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VGH BaWü: Kein Schulausschluss bei Internetmobbing

Ein neuer Fall von „Internetmobbing“ hat die Rechtsprechung beschäftigt. Wird eine Mitschülerin in einem Weblog beleidigt, rechtfertigt das nicht unbedingt einen Schulausschluss. Das hat der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof vor gut einem Monat entschieden (Az. 9 S 1056/11). In einem ungleich ähnlichen Fall ließ der BayVGH vor ca. einem Jahr einen weniger scharfen Verweis noch durchgehen.
Was war passiert?

Eine Schülerin hatte auf ihrer persönlichen Seite eines Internet-Forums einen Blog-Eintrag veröffentlicht. Dort beleidigte sie eine Mitschülerin, ohne deren Namen zu nennen. Sie bezeichnete sie als „Punkbitch“, „schon bisschen Asozial“ und wiederholt als „Assi“. Ausserdem attestierte sie ihr „Mut zur Hässlichkeit“ und behauptete „schließlich darf ich später dein Hartz IV finanzieren“. Schließlich gestand sie: „Ja des Wort Assi gefällt mir, na und? Ich sag’s wenigstens bloß, und bin’s nicht“.

Reaktionen der Betroffenen und der Schule zeigten, dass diese Beleidigungen auch wahrgenommen wurden. Die Äußerungen führten zu einer unruhigen Klassensituation. Die Schule sprach schließlich einen zeitweiligen Ausschluss vom Unterricht nach § 90 Abs. 6 Satz 1 BaWüSchG aus. Dagegen wehrte sich die betroffene Schülerin.

Die Entscheidung

Und sie bekam Recht – zumindest im einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Zwar habe sie ihre Mitschülerin „in übler Weise beleidigt“. Daher seien hier „die Grenzen einer vom allgemeinen Meinungsäußerungsrecht gedeckten Kritik klar überschritten“. Der VGH in Mannheim stellte hierzu fest, dass die Äußerungen im Internet eine besondere Bedeutung hätten:

Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass diese Beleidigungen nicht nur ausgesprochen oder, etwa durch einen Aufschrieb an der Tafel, nur innerhalb der Klasse verbreitet, sondern ins Internet gestellt wurden, wo sie von allen Nutzern, im Fall der genannten Internet-Plattfom sogar ohne eigene Anmeldung, zur Kenntnis genommen werden konnten. Gerade der Einsatz des Internets, die damit verbundene unkontrollierbare Verbreitung und der Umstand, dass selbst nach Löschung Inhalte vielfach nicht mehr vollständig zurückgenommen werden können („Das Netz vergisst nichts“), begründet ein erhebliches Fehlverhalten, das nicht übergangen werden darf, sondern einer Reaktion bedarf.

Das gelte selbst dann, wenn die Äußerungen in der Freizeit getätigt werden. Maßgeblich sei nämlich, ob sich das Verhalten störend auf den Schulbetrieb auswirke. Das könne auch bei einem Internet-Eintrag außerhalb der Schule der Fall sein.

Das Gericht verneinte jedoch letztlich die für einen – wenn auch nur eintägigen – Schulausschluss notwendige Schwere.

Die vorliegende Konstellation weist Besonderheiten auf, die Zweifel daran begründen, ob der Verbreitungsgrad der Beleidigung hier den im Allgemeinen vom Einstellen einer Äußerung ins Internet ausgehenden Gefahren entspricht. Auf die „enorme Verbreitung von Äußerungen im Internet“ ist im Protokoll der Besprechung am 20.12.2010 besonders abgestellt worden. Dieser Ansatz gilt zweifellos dann, wenn der Adressat entsprechender Äußerungen auch für Dritte klar zu identifizieren ist. Dies ist hier aber nicht der Fall. Der Webblog enthält weder den Klar- noch den Benutzernamen der Betroffenen. Auch mit einer bildlichen Darstellung der Betroffenen sind die Eintragungen der Antragstellerin nicht verknüpft. Damit sind die genannten Beleidigungen allein von denen der Betroffenen zuzuordnen, die diese bereits kennen oder von der Antragstellerin ausdrücklich darauf hingewiesen worden sind. Damit dürfte dieser Eintrag in seiner Bedeutung eher einer Beleidigung im Kreis der Bekannten vergleichbar sein, als dass sich darin gerade die typischen Gefahren der Verbreitung von Beleidigungen an eine unüberschaubare Zahl von Internet-Nutzern realisiert hätten.

Fazit

Dass Äußerungen im Internet aufgrund seiner Eigenheiten eine besondere Qualität haben können, leuchtet ein. Dass diese Aussage im Beschluss allerdings wieder relativiert wird, erscheint zunächst widersprüchlich. Bei genauerem Hinsehen ist das aber nur konsequent. Denn nicht nur weil etwas im Internet steht, kommt ihm besonderes Gefährdungspotential zu. Auch der Inhalt spielt bei der Wahrnehmung eine Rolle. Da hier eine Erkennbarkeit nur auf den abgegrenzten Personenkreis der Schule gegeben war, hatten die Äußerungen auch nur einen geringeren Wirkungskreis. Insofern ist es nachvollziehbar, dass der VGH so entschieden hat.

Die Entscheidung lässt aber gleichzeitig Schlüsse zu, die auf ähnliche Portale übertragen werden könnten. Am vorliegenden Fall ist besonders, dass nicht Lehrer betroffen sind, sondern Schüler untereinander. Beispielsweise iShareGossip kann hier für Schüler zur Büchse der Pandora werden, wenn man von der grundsätzlichen Anonymität einmal absieht. Dort ist keine Anmeldung erforderlich, der Schulname ist vorgegeben. Eine Erkennbarkeit für Dritte ist – auch über schulische Verhältnisse hinaus – viel leichter zu begründen. Aufgrund des erhöhten Verbreitungsgrades könnte hier in Zukunft auch mit schulrechtlichen Konsequenzen zu rechnen sein.

Der Beschluss des VGH Baden-Würrtemberg (Az. 9 S 1056/11) im Volltext.

Kurzbericht auf conlegi.de.

internet-law.de kritisch zur Lehrerbewertung durch Schüler.

, Telemedicus v. 09.06.2011, https://tlmd.in/a/2020

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