Mit Einführung der Vorratsdatenspeicherung dürften Anonymisierungs-Dienste wie TOR oder JAP regen Zuwachs erhalten. Doch müssen diese Dienste nicht selbst alle Verbindungsdaten speichern? Dies wäre der Fall, wenn sie auch in den Anwendungsbereich des Telekommunikationsgesetzes fielen, also „Telekommunikationsdienste“ wären.
Das sei aber nicht der Fall, meint Dr. Julius Mittenzwei, Entwickler des Anonymisierungs-Netzwerkes TOR und Rechtsanwalt. Im Deutschlandfunk erklärt er seine Rechtsauffassung:
„Wir gehen davon aus, dass es [TOR] ein Telemediendienst ist, dass es kein Telekommunikationsdienst ist und deshalb schon von vornherein aus dem Anwendungsbereich der Vorratsdatenspeicherung herauszunehmen ist. Weil es eben nicht auf dem untersten Layer ansetzt, sondern ein Dienst ist, der auf einem Telekommunikationsmedium, das schon besteht, aufsetzt.“
Doch stimmt das wirklich?
Wie funktioniert TOR?
Mit Hilfe des TOR-Netzwerkes können Anwender ihre Internet-Verbindung anonymisieren. Anstatt eine direkte Verbindung zwischen Anwender und dem Server herzustellen, wird die Verbindung über andere TOR-Nutzer verschlüsselt quer über den Globus gelenkt. Der Effekt: Webseitenbetreiber erkennen nicht, von welcher IP-Adresse aus auf ihre Seite zugegriffen wurde. Und umgekehrt können auch Internet-Provider nicht nachvollziehen, auf welche Server die Kunden zugreifen. Protokolliert wird lediglich die Verbindung zum ersten TOR-Knotenpunkt. Die TOR-Software selbst speichert keinerlei Daten über die weitergeleiteten Verbindungen.
Und TOR selbst stellt auch keine Internet-Verbindung her. Die Software leitet lediglich die Anfragen des Anwenders über die bestehende Internet-Verbindung zu einem anderen Ziel – nämlich einem TOR-Server – weiter. Mittenzwei schließt daraus: Wer keine eigene Verbindung herstellt, sondern nur eine bestehende Internetverbindung nutzt ist kein Telekommunikationsdienst im Sinne des Telekommunikationsgesetzes. Und muss keine Daten auf Vorrat speichern.
Ein Trugschluss?
Telekommunikationsdienste sind nach § 3 Nr. 24 TKG:
„[…] in der Regel gegen Entgelt erbrachte Dienste, die ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen“
Der Begriff des „Telekommunikationsdienstes“ umfasst also sämtliche Komponenten eines Telekommunikationsnetzes, die Signale übertragen (vgl. auch Koenig/Loetz/Neumann, Telekommunikationsrecht, S. 35). Auch zwischengeschaltete Proxy-Server – oder eben auch TOR-Knoten – übertragen Signale innerhalb eines Telekommunikationsnetzes. Sie sind also zumindest Dienste, die überwiegend in der Übertragung von Signalen bestehen. Sicher: Die Software TOR an sich ist kein Telekommunikationsdienst. Jedoch ist jeder Rechner, auf dem TOR installiert ist, und der Signale innerhalb des TOR-Netzes weiterleitet, Teil des Telekommunikationsnetzes. Und somit nach der hier vertretenen Rechtsauffassung als Telekommunikationsdienst einzustufen.
Dass dieser Dienst nicht, wie § 3 Nr. 24 TKG fordert, „gegen Entgelt“ erbracht wird ändert daran auch nichts. Denn die Formulierung meint lediglich ein Regelbeispiel, kein Tatbestandsmerkmal. Ausnahmsweise können also auch kostenlose Dienste unter den Begriff des „Telekommunikationsdienstes“ fallen.
TOR und ähnliche Anonymisierungsnetzwerke sind also demnach durchaus zur Vorratsdatenspeicherung verpflichtet.
Was bedeutet das für die Praxis?
Wer entgegen des § 113a Abs. 1 TKG keine Verbindungsdaten speichert handelt nach § 149 Abs. 1 Nr. 36 TKG ordnungswidrig. Die Bundesnetzagentur kann eine solche Verletzung mit einem Bußgeld bis zu 500.000 Euro ahnden. Das klingt dramatisch, dürfte in der Praxis aber kaum Anwendung finden. Denn zum einen wird es der Bundesnetzagentur schwer fallen, Verstöße überhaupt festzustellen, zumindest bei Netzwerken wie TOR, wo die Anonymisierung hauptsächlich über die Computer von Endnutzern stattfindet. Zum anderen ist das TOR-Netzwerk international. Auf TOR-Knotenpunkte im Ausland hat das Telekommunikationsgesetz aber keinen Einfluss.
Auch wenn die Vorratsdatenspeicherung auch für Anonymisierungnetzwerke gilt, wird sie also nicht das Ende für Anonymisierungsnetzwerke bedeuten.
Zum Interview mit Dr. Julius Mittenzwei.
Zum Anonymisierungs-Dienst TOR.
(via)