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VG Wiesbaden: Videoüberwachung in Gerichtsgebäuden

VG Wiesbaden, Beschluss v. 20.01.2010, Az. 6 K 1063/09.WI

Die in einem Gerichtsgebäude dauerhaft und ohne besonderen Anlass praktizierte Videoüberwachung und Personenkontrolle stellt eine unzulässige Zugangshürde dar und verletzt das Gebot der Gerichtsöffentlichkeit (§ 169 GVG).

VERWALTUNGSGERICHT WIESBADEN

Beschluss

Aktenzeichen: 6 K 1063/09.WI

Verkündet am: 2010-01-20

Tenor:

1. Der Termin wird abgesetzt.

Neuer Termin erfolgt von Amts wegen.

2. Das Verfahren wird bis dahin ausgesetzt.

Gründe:

Das Gericht schließt sich der Auffassung des Klägervertreters an, dass eine Gerichtsöffentlichkeit nicht hinreichend gewährleistet ist, sondern vielmehr die begründete Befürchtung besteht, dass Interessierte an der Teilnahme an Gerichtsverhandlungen durch die in dem Gebäude vorhandene Videoüberwachung und Personenkontrolle gehindert bzw. abgeschreckt werden, an öffentlichen Sitzungen teilzunehmen.

Verhandlungen vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Entscheidung sind keine Geheimverhandlungen. Ihre öffentliche Zugänglichkeit regelt der Gesetzgeber im Rahmen seiner Befugnis zur Ausgestaltung des Gerichtsverfahrens und unter Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben, wie insbesondere des Rechtsstaats- und des Demokratieprinzips und des Schutzes der Persönlichkeit. § 169 GVG normiert für die ordentliche Gerichtsbarkeit den Grundsatz der Gerichtsöffentlichkeit. § 55 VwGO verweist auf § 169 GVG für den Bereich des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens.

Danach sind Gerichtsverhandlungen, soweit keine Ausnahmen vorgesehen sind, für jedermann zugänglich (BVerfG, Urteil vom 24.01.2001, Az. 1 BvR 2623/95, 1 BvR 622/99 Rdnrn. 60, 61 – nach Juris). Die Gerichtsöffentlichkeit ist gesetzlich als Saalöffentlichkeit vorgesehen. Das heißt, dass es keine Zugangshindernisse geben darf, die verhindern, dass beliebige Personen ohne besondere Schwierigkeiten den Gerichtssaal erreichen können (Kopp/Schneke, VwGO, 16 Aufl., § 55 Rdnr. 3). Dies erlaubt im Einzelfall in Verfahren, in denen die Sicherheit im Gebäude nicht oder nicht ohne weiteres gewährleistet erscheint, auch dass nur Personen Zutritt erhalten, die sich besonders ausweisen (BGH, Urteil vom 06.10.1976, Az. 3 StR 291/76).

Maßnahmen, die den Zugang zu einer Gerichtsverhandlung nur unwesentlich erschweren und dabei eine Auswahl der Zuhörerschaft nach bestimmten persönlichen Merkmalen vermeiden, sind grundsätzlich nicht ungesetzlich, wenn für sie ein die Sicherheit im Gerichtsgebäude berührender verständlicher Anlass besteht. Worin solche Maßnahmen im Einzelfall bestehen müssen, damit das angestrebte Ziel erreicht wird, muss dem pflichtgemäßen Ermessen des die Sitzungspolizei ausübenden Vorsitzenden oder, wenn auf ein Verfahren bezogen die Sicherheit des ganzen Gerichtsgebäudes gefährdet erscheint, des das Mausrecht ausübenden Gerichtspräsidenten überlassen bleiben. Dies kann sich jedoch nicht auf einen Dauerzustand beziehen, sondern nur im Rahmen eines einzelnen Verfahrens von Bedeutung sein. Denn nicht alle Verfahren rechtfertigen Zutrittskontrollen, wie sie derzeit praktiziert werden.

Dass durch die Zusammenlegung der Gerichte in einem Gebäude eine permanente Gefahr für das Gebäude als solches besteht, dürfte ernstlich nicht in Erwägung zu ziehen sein, da ansonsten zur Gefährdungsminimierung eine Zusammenführung der Gerichte und Staatsanwaltschaft in einem Gebäude nicht hätte erfolgen dürfen. Sie wäre darüber hinaus ein unzulässiger Eingriff der Justizverwaltung in die Verfahren.

Insoweit sind Zugangshürden nur in einzelnen Verfahren und bezogen auf diese Verfahren berechtigt und stellen nur dann insoweit keinen Eingriff in die Öffentlichkeit da.

Das ist, vorliegend jedoch nicht der Fall. Hinzu kommt vielmehr, dass eine Videobeobachtung der Gerichtsöffentlichkeit innerhalb des Gebäudes einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt. So hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 11.08.2009, Az. 2 BvR 941/08, Rdnr. 15, zu Videoaufzeichnungen zur Geschwindigkeitsmessung ausgeführt:

„In der vom Beschwerdeführer angefertigten Videoaufzeichnung liegt ein Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenze persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen (vgl. BVerfGE, 65, 1, 42 f.). Durch die Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials wurden die beobachteten Lebensvorgänge technisch fixiert. Sie konnten später zu Beweiszwecken abgerufen, aufbereitet und ausgewertet werden.“.

Das Filmen von Personen außerhalb der mündlichen Verhandlung ist wegen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nur zulässig, wenn die Betroffenen ihr Einverständnis erklärt haben.

Daran fehlt es vorliegend. Der Einzelne kann beim Betreten des Gebäudes nicht erkennen, ob er zu diesem Zeitpunkt videoüberwacht wird oder nicht. Entsprechende große erläuternde Hinweise fehlen vor Betreten des Gebäudes. Eine Verantwortlichkeit bei fünf Gerichten und einer Staatsanwaltschaft für die Videoüberwachung ist ebenfalls nicht ersichtlich. Es ist nicht klar, welches Gericht oder die Staatsanwaltschaft diese hier ausübt. Selbst wenn zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Videokameras ausgeschaltet sein sollten, müsste dies nach Außen hin kenntlich gemacht werden. Andernfalls ist davon auszugehen, dass die Gerichtsöffentlichkeit überwacht wird und damit die Öffentlichkeit des Verfahrens nicht mehr gegeben ist.

In seiner Entscheidung vom 15.12.1983 zum Volkszählungsurteil führt das Bundesverfassungsgericht aus: „Die Möglichkeit der modernen Datenverarbeitung sind weiterhin nur für Fachleute durchschaubar und können beim Staatsbürger die Furcht vor einer unkontrollierbaren Persönlichkeitserfassung selbst dann auslösen, wenn der Gesetzgeber lediglich solche Angaben verlangt, die erforderlich und zumutbar sind (Leitsatz 2)“.

Hinzu kommt, dass die Gerichtsöffentlichkeit kein Störer im Sinne des Polizeirechts ist, weshalb sie bei dem Betreten des Gebäudes als Nichtstörer zu betrachten sind. Ein Nichtstörer darf zwar auf seine Person beim Betreten des Gebäudes kontrolliert werden, dies kann jedoch nicht dazu führen, dass bei einem Verfahren ohne Gefährdungslage eine derart intensive Kontrolle durchgeführt wird, wie sie in Hochsicherheitstrakten bzw. bei Flughäfen der Fall ist.

Auch bietet § 14 Abs. 4 Satz 2 HSOG keine hinreichende Rechtsgrundlage für eine dauerhafte Videoüberwachung unter Berufung auf das Hausrecht (im vorliegenden Fall, von wem?). Denn ein Gericht ist schon vom Grundsatz her keine besonders gefährdete öffentliche Einrichtung. Jedenfalls gehen die Verfahrensordnungen auch der eventuellen Befugnis zur Videoüberwachung im Rahmen eines allgemeinen Hausrechtes vor.

Unter diesen Umständen sieht das Gericht bei weiterer Durchführung der mündlichen Verhandlung ein absoluten Revisionsgrund gegeben, den es zwingend zu vermeiden gilt.

Die Justizverwaltung wird gebeten, dem Gericht mitzuteilen, wann, zu welcher Uhrzeit, an welchem Ort, ein entsprechender geeigneter Sitzungssaal gegeben ist, an dem eine Gerichtsöffentlichkeit gewährleistet ist.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird das Verfahren ausgesetzt.

Via http://openjur.de/u/32316-6_k_1063-09wi.html

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Weitere Fundstellen: NJW 2010, 1220.

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