In unserem Wahlcheck zur Bundestagswahl 2017 haben wir Parteien zu ihren netzpolitischen Ansichten befragt. Es folgen die Antworten von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
1. Autonome Systeme erobern immer mehr den Alltag und werden damit auch zum möglichen Gegenstand von Haftungsprozessen. Dabei ist ein Hauptproblem der derzeitigen rechtswissenschaftlichen Debatte die Zuweisung konkreter Verantwortlichkeiten für mögliche Schäden. Welche Position vertritt Ihre Partei hierzu?
Mehr Schutz für die Nutzerinnen und Nutzer setzt ein wirksames Haftungsregime voraus. Es ist eines der effektivsten Steuerungsinstrumente. Positive Anreize zur Qualitätssicherung werden in der IT bislang nur sehr lückenhaft eingesetzt. Teilweise hat die Bundesregierung gar pauschale Haftungsfreistellungen ermöglicht. Entscheidend ist deshalb, sowohl die zivilrechtlichen, als auch die öffentlich-rechtlichen Regelungen mit Blick auf die bekannten Risiken differenziert zu konkretisieren und ggf. den Sorgfaltsmaßstab und Haftungsgrenzen maßvoll zu verschieben.
Bei der Haftung für Sicherheitsverletzungen wie fahrlässig implementierte oder nicht beseitigte Sicherheitslücken von Herstellern (Produkt- und Produzentenhaftung), der Verkäufer-Haftung bei Hard- und Software (Gewährleistung, Fehlerbegriff und Garantie) sowie von Dienstleistern (Sicherheitspflichten) müssen Regelungslücken angegangen werden. Die häufig komplexer gelagerten Streitfälle von geteilter und oft nicht feststellbarer Verantwortung von Herstellern, Diensteanbietern und Nutzern dürfen nicht einseitig zu Lasten von Nutzern ausgehen. Hersteller und Entwickler von bspw. Smartphones, Apps, vernetzten Geräten sind verpflichtet, ab Verkauf für einen angemessenen Zeitraum regelmäßig Sicherheits-updates vorzuhalten. Wir setzen uns ein für die Bildung einer Enquete-Kommission: „Ethische Fragen der digitalen Transformation“ um Fragen wie Künstliche Intelligenz, Automatisierung, autonome Systeme und Robotik zu bearbeiten.
2. In der Internetwelt treten immer wieder Unternehmen mit neuen Geschäftsmodellen auf, die konventionelle regulatorische Rahmenbedingungen infrage stellen. Sollte Wettbewerbsgleichheit zwischen digitalen Plattformen und herkömmlichen Anbietern von Rundfunk oder Telekommunikationsinfrastruktur herrschen und welche Maßnahmen beabsichtigt Ihre Partei hierzu?
Die regulatorischen Rahmenbedingungen für Anbieter in der digitalen Welt müssen angesichts teils disruptiver technischer Entwicklungen immer wieder neu bewertet werden. Eine Harmonisierung von Regelungen für Anbieter, die im Wesentlichen ähnliche Dienste anbieten ist erstrebenswert. Wir werden den Reformbedarf bei Telemediengesetz, Telekommunikationsgesetz und Medienrecht, beispielsweise hinsichtlich von Haftungen für öffentlich zugänglich gemachte Inhalte, überprüfen und in die europarechtliche Diskussion mit einbringen.
3. Sind nach Ansicht Ihrer Partei rechtswidrige und hetzerische Äußerungen in sozialen Netzwerken ein Problem des materiellen Rechts oder der Rechtsdurchsetzung? Welche Position vertritt Ihre Partei hierzu und insbesondere zum Entwurf des NetzDG?
Das NetzDG, das ausschließlich auf Verpflichtungen für Diensteanbieter setzt, ist verengt und ungeeignet. Die bestehenden Straftatbestände sind ausreichend. Gleiches gilt für die Rechtsschutzmöglichkeiten bei Verletzungen der Persönlichkeitsrechte. Die effektive Durchsetzung des Persönlichkeitsschutzes im Netz scheitert oft an unzureichenden Melde- und Abhilfeverfahren der Diensteanbieter und unzureichender personeller und technischer Ausstattung von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten. Wir haben einen Antrag mit vielfältigen Lösungsvorschlägen vorgelegt: Das existierende Melde-und Abhilfeverfahren („Notice and take down“) muss gesetzlich klarer geregelt werden. Mit einer Konkretisierung der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren, die der enormen Verbreitungsdynamik im Digitalen gerecht wird, sowie einer verbesserten Ausstattung von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten, soll die Zahl der Einstellungen deutlich verringert werden. Neben einer verbesserten Rechtsdurchsetzung ist eine Stärkung der Medienkompetenz dringend geboten. Attraktive und altersgerechte Angeboten (schulisch und außerschulisch) müssen gefördert, das zivilgesellschaftliche Engagement und die Kultur der Gegenrede unterstützt werden. Hierfür benötigen wir auch unabhängige und kostenfreie Informations- und Beratungsstellen zum Umgang mit Hate-Speech. Dabei ist eine teilweise Finanzierung durch eine verpflichtende Abgabe von Diensteanbietern zu überlegen.
4. Ist der Bundesregierung die Umsetzung der Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) nach Ihrer Meinung gelungen? Welche Maßnahmen beabsichtigt Ihre Partei für einen Ausgleich zwischen Interessen Betroffener und der Öffentlichkeit im Datenschutzrecht?
Die Umsetzung der Vorgaben der EU-DSGVO ist noch nicht abgeschlossen. Die Fachgesetze sind bislang, mit Ausnahme von AO und SGB, noch nicht angepasst worden. Die SGB/AO-Änderungen sind in einem ebenso skandalösen verkürzten Verfahren zustande gekommen wie das Datenschutzanpassungs- und Umsetzungsgesetz, das ebenfalls in einem skandalösen Verfahren ohne angemessen fachliche Befassungsmöglichkeiten im Bundestag durchgepeitscht wurde. Inhaltlich wurde in größerem Umfang und europarechtswidrig versucht, die Betroffenenrechte zu verkürzen. Im Bundesratsverfahren konnten zwar eine Reihe von Rechtebeschneidungen noch verhindert werden. Doch erwarten wir Rechtsstreitigkeiten zu einzelnen Umsetzungsergebnissen. Wir haben in einem von der Großen Koalition niedergestimmten Entschließungsantrag unsere Kritikpunkte und Alternativvorschläge dargelegt. Der Ausgleich zwischen den Datenschutzrechten der von Verarbeitungen betroffenen Personen und den ebenfalls vielfach rechtlich geschützten Interessen der Öffentlichkeit, etwa in Gestalt behördlicher Aufgaben und Befugnisse, macht Abwägungen unvermeidlich. Wir machen uns für problemgerechte Ausgleiche stark, bei denen die Datenschutzrechte der Bürgerinnen und Bürger angesichts wachsender Risiken der Datenverarbeitung bestmöglich gewährleistet bleiben.
5. Der Spagat zwischen Freiheit und Sicherheit scheint immer schwieriger. Welche Position vertritt Ihre Partei hierzu? Sollte dem Staat zum Beispiel eine Hintertür in verschlüsselte Kommunikation offenstehen?
Der Spagat zwischen Freiheit und Sicherheit stellt ein in demokratischen freiheitlichen Gesellschaften notwendiges Spannungsfeld dar, den es zu gestalten gilt. Das sich abzeichnende Ende der Vorratsdatenspeicherung belegt die Stärke des rechtsstaatlichen Gedankens.
Die staatliche Pflicht zur Gewährleistung der IT-Sicherheit wurde bisher vernachlässigt. Die Bundesregierung hat mit den passiven Meldepflichten des IT-Sicherheitsgesetzes weder Anreize noch ein regulatorisches Instrumentarium zur Stärkung der IT-Sicherheit geschaffen. Die Bundesregierung versprach in der Digitalen Agenda Deutschland zum Verschlüsselungsland Nr. 1 zu machen. Gleichzeitig beschließt die Bundesregierung die „Entschlüsselungsagentur“ ZITIS zu gründen. Es braucht eine echte Verschlüsselungsoffensive. Dazu gehört die Förderung von Aufbau, Betrieb und Angebot von echter Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen bei allen IT-Großprojekten und mehr Engagement für die Forschung und Entwicklung von Verschlüsselung. Zudem fordern wir u.a. eine Verpflichtung der Internetzugangsprovider zur sicheren und verbraucherfreundlichen Verschlüsselung der Kommunikation ihrer Kundinnen und Kunden. Wir lehnen das staatliche Offenhalten und gezielte Nutzen von so genannten Zero Day-Sicherheitslücken als rechtsstaatlich nicht vertretbar ab. Wir halten die Legalisierung des Einsatzes der Online-Durchsuchung und der Quellen- Telekommunikationsüberwachung für Strafverfahren für verfassungswidrig.
6. Sollten Plattformen wie Youtube, Facebook und Co mit von Nutzern hochgeladenen Inhalten verpflichtet werden, Inhalte nach fremden Urheberrechten zu filtern? Welche Maßnahmen kämen dafür Ihrer Ansicht nach infrage?
Angebote und Geschäftsmodelle von digitalen Diensteanbietern wandeln sich mit hoher Geschwindigkeit und damit auch der Umgang mit urheberrechtlich geschützten Werken. Die im Telemediengesetz geregelte Haftungsfreistellung für durchgeleitete Informationen, das Prinzip „notice-and-takedown“ und Freistellung von Vorabüberwachung sind essentiell für die Vielfalt digitaler Angebote und wir wollen dies beibehalten. Sie wurden auch mehrfach durch Rechtsprechung bestätigt. Die Frage ob Diensteanbieter für zur Verfügung gestellte Inhalte mitverantwortlich sind, muss entlang der sich stets verschiebenden Grenzen bei Plattformen, Intermediären, medienähnlichen Angeboten oder soziale Medien stets neu bewertet werden.
7. Beabsichtigt Ihre Partei Maßnahmen zum besseren Schutz von Urheberrechten im Internet? Wenn ja, welche? Hält Ihre Partei Netzsperren über Internetprovider für sinnvoll?
Wir wollen die Rechtsdurchsetzung gegenüber solchen Plattformen verbessern, deren Geschäftsmodell im Wesentlichen auf der Verletzung von Urheberrechten beruht. So plädieren wir für ein Werbeverbot auf Seiten, deren Erlöse auf unrechtmäßige Nutzung von urheberrechtlich geschützten Inhalten basieren. Das im Telemediengesetz vorgesehene Verfahren „notice-and-takedown“ hat sich hinsichtlich der Meldung von Urheberrechtsverstößen bei Diensteanbietern, insbesondere auf großen Plattformen, bewährt. Netzsperren über Internetprovider lehnen wir als untauglich und unverhältnismäßig ab.
8. Das Bundeskabinett hat kürzlich einen neuen Schrankenkatalog vorgelegt, der das Urheberwissenschaftsrecht reformieren soll. Ist nach Ansicht Ihrer Partei der Ausgleich von Interessen von Forschung und Lehre auf der einen und der Autoren- und Verlagswelt auf der anderen Seite geglückt? Hält Ihre Partei weitere Maßnahmen für erforderlich – und wenn ja, welche?
Wir halten eine Reform des Urheberrechts im Bereich der Wissenschaft, Forschung und Bildung für überfällig. Seit 2007 wird über eine Modernisierung diskutiert. Die bisherigen kleinteiligen und höchst komplizierten Regelungen versetzen Bildung und Forschung nicht in die Lage, die digitalen Potenziale zu nutzen und Wissenschaft auf höchstem Niveau unter Berücksichtigung des schon publizierten Wissens zu betreiben. Der verabschiedete Gesetzentwurf enthält keine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke. Das widerspricht der Vereinbarung im Koalitionsvertrag. Immerhin werden einige Erlaubnistatbestände zur Nutzung erweitert. Das Gesetz wurde auf fünf Jahre befristet, die Erleichterungen für Wissenschaft, Forschung und Lehre stehen dann wieder zur Disposition. Wir setzen uns seit langem für die Einführung einer allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke ein. So fordern wir mit dem Antrag „Jetzt Zugang zu Wissen erleichtern – Urheberrecht bildungs- und wissenschaftsfreundlich gestalten“ aus April letzten Jahres (Drs. 18/8245) die Bundesregierung auf, eine allgemeine Schranke vorzulegen, die technologieneutral und zukunftsfest das Urheberrecht für Forschen, Lehre und Lernen im digitalen Zeitalter austariert und beispielsweise Schranken Vorrang vor Lizenzen gewährt.
9. Zugang zum Internet gilt heutzutage als existenzieller Lebensstandard und Grundlage gesellschaftlicher Teilhabe. Doch viele Bürger erhalten nur sehr schwache Internetzugänge. Dabei werden verschiedene Lösungen diskutiert, wie man einen stabilen und zukunftsstarken Ausbau von Infrastruktur in Deutschland sicherstellen kann. Welche Ziele sollten hier formuliert werden und welche Maßnahmen hält Ihre Partei für erforderlich?
Schnelles Internet ist die Voraussetzung für Teilhabe in der digitalen Gesellschaft und eine innovative Wirtschaft. Wir wollen, dass bis 2021 75 Prozent aller Haushalte mit Glasfaseranschlüssen versorgt und die restlichen 25 Prozent mit mindestens 50 Mbit/s angeschlossen sind – keinen Flickenteppich mit Übergangstechnologien wie Vectoring oder LTE als Leitungsersatz. Hierfür wollen wir die verbleibenden Telekom-Aktien im Bundesbesitz (ca.10 Milliarden Euro) veräußern und in eine staatliche Breitbandinfrastrukturgesellschaft einbringen, welche sich ihrerseits an kommunalen Unternehmen beteiligt, die im Rahmen von Betreibermodellen den Breitbandausbau für Glasfaserkabel voranbringen. Der Bund würde im Rahmen dieses Modells (Mit-)Infrastrukturinhaber, nötigenfalls auch (Mit-)Netzbetreiber, jedoch nicht Diensteanbieter. In ca. 50% der noch nicht mit Glasfaser erschlossenen Gebiete ist ein Ausbau wirtschaftlich nicht rentabel. Die Erschließung der sogenannten weißen Flecken, die insbesondere im ländlichen Raum existieren, wird sich auf absehbare Zeit nicht rechnen. Ein Einspringen des Bundes ist daher unerlässlich. Außerdem sollten Verbraucherinnen und Verbraucher auch tatsächlich mit den Geschwindigkeiten surfen können, die ihnen in der Werbung versprochen werden. Unternehmen, die ihre vertraglichen Zusagen nicht einhalten, sollten Sanktionen drohen. Den schnellen Ausbau des zukünftigen 5G-Mobilfunknetzes werden wir aktiv unterstützen. Wo 5G ausgebaut wird, muss auch WLAN angeboten werden, damit wir einen offenen, freien und flächendeckenden Zugang zu WLAN erhalten.