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Wahlcheck 2013: Bündnis 90/Die Grünen

In unserem Wahlcheck zur Bundestagswahl 2013 haben wir die größeren politischen Parteien nach ihren netzpolitischen Ansichten gefragt. Es folgen die Antworten der Partei Bündnis 90/Die Grüne.

Datenschutz

1. Welchen Reformbedarf sieht Ihre Partei im Bereich des privaten und öffentlichen Datenschutzes und wie stehen Sie zur geplanten europäischen Datenschutzgrundverordnung?

Die informationelle Selbstbestimmung und das Recht auf öffentliche Informationen – die Informationsfreiheit – stehen im Mittelpunkt unserer Arbeit für eine lebenswerte digitale Gesellschaft. Gerade dieser Tage zeigt sich einmal mehr: Ohne Datenschutz gibt es kein freies Internet. Der effektive Schutz und die gesetzliche Absicherung pseudonymer und anonymer Kommunikation erfüllt eine Schlüsselrolle für die Privatheit im Internetzeitalter. Wir setzen uns dafür ein, das Kommunikationsgeheimnis zu stärken und Art. 10 GG bzw. die Art. 7 und 8 der EU-Grundrechtecharta zu einem umfassenden Telekommunikations- und Mediennutzungsgeheimnis auszubauen.

Die Werbewirtschaft träumt von „gläsernen Kunden“, deren Spuren komplett auswertbar sind. Wir setzen uns für transparente und faire Regeln für die Verbraucherinnen und Verbraucher und gegen die exzessive Sammlung von Daten zur Erstellung umfassender Kundenprofilen ein. Wir wollen die ausdrückliche Einwilligung zur Speicherung und Verarbeitung von Daten (Opt-in) zum Grundprinzip machen. Wir fordern ein Verbot von computerbezogenem Tracking durch Cookies, das von BürgerInnen nicht bemerkt wird. Ebenso grundlegend ist der präventiv wirkende, gesetzlich verpflichtende Datenschutz durch Technik (Privacy by Design & Privacy by Default) sowie der Schutz vor ungewollter Profilbildung und automatisierter Bewertung (Scoring). Das gilt genauso gegenüber dem Staat wie gegenüber Unternehmen und anderen privaten Stellen. Wir unterstützen die Reform des EU-Datenschutzrechts, die u.a. den Datenschutz gegenüber Unternehmen aus Drittstaaten stärkt, die Durchsetzungsbefugnisse für die Datenschutzbehörden erhöht und den Grundrechts- und Verbraucherschutz gegenüber den Anbietern verbessert.

2. Plant Ihre Partei die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung und wie soll diese Umsetzung erfolgen?

Seit über einem Jahrzehnt erleben wir den Abbau, die Aufweichung und Relativierung von Grundrechtsstandards. Uns reicht es deshalb nicht aus, nur den Erhalt der Bürgerrechte zu fordern. Wir GRÜNE wollen unsere Bürgerrechte wieder stärken und dem neu geschaffenen Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme gesetzlich Geltung verschaffen. Das Fernmeldegeheimnis des Artikels 10 GG wollen wir zu einem umfassenden Kommunikations- und Mediennutzungsgeheimnis weiterentwickeln, das die digitale Welt umfasst. Genauso die Artikel 7 (Achtung des Privat- und Familienlebens) und 8 (Schutz personenbezogener Daten) der EU-Grundrechtecharta. Unter dem Deckmantel der sogenannten Cybersicherheit darf nicht der Abbau eines freien und offenen Internets vorangetrieben werden. Bürgerrechtsfeindliche Gruselstücke wie die anlasslose Vorratsdatenspeicherung, mit der ein ein rechtsdogmatischer Dammbruch hin zur Unschuldsvermutung eingeleitet wird, oder die heimliche Onlinedurchsuchung von Computern, haben unserer Ansicht nach in einer freien, rechtsstaatlichen Gesellschaft keinen Platz. Aus diesem Grund engagieren wir uns, zusammen mit einer engagierten Zivilgesellschaft, seit Jahren gegen sie. Statt auf eine aus vielerlei Hinsicht höchst fragwürdige anlasslose Vorratsdatenspeicherung zurückzugreifen, deren Nutzen für die Strafverfolgungsbehörden bis heute nicht nachgewiesen werden konnte, wollen wir die Strafverfolgungsbehörden personell und technisch fit machen für die Herausforderungen des digitalen Zeitalters.

3. Hält Ihre Partei besondere Regelungen zum Beschäftigtendatenschutz für erforderlich und wie sollen solche Regelungen aussehen?

Ja, eine gesetzliche Regelung für den verbesserten Schutz von Beschäftigten vor unternehmerischer Ausspähung ist dringend notwendig. Die durch bruchstückhafte Regelungen und Rechtsprechung unüberschaubare, komplexe Rechtslage geht zu Lasten der schwächeren Beschäftigten. Wir brauchen eindeutige Bestimmungen gegen die Bespitzelung von Beschäftigten am Arbeitsplatz, gegen Internet- und E-Mailüberwachung sowie großflächiges Rastern der Beschäftigtendaten, die heute unter dem Deckmantel der Korruptionsbekämpfung in zahlreichen Unternehmen an der Tagesordnung sind. Wenn Kameras nur noch oder nicht einmal mehr an der Klotüre halt machen, gibt es akuten Handlungsbedarf. Die Betriebsdatenschutzbeauftragten und die Betriebsräte müssen in ihrer Wächterolle gestärkt werden, der Whistleblowerschutz ausgebaut und die gerichtlichen Kontrollmöglichkeiten durch Beschäftigtenvertretungen ausgebaut werden. Während die schwarz-gelbe Bundesregierung ihren Gesetzentwurf das Vorhaben aufgrund einer völlig falsch verstandenen Wirtschaftsnähe klammheimlich im Sande verlaufen lassen hat, haben wir in dieser Legislaturperiode einen umfassenden Gesetzentwurf ausgearbeitet und diesen nach der Ermöglichung der Mitarbeit über eine Online-Konsultation (www.beschaeftigten-datenschutz.de), der ersten in der Geschichte des Parlaments, vorgelegt.

Urheberrecht

4. Sieht Ihre Partei Reformbedarf beim geltenden Urheberrechtsmodell und welche zentralen Punkte müsste eine solche Reform enthalten?

Digitalisierung und die Verbreitung des Internet, sich wandelnde Produktion, Distribution und Konsumption kultureller Güter bietet enorme Chancen für NutzerInnen, UrheberInnen und die kulturelle Vielfalt. Für uns Grüne liegt daher die größte Stärkung des Urheberrechts in einem echten und fairen Interessensaugleich. Der Zugang zu und die Teilhabe an kulturellen Gütern ist gleichermaßen schützenswert wie die Rechte von Kreativen an ihren Werken. Dabei haben wir die gesamte Nutzungs- und Verwertungskette im Blick, von den UrheberInnen über die Verwerter bis hin zu den NutzerInnen. Für uns geht es um ein Urheberrecht für das 21. Jahrhundert, das hohe Akzeptanz genießt, UrheberInnen schützt, eine angemessene Vergütung sichert und gleichzeitig Nutzerrechte stärkt und Innovationen fördert.

Dem Ruf nach Warnhinweismodellen, einem Ende der Anonymität, aber auch der Sperrung von Internetseiten oder Internetanschlüssen, der Filterung von Inhalten, dem ausufernden Abmahnunwesen und einer verpflichtenden Speicherung von Telekommunikationsdaten erteilen wir Grüne weiterhin eine klare Absage. Wir treten für eine Politik ein, die auf vergüten statt verfolgen setzt. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat den von ihr vollmundig angekündigten „3. Korb“ der Urheberrechtsreform nie vorgelegt. Statt einen „Wissens- und Gesellschaftskorb“ hat sie mit dem „Leistungsschutzrecht für Presseverlage“ ein Paradebeispiel für schwarz-gelbe Klientelpolitik vorgelegt.

Die Beantwortung dieser umfassenden Frage in der gebotenen Kürze ist leider nicht möglich: Unsere Reformansätze haben wir in dieser Legislatur in mehreren parlamentarischen Initiativen zum Ausdruck gebracht. Auch in unserem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 findet sich ein ausführlicher Abschnitt zu unseren urheberrechtlichen Positionen.

5. Wie plant Ihre Partei dem Phänomen Filesharing zu begegnen?

Die durch konservative Regierungen eröffnete Jagd auf Filesharer hat zu einer rein repressiven Verschärfung des Urheberrechts insbesondere durch den Auskunftsanspruch nach § 101 UrhG geführt. Millionen von Bundesbürgern sind seit dem mit teilweise völlig maßlosen Abmahnverfahren durch einzelne, unseriöse Kanzleien überzogen worden. Wir wollen diesen Abmahnwahnsinn beenden. Mit unserem Antrag haben wir die erforderlichen Veränderungen zur Eindämmung dieser parasitären Praxis vorgelegt. Für uns Grüne ist klar, dass die Durchsetzung der Geltung des Urheberrechts und die Eindämmung von illegalem Filesharing nicht durch eine einseitige rechtliche Verschärfung und Versuche technischer Durchsetzung erfolgen kann. Stattdessen treten wir für eine Politik ein, die auf vergüten statt verfolgen setzt. Entscheidend in den kommenden Jahren ist, ob sich neue Geschäftsmodelle im digitalen Kulturmarkt durchsetzen, die sowohl eine angemessene Vergütung für UrheberInnen sichern als auch die kulturelle Teilhabe möglichst vieler Menschen gewährleisten. Bemühungen, dieses Ziel zu erreichen, unterstützen wir und begleiten sie aktiv. Ein Scheitern dieser Geschäftsmodelle wird ein gesetzgeberisches Eingreifen erfordern, das einerseits eine angemessene Vergütung sichert und andererseits dem Drang nach noch mehr Repression entgegentritt. Um dies zu erreichen, diskutieren wir intensiv die Einführung einer Pauschalabgabe auf Breitbandinternetanschlüsse. Unsere Bundestagsfraktion hat hierzu ein umfangreiches Gutachten über die rechtliche und vor allem die wirtschaftliche Umsetzbarkeit vorgelegt, welches wir weiter auswerten wollen, offene Fragen bei einem solchen Ansatz klären möchten und dieses perspektivisch weiterentwickeln wollen. In diesem Zusammenhang wollen wir eine neue Schranke für privaten Upload auf europäischer Ebene einführen, um bestehende Hürden abzubauen. Den Mehrgewinn an breiteren Nutzungsmöglichkeiten wollen wir schützen und durch eine Stärkung des Rechts auf digitale Privatkopie sicherstellen. Dieses darf technisch nicht eingeschränkt werden.

6. Hält Ihre Partei die Schutzfristen des Urheberrechtes für angemessen und welche Änderungen sind Ihrer Ansicht nach notwendig?

Neben den in Punkt 4 genannten kurzfristigen Maßnahmen, wollen wir die bestehenden Regelungen des deutschen wie des supranationalen Urheberrechts vor dem Hintergrund technologischer und gesellschaftlicher Entwicklungen sowie der zunehmenden Vernetzung weiter Teile der Gesellschaft neu bewerten und weiter entwickeln. Als mittelfristige Maßnahmen streben wir eine Regelung zum Recht auf Remix sowie die Flexibilisierung der Schranken auf EU-Ebene an. Zudem muss entschieden werden, ob Pauschalvergütungssysteme geeignete Instrumente für ein faires Urheberrecht darstellen. Auch eine Reform der Verwertungsgesellschaften steht für uns in der EU wie in Deutschland auf der Agenda. Als langfristige Ziele sind neben der Reform der Urheberrechts-Richtlinie 2001/29/EG die Überarbeitung der Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum (TRIPS-Abkommen) und des WIPO- Urheberrechtsvertrages (WCT) anzustreben. Im Rahmen dieser Reformen ist hinsichtlich der Frage, wie lange und wie flexibel Immaterialgüter der Verwertung nur exklusiv zugänglich sind (Schutzfristen), eine langfristig angelegte Debatte erforderlich. Forderungen nach sofortigen nationalen Alleingängen gehen an der bindenden Kraft der völkerrechtlichen Realität vorbei.

Sonstiges

7. Seit 2002 läuft die Breitbandinitiative des BMWi und der BITKOM. Welche konkreten Maßnahmen wird die künftige Regierung ergreifen um den Breitbandausbau auch in ländlichen Regionen voranzutreiben?

Teilhaben bedeutet im 21. Jahrhundert auch, Zugang zu schnellem Internet zu haben. Soziale wie ökonomische Teilhabe hängt nicht zuletzt vom Breitbandinternetanschluss ab. Die Bundesregierung ist mit ihrer Breitbandstrategie gescheitert und hat die eigenen Vorgaben nicht erreicht, so dass BürgerInnen und Unternehmen in Deutschland, insbesondere in ländlichen Regionen, an der lahmenden Entwicklung zu leiden haben. Der Zugang zum Internet ist für uns Grüne Teil der Daseinsvorsorge. Daher wollen wir den Breitbandinternetzugang über einen verpflichtenden Universaldienst – wie bei der Postzustellung – gesetzlich sicherstellen. Mit diesem Universaldienst müssen überall Breitbandanschlüsse mit mindestens 6 Mbit/s verfügbar sein. Diesen Universaldienst wollen wir dynamisch gestalten, um mit der technischen Entwicklung und den Anforderungen Schritt zu halten. Die Mindestbandbreite soll demnach immer wieder dynamisch angepasst werden. Unser Ziel ist es, bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode flächendeckend Breitbandanschlüsse im zweistelligen Mbit/s-Bereich bereitzustellen. Unsere bestehende Netzinfrastruktur stößt an ihre Grenzen und ist nicht zukunftsfähig. Daher bleibt der Aufbau eines flächendeckenden Glasfasernetzes unser Ziel.

8. Inwieweit sollten und können die Parteien den Bürgern interaktive und moderne Partizipationsformen wie E-Partizipation und E-Democracy schmackhaft machen, um diese stärker in das politische Geschehen einzubinden?

Unsere Demokratie wird digital lebendiger. Dies wollen wir nutzen, um mehr Transparenz und Beteiligungsformen, sei es in der Politik, der Wirtschaft oder der Verwaltung, zu schaffen. Wir GRÜNE wollen mit gutem Beispiel vorangehen. Wir haben in dieser Legislatur immer wieder Positionspapiere, Anträge und Gesetzentwürfe online zur Diskussion gestellt, bevor sie in den Bundestag eingebracht haben. Mit „betatext“ haben wir eine Open-Source-Software entwickelt die eine direkte Beteiligung an parlamentarischen Initiativen ermöglicht. Solche Konsultationen, mindestens per Internet, wollen wir auch bei Gesetzesvorhaben der Bundesregierung vorsehen und auch in geeigneter Weise mit Möglichkeiten zur Offline-Partizipation ausgestalten. Hierbei wollen wir eine möglichst weitgehende Barrierefreiheit erreichen. Um die Chancen bestmöglich nutzen zu können, ist es von enormer Bedeutung, Vertrauen zu schaffen, etwa durch die Berücksichtigung höchster Datenschutzstandards. Das erfolgreiche Instrument der „öffentlichen Petition“ wollen wir als eine Form der Bürgergesetzgebung weiterentwickeln. Offenes Regierungs- und Verwaltungshandeln muss Standard werden. Grundlage jeder informierten Beteiligung ist zugängliches Wissen. Daher wollen wir die Informationsfreiheit – auch verfassungsrechtlich – stärken und um Open-Data-Strategien ergänzen. In unserem Wahlprogramm haben wir dem Punkt „Informationsfreiheit und Transparenz konsequent ausbauen“ ein eigenes Unterkapitel gewidmet, in dem sich unsere ganz konkreten Vorschläge wiederfinden.

9. Wie könnte die Gesetzgebung im Bereich neuer Medien künftig besser bei schnellen Entwicklungen Schritt halten?

Für uns Grüne sind Kultur- Medien- und Netzpolitik zwingend vernetzte Themen, die zusammen gedacht und bearbeitet werden müssen. Netzpolitik ist für uns Gesellschaftspolitik. In der digitalen Gesellschaft sind alle gesellschaftlichen Bereiche von einer zunehmenden Digitalisierung und Verbreitung des Internets betroffen. Netzpolitik ist ein zentrales Zukunftsthema und kann verantwortungsvoll nur als Querschnittsaufgabe bearbeitet werden. Daher plädieren wir auch für eine stärkere Koordinierung und Verzahnung der Netzpolitik – sowohl im Bundestag als auch innerhalb der zukünftigen Bundesregierung. Im Bundestag wollen wir einen dauerhaften Ausschuss für digitale Gesellschaftspolitik einrichten – auch um sicherzustellen, dass die zahlreichen Handlungsempfehlungen, die die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ für die kommende Legislaturperiode erarbeitet hat, zu Beginn der kommenden Legislatur tatsächlich aufgegriffen und weiter bearbeitet werden. Auch auf Seiten der Bundesregierung muss die Koordinierung netzpolitischer Fragestellungen, das hat diese Legislatur gezeigt, dringend verbessert werden. Ob im Bereich des Datenschutzes, des Urheberrechtes oder bezüglich der Wahrung der Netzneutralität, alle netzpolitische Vorhaben der schwarz-gelben Bundesregierung sind auch deswegen gescheitert, weil es an einer Koordinierung netzpolitischer Fragestellungen auf Bundesebene mangelte. So wurden zahlreiche Vorlagen zwischen den divergierenden Interessen der einzelnen Ministerien zerrieben. Eine bessere Koordinierung hätte hier so manches Mal vermittelnd eingreifen können.

Die Fragen beantwortete MdB Dr. Konstantin von Notz als innen- und netzpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen.

Übersicht zum Wahlcheck 2013.

, Telemedicus v. 23.07.2013, https://tlmd.in/a/2601

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