In unserem Wahlcheck zur Bundestagswahl 2017 haben wir Parteien zu ihren netzpolitischen Ansichten befragt. Es folgen die Antworten der Partei DIE LINKE.
1. Autonome Systeme erobern immer mehr den Alltag und werden damit auch zum möglichen Gegenstand von Haftungsprozessen. Dabei ist ein Hauptproblem der derzeitigen rechtswissenschaftlichen Debatte die Zuweisung konkreter Verantwortlichkeiten für mögliche Schäden. Welche Position vertritt Ihre Partei hierzu?
Nach wie vor haben Maschinen aus juristischer Sicht keine Rechtspersönlichkeit, sie sind nicht selbst Regelungsadressaten, sondern, die Regeln die wir haben richten sich an Personen. Wenn sich bei der Nutzung autonomer Systeme in bestimmten Bereichen besondere Gefährdungslagen ergeben, muss über eine Einführung einer verschuldensunabhängigen Gefährderhaftung zu diskutiert werden. Relevant wäre dies bereits heute schon zum Beispiel anhand von selbstfahrenden Autos. Noch immer tragen der Fahrer bzw. bei Systemversagen der Hersteller die Verantwortung. Haftungsansprüche sind durch Versicherungen geregelt. Doch oft lässt sich kaum nachvollziehen, wo der Fehler lag, und wer im komplexen Produktbündel „vernetztes Auto“ dafür zuständig ist. Das Produkthaftungsrecht ist auf so etwas kaum eingestellt.
2. In der Internetwelt treten immer wieder Unternehmen mit neuen Geschäftsmodellen auf, die konventionelle regulatorische Rahmenbedingungen infrage stellen. Sollte Wettbewerbsgleichheit zwischen digitalen Plattformen und herkömmlichen Anbietern von Rundfunk oder Telekommunikationsinfrastruktur herrschen und welche Maßnahmen beabsichtigt Ihre Partei hierzu?
Wir wollen den Zugang der Bürgerinnen und Bürger zu Produktionen stärken, die von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten produziert oder bei Produktionsfirmen in Auftrag gegeben wurden. Solche Produktionen sollen zeitlich unbegrenzt in den Mediatheken zur Verfügung stehen. Die öffentlich-rechtlichen Internetangebote sollen zu einer unabhängigen öffentlich-rechtlichen Plattform ausgebaut werden, bei deren Inanspruchnahme die Bürgerinnen und Bürger auf Datenschutz und Datensparsamkeit vertrauen können. Hierfür müssen die rechtlichen Bedingungen geschaffen werden, die nicht nur verfassungsrechtlich möglich und geboten sind. Ziel ist dabei nicht, einen Wettbewerb zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Anbietern von Medienangeboten herzustellen oder darauf Einfluss zu nehmen, sondern den Bildungs- und Informationsauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auch für die Zukunft zu sichern und dabei die neuen Möglichkeiten der digitalisierten Medienwelt in diesem Sinne zu nutzen. Zugleich müssen Regulierungen geschaffen werden, die den Einfluss kommerzieller Investoren auf Medien insbesondere hinsichtlich der vertikalen Konzentration im Medienmarkt über verschiedene Medienformate hinweg (cross-mediale Verschränkungen) beschränken, um die Vielfalt auch im Bereich der nicht öffentlich-rechtlichen Medienangebote zu erhalten. Hierzu sind entsprechende Regulierungen vorzunehmen (u.a. Rundfunkstaatsvertrag, EU-Universalrichtlinie).
3. Sind nach Ansicht Ihrer Partei rechtswidrige und hetzerische Äußerungen in sozialen Netzwerken ein Problem des materiellen Rechts oder der Rechtsdurchsetzung? Welche Position vertritt Ihre Partei hierzu und insbesondere zum Entwurf des NetzDG?
Wir sehen hier zentral das Problem in der Rechtsdurchsetzung. Die zuständigen Strafverfolgungsbehörden sind weder technisch noch personell in der Lage, ihren Aufgaben ausreichend nachzukommen. Den Ansatz des Netzwerksdurchsetzungsgesetzes, die Durchsetzung geltenden Rechts in der digitalen Sphäre in erster Linie an die Betreiber von sozialen Netzwerken zu delegieren, lehnen wir ab. Der ursprüngliche Entwurf konnte im Rahmen der Gesetzesberatung zwar an einigen Stellen noch korrigiert werden, der grundsätzlich falsche Ansatz ist aber erhalten geblieben. Noch immer droht so die Gefahr, dass vermeintlich rechtswidrige Inhalte überhastet gelöscht werden, um den empfindlichen Bußgeldern zu entgehen. Auch bleibt das Problem ungelöst, dass es sich bei Beleidigungen um ein Anzeigedelikt handelt, und der Geschädigte ja durchaus ein Interesse haben kann, dass etwas im Internet bleibt, weil das den Verursacher mehr bloßstellt als eine Entfernung der strittigen Äußerung. Andere Teile des Gesetzes wie Regelungen zur Erreichbarkeit, über Transparenz.- und Berichtspflichten und die Struktur von Beschwerdeverfahren bewerten wir als richtige Schritte.
4. Ist der Bundesregierung die Umsetzung der Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) nach Ihrer Meinung gelungen? Welche Maßnahmen beabsichtigt Ihre Partei für einen Ausgleich zwischen Interessen Betroffener und der Öffentlichkeit im Datenschutzrecht?
Die Umsetzung ist aus unserer Sicht nicht gelungen. Dies ist allerdings schon dem Ansatz der Datenschutzgrundverordnung geschuldet, nicht allein die Daten der Bürgerinnen und Bürger zu schützen, sondern vor allem einen rechtlichen Rahmen für Handel und kommerzielle Verwertung mit und von Daten zu schaffen. Die Bundesregierung hat darüber hinaus in ihrem Entwurf weitgehend Öffnungsklauseln in der Verordnung genutzt, um die Betroffenenrechte noch weiter aufzuweichen. Das betrifft insbesondere die Auskunftsrechte der Betroffenen über die über sie erhobenen Daten und deren Weiterverwertung. Insbesondere gegenüber Behörden mangelt es weiterhin an effektiven Durchsetzungsmöglichkeiten für die Aufsichtsbehörden, Rechte Betroffener durchzusetzen und Mängel abzustellen. Besonders frappierend ist dies im Bereich der Datenverarbeitung durch die Geheimdienste, über die zukünftig nicht einmal das Parlament ausreichend unterrichtet wird. Ein zentrales Defizit ist aus unserer Sicht der Verzicht auf eine umfassende Neuregelung des Beschäftigtendatenschutzes, der in Zeiten digitalisierter Arbeitsprozesse immer vordringlicher wird. Beschäftigte sind nicht ausreichend davor geschützt, zu bloßen Objekten vollständiger Überwachung und permanenter Leistungskontrolle zu werden. Wir werden auch weiterhin auf die aus unserer Sicht notwendigen und innerhalb der Verordnung möglichen Verbesserungen drängen.
5. Der Spagat zwischen Freiheit und Sicherheit scheint immer schwieriger. Welche Position vertritt Ihre Partei hierzu? Sollte dem Staat zum Beispiel eine Hintertür in verschlüsselte Kommunikation offenstehen?
Im öffentlichen Diskurs wird häufig der Eindruck erweckt, zentrale Errungenschaften aus dem grundgesetzlichen Schutz von Würde und Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger wie etwa dem Datenschutz würden die größten Gefahren für Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit drohen. Dabei gerät gerade die Rechtsstaatlichkeit immer mehr unter die Räder neuer Sicherheitsgesetze. Gerade bei neuen Befugnissen der Sicherheitsbehörden zur Überwachung der elektronischen Kommunikation erwachsen sogar reale Gefahren für die Sicherheit aller. Ein Staat, der Sicherheitslücken in informationstechnischen Systemen nutzen will, kann nicht mehr gleichzeitig glaubwürdig die Sicherheit dieser Systeme schützen. Er wird selbst den Schwarzmarkt zum Handel mit solchen Sicherheitslücken befeuern, indem er dort als finanzstarker Nachfrager auftritt. Die Forderung, eine Hintertür in der elektronischen Kommunikation zu schaffen, würde sogar noch über diese fragwürdige Praxis des Ankaufs von zero-day-exploits und ähnlichem hinausgehen. Solche eingebauten Hintertüren würden jedem offenstehen, der über die notwendigen technischen Ressourcen verfügt – in erster Linie autokratischen Staaten. Auszuschließen ist zudem nicht, dass auch in den westlichen Demokratien mehr und mehr autoritäre politische Formationen an Einfluss gewinnen, die solche Technologien für ihre Zwecke missbrauchen können.
6. Sollten Plattformen wie Youtube, Facebook und Co mit von Nutzern hochgeladenen Inhalten verpflichtet werden, Inhalte nach fremden Urheberrechten zu filtern? Welche Maßnahmen kämen dafür Ihrer Ansicht nach infrage?
Eine Verpflichtung, hochgeladene Inhalte vorsorglich nach fremden Urheberrechten zu filtern, halten wir für falsch. Denn sowas führt zu sogenannten Overblocking, also das auf Verdacht Inhalte gesperrt werden, die eigentlich legal wären. Wir halten eine Löschung von Inhalten im Nachhinein, wenn eine Rechtsverletzung zweifelsfrei festgestellt wurde, für ausreichend.
7. Beabsichtigt Ihre Partei Maßnahmen zum besseren Schutz von Urheberrechten im Internet? Wenn ja, welche? Hält Ihre Partei Netzsperren über Internetprovider für sinnvoll?
Wir halten die derzeit existierenden Maßnahmen zum Schutz von Urheberrechten im Internet für vollkommen ausreichend. Wir halten sie teilweise sogar als viel zu weitgehend. So lehnen wir das Leistungsschutzrecht für Presseverleger ab, weil es innovationsfeindlich ist. Netzsperren lehnen wir ebenso ab. Sie sind nicht nur ineffektiv, weil sie leicht umgangen werden können. Sie führen auch sehr oft dazu, dass Internetseiten vorsorglich geblockt werden, obwohl gar keine Rechtsverstöße nachgewiesen wurden. Wir halten uns daher an den Grundsatz „Löschen statt sperren“. Internetseiten, die nachweislich Rechtsverletzungen begehen, zu löschen, ist nachweislich effektiver und führt nicht zum Overblocking.
8. Das Bundeskabinett hat kürzlich einen neuen Schrankenkatalog vorgelegt, der das Urheberwissenschaftsrecht reformieren soll. Ist nach Ansicht Ihrer Partei der Ausgleich von Interessen von Forschung und Lehre auf der einen und der Autoren- und Verlagswelt auf der anderen Seite geglückt? Hält Ihre Partei weitere Maßnahmen für erforderlich – und wenn ja, welche?
Zweck des Urheberrechts ist es, einen Interessensausgleich zwischen den Beteiligten herzustellen, der allen zu Gute kommen soll. DIE LINKE sieht mit der verabschiedeten Novelle zum Urheberwissenschaftsrecht einen solchen Ausgleich zwischen Forschung und Lehre auf der einen und Autor*innen und Verlagen auf der anderen Seite nur bedingt als erfüllt an.
Der verabschiedete Gesetzentwurf weist an wichtigen Stellen Lücken auf, beispielsweise beim sog. E-Lending. Ebenso wird der Begriff des „Unterrichts“ erengt, so dass er z.B. bei außerunterrichtlichen Angeboten von Ganztagsschulen nicht greift. Zudem ist unklar, ob die Begrenzung der Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken für Unterricht und Lehre auf lediglich 15 Prozent dieser sowie auf nur bestimmte Formate, den Bedürfnissen von Bildung und Wissenschaft ausreichend Rechnung trägt. Insgesamt erweist sich die neu formulierte und konkretisierte Schrankenregelung als nicht ausreichend. Ebenfalls sind die Interessen der Autor*innen wissenschaftlicher Beiträge nicht angemessen berücksichtigt. Sie haben weiterhin nicht das Recht, ihre Beiträge anderweitig gewerblich zu nutzen.
Aus diesem Grund hat die Fraktion DIE LINKE im Gesetzgebungsverfahren drei Änderungsanträge sowie einen Entschließungsantrag (Bundestagsdrucksache 18/13022) eingebracht, die von den Koalitionsfraktion allerdings abgelehnt wurden.
9. Zugang zum Internet gilt heutzutage als existenzieller Lebensstandard und Grundlage gesellschaftlicher Teilhabe. Doch viele Bürger erhalten nur sehr schwache Internetzugänge. Dabei werden verschiedene Lösungen diskutiert, wie man einen stabilen und zukunftsstarken Ausbau von Infrastruktur in Deutschland sicherstellen kann. Welche Ziele sollten hier formuliert werden und welche Maßnahmen hält Ihre Partei für erforderlich?
Derzeit ist die Nutzung des Internets weit mehr vom Geldbeutel der Bürgerinnen und Bürger abhängig, als es in Zeiten der Omnipräsenz von Smartphones scheinen mag. Nur die Hälfte aller Menschen mit einem Einkommen unter 1.000 Euro nutzt das Internet. Wir fordern für jeden Haushalt ein Anrecht auf einen bezahlbaren und schnellen Breitbandanschluss. Die Förderprogramme des Bundes müssen hier stärker auf den tatsächlichen Bedarf ausgerichtet werden. Es kann nicht sein, dass gerade finanzschwache Kommunen in ohnehin strukturschwachen Regionen ihren Bürgerinnen und Bürgern die notwendige Infrastruktur nicht sichern können, weil sie die erforderlichen Eigenanteile nicht aufbringen können. Internetzugangsanbieter, die in erster Linie vom über Milliardenbeträge aus öffentlichen Kassen finanzierten Breitbandausbau profitieren, müssen auch die tatsächliche Verfügbarkeit der von ihnen angebotenen Verfügbarkeiten und Geschwindigkeiten garantieren. Sie müssen zur maximal erreichbaren Datenmenge auch die garantierte Mindestmenge angeben. Die Verfügung über einen Computer und Internetzugang ist für DIE LINKE Teil des soziokulturellen Existenzminimums, das die Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben sichern soll. Hier gilt es Konzepte zu entwickeln, wie diese Verfügbarkeit für alle gesichert werden kann.