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Vorratdatenspeicherung: Rechtliche Hintergründe

Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gehört aktuell zu den meistdiskutierten Themen in deutschsprachigen Internet. Alexander Svensson von Wortfeld hat aus alten Science-Fiction-Filmen ein sehr sehenswertes Video zusammengestellt, die Blogosphäre mobilisiert für eine Demonstration gegen das deutsche Gesetz am kommenden Samstag. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung plant eine Massen-Verfassungsbeschwerde mit mehr als 5000 Beschwerdeführern.

In der Diskussion geht häufig unter, dass die Rechtslage um die Vorratsdatenspeicherung alles andere als simpel ist. Denn hier greifen deutsches und europäisches Recht auf komplizierte Weise ineinander.
Zur Erinnerung: Derzeit ist noch kein Gesetz verabschiedet, das die Vorratsdatenspeicherung verlangt. Nur auf europäischer Ebene existiert eine Richtlinie (pdf), die den Mitgliedsstaaten vorschreibt, entsprechende Gesetze bis zum 15. Sept. 2007 zu verabschieden. Diese Umsetzungsfrist ist bereits verstrichen. Falls die BRD nicht bald tätig wird, droht ihr ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Wo Europarecht und deutsches Recht aufeinandertreffen, gilt der „Anwendungsvorrang des Europarechts“: Das bedeutet, falls deutsches Recht und Europarecht unterschiedliches besagen, dann wird das deutsche Recht nicht angewendet. Eine EG-Richtlinie ist deshalb dem deutschen Recht vorrangig, auch den deutschen Grundrechten. Selbst wenn das Gesetz verfassungswidrig wäre, so muss es dennoch umgesetzt werden. Die Grundrechte gelten aber ausnahmsweise weiter, wo:

1. die EG-Richtlinie dem deutschen Gesetzgeber bei der Umsetzung einen Spielraum lässt, oder
2. die EG-Richtlinie in den absoluten Kernbereich der deutschen Rechtsstaatlichkeit eingreift, nämlich die in Art. 1 und 20 GG geschützten Grundsätze (Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG).

Für alle anderen Bereiche können die vom „Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung“ angeregten Verfassungsbeschwerden keinen Erfolg haben – die Grundrechte, auf die sich die Verfassungsbeschwerden stützen, treten hinter die vorrangige EG-Richtlinie zurück. Allerdings muss sich auch die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung an Grundrechten messen lassen – nämlich den Europäischen Grundrechten, die im EU-Vertrag verbürgt sind.

Art. 6 EUV (Auszug):

(1) Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam.

(2) Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.

Im Normalfall würde das BVerfG deshalb die Richtlinie dem EuGH vorlegen, damit dieser über die Vereinbarkeit mit dem höherrangigen EU-Vertrag entscheidet. Genau das hat aber die Republik Irland bereits im Sommer 2006 getan. Wahrscheinlich würde das BVerfG das Verfahren deshalb aussetzen (§ 32 BVerfGG), eventuell zusätzlich das deutsche Gesetz nach § 33 BVerfGG vorläufig außer Vollzug setzen. Das Verfahren vor dem EuGH wäre dann abzuwarten. Die Chancen der Nichtigkeitsklage dort stehen nicht schlecht.

Für den Fall, dass der EuGH die Richtlinie verwirft, wird diese nichtig. Dann wäre das BVerfG doch berechtigt, das deutsche Gesetz vollumfänglich auf seine Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Den Inhalt dieses Urteils vorrauszusagen fällt nicht schwer – die verdachtsunabhängige, dauerhafte Speicherung sämtlicher Kommunikationsdaten ohne Zweckbindung steht in offenem Widerspruch zur gefestigten Rechtsprechung des BVerfG seit dem Volkszählungsurteil.

Wenn der EuGH die Richtlinie aber für rechtmäßig erklärt, dann wird das deutsche Bundesverfassungsgericht nur in dem engen Rahmen entscheiden, der oben beschrieben ist – und möglicherweise dennoch zu dem Ergebnis gelangen, dass das deutsche Umsetzungsgesetz gegen den Kernbereich der deutschen Rechtsstaatlichkeit, Art 1 oder 20 GG, verstößt. Das würde bedeuten, dass das Gericht seine Solange-Rechtsprechung aufgibt – und damit den EuGH quasi entmachtet. Für das europäische Justizsystem würde das eine schwere Krise bedeuten. Rechtlicher Sprengstoff also.

, Telemedicus v. 20.09.2007, https://tlmd.in/a/411

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