. Diese könnten dabei von einer offenen Stelle verwaltet und bereitgestellt werden. Dabei solle der Staat selbst voran gehen und sich für eine offene Verwaltung einsetzen. Damit ginge es vor allem um Datenbereitstellung im Verhältnis zwischen Staat und Bürger. Die dritte Forderung bezieht sich vor allem auf eine aktive europäische Wirtschaftsförderung, indem Anreize für eine Datenwirtschaft geschaffen werden sollen, die aber noch nicht hinreichend konkret sind, als dass man sie hier kommentieren könnte.
Besonders interessant ist jedoch die als zweites aufgestellte Forderung nach einer Datenteilungspflicht bestimmter Unternehmen. Nahles hatte dies bereits letztes Jahr in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt beschrieben und ihr Konzept dazu angekündigt. Dies geht auf eine Idee von Viktor Mayer-Schönberger und Thomas Ramge aus ihrem Buch „Das Digital” zurück. Dort beschreiben diese die Möglichkeit einer von ihnen sogenannten „progressive Daten-Sharing-Pflicht” als einer ausdrücklich so benannten Kartellrechtsmaßnahme. Diese soll Unternehmen verpflichten ab einem bestimmten Marktanteil einen gewissen Anteil ihrer Feedbackdaten anderen Unternehmen zur Verfügung stellen. Mit steigenden Marktanteilen solle dabei auch die Masse der zu teilenden Daten steigen. Dadurch wollen sie den Feedbackeffekten, die auf Plattformen bestehen können, einen eigenen gesetzlichen Feedbackeffekt entgegensetzen, der mögliche Konzentrationstendenzen abmildern soll. Das Konzept haben die beiden Autoren vor einiger Zeit für die HAZ kurz zusammengefasst.
Diese Idee greift Nahles in ihrem Papier vereinfacht auf. Das geltende Kartellrecht sei einerseits fallbasiert und andererseits reaktiv. Das bedeutet, dass das Kartellrecht mit seinen Per-se-Verboten gerade nicht der Regulierung dient, sondern -mit Ausnahme der prognostischen Fusionskontrolle – erst in Fällen ausdrücklich festgestellter Wettbewerbsbeschränkungen eingreift. Würden aber dennoch Monopolisierungstendenzen auftreten, so solle über den Hebel der Datenteilungspflicht Wettbewerb und Innovation sichergestellt werden. Dabei sollten sachbezogene Daten in jedem Fall geteilt werden müssen, personenbezogene Daten erst nach vollständiger Annonymisierung oder Verhinderung der Re-Identifikation auf anderer Weise. Die Unternehmen sollen dieser Offenlegungspflicht jedoch auch Einwendungen entgegensetzen können, zum Beispiel bei Geheimhaltungspflichten oder sonstigen ausdrücklichen Vorschriften. Nahles spricht auch die Problematik der Preisgabe wettbewerbssensitiver Informationen an. Dabei handelt es sich um Informationsaustausch, der kartellrechtlich verboten sein kann, wenn er den beteiligten Unternehmen eine Wettbewerbsbeschränkung ermöglicht. Nahles will die Anwendbarkeit dieses Gesetzes auf bestimmte „Anwendungsfälle” festlegen und nennt dabei Suchmaschinen und E-Commerce. Die Offenbarung der Daten soll dabei über eine von dem Unternehmen bereitzustellende Schnittstelle erfolgen.
Ergänzend hierzu sollten die Datenschutzbehörden gerade bei diesen Unternehmen darauf achten, dass sie das Recht der Nutzer auf Datenportabilität einhalten. Unklar ist, ob dies im Zusammenhang mit der Gesetzesforderung steht oder aber nur eine politische und nicht weiter konkretisierte Forderung ist. Das Recht auf Datenportabiltät wäre aber jedenfalls nutzerseitig das korrespondierende Recht zu der Datenteilungspflicht. Allerdings stellt sich schon die Frage, ob dies überhaupt Sinn macht, wenn doch die im Rahmen der Datenteilungspflicht behandelten Daten immerhin annonymisiert werden sollen.
Marktdominante Unternehmen
Das Papier geht ebenso wie bereits die Idee von Mayer-Schönberger und Ramge von einer gesetzlichen Aufgreifschwelle aus, die sich an der Marktmacht orientiert. So einfach dies klingt ist es in der Praxis aber nie bei Plattformen. Denn in vielen Märkten in der Digitalwirtschaft lassen sich Märkte als solche nur schwer genau definieren, geschweige denn die auf ihnen vorherrschenden Marktmachtverteilungen analysieren. Die Frage nach dem relevanten Markt ist jedoch eine der entscheidenden Kernfragen des Kartellrechts, denn an ihr entscheidet sich häufig, ob überhaupt z.B. das Marktmachtmissbrauchsverbot zur Anwendung kommt.
Stark verkürzt geht es bei einem Markt um das Aufeinandertreffen von Angebot und Nachfrage. Im digitalen Bereich treten jedoch besonders häufig Plattformen auf, die sich auch als Unternehmen mit mehrseitigen Wirtschaftszweigen beschrieben lassen, manchmal auch vereinfacht „mehrseitige Märkte” bezeichnet. Das Besondere bei diesen ist, dass sie jeweils verschiedene Nachfragen gegenüber unterschiedlichen Nutzergruppen bedienen, dabei aber deren Interessen miteinander verknüpfen. Wie in diesen Konstellationen die jeweiligen relevanten Märkte abgegrenzt werden können und die jeweilige Marktmacht bestimmt werden kann, ist Gegenstand zahlreicher Forschungsvorhaben, Publikationen und auch Dissertationen. [Spoiler: Auch in meiner Arbeit diskutiere ich diese Fragestellungen und versuche eine Annäherung.] Verkürzt und sehr deutlich lässt sich dazu aber sagen, dass Märkte bei Plattformen nicht so ohne weiteres abgegrenzt werden können oder die auf ihnen bestehende Marktmacht mit einem zuverlässigen Wert festgestellt werden kann. Wie die progressive Daten-Sharing-Pflicht respektive Datenteilungspflicht hier noch eine überhaupt praxistaugliche Lösung anbieten wollen, bleibt deshalb schleierhaft.
Zugangsobjekt Daten
Es ist also bereits nicht klar, wie die marktbezogene Aufgreifschwelle rechtssicher angewendet werden könnte. Aber auch das Zugangsobjekt Daten ist problematisch. Mayer-Schönberger und Ramge beziehen sich in ihrem Buch auf sogenannte Feedbackdaten. Zwar wird auch hier in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht noch nicht ganz klar, worum es sich dabei handelt. Es könnte sich um diejenigen Informationen handeln, die das Unternehmen gerade daraus gewinnt, dass es Daten miteinander kombiniert und dadurch neue Wertschöpfungsmöglichkeiten erhält. Oder aber es handelt sich um die Daten, die gerade aufgrund der wettbewerblichen Feedback-Effekte bei Plattformen entstehen. Beides jedenfalls krankt daran, dass diese Feedbackdaten nicht als Gegenstand einer möglichen Zugangsvorschrift hinreichend bestimmt werden.
Das Papier greift hier die beliebte These auf, Daten seien alles in der Digitalwirtschaft und allein ihr Teilenmüssen würde einige Probleme lösen. Eine bislang in einem anderen Zusammenhang diskutierte dogmatische Lösungsmöglichkeit wäre, die Frage nach der Marktmacht unmittelbar mit dem jeweiligen Zugangsobjekt zu verknüpfen. Das würde aber die Feststellung einer konkreten (wettbewerblichen) Datenmacht voraussetzen. Dieses Konzept der wesentlichen Einrichtung würde bereits nach geltendem Kartellrecht als Behinderungsmissbrauch unter engen Voraussetzungen kartellrechtliche Zugangsansprüche zu Daten ermöglichen. Dieses ließe sich auch mit dem Konzept der relativen Marktmacht gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 GWB bei Plattformen kombinieren. Ich hatte das letztes Jahr in der März-Ausgabe der Zeitschrift NZKart einmal erörtert. Für bestimmte sachbezogene Daten ließe sich danach bereits jetzt ein Zwangszugang begründen. Dies gilt aber nicht bei personenbezogenen Daten und den ansonsten nicht näher konkretisierten großen Datensammlungen – von Andrea Nahles hier als Datensilos bezeichnet -, da sich hier die Möglichkeit zum Ausschluss des Wettbewerbs nicht feststellen lässt. Größe oder ein Datenvorsprung allein begründen noch keine Marktmacht als solche. Da liegt aber auch wieder ein Problem bei diesen Datensammlungen: Niemand außer dem Unternehmen selbst weiß in der Regel, wie viele Daten dieses überhaupt hat und um welche es sich handelt. Auch könnten kleine Datensätze aufgrund ihres jeweiligen konkreten qualitativen Inhaltes ebenso wettbewerblich negativ eingesetzt werden. Die Voraussetzungen für eine rechtssichere und rechtsfehlerfreie Feststellung einer Datenmacht scheinen derzeit nur in sehr engen Anwendungsfällen erfüllbar.
Die Daten-Sharing-Pflicht würde dazu führen, dass Unternehmen zunächst mit allen ihren Daten erfasst wären. Interessant wäre da auch zu wissen, wie nachverfolgt werden soll, ob ein Unternehmen sich an das Gesetz hält und progressiv teilt – also den jeweils vorgeschriebenen Prozentanteil der ihm zur Verfügung stehenden Daten offenlegt. Die betroffenen Unternehmen müssten die jeweiligen Einwände aktiv für sich erheben und begründen. Auch träfe sie eine Annonymisierungspflicht oder mindestens eine Pflicht zu vergleichbaren Maßnahmen. Über den Hebel des Anwendungsbereichs würde also auch ein datenschutzrechtliches Regulierungsinstrument umgesetzt. Diese Unternehmen wären damit neben den allgemeinen Pflichten der Datenteilungspflicht mit einem erheblichen zusätzlichen technischen und bürokratischen Aufwand belastet, der möglicherweise außer Verhältnis zu dem eigentlichen Regulierungszweck des Gesetzes steht, jedenfalls aber eine ungleiche Belastung zu anderen vergleichbaren Unternehmen darstellt. Ambitioniert ist dabei auch das Vorhaben, eine Datenteilungspflicht mit dem Datenschutzrecht überein zu bringen.
Zusätzliches kartellrechtliches Instrument oder Weg in die Regulierung
Richtig bedenklich wird es jedoch bei den möglichen Anwendungsfällen des Gesetzes, die sogar positiv bestimmt werden können sollen. Diese laut Positionspapier festzulegenden Anwendungsbereiche dienen eher dem Zweck, die Wirkung des Gesetzes zielgerichtet zu lenken und damit die bereits eingangs kritisierten US-amerikanischen Plattformunternehmen zu erfassen. So wird zum Beispiel nicht erwähnt, ob die Betreiber autonomer Fahrsysteme oder Hersteller von Fahrzeugen erfasst sein sollen, deren Daten in wettbewerblicher Hinsicht auch interessant sein könnten.
Laut Nahles sollen die Unternehmen die Offenlegung wettbewerbssensitiver Daten verweigern dürfen. Betreffen diese Daten mögliche Lieferung, Gebiete oder sonstige wettbewerbsstrategische Informationen, könnten andere Unternehmen ihr wettbewerbliches Verhalten daran anpassen. Die damit verbundene Fühlungnahme kann für die jeweils beteiligten Unternehmen einen Verstoß gegen das allgemeine Kartellverbot darstellen. Es würde sich dann trotz eines nicht unmittelbaren Austauschs um eine abgestimmte Verhaltensweise handeln, die grundsätzlich verboten ist. Das Problem an der Daten-Sharing-Pflicht ist aber, dass sie Unternehmen zunächst in das Risiko zwingt, durch das angeordnete umfassende Teilen gegen das Kartellverbot zu verstoßen. Die jeweils betroffenen Unternehmen müssten dann selbst prüfen, ob sie aufgrund dieses Risikos die Offenlegung der Daten verweigern können. Diese Prüfung könnte man sicher mit einer Klarstellung erleichtern. Diese würde dann jedoch dazu führen, dass mit einem sehr weitreichenden und unbestimmten Gesetz wettbewerbliche Abstimmungen sogar verlangt werden. Völlig unklar ist an dieser Stelle wieder, wie mögliche Verstöße gegen dieses Gesetz überhaupt festgestellt, geschweige denn verfolgt werden könnten.
Das Instrument Daten-Sharing-Pflicht hat mit Kartellrecht oder Wettbewerb nichts mehr zu tun, sondern ist ein reines politisches Lenkungsinstrument gegenüber den derzeit als Gegner ausgemachten Plattformen. Die zahlreichen wettbewerblichen und rechtlichen Einwände würden auf diesem Wege lediglich platt gefahren und dafür neue geschaffen – aber es träfe nach dem Gedanken des Positionspapiers wohl jedenfalls nicht die falschen.
Gesetzgeberisch könnte hier durch wesentlich mildere Maßnahmen bereits viel erreicht werden. Zum Beispiel könnten Daten als Zugangsobjekte bereits positiv gesetzlich definiert werden, wollte man wirklich eine kartellrechtliche Zwangslizenz regeln. In bestimmten Bereichen gibt es bereits sektorspezifische Datenzugänge, die jeweils bestimmten wettbewerblichen Zwecken dienen. Zum Beispiel gibt es für Fahrzeughersteller die Pflicht zur Bereitstellung spezifischer Informationen, die für andere Geschäftsmodelle erforderlich sind. Es besteht dabei also keine allgemeine Datenteilungspflicht, sondern eine spezifische. Derartige Instrumente ließen sich dabei durchaus übertragen, allerdings auch wiederum nur auf die Fälle, in denen Daten und Informationen das wettbewerbliche Problem sind. Bei den Plattformen aber ließe sich durchaus bezweifeln, ob wirklich die Daten die eigentliche Herausforderung sind oder nicht sogar andere Aspekte, die sich über das geltende Kartellrecht jedenfalls bereits behandeln lassen.