Vor wenigen Wochen hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der § 353d Nr. 3 StGB verfassungsgemäß ist (Az.: 2 BvR 429/12). Die Strafnorm verletze selbst dann nicht die Meinungsfreiheit oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht, wenn der Angeklagte selbst Unterlagen aus dem Verfahren gegen ihn veröffentliche. Das Gericht wies damit eine Verfassungsbeschwerde gegen die Verurteilung zurück. Mittlerweile liegt der Beschluss im Volltext vor.
Hintergrund sind zwei strafrechtliche Verfahren gegen einen Künstler. In dem ersten ging es um verschiedene Vorwürfe der Urkundenfälschung gegen ihn. In der Anklageschrift ging es noch um 167 Fälle einfacher Urkundenfälschung und 34 Fälle gewerbsmäßig begangener Urkundenfälschung. Das Landgericht ließ diese Anklage jedoch nur teilweise zu. Im Übrigen lehnte es die Eröffnung des strafrechtlichen Hauptverfahrens aus tatsächlichen Gründen ab. Verschiedene Pressevertreter berichteten über dieses Verfahren, weshalb der Künstler um seine Reputation fürchtete. Aus diesem Grund stellte er den ablehnenden Eröffnungsbeschluss und Teile der Anklageschrift online zur Verfügung.
Nun nahm das zweite strafrechtliche Verfahren gegen ihn seinen Lauf: Der Künstler wurde wegen seiner Bemühungen zu einer Geldstrafe verurteilt. Grundlage hierfür ist § 353 d Nr. 3 StGB, der lautet:
Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
[…]
3. die Anklageschrift oder andere amtliche Schriftstücke eines Strafverfahrens, eines Bußgeldverfahrens oder eines Disziplinarverfahrens, ganz oder in wesentlichen Teilen, im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist.
Dies wollte der Künstler natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Er legte alle alle Rechtsmittel ein, die ihm zur Verfügung standen – jedoch immer erfolglos. Das entscheidende Argument der Strafgerichte für die Verurteilung war: Der Angeklagte kann nicht in die Veröffentlichung einwilligen, da die Strafnorm vor allem auch die Unbefangenheit der Richter schützen soll. Schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als eine Urteilsverfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzulegen.
Hier machte er nun geltend, dass der § 353d Nr. 3 StGB aufgrund einer vorherigen Entscheidung des BVerfG so auszulegen sei, dass der Betroffene in die Veröffentlichung einwilligen kann. Außerdem sei er in seiner Meinungsfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.
Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, da sie insbesondere unbegründet sei. Sämtliche Einwände des Beschwerdeführers sah es als erfolglos an. Bereits aus der früheren Rechtsprechung des BVerfG könne nicht hergeleitet werden, dass die Strafnorm verfassungswidrig angewendet worden sei. Das ist bei einer Entscheidung des BVerfG nämlich nur dann der Fall, wenn dieses eine Norm für unwirksam erklärt hat. Das ist dort aber nicht der Fall gewesen – vielmehr hatte das Gericht damals einen ganz besonderen Fall zu beurteilen und entschieden, dass jedenfalls für diesen Fall die Norm verfassungsgemäß ist.
Der hauptsächliche Kritikpunkt an der Norm ist jedoch, dass sie möglicherweise in Grundrechte eingreift – insbesondere die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG. Dies sieht das BVerfG anders. Zwar sei die Meinunsgfreiheit betroffen. Dies ergibt sich nicht ohne weiteres. Der Beschwerdeführer hat nämlich keine eigene Meinung kundgegeben, indem er die Anklageschrift und den Eröffnungsbeschluss veröffentlichte – dies bldet aber die Voraussetzung für die Meinungsbildung. Eine Beschränkung der Meinungsfreiheit sei jedoch gerechtfertigt. § 353d Nr. 3 StGB sei nämlich ein allgemeines und verhältnismäßiges Gesetz.
Einen besonderen Punkt bildet an dieser Stelle die Frage, ob auch der Angeklagte sich strafbar macht, wenn er in Bezug auf sein eigenes Strafverfahren handelt. Das soll genau so auch der Fall sein, da die Norm eine doppelte Schutzrichtung habe. Zum einen solle die Persönlichkeit des Angeklagten geschützt werden. Zum anderen muss ein Strafgericht aber auch unbefangen bleiben. Dieser Zweck könne dann vereitelt werden, wenn zum Beispiel Richter bereits vor der eigentlichen Hauptverhandlung Prozessmaterial zur Kenntnis bekommen. Dies ist aber ein allgemeines Schutzgut, auf das der Betroffene nicht verzichten kann. Hierzu ein Ausschnitt aus den Entscheidungsgründen:
[28] Aufgrund dieser doppelten Schutzrichtung des § 353d Nr. 3 StGB entfällt die Zwecktauglichkeit der Vorschrift nicht allein dadurch, dass sich ein durch das Verfahren Betroffener durch die verfrühte Veröffentlichung amtlicher Schriftstücke derjenigen Rechte begibt, soweit sie seinem Schutz dienen und damit zu seiner Disposition stehen können. Bedeutung und Tragweite des materiellen Schuldprinzips und der Neutralität des Gerichts für das rechtsstaatliche Strafverfahren rechtfertigen bereits isoliert betrachtet die Strafbarkeit seines Handelns […]. Daneben steht weiterhin der Schutz der Persönlichkeitsrechte von anderen durch das Strafverfahren betroffenen Personen, etwa von Mitangeklagten oder Nebenklägern. Auch diese können dadurch beeinträchtigt werden, dass ein Angeklagter ihn entlastende amtliche Mitteilungen vor dem Verfahren im Wortlaut veröffentlicht. Ohne die strafrechtliche Sanktionierung dieses Handelns bestünde die Gefahr, dass Angeklagte und Nebenkläger durch gezielte und möglicherweise entstellte Informationen, die aber den Eindruck amtlicher Authentizität erwecken, wechselseitig versuchen, die Stimmung der Öffentlichkeit und die Einstellung des Gerichts zum Sachverhalt vor Beginn der Hauptverhandlung gezielt in ihrem Interesse – oder auch zu Lasten etwa eines Mitangeklagten – zu beeinflussen.
Schließlich hält das Gericht die Norm auch für angemessen. Entscheidend hierbei ist eine Gesamtabwägung aller Interessen, die miteinander kollidieren können. Hierbei führt das BVerfG wiederum an, dass es sich bei den mitgeteilten Schriftstücken gerade nicht um Meinungen handelt, sondern um Tatsachen. Die Meinungsfreiheit sei also nur mittelbar betroffen. Besonders interessant ist aber das Argument der Waffengleichheit: § 353d Nr.3 StGB gilt grundsätzlich für alle Verfahrensbeteiligten. Wenn also nur der Angeklagte die Dokumente veröffentlichen dürfte, könnte dies wiederum zu einer einseitigen Berichterstattung führen – eine Gefahr für die prozessuale Wahrheitsfindung.
Damit stellt das Bundesverfassungsgericht klar: § 353d Nr. 3 StGB dient nicht nur dem Schutz des Angeklagten, sondern auch dem Schutz eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Diese Schutzwirkungen kann ein Angeklagter aber nicht umgehen. Etwas anderes gilt jedoch, wenn nicht der Wortlaut selbst oder nur unwesentliche Bestandteile wiedergegeben werden.
Der Beschluss des BVerfG vom 27.06.2014 (Az.: 2 BvR 429/12) im Volltext.
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