„Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein.” Diesen Satz liest man, in verschiedenen Variationen, in letzter Zeit häufiger. Für Internetrechtler ist das verwunderlich: Wenn das Internet bisher ein rechtsfreier Raum war, was haben sie dann die ganze Zeit gemacht?
Im Internet gibt es mehr Recht als nötig. Zum einen all das Recht, das in der „Wirklichkeit” gilt und natürlich im Internet nicht seine Geltung verliert; zum anderen auch die vielen Normen, die speziell auf das Internet zugeschnitten sind. Das Problem ist ein anderes.
Es gibt Normen im Internetrecht, die sind reines Wunschdenken: z.B. die Impressumspflicht für nichtkommerzielle Angebote in § 55 RStV oder das Tracking-Verbot aus § 12, § 13 Abs. 1 TMG. Diese Vorschriften sind existent – und doch gelten sie nicht. Die normative Kraft des Faktischen hat sich durchgesetzt. Noch schlimmer sind Normen, die ihre Adressaten in die Illegalität zwingen, da sie unmöglich zu befolgen sind. Stefan Niggemeier ist kürzlich in eine solche Situation geraten: Einerseits darf er keine personenbezogenen Daten seiner Besucher erheben, sagt der Datenschutzbeauftragte von Berlin – und andererseits hat das LG Hamburg genau das von ihm verlangt.
Das Problem ist: Die meisten Normen im Internetrecht sind einfach schlecht. „Schlecht”, sowohl im Sinne von „schlecht gemacht”, als auch von „schlecht durchgesetzt”.
Der Staat hat sich jahrelang einfach nicht gekümmert
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, aber es fühlt sich so an. Wer neben einer Kneipe wohnt, wo jede Nacht gelärmt und randaliert wird, der ruft das Ordnungsamt. Und das kümmert sich dann darum, dass die Lärmschutzvorschriften eingehalten werden. Aber wer von einem anonymen Blogger zu Unrecht angegangen wird, in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt wird – an wen sollte er sich wenden?
Wir hatten vor fast zwei Jahren auf Telemedicus ein Interview zu Ordnungsrecht im Internet. Damals ging es darum, wie die ordnungsrechtlichen Vorschriften im Internetrecht – ja, es gibt Internet-Ordnungsrecht – durchgesetzt werden. Damals stellte sich heraus, das die Gefahrenabwehr im Internet an Behörden delegiert wurde wie die „Regierung Mittelfranken” oder das „Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit”. Ich habe weder vor noch nach dem Interview gehört, dass auch nur eine der 14 Behörden, die hier zuständig sind, jemals in dieser Funktion tätig geworden wäre.
Der Staat hat sich jahrelang einfach nicht darum gekümmert, was im Internet passiert. Ein so dynamischer und komplexer Raum wie das Internet müsste eigentlich durch ein ebenso komplexes und ausgefeiltes Regelwerk gesteuert werden – so wie es der Staat z.B. für den Straßenverkehr seit Jahrzehnten zur Verfügung stellt. Und er bräuchte auch Behörden, die dieser Komplexität und Dynamik gewachsen sind. 2000 Polizisten für das Internet, wie es die Gewerkschaft der Polizei gefordert hat, wären ein Anfang.
Zweitausend Polizisten und ihre Aufgaben
Anders als Udo Vetter im Lawblog schreibt, gäbe es für eine solche Aufsicht mehr als genug Aufgaben. 2000 Internet-Polizisten könnten sich z.B. näher mit den Abofallen auseinandersetzen, in die tausende Bürger jeden Tag geraten. Sie könnten die Jugendschutzbestimmungen durchsetzen, die im Internet kaum jemand zur Kenntnis nimmt. Sie könnten verhindern, dass Webseiten die Verletzung fremder Persönlichkeitsrechte zum Geschäftsmodell machen. Sie könnten Phisher und sonstige Abzocker jagen oder dafür sorgen, dass die unzähligen „Warez”-Seiten aus dem Netz verschwinden. Sie könnten die Teenager mäßigen, die in Social Networks Lehrer und Mitschüler mobben, oder sie könnten auf die Jagd gehen nach illegalen Datenhändlern. Diese Liste könnte noch eine Weile weitergehen: Wer noch mehr Beispiele für Handlungsbedarf sucht, der kann sie in der Titelgeschichte des letzten Spiegel finden.
Natürlich kann eine einfache Erhöhung der personalen Kapazitäten nicht alle Probleme lösen. Hinzukommen müssten Änderungen auf struktureller Ebene: Verlagerung der Aufsicht auf (mindestens) die Bundesebene; Abbau von unsinnigen Zuständigkeits-Verschränkungen. Und natürlich können auch die besten Beamten nichts erreichen, wenn die Gesetze, die sie ausführen sollen, Schrott sind. Auch hier muss ein Umdenken stattfinden – aber auch das wird einfacher, wenn es echte, praktische Erfahrungen gibt. Denn die mangelnde Qualität des Internetrechts zeigt sich erst so richtig, wenn man es auch wirklich anwenden muss.
Herrschaftsfreiheit ist kein Normalzustand
Wenn Udo Vetter die Forderung nach 2000 Polizisten im Internet damit kommentiert, ihn erinnere das an „Ostberlin, Teheran und Peking”, dann unterliegt er hier einem Missverständnis, das im Internet schon fast typisch ist. Über die Jahre haben die Internetnutzer sich an die Abwesenheit von Herrschaft gewöhnt – und intepretieren nun die mühsamen Versuche des Staates, so etwas wie ein Gewaltmonopol zu etablieren, als Eingriff. Trotzdem ist das falsch: An sich soll staatliche Herrschaft Freiheit sichern, nicht einschränken. Die Bundesrepublik unterscheidet sich nicht dadurch von der DDR, Iran und China, dass es hier weniger Polizisten gibt. Deutschland unterscheidet sich dadurch von diesen Unrechtsstaaten, dass die Polizisten hier keine unrechten Gesetze durchsetzen.
Natürlich kann sich auch das ändern. Nirgends merkt man das eher, als im deutschen Internetrecht.
Udo Vetter im Lawblog: Das Internet braucht keine 2000 Polizisten.