Zum Umfang und zum Verhältnis der durch Art.5 Abs.1 Satz 2 GG gewährleisteten Freiheit des Rundfunks zur Programmgestaltung und der durch Art.21 Abs.1 GG garantierten Freiheit und Gleichheit der Parteien namentlich in Wahlkampfzeiten (hier: Zuteilung von Sendezeiten für Wahlwerbespots und Besetzung redaktionell gestalteter Fernsehdiskussionen), zur Doppelfunktion der Fraktionen sowie zur Erforderlichkeit der Inanspruchnahme von Rechtsschutz zur Abwendung drohender Wahlfehler vor einer Wahlprüfung.
1. Die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit des Rundfunks zur Programmgestaltung und die in Art. 21 Abs. 1 GG garantierte Freiheit und Gleichheit der Parteien müssen im Wege der praktischen Konkordanz einander so zugeordnet werden, daß keine der konkurrierenden Freiheiten einseitig zu Lasten einer anderen durchgesetzt wird.
2. a) Ein originärer, dem Grundgesetz unmittelbar zu entnehmender Anspruch auf Zuteilung von Sendezeiten läßt sich für die politischen Parteien weder aus ihrer Mitwirkungsbefugnis bei der politischen Willensbildung (Art. 21 Abs. 1 GG) noch aus dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und – verbreitung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), noch aus der der Freiheit der Meinungsbildung dienenden Funktion der Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) ableiten (Anschluß an BVerfGE 47, 198 [237]; BVerfG NJW 1994, 40; BVerwGE 75, 67 [70]; 87, 270 [272]).
b) Auch soweit die Rundfunkanstalten Entscheidungen darüber treffen, ob politische Parteien als Veranstalter eigener Wahlwerbespots zugelassen werden, handeln sie im Rahmen der Rundfunkfreiheit. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, für diese Entscheidungen eine rechtliche Ordnung vorzugeben, durch die sichergestellt wird, daß die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk möglichst breit und vollständig Ausdruck findet. Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG umfaßt auch das Recht der Rundfunkanstalt, selbst zu bestimmen, wen sie als Diskussionspartner zu einer redaktionell gestalteten Fernsehdiskussion einladen will. Soweit solche Sendungen wahlwerbende Wirkung haben, hat die Rundfunkanstalt das Recht der Parteien auf gleiche Chancen im Wettbewerb um Wählerstimmen zu beachten. Dabei darf der Begriff der wahlwerbenden Wirkung nicht zu eng bestimmt werden.
3. a) Die Fraktionen haben als parlamentarische Repräsentanten der politischen Parteien eine Doppelfunktion. Sie sind einerseits Teile des Parlaments und damit Teile des staatorganschaftlichen Bereichs, andererseits Repräsentanten einer Partei. Anders als rein staatliche Organe unterliegen die Fraktionen aufgrund ihrer Doppelstellung keinem Neutralitätsgebot. Allerdings erfordert die Tatsache, daß die Fraktionen nicht nur Vertreter der Parteien im Parlament, sondern in dieser Eigenschaft auch gleichzeitig Teil eines staatlichen Organs sind, daß ihre Öffentlichkeitsarbeit von Sachlichkeit und Objektivität getragen ist.
b) Wahlwerbende Annoncen dürfen nicht mit Mitteln finanziert werden, die den Fraktionen aus der Staatskasse zugeflossen sind.
4. Wähler, Gruppen oder Vereinigungen von Wählern, die sich in ihrer Wahlfreiheit oder Chancengleichheit verletzt fühlen, müssen die vorhandenen Rechtsschutzmöglichkeiten ausschöpfen, um einen Wahlfehler zu vermeiden. Erst wenn dieser zumutbare Eigenschutz erfolglos geblieben ist, kann die entsprechende Wahlrechtsverletzung erfolgversprechend in einem Wahlanfechtungsverfahren gerügt werden. Dies ergibt sich in erster Linie aus der Verantwortung des Aktivbürgers für den das Parlament konstituierenden Wahlakt und dem Respekt vor der zu treffenden Entscheidung des Wahlvolkes.
in dem Wahlprüfungsverfahren betreffend die Wahl zur 14. Bremischen Bürgerschaft am 14. Mai 1995
Entscheidungsformel:
Die Beschwerden der Antragsteller gegen die Beschlüsse des Wahlprüfungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 12. Februar 1996 (WP 6/95 und WP 5/95) werden zurückgewiesen.
I.
Gegenstand des Verfahrens ist die Gültigkeit der Wahl zur Bremischen Bürgerschaft vom 14. Mai 1995.
Am 30. Juni 1994 beschloß die Bremische Bürgerschaft (Landtag) ein Gesetz zur Änderung der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen, das am 16. Oktober 1994 durch Volksentscheid angenommen und am 7. November 1994 verkündet worden ist (Brem.GBl. 1994 S. 289). Nach Art. 76 Abs. 1 BremLV in seiner geänderten Fassung kann die Wahlperiode durch einen Beschluß der Bürgerschaft, der der Zustimmung von mindestens zwei Dritteln der Mitglieder der Bürgerschaft bedarf, vorzeitig beendet werden. Am 1. März 1995 beschloß die Bürgerschaft mit der erforderlichen Stimmenmehrheit die vorzeitige Beendigung der 13. Wahlperiode und setzte als Wahltag den 14. Mai 1995 fest. Gegen den Volksentscheid vom 16.Oktober 1994 sind mehrere Einsprüche eingelegt worden, die das Wahlprüfungsgericht durch Beschluß vom 2. Mai 1995 zurückgewiesen hat. Die dagegen eingelegten Beschwerden hat das Wahlprüfungsgericht 2. Instanz mit Entscheidung vom 29. Juli 1996 (St 3/95) zurückgewiesen.
Die Antragstellerin zu a), der die Antragstellerin zu b) und der Antragsteller zu c) angehören, bewarb sich neben 13 anderen Parteien bei der Wahl am 14. Mai 1995 um Sitze in der Bremischen Bürgerschaft. Nach der Feststellung des endgültigen Wahlergebnisses durch den Landeswahlleiter (BremABl. 1995, S. 453) entfielen auf die Antragstellerin zu a) – bei einem Stimmanteil von 2,47% im gesamten Land – im Wahlbereich Bremen 5808 Stimmen (= 2,02%) und im Wahlbereich Bremerhaven 2695 Stimmen (= 4,69%). Da die Antragstellerin zu a) in keinem Wahlbereich mindestens 5% der abgegebenen gültigen Stimmen errungen hatte, erhielt sie in der 14. Wahlperiode in der Bremischen Bürgerschaft keine Sitze (§ 7 Abs. 4 BremWG).
Die Antragsteller zu a) bis c) haben am 23. Juni 1995, der Antragsteller zu d) hat mit gleichlautenden Schreiben vom 30. Mai und 27. Juni 1995 über den Landeswahlleiter beim Wahlprüfungsgericht Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl vom 14. Mai 1995 eingelegt.
Zur Begründung haben sie im wesentlichen vorgetragen:
Die Wahl verstoße gegen Verfassungsrecht; die Bremische Bürgerschaft sei nicht befugt gewesen, die Wahlperiode vorzeitig zu beenden.
Die Wahl sei auch nicht ordnungsgemäß zustande gekommen. Im Urnenwahlbezirk 241/03 habe der Antragsteller zu d) feststellen können, daß in zwei Wahlumschlägen jeweils ein Stimmzettel für die Bürgerschaftswahl sowie jeweils zwei Stimmzettel für die Beiratswahl enthalten gewesen seien. Alle zur Wahl zugelassenen Parteien und Vereinigungen hätten im Wahlkampf einen Anspruch auf angemessene und gleiche Behandlung. Bei der Durchsetzung dieses Grundsatzes komme dem Landessender Radio Bremen mit seinen Fernsehsendungen eine besondere Rolle zu. Der Sender habe gegen den Grundsatz, alle zur Wahl zugelassenen Parteien und Vereinigungen im Wahlkampf angemessen und gleich zu behandeln, eklatant verstoßen, da er Wahlwerbung nicht zugelassen habe.
Im übrigen seien die Grundsätze der Wahlfreiheit und Wahlgleichheit verletzt worden, insbesondere dadurch, daß Rundfunk und Fernsehen unausgewogen berichtet und gegen die Neutralitätspflicht verstoßen hätten. Dem Antragsteller zu c) als Spitzenkandidaten der Antragstellerin zu a) sei die Teilnahme an Streitgesprächen im Programm „Buten & Binnen“ von Radio Bremen im Gegensatz zu den Kandidaten N. (CDU), J. (FDP) sowie F. (Bündnis 90/Die GRÜNEN) und R. (Wählergemeinschaft „Arbeit für Bremen“ – AfB -) verweigert worden; die Antragstellerin zu a) sei nicht zu der Livediskussion im Programm N3 am 10. Mai 1995 eingeladen worden.
Die CDU-Bürgerschaftsfraktion habe unter Mißachtung einer Sperrfrist von sechs Monaten in Tageszeitungen in Bremen und Bremerhaven unter Verwendung von Steuermitteln Anzeigen aufgegeben. Sie habe damit unter Verletzung von Verfassungsrecht Einfluß auf das Wahlverhalten der Bürger genommen.
Die SPD habe vor der vom Stadtamt Bremen festgesetzten 8-Wochen-Frist Wahlplakate aufgestellt, während die Antragstellerin zu a) die Erlaubnis erst mit Bescheid des Stadtamtes vom 29. März 1995 erhalten habe.
Der Antragstellerin zu a) sei die Erlaubnis zum Einsatz von Lautsprecherwagen zu Unrecht und ermessensfehlerhaft verweigert worden. Die Wahlplakate der Antragstellerin zu a) seien zerstört und gestohlen worden. Gewalttätige Gegendemonstrationen hätten ihr öffentliche Wahlveranstaltungen und das Aufstellen von Informationsständen unmöglich gemacht. Gegenüber Wahlhelfern sei teilweise Gewalt ausgeübt worden. Das Schalten von Wahlinseraten sei ihr von der Tagespresse verweigert worden.
Diese Wahlrechtsverletzungen seien entscheidend dafür gewesen, daß die Antragstellerin zu a) die 5%- Grenze nicht habe überwinden können. Im Wahlbereich Bremerhaven hätten ihr nur 177 Stimmen gefehlt, um Sitze in der Bremischen Bürgerschaft zu erlangen.
Der Beteiligte zu 2.) hat im wesentlichen ausgeführt: Einen Anspruch auf Wahlsendezeit habe die Antragstellerin zu a) nicht gehabt, da Radio Bremen keiner Partei eine solche Sendezeit eingeräumt habe. Der Vorwurf der Benachteiligung bei redaktionellen Rundfunk- und Fernsehsendungen sei unberechtigt. Die Redakteure hätten sich im Rahmen der ihnen verfassungsrechtlich verbürgten Presse- und Rundfunkfreiheit bewegt. Die Benutzung von Fraktionsmitteln für Inserate in der Tageszeitung sei den Fraktionen auch in der letzten Phase von Wahlkämpfen nicht verboten. Die Verletzung der vom Stadtamt Bremen gesetzten 8-Wochen-Frist in bezug auf die Plakatwerbung stelle keinen Wahlrechtsverstoß,
sondern eine Ordnungswidrigkeit dar.
Der Beteiligte zu 3.) hat von einer Stellungnahme abgesehen.
Mit Beschlüssen vom 12. Februar 1996 hat das Wahlprüfungsgericht die Anträge der Antragstellerinnen zu a) und b) und des Antragstellers zu c) (Verfahren WP 6/95) sowie des Antragstellers zu d) (Verfahren WP 5/95) abgewiesen. In den Gründen hat das Wahlprüfungsgericht ausgeführt:
Die Durchführung der Wahl mehrere Monate vor dem regulären Ablauf der 13. Wahlperiode am 14. Mai 1995 sei zulässig gewesen, da die Bürgerschaft gestützt auf Art. 76 Abs. 1 der Landesverfassung die 13. Wahlperiode durch Beschluß vom 1. März 1995 vorzeitig zum Ablauf des 7. Juni 1995 beendet und den Wahltag gem. Art. 76 Abs. 3 Landesverfassung auf den dem 70. Tag folgenden Sonntag festgelegt habe.
Die genannten Verfassungsbestimmungen seien gültig. Das Gesetz zur Änderung der Landesverfassung vom 1. November 1994 sei am 30. Juni 1994 durch die Bürgerschaft beschlossen und durch Volksentscheid am 16. Oktober 1994 angenommen worden. Das Wahlprüfungsgericht habe die Einsprüche gegen den Volksentscheid vom 16. Oktober 1994 durch Beschluß vom 2. Mai 1995 als unbegründet zurückgewiesen. Es gebe keinen Anlaß, die Rechtslage nunmehr anders zu berurteilen.
Unbegründet seien die Rügen, Radio Bremen habe Verfassungsrecht, insbesondere die Wahlgrundsätze der Wahlgleichheit und Wahlfreiheit, verletzt. Als Anstalt des öffentlichen Rechts dürfe Radio Bremen seine Aufgabe, der gesamten Bevölkerung als Medium und Faktor im Prozeß der freien Meinungsbildung zu dienen, nicht einseitig zum Nachteil einer Partei in einem Wahlkampf ausüben. Der Sender müsse sich im Wahlwettbewerb der politischen Partei neutral verhalten. Durch die Verweigerung von eigenen Sendezeiten für die DVU habe Radio Bremen nicht rechtswidrig gehandelt. Aus dem Verfassungsrecht lasse sich ein Anspruch auf Einräumung von Wahlwerbezeiten im Rundfunk nicht herleiten. Das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung und Meinungsverbreitung gebe niemandem ein Recht, Einrichtungen und Leistung einer Rundfunkanstalt für die Verbreitung der eigenen Meinung in Anspruch zu nehmen. Die
Rundfunkfreiheit sei nicht mit der Pflicht belastet, den politischen Parteien Sendezeiten einzuräumen. Eine solche Pflicht ergebe sich auch nicht aus der den Parteien nach Art. 21. Abs. 1 GG zukommenden Aufgabe, als Instrument der Demokratie an der Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Auch das für Radio Bremen maßgebliche Radio-Bremen- Gesetz (RBG) gebe Dritten keinen Anspruch auf Überlassung von Sendezeiten. Der Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinigten Deutschland und zu dem europäischen Fernsehkulturkanal regele die Ansprüche der politischen Parteien auf Sendezeit nur gegen die bundesweit verbreiteten Privatrundfunksender und gegen das Zweite Deutsche Fernsehen während der Beteiligung an Wahlen zum Deutschen Bundestag oder zum Europäischen Parlament.
Radio Bremen stehe bei der Entscheidung, dem Wunsch der DVU auf Sendezeit nachzukommen oder nicht, ein Ermessen zu. Bei der Ausübung dieses Ermessens sei der Sender zur Beachtung des sich aus dem Recht der Parteien auf Chancengleichheit im Wahlkampf gem. Art. 3 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 21. Abs. 1 GG ergebenden Neutralitätsgebots verpflichtet. Gegen dieses Gebot habe die Rundfunkanstalt nicht verstoßen. Durch den Beschluß des Direktoriums, keine Wahlwerbespots der Parteien zu senden, sei die DVU nicht rechtswidrig zurückgesetzt worden, da durch den Beschluß alle Parteien in gleichem Maße und in gleicher Weise betroffen gewesen seien.
In der Gestaltung der Sendung aus Anlaß der Vorbereitung zur Wahl der Bremischen Bürgerschaft sei weder eine Benachteiligung der DVU noch eine Verletzung der Wahlfreiheit und Wahlgleichheit zu sehen. Rundfunk- und Fernsehsendungen genössen den Schutz der Freiheit der Berichterstattung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG (Rundfunkfreiheit). Dieses Grundrecht sei in einem weiten Sinne zu verstehen. Der Umstand, daß die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten den Parteien als Teil der Staatsgewalt gegenüberstünden, schränke die Rundfunkfreiheit grundsätzlich nicht ein. Eine solche Begrenzung ergebe sich nur aus dem Gebot, daß das Gesamtprogramm der Rundfunkanstalten ein Mindestmaß an inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung aufweisen müsse. Dieses Gebot schließe die Pflicht ein, den Hörer und Zuschauer objektiv über die Gewichtsverteilung zwischen den bedeutsamen politischen Gruppen zu informieren. Die Rundfunkanstalt könne bei solchen journalistisch gestalteten Sendungen nach der Bedeutung der Parteien differenzieren. Dabei könne sie auch die ihr passend erscheinende Form der Präsentation des Stoffes bestimmen und die Themen zur Sprache bringen, an deren Erörterung ein Interesse bei den Zuhörern und Zuschauern zu erwarten sei. Unter diesem Gesichtspunkt sei es auch legitim, einzelne Personen, die sich um ein Mandat bewürben, zu den Sendungen einzuladen. Da die DVU am 6. Mai 1995 an einer in der Zeit von 18.00 Uhr bis 19.30 Uhr in dem Programm N3 gesendeten „Wahlanhörung“ teilgenommen habe, in der alle zur Wahl zugelassenen Parteien und Wählervereinigungen Gelegenheit zur Selbstdarstellung und Beantwortung von journalistischen Fragen gehabt hätten, und darüber hinaus in der letzten Woche vor dem Wahltag im Regionalmagazin „Buten & Binnen“ über den Wahlkampf der DVU berichtet worden sei, habe die Rundfunkanstalt das Mindestmaß an Ausgewogenheit bei Berücksichtigung der politischen Bedeutung der DVU nicht unterschritten. Es sei sachlich zu vertreten gewesen, die DVU nicht zu einer zweiten Wahlanhörung am 10. Mai 1995 unter dem Thema „Nie wieder Ampel – Wer soll Bremen regieren?“ einzuladen. Bereits das Thema lasse erkennen, daß sich die Rundfunkanstalt bei der Einladung der Vertreter der Parteien von dem Gesichtspunkt ihrer Fähigkeit zur Beteiligung an einer neuen Landesregierung habe leiten lassen. Aufgrund objektiver Kriterien habe angenommen werden können, daß nur die eingeladenen Parteien eine realistische Aussicht auf den Erwerb von Mandaten in der Bremischen Bürgerschaft und eine Chance auf Übernahme von Regierungsverantwortung gehabt hätten. Dies habe auch für die neu gegründete AfB gegolten. Radio Bremen habe aufgrund der bekannten demoskopischen Umfragen und anderer Umstände erwarten können, daß die AfB in die Bürgerschaft einziehen werde und eine Chance auf Übernahme von Regierungsverantwortung habe. Demgegenüber sei zwar die DVU in der Bürgerschaft bereits vertreten gewesen, im Laufe der 13. Wahlperiode der Bremischen Bürgerschaft habe sich jedoch die Bedeutung der DVU entscheidend vermindert. Dies zeige sich bereits darin, daß die DVU während der 13. Legislaturperiode ihren Fraktionsstatus verloren habe.
Sachlich begründet sei auch die Nichteinladung eines Vertreters der DVU zu den Streitgesprächen zwischen den Spitzenkandidaten N. (CDU), J. (F.D.P.) sowie R. (AfB) und F. (Bündnis 90/Die GRÜNEN) in der Sendung „Buten & Binnen“. Radio Bremen habe sich mit der Sendung in dem Bereich der Rundfunkfreiheit bewegt. Dies werde schon aus der Überlegung heraus deutlich, daß die Durchführung politischer Streitgespräche zwischen den Spitzenkandidaten zweier oder mehrerer Parteien im Fernsehen nur mit dem Einverständnis der in Frage kommenden Partner möglich sei. Das Einverständnis potentieller Gesprächskontrahenten werde immer dann fehlen, wenn diese in einer Auseinandersetzung mit dem Interessenten keinen politischen Vorteil sähen. Die DVU habe nicht einmal vorgetragen, daß Politiker gegnerischer Parteien zu einer Diskussion mit einem Vertreter der DVU bereit gewesen wären.
Soweit die DVU rüge, daß die Spitzenvertreter der SPD auf Bundesebene Gäste einer Talk-Show bei Radio Bremen gewesen seien, daß über einen Wahlkampfauftritt der CDU mit dem Bundeskanzler berichtet und der AfB ständig Wahlwerbung ermöglicht worden sei, müsse ihr entgegengehalten werden, daß die Rundfunkanstalten in Wahrnehmung ihrer grundrechtlich geschützten Freiheit der Berichterstattung die Auswahl der Gegenstände ihrer Berichte nach ihrem Ermessen am öffentlichen Interesse ausrichten könnten. Die DVU habe auch nicht dargelegt, daß sie mit Veranstaltungen oder Persönlichkeiten in Bremen hervorgetreten sei, über die wegen ihrer öffentlichen Wirkung zur Vermeidung einer sachwidrigen Benachteilung hätte berichtet werden müssen.
Die CDU-Bürgerschaftsfraktion habe durch Veröffentlichung ihrer „Leistungsbilanzen Teil 1 und 2“ in der Nordsee-Zeitung vom 21. März 1995 und im Weser-Kurier vom 22. März 1995 nicht rechtswidrig gehandelt. Die Anzeigen trügen zwar unverkennbar Züge einer Wahlwerbung; dies mache sie jedoch nicht unzulässig. Die Verpflichtung einer Regierung oder anderer Organe der Exekutive, sich in Wahlkampfnähe mit Leistungsberichten zurückzuhalten, treffe die Parlamentsfraktionen nicht. Eine Bürgerschaftsfraktion unterliege anders als die Organe der Regierung nicht der Neutralitätspflicht. Ihre unmittelbar durch Wahl legitimierten Angehörigen repräsentierten eine Partei im Parlament. Eine Fraktion dürfe deshalb grundsätzlich im Wahlkampf werbend nach außen auftreten. Allerdings sei die Befugnis einer Fraktion, Wahlwerbung zu betreiben, nicht unbeschränkt. Eine Fraktion dürfe ihre Befugnis, für sich zu werben, nicht
zum Nachteil politischer Konkurrenten mißbrauchen, indem sie die ihr für ihre Arbeit zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel übermäßig und massiv für Wahlkampfzwecke einsetze. Auf diese Weise verschaffe sie sich mit Mitteln des zur Neutralität verpflichteten Staates einen illegitimen Vorteil gegen schwächere politische Konkurrenten, denen solche Mittel nicht gewährt worden seien. Indem die CDUBürgerschaftsfraktion die ihr für ihre Aufgaben nach der Landesverfassung, dem Bremischen Abgeordnetengesetz und der Geschäftsordnung zugeflossenen Haushaltsmittel zur Finanzierung der Anzeigen verwendet habe, habe sie sich möglicherweise im Grenzbereich des Zulässigen bewegt. Einerseits habe sie ihr Recht wahrgenommen, die Öffentlichkeit über ihre Tätigkeit und damit auch über das Ergebnis ihrer politischen Überlegungen zu unterrichten; andererseits sei von den Anzeigen wegen der bevorstehenden Wahl auch eine werbende Wirkung ausgegangen. Ein Mißbrauch durch massiven und übermäßigen Einsatz ihrer Mittel zu einem verbotenen Zweck und eine Überschreitung der Grenzen des Zulässigen zu Lasten der Antragstellerin zu a) könne jedoch nicht festgestellt werden. Zwei fast zeitgleiche Anzeigen könnten eine solche Feststellung nicht rechtfertigen. Hinzu komme, daß die Auflösung des Parlaments relativ kurze Zeit zurückgelegen habe, während der Wahltag und die „heiße Phase“ des Wahlkampfes noch relativ fern gelegen hätten. Da die Wahlperiode vorzeitig beendet worden sei, könne auch noch Nachholbedarf für die Öffentlichkeitsarbeit anerkannt werden.
Zu Unrecht mache die Antragstellerin zu a) geltend, daß sie von der Stadtgemeinde Bremen daran gehindert worden sei, durch Lautsprecherwagen von einem fahrenden Fahrzeug aus Wahlwerbung zu betreiben. Der maßgebliche Grund dafür, daß sie diese Art der Werbung in Bremen nicht habe durchführen können, sei in ihrem eigenen Verhalten zu suchen. Obwohl das Stadtamt Bremen ihr bereits am 3. April 1995 bekanntgegeben habe, eine (straßenrechtliche) Genehmigung werde nicht erteilt werden, und sie gefragt habe, ob ein rechtsmittelfähiger Bescheid gewünscht werde, habe sie nicht reagiert und sei erst eine Woche vor Ablauf der Wahlkampfzeit auf ihr Begehren zurückgekommen. Ihr Antrag auf eine einstweilige Anordnung gegen die Stadtgemeinde Bremen habe im wesentlichen daran scheitern müssen, daß die Zeit zu kurz gewesen sei, um die Berechtigung ihres Begehrens in tatsächlicher Hinsicht zu
überprüfen.
Der Beginn der Plakatwerbung auf den Straßen vor der vom Stadtamt Bremen festgesetzten 8-Wochen- Frist durch die SPD sei keine dem Staat oder der Stadtgemeinde Bremen zuzurechnende Wahlrechtsverletzung. Die Einspruchsführer hätten nichts dazu vorgetragen, daß staatliche oder kommunale Organe diese Ordnungswidrigkeit veranlaßt hätten oder bis zum Beginn der Frist mit geeigneten Mitteln hätten unterbinden können. Inwieweit der Antragstellerin zu a) dadurch Nachteile entstanden sein sollten, daß ihr das Stadtamt erst am 29. März 1995 eine Genehmigung für die Anbringung von Plakaten erteilt habe, lasse sich ihrem Vortrag nicht entnehmen; auch seien solche Nachteile nicht ersichtlich. Die Zerstörung von Wahlplakaten der DVU sei aus den gleichen Gründen für das Wahlprüfungsverfahren ohne Relevanz. Abgesehen davon sei die Beschädigung von Wahlplakaten eine allgemeine Erscheinung, die nicht nur die DVU treffe. Unsubstantiiert und deshalb nicht für die Feststellung von Wahlfehlern geeignet sei die Behauptung, der Antragstellerin zu a) seien Wahlinserate verweigert worden, sie sei an Wahlveranstaltungen und der Aufstellung von Informationsständen durch gewalttätige Demonstrationen gehindert und durch die Veröffentlichung von Wählerumfragen kurz vor der Wahl benachteiligt worden.
Die Entscheidung des Wahlprüfungsgerichts im Verfahren WP 6/95 ist dem Prozeßbevollmächtigen der Antragstellerin zu b) und des Antragstellers zu c) am 30. März 1996 und dem Vorsitzenden der Antragstellerin zu a) am 2. April 1996 zugestellt worden. Die Entscheidung im Verfahren WP 5/95 wurde dem Antragsteller zu d) am 30. März 1996 zugestellt.
Gegen den Beschluß im Verfahren WP 6/95 haben die Antragstellerin zu a) mit Schreiben vom 11. April 1996, die Antragstellerin zu b) mit Schreiben vom 12. April 1996 und der Antragsteller zu c) mit Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 11. April 1996 Beschwerde beim Wahlprüfungsgericht eingelegt. Der Antragsteller zu d) hat mit Schriftsatz vom 10. April 1996 Beschwerde gegen den Beschluß im Verfahren WP 5/95 eingelegt.
In der Sache beziehen sich die Antragstellerinnen und Antragsteller auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und tragen weiter vor:
Eine Anstalt des öffentlichen Rechts dürfe nicht einseitig zum Nachteil oder zum Vorteil einer Partei in den Wahlkampf eingreifen. Dies sei hier geschehen. Während andere Parteivertreter die Möglichkeit gehabt hätten, sich ständig in den Medien darzustellen, sei dies den Antragstellern verwehrt worden. Zur Ausgewogenheit der Berichterstattung gehöre, daß bei Angriffen gegen eine bestimmte Partei eine Gegenstellungnahme eingeholt und gesendet werde. Wenn überhaupt über die Antragstellerin zu a) berichtet worden sei, dann grundsätzlich nur negativ, ohne die Möglichkeit einer Richtigstellung. Die Antragstellerin zu a) hätte eine ganze Anzahl von Veranstaltungen in Bremen durchgeführt, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung gewährleistet gewesen wäre. Wegen zu erwartender gewalttätiger Gegendemonstrationen hätten sich die Gastwirte geweigert, Räumlichkeiten für öffentliche Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen. Die Partei sei daran gehindert gewesen, die ihr nach dem Grundgesetz und dem Parteiengesetz zustehenden Rechte wahrzunehmen. Die grundgesetzlich garantierte Versammlungsfreiheit sei in bezug auf die Deutsche Volksunion praktisch ausgeschaltet. Schon die Ankündigung einer öffentlichen Versammlung löse Gewaltakte und Gegendemonstrationen aus. Selbst nicht-öffentliche Versammlungen würden von politischen Gegnern mit Gewalt verhindert. Die zuständigen Staatsorgane seien offensichtlich nicht willens, die Versammlungsfreiheit zu schützen. Die Störungen und Gewalttaten gegen die DVU seien nur möglich, weil der Polizei „von oben“ defensive Zurückhaltung
auferlegt sei.
Im Gegensatz zur Auffassung des Wahlprüfungsgerichts halte der Landesrechnungshof die Schaltung von Fraktionsanzeigen innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten vor Wahlen für unzulässig. Die vorzeitige Plakatierung der SPD verletze den Grundsatz der Chancengleichheit. Deshalb hätte das Stadtamt die Beseitigung der Wahlplakate veranlassen müssen. Die Veröffentlichung von Wahlumfragen kurz vor der Wahl beeinträchtige die Wahl- und Entschließungsfreiheit. Während früher etwa 80% der Wähler ihre Entscheidung für eine bestimmte Partei schon Wochen vor der Wahl getroffen hätten und 10% entschlossen gewesen seien, Wahlenthaltung zu üben, legten sich heute nur noch 50% der Wähler langfristig fest. Gerade die letzten Tage vor der Wahl hätten eine zunehmende Bedeutung gewonnen. Eine bereits getroffene Entscheidung für eine Partei werde durch Umfragen wieder umgestoßen. Die Zahl der Spontan- und Wechselwähler nehme zu. Umfrageinstitute leisteten zunehmend „Wahlhilfe“ für eine bestimmte Partei.
Der Antragsteller zu d) trägt ergänzend vor, einige Punkte seines Einspruches seien in der Entscheidung überhaupt nicht erwähnt worden. So habe z.B. sein Vortrag zur Wahlmanipulation im Wahlbezirk 241/03 in der Entscheidung keinen Niederschlag gefunden.
Die Antagsteller beantragen,
Hilfsweise beantragen die Antragsteller,
Die Antragsteller beantragen weiter hilfsweise,
Der Präsident der Bremischen Bürgerschaft stellt den Antrag,
Er trägt im wesentlichen vor: Die Rüge, Radio Bremen habe die Verfassungsgrundsätze der Wahlgleichheit und Wahlfreiheit dadurch verletzt, daß der Sender den Parteien keine Sendezeit für Wahlwerbesendungen eingeräumt und einige Parteien nicht zu Livediskussionen und Streitgesprächen eingeladen habe, gehe fehl. Das Wahlprüfungsgericht habe zu Recht in seinen Entscheidungen ausgeführt, daß das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Meinungsverbreitung nicht das Recht enthalte, Einrichtungen und Leistungen der Rundfunkanstalten für die Verbreitung der eigenen Meinung in Anspruch zu nehmen. Das Recht der Rundfunkfreiheit räume auch nicht automatisch allen Parteien einen Anspruch auf Sendezeit ein. Vielmehr stehe es im Ermessen von Radio Bremen, Sendezeiten zu gewähren und Einladungen auszusprechen. Dieses Ermessen habe Radio Bremen nicht mißbraucht. Bei der Gestaltung des Programms ergebe sich für Radio Bremen eine Begrenzung der Gestaltungsfreiheit daraus, daß das Gesamtprogramm ein Mindestmaß an inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung aufweisen müsse. Außerdem müsse der Hörer und Zuschauer objektiv über die Gewichtsverteilung zwischen den bedeutsamen politischen Gruppierungen informiert werden. Ein Verstoß gegen diese Grundsätze durch Radio Bremen sei nicht feststellbar.
In der mündlichen Verhandlung am 16. November 1996 hat der Vertreter des Präsidenten der Bremischen Bürgerschaft auf Befragen zu Protokoll gegeben, daß der CDU-Bürgerschaftsfraktion im Jahre 1994 DM 2.891.221,37 an öffenlichen Fraktionsgeldern und DM 1.595,89 an Fraktionsmitteln aus anderen Quellen zugeflossen seien. Im Jahre 1995 habe die CDU-Bürgerschaftsfraktion DM 2.959.339,65 an Fraktionsgeldern und DM 85.133,15 an „Drittmitteln“ erhalten. Diese „Drittmittel“ seien nach seiner Kenntnis in der zweiten Jahreshälfte an die Fraktion geflossen. Es handele sich um Mittel der CDU. Die Kosten für die von der CDU-Bürgerschaftsfraktion geschalteten Inserate wurden von ihm mit DM
47.198,76 beziffert.
Der Landeswahlleiter der Freien Hansestadt Bremen hat keine Stellungnahme abgegeben und keine Anträge gestellt.
Der Staatsgerichtshof hat die Verfahren St 4/96 (Beschwerde gegen den Beschluß des Wahlprüfungsgerichts im Wahlprüfungsverfahren WP 5/95) und St 5/96 (Beschwerde gegen den Beschluß des Wahlprüfungsgerichts im Wahlprüfungsverfahren WP 6/95) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen St 5/96 verbunden.
Die Beschwerden sind zulässig. Gemäß § 39 Abs. 1 des Bremischen Wahlgesetzes (BremWG) kann gegen Entscheidungen des Wahlprüfungsgerichts innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses schriftliche Beschwerde eingelegt werden. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes über den Staatsgerichtshof (BremStGHG) vom 18. Juni 1996 (Brem.GBl. S. 179) am 10. Juli 1996 ist der Staatsgerichtshof für Beschwerden gegen die Beschlüsse des Wahlprüfungsgerichts zuständig (§§ 34, 35 BremStGHG).
Die Beschwerden sind nicht begründet.
Sie könnten nach § 39 Abs. 2 BremWG nur Erfolg haben, wenn die Entscheidungen des Wahlprüfungsgerichts mit dem Grundgesetz, der Landesverfassung oder dem Wahlgesetz unvereinbar wären. Das ist jedoch nicht der Fall.
1. Die vorzeitige Beendigung der 13. Wahlperiode der Bremischen Bürgerschaft und die Festsetzung eines vorgezogenen Wahltermins für die Wahlen zur 14. Wahlperiode ist rechtlich nicht zu beanstanden und vermag deshalb die Ungültigkeit der Bürgerschaftswahlen vom 14. Mai 1995 nicht zu begründen. Die Möglichkeit einer vorzeitigen Beendigung der Wahlperiode durch Beschluß der Bürgerschaft und entsprechend vorzeitiger Neuwahlen beruht auf Art. 76 Abs. 1 Buchst. a) und Abs. 3 BremLV. Diese Bestimmungen sind der Landesverfassung durch das Gesetz zur Änderung der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 1. November 1994 (Brem.GBl. S. 289) eingefügt worden. Die vom Antragsteller zu d) gegen das Verfahren der Verfassungsänderung, insbesondere gegen den Volksentscheid vom 16. Oktober 1994 vorgetragenen Einwände sind der Sache nach vom Staatsgerichtshof als Wahlprüfungsgericht zweiter Instanz bereits in der Entscheidung vom 29. Juli 1996 (St 3/95) zurückgewiesen worden. Zu einer abweichenden Beurteilung besteht kein Anlaß.
Das Gesetz zur Änderung der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 1. November 1994 ist am 7. November 1994 verkündet worden und am 8. November 1994 in Kraft getreten. Von diesem Zeitpunkt an ist Art. 76 BremLV in seiner geänderten Fassung geltendes Recht und konnte somit von der Bremischen Bürgerschaft angewandt werden. Die Einschränkung, daß eine Auflösung der Bürgerschaft für die noch laufende Wahlperiode ausgeschlossen sein solle, enthält Art. 76 BremLV n.F. nicht; eine solche Einschränkung läßt sich der Verfassungsbestimmung angesichts der Eindeutigkeit des Wortlauts auch nicht, wie die Antragstellerinnen zu a) und b) und der Antragsteller zu c) meinen, durch Auslegung entnehmen. Auch das von diesen Antragstellern vorgetragene Argument, die Abgeordneten der Bürgerschaft hätten sich mit der vorzeitigen Auflösung selbst begünstigt, vermag nicht zu überzeugen, da in der Abkürzung der Wahlperiode durch Beschluß der Bürgerschaft eher eine Schlechterstellung der Abgeordneten der 13. Wahlperiode gesehen werden muß.
2. Unbegründet sind auch die Rügen, die Bürgerschaftswahl vom 14. Mai 1995 leide unter einem Wahlfehler, weil Radio Bremen keine Wahlwerbespots der politischen Parteien gesendet und die Antragstellerin zu a) und ihre Repräsentanten unzureichend im redaktionellen Programm berücksichtigt habe.
Maßgebend für die verfassungsrechtliche Beurteilung ist die in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit des Rundfunks einerseits und die in Art. 21 Abs. 1 GG garantierte Freiheit und Gleichheit der Parteien andererseits. Die Rundfunkfreiheit ist eine der Freiheit der Meinungsbildung dienende Freiheit: Diese vollzieht sich in einem Kommunikationsprozeß, in welchem dem Rundfunk die Aufgabe eines „Mediums“ und „Faktors“ zukommt (BVerfGE 12, 205 [260]). Es obliegt ihm, so breit und vollständig wie möglich zu informieren; er gibt dem einzelnen und den gesellschaftlichen Gruppen Gelegenheit zu meinungsbildendem Wirken und ist selbst an dem Prozeß der Meinungsbildung beteiligt (vgl. BVerfGE 57, 295 [319 f.]; 73, 118 [152]). Seine Vermittlungsfunktion im Prozeß der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung erfüllt der Rundfunk durch sein Programm. Rundfunkfreiheit ist daher vor allem Programmfreiheit. Sie gewährleistet, daß Auswahl, Inhalt und Gestaltung des Programms Sache des Rundfunks bleiben und sich an publizistischen Kriterien ausrichten können (vgl. BVerfGE 90, 60 [87]).
Die Programmfreiheit des Rundfunks ist aber durch die ebenfalls auf Verfassungsebene garantierte Freiheit und Gleichheit der Parteien beschränkt (vgl. BVerfGE 57, 295 [321]; 73, 118 [166]). Die politischen Parteien sind die verfassungsrechtlich notwendigen Instrumente, derer die Demokratie bedarf, um die Wähler zu politisch aktionsfähigen Gruppen zusammenzuschließen und ihnen so einen wirksamen Einfluß auf das staatliche Geschehen zu ermöglichen. Sie nehmen an der politischen Willensbildung des Volkes vornehmlich durch ihre Beteiligung an den Wahlen teil, die ohne die Parteien nicht durchgeführt werden könnten (BVerfGE 52, 63 [82]; 60, 53 [66]). Dabei sind Information, Argument und Überzeugung die wesentlichen Mittel, die die Parteien im Verhältnis zu den Bürgern einsetzen, um ihre Ziele zu erreichen (BVerfGE 47, 130 [140 ff.]; BVerwGE 87, 270 [272]). Für die Verbreitung ihrer Informationen, Argumente und werbenden Selbstdarstellungen kommt dem Rundfunk wegen seiner Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft besondere Bedeutung zu (vgl. BVerfGE 90, 60 [87]).
Die Freiheit des Rundfunks zur Programmgestaltung und die Freiheit und Gleichheit der Parteien müssen im Wege der praktischen Konkordanz einander so zugeordnet werden, daß keine der konkurrierenden Freiheiten einseitig zu Lasten einer anderen durchgesetzt wird. Das bedeutet nicht nur, daß die Programmgestaltung der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten einem strikten Neutralitätsgebot unterliegt, sondern schließt es auch aus, den Zugang zu den Rundfunkprogrammen ausschließlich in die Verfügungsgewalt der Rundfunkanstalten zu geben. Vielmehr ergibt sich aus der der Meinungsfreiheit und dem Informationsanspruch der Bürger dienenden Funktion der Rundfunkfreiheit einerseits und aus der Bedeutung des Mediums Rundfunk für die Parteienfreiheit und – gleichheit andererseits, daß die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten während des Wahlkampfes in ihrem Gesamtprogramm in angemessener Weise über alle nicht nach Art. 21 Abs. 2 GG verbotenen politischen Parteien informieren und ihnen dabei auch Raum zur Selbstdarstellung geben müssen.
Mißt man das von den Antragstellern gerügte Verhalten des Senders Radio Bremen in der Wahlkampfzeit vor den Bürgerschaftswahlen am 14. Mai 1995 an diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben, so läßt sich bei der gebotenen Gesamtwürdigung des Gesamtprogramms ein Wahlfehler nicht feststellen.
a) Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Weigerung Radio Bremens, Werbespots der Antragstellerin zu a) zu senden.
Ein originärer, dem Grundgesetz unmittelbar zu entnehmender Anspruch auf Zuteilung von Sendezeiten läßt sich für die politischen Parteien weder aus ihrer Mitwirkungsbefugnis bei der politischen Willensbildung (Art. 21 Abs. 1 GG) noch aus dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und -verbreitung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), noch aus der der Freiheit der Meinungsbildung dienenden Funktion der Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) ableiten. Der insoweit gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerfGE 47, 198 [237]; BVerfG, Kammerbeschluß vom 9. September 1993, NJW 1994, 40; BVerwGE 75, 67 [70]; 87, 270 [272]) schließt sich der Staatsgerichtshof an.
Auch soweit die Rundfunkanstalten Entscheidungen darüber treffen, ob politische Parteien als Veranstalter selbst gestalteter Wahlwerbespots zugelassen werden, handeln sie dabei im Rahmen der Rundfunkfreiheit. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, für diese Entscheidungen eine rechtliche Ordnung vorzugeben, durch die sichergestellt wird, daß die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk möglichst breit und vollständig Ausdruck findet. Wie der Gesetzgeber diese Aufgabe erfüllt, ist aber in den von der Rundfunkfreiheit gezogenen Grenzen Sache seiner Gestaltungskompetenz (BVerfGE 57, 295 [320 f.]; 73, 118 [153]; 74, 297 [324]). Diese Grenzen hat der bremische Landesgesetzgeber mit seiner Entscheidung, den politischen Parteien generell keinen Anspruch auf die Vergabe von Sendezeiten einzuräumen, nicht überschritten (Gesetz über die Errichtung und die Aufgaben einer Anstalt des öffentlichen Rechts – Radio Bremen – [Radio-Bremen-Gesetz – RBG -] vom 22. Juni 1993 [Brem.GBl. S. 197]). Die damit getroffene Entscheidung für das sog. „binnenpluralistische“ Modell, nach dem die Vielfalt der politischen Meinungen durch publizistische Vermittlung nach
den Regeln eines autonomen Journalismus im Gesamtprogramm zur Darstellung kommt, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerwGE 87, 270 [274 f.]).
Somit hatte Radio Bremen nach pflichtgemäßem Ermessen über die Zuteilung von Sendezeiten für Wahlwerbung an die Antragstellerin zu a) zu entscheiden. Daß der Sender diese Entscheidung in negativem Sinne getroffen hat, vermag einen Wahlfehler nicht zu begründen. Dabei beschränkt sich die Kontrolle des Staatsgerichtshofs im Wahlprüfungsverfahren im Gegensatz zu einer vollen Ermessenskontrolle im verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzverfahren (vgl. insoweit VG Bremen, Beschl. vom 22. März 1995 – 2 V 35/95, NJW 1996, 140; OVG Bremen, Beschl. vom 10. April 1995 – 1 B 30/95) auf die ergebnisbezogene Prüfung, ob die ablehnende Entscheidung einen Rechtsanspruch der Antragstellerin zu a) verkannt hat, ob also Radio Bremen wegen einer „Reduzierung seines Ermessens auf Null“ der Antragstellerin zu a) Sendezeiten für Wahlwerbesendungen hätte einräumen müssen. Das ist nicht der Fall. Der Radio Bremen zustehende Ermessensspielraum schloß grundsätzlich auch die von dem Sender im Wahlkampf vor den Bürgerschaftswahlen 1995 praktizierte Möglichkeit einer vollständigen Versagung gegenüber allen politischen Parteien ein (BVerwGE 87, 270 [275]). Eine Pflicht zur kompensatorischen Bevorzugung kleinerer und neuer Parteien, für die sich der völlige Wegfall selbstgestalteter Werbespots in besonderer Weise nachteilig auswirken mag, läßt sich dem verfassungsrechtlichen Gebot, nicht nur Gleiches gleich, sondern auch Ungleiches ungleich zu behandeln (Art. 3 Abs. 1 GG), nicht entnehmen. Der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz gebietet nicht, faktisch bestehende Ungleichheiten politischer Kräfte auszugleichen; denn damit würde der Staat in die politische Willensbildung eingreifen.
b) Auch die Rüge, die Antragstellerin zu a) und ihre Repräsentanten seien während des Bürgerschaftswahlkampfs von Radio Bremen in den redaktionellen Sendungen benachteiligt worden, führt, obwohl die Praxis des Senders insoweit nicht ohne Bedenken ist, im Ergebnis nicht zur Feststellung eines Wahlfehlers.
Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG umfaßt auch das Recht der Rundfunkanstalt, selbst zu bestimmen, wen sie als Diskussionspartner zu einer redaktionell gestalteten Fensehdiskussion einladen will (BVerfGE 82, 54 [58]). Es ist grundsätzlich der Rundfunk selbst, der aufgrund seiner professionellen Maßstäbe bestimmen darf, was der gesetzliche Rundfunkauftrag in publizistischer Hinsicht verlangt (BVerfGE 90, 60 [87]). Dem daraus resultierenden Ermessen der Rundfunkanstalt zur Entscheidung darüber, Vertreter welcher politischen Parteien sie an einer redaktionell gestalteten Sendung teilnehmen läßt, sind jedoch in Wahlkampfzeiten engere Grenzen gezogen. Soweit solche Sendungen wahlwerbende Wirkung haben, hat die Rundfunkanstalt das Recht der Parteien auf gleiche Chancen im Wettbewerb um Wählerstimmen zu beachten. Dabei darf der Begriff der wahlwerbenden Wirkung nicht zu eng bestimmt werden.
Wahlwerbend sind zunächst typische Wahlhearings, darüber hinaus aber auch solche redaktionell gestalteten Sendungen, die es im Wahlkampf stehenden Parteien und Wählergruppen objektiv ermöglichen, unmittelbar Einfluß auf das Wahlverhalten zu nehmen (vgl. BayVGH, Beschl. vom 8. Oktober 1990 – 25 CE 90.2929-, NVwZ 1991, 581; OVG Hamburg, Beschl. vom 8. September 1987 – Bs IV 668/87 -, NJW 1988, 928).
Die Chancengleichheit der Parteien wird während der Wahlkampfzeit nicht schon ausreichend dadurch gewahrt, daß für das redaktionelle Programm ein Mindestmaß an inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung gewährleistet ist (so noch BremStGH, Entsch. vom 4. Mai 1981 – St 1/80 -, BremStGHE 4, 111 [143]; dazu kritisch OVG Bremen, Beschl. vom 18. September 1991 – 1 B 53/91 -, DVBl. 1991, 1269). Auch reicht es nicht aus, daß dem Rundfunksender der Ausschluß einer Partei von einer redaktionellen Sendung nur dann verwehrt werden kann, wenn sich kein vernünftiger, sachlich einleuchtender Grund für die Differenzierung finden läßt und die Unsachlichkeit der Regelung offenkundig ist. Ein solches Willkürverbot ist im Hinblick darauf, daß die Einladungskriterien ergebnisorientiert festgelegt und den aktuellen politischen Wünschen angepaßt werden können, kein ausreichender Schutz. Vielmehr geht es um die Konsequenzen der oben entwickelten verfassungsrechtlichen Pflicht der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, in ihrem Gesamtprogramm in angemessener Weise über alle politischen Parteien zu informieren und ihnen dabei auch Raum zur Selbstdarstellung einzuräumen. Je näher eine Wahl rückt und je „heißer“ der Wahlkampf wird, umso stärkere Bindungen ergeben sich aus der Parteienfreiheit und -gleichheit auch für die Gestaltung wahlwerbender redaktioneller Sendungen – und dies erst recht, wenn innerhalb des Gesamtprogramms die Sendung von
Parteien-Wahlspots völlig ausgeschlossen worden ist. Allerdings gebietet es das Gebot der Chancengleichheit der Parteien nicht, daß allen Parteien in streng formaler Gleichbehandlung unabhängig von ihrer Größe und ihrem Einfluß eine Beteiligung an redaktionellen Sendungen offenstehen muß. Vielmehr bleibt aufgrund des Prinzips der abgestuften Chancengleichheit (BVerfGE 14,121 [137 ff.]; 48, 271 [277 f.]) ein Spielraum für redaktionelle Gestaltungsmöglichkeiten; auch während des Wahlkampfs ist die Rundfunkfreiheit nicht aufgehoben, sondern nur modifiziert (vgl. BayVGH, Beschl. vom 8. Oktober 1990, a.a.O.).
Auf der Grundlage dieser Bewertungsmaßstäbe ergibt sich für den konkreten Fall, daß Radio Bremen seiner Pflicht zu umfassender Information über alle wahlwerbenden politischen Parteien in verfassungsrechtlich gerade noch ausreichenden Weise nachgekommen ist.
aa)Bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung der redaktionellen Wahlsendungen vor der Bürgerschaftswahl am 14. Mai 1995 ist zunächst festzuhalten, daß die Antragstellerin zu a) am 6. Mai 1995 zu einer Wahlanhörung mit allen bei der Wahl angetretenen Parteien eingeladen worden ist. In dieser Wahlanhörung konnte jede Partei zwei Kandidaten präsentieren, die jeweils eine Minute Zeit hatten, um sich selbst vorzustellen, und jeweils zwei Minuten, um sich journalistischen Fragen zu stellen. In dieser Sendung hat Radio Bremen auf eine Praktizierung der abgestuften Chancengleichheit verzichtet, so daß die Antragstellerin zu a) in dieser Sendung, gemessen an den größeren Parteien, ein Übergewicht gehabt hat. Festzuhalten ist auch, daß Radio Bremen in der letzten Woche vor der Wahl über den Wahlkampf der DVU berichtet hat.
bb)Bei den Streitgesprächen zwischen den Spitzenkandidaten N. (CDU) und J. (F.D.P.) sowie R. (AfB) und F. (Bündis 90/Die GRÜNEN) in der Sendung „Buten & Binnen“ handelt es sich nicht um eine Sendung mit wahlwerbender Wirkung in dem oben erläuterten Sinne. Nach einer vor dem Verwaltungsgericht Bremen abgegebenen Stellungnahme der Chefredaktion von Radio Bremen (Beschl. vom 10. Mai 1995 – 2 V 59/95 -, NJW 1996, 141) handelt es sich um eine von der Redaktion seit Jahren gepflegte Institution, die nicht für den Wahlkampf erfunden worden ist und immer dann ins Programm gelangt, wenn eine politische Kontroverse von öffentlichem Interesse dazu Anlaß gibt und sich in zwei Gesprächspartnern personalisieren läßt. Daß es sich hier nicht um eine Wahlsendung handelt, ergibt sich insbesondere daraus, daß dieses Streitgespräch schon seit längerer Zeit in der Unterhaltungssendung „Buten & Binnen“ mit ständig
wechselnden Partnern stattfindet. Es wäre mit der Programmfreiheit nicht zu vereinbaren, wenn die Rundfunkanstalten in Wahlkampfzeiten auf Standardprogrammanteile, die bereits lange Jahre laufen, verzichten oder sie grundlegend verändern müßten, weil mit dem Auftreten von Politikern in diesen Sendungen auch eine gewisse wahlbezogene Nebenwirkung verbunden sein mag. Ein Indiz dafür, daß die Auswahl der Diskussionsteilnehmer jedenfalls keine die Antragstellerin zu a) betreffende Diskriminierung darstellt, daß Radio Bremen hier vielmehr einem langjährigen redaktionellen Konzept gefolgt ist, ist die Tatsache, daß auch Vertreter der SPD nicht zu einem solchen Streitgespräch vor der Wahl eingeladen worden sind.
cc) Auf einen problematischen Punkt verweist allerdings die Rüge der Antragsteller, die Chancengleichheit der Antragstellerin zu a) sei dadurch verletzt, daß keiner ihrer Vertreter zu der Sendung am 10. Mai 1995 mit dem Titel „Nie wieder Ampel – Wer soll Bremen regieren?“ eingeladen worden ist. Zwar ist aus dem Titel der Sendung zu entnehmen, daß nach dem redaktionellen Konzept der Rundfunkanstalt vor allem Vertreter der Parteien für die Sendung von Interesse waren, die für die künftige Regierung in Frage kommen konnten, sowie Vertreter der Parteien, die an der Ampelregierung beteiligt waren. Auch ist es aufgrund des deutlichen Zerfallsprozesses der DVU-Bürgerschaftsfrakton während der 13. Wahlperiode nachzuvollziehen, daß Radio Bremen der Antragstellerin zu a) wenig Aussicht einräumte, an der zukünftigen Regierung beteiligt zu werden. Doch erscheint es, insbesondere angesicht des Sendetermins unmittelbar vor dem Wahltag, unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit bedenklich, daß Radio Bremen sich bei diesem Thema auf Vertreter der alten und potentiellen neuen Regierungsparteien beschränkt und keine Vertreter der sonstigen Oppositionsparteien eingeladen hat. Hier hat der Sender nicht hinreichend berücksichtigt, daß der Ausschluß von einer voraussichtlich besonders publikumswirksamen Sendung die Chancen der Antragstellerin zu a) nachhaltig verschlechtern könnte (vgl. BVerfGE 82, 54 [59]).
dd)Die Rüge der Antragstellerinnen und Antragsteller, daß am 5 Mai 1995 in „Buten & Binnen“ ein Interview mit dem Bundeskanzler und dem Spitzenkandidaten der CDU stattgefunden habe, ohne die Antragstellerin zu a) zu einer Ausgleichsendung einzuladen, kann keinen Erfolg haben. Der Besuch des Bundeskanzlers in Bremen zählt zu den aktuellen Tagesereignissen, von denen der Bürger erwarten kann, daß hierüber in Rundfunk und Fernsehen berichtet wird. Daß der Bundeskanzler bei seinen Besuchen von einem Landesspitzenpolitiker seiner Partei begleitet wurde und bei dieser Gelegenheit dem Rundfunk und Fernsehen Rede und Antwort stand, entspricht den allgemeinen Gepflogenheiten und macht die Reportage nicht zu einer Sendung wahlwerbender Wirkung, für die das Gebot abgestufter Chancengleichheit gilt. Gleiches gilt für den Auftritt der Spitzenpolitiker der SPD L., Schr. und Scha. am Samstag, dem 29. April 1995, in der Sendung „Auf dem Swutsch“.
ee) Eine Gesamtwürdigung der von Radio Bremen veranstalteten redaktionellen Sendungen vor der Wahl führt zu dem Ergebnis, daß der Sender unter Berücksichtigung der Stärke und Bedeutung der Antragstellerin zu a) trotz der unter cc) dargelegten Bedenken die erforderliche Chancengleichheit der Parteien gerade noch gewahrt hat, so daß ein Wahlfehler nicht festgestellt werden kann.
3. Die Veröffentlichung von demoskopischen Umfragen kurz vor der Wahl stößt auf keine rechtlichen Bedenken. Das Recht, derartige Umfrageergebnisse zu veröffentlichen, ist durch Artikel 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt.
4. Soweit die Antragsteller rügen, eine Verletzung des Grundsatzes der gleichen Wettbewerbschancen der Parteien und Wahlbewerber liege darin, daß die CDU-Bürgerschaftsfraktion der Bremischen Bürgerschaft unter Einsatz der ihr gewährten öffentlichen Mittel durch Zeitungsanzeigen Wahlwerbung für die CDU betrieben habe, ist folgendes festzustellen:
a) Die Fraktionen haben als parlamentarische Repräsentanten der politischen Parteien eine Doppelfunktion. Sie sind einerseits Teile des Parlaments und damit Teile des staatsorganschaftlichen Bereichs, andererseits Repräsentanten einer Partei (BremStGHE 4, 111 [145 ff.]). Anders als rein staatliche Organe unterliegen die Fraktionen aufgrund ihrer Doppelstellung keinem Neutralitätsgebot. Allerdings erfordert die Tatsache, daß die Fraktionen nicht nur Vertreter der Parteien im Parlament, sondern in dieser Eigenschaft auch gleichzeitig Teil eines staatlichen Organs sind, daß ihre Öffentlichkeitsarbeit von Sachlichkeit und Objektivität getragen ist (BremStGH, Entsch. vom 29. Juli 1996 – St 3/95 unter II 7 b). Prüft man unter diesen Voraussetzungen die Annoncen der CDU-Bürgerschaftsfraktion, so kann festgestellt werden, daß ihnen einerseits ein wahlwerbender Charakter nicht abgesprochen werden kann, andererseits aber mit den Annoncen der politische Gegner nicht diffamiert, sondern überwiegend die Arbeit der Fraktion in der Vergangenheit dargestellt wird und die Ziele der Fraktionsarbeit für die Zukunft formuliert werden. Damit bewegen sich diese Anzeigen in dem zu fordernden Rahmen von Objektivität und Sachlichkeit.
b) Allerdings dürfen wahlwerbende Annoncen nicht mit Mitteln finanziert werden, die den Fraktionen aus der Staatskasse zugeflossen sind. Steuermittel werden von allen Staatsbürgern ohne Ansehen ihrer politischen Anschauung oder Parteizugehörigkeit erbracht; sie sind dem Staat zur Verwendung für das gemeine Wohl anvertraut. Diese Zweckbindung schließt es aus, daß bei einem so entscheidend auf das Staatsganze bezogenen Vorgang wie der Wahl der Volksvertretung die von der Allgemeinheit erbrachten und getragenen finanziellen Mittel des Staates zugunsten oder zu Lasten von politischen Parteien oder Bewerbern in parteiergreifender Weise eingesetzt werden (vgl. BVerfGE 44, 125 [143]). Demzufolge ist es den Fraktionen verwehrt, Fraktionsmittel, die ihnen von der öffentlichen Hand zugeflossen sind, zur Finanzierung des Wahlkampfes der Parteien zu verwenden. Verstößt die Fraktion gegen diesen Grundsatz und betreibt sie Wahlwerbung unter Einsatz der ihr gewährten staatlichen Zuschüsse, so wird damit zugleich das Recht der übrigen Parteien und Wahlbewerber auf gleiche Wettbewerbschancen verletzt, da der Grundsatz der gleichen Wettbewerbschancen nicht nur den Wahlvorgang selbst beherrscht, sondern auch für die Wahlvorbereitung Gültigkeit hat (vgl. BVerfG, Beschl. vom 19. Mai 1982 – 2 BvR 630/81 -, NVwZ 1982 , 613 ff., m. w. N. ).
Nach den zu Protokoll gegebenen Erklärungen des Präsidenten der Bremischen Bürgerschaft in der mündlichen Verhandlung am 16. November 1996 steht für den Staatsgerichtshof folgendes fest: Die CDU-Bürgerschaftsfraktion hat im Jahre 1994 DM 2.891.221,37 an Fraktionsgeldern aus öffentlichen Mitteln erhalten und weitere DM 1.595,89 aus anderen Quellen. Im Wahljahr 1995 sind der CDU-Bürgerschaftsfraktion DM 2.959.339,65 an Fraktionsgeldern aus öffentlichen Mitteln zugeflossen; einen weiteren Betrag in Höhe von DM 85.133,15 hat die Fraktion in der zweiten Hälfte des Jahres von der Partei erhalten. Die Kosten für die geschalteten Inserate bezifferte der Präsident der Bremischen Bürgerschaft mit DM 47.198,76. Da die Inserate in der ersten Hälfte des Jahres am 21. und 22. März 1995 in der Regionalpresse erschienen sind, steht für den Staatsgerichtshof fest, daß zu ihrer Finanzierung staatliche Fraktionsmittel verwendet wurden. In dieser Verwendung staatlicher Mittel für den Wahlkampf liegt ein Wahlfehler.
Der Hinweis des Präsidenten der Bremischen Bürgerschaft, kassentechnisch gelte für die Fraktionsmittel das Jährlichkeitsprinzip, kann an dieser Feststellung nichts ändern, da zum Zeitpunkt der Ausgabe dieser Mittel für Zeitungsinserate nur Fraktionsmittel aus öffentlichen Kassen zur Verfügung standen und nach dem Vortrag des Präsidenten der Bremischen Bürgerschaft nach langwierigen Verhandlungen mit der CDU diese weiteren Mittel erst in der zweiten Hälfte des Jahres geflossen sind. Deshalb ist davon auszugehen, daß zum Zeitpunkt des Erscheinens der Inserate nicht einmal feststand, wann und in welcher Höhe diese Mittel fließen würden. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob es sich bei diesen Mitteln in Höhe von DM 85.133,15 um Fraktionsmittel aus öffentlichen Kassen gehandelt hat, die die CDU zu erstatten hatte, oder um echte „Drittmittel“ an die Fraktion.
c) Dieser Wahlfehler ist jedoch nicht erheblich für den Ausgang der Wahl im Wahlbereich Bremerhaven oder im Wahlbereich Bremen gewesen, so daß er eine Feststellung der Ungültigkeit der Bürgerschaftswahlen vom 14. Mai 1995 nicht zu begründen vermag.
Die Möglichkeit, daß ein erwiesener Wahlfehler auf das Wahlergebnis von Einfluß sein kann, darf keine theoretische, sondern muß eine nach den allgemeinen Lebenserfahrungen konkrete und nicht ganz fernliegende sein (BVerfGE 89, 266 [273], m.w. N.). Entscheidend sind somit Aufmachung und Inhalt der Anzeige, der Zeitpunkt der Anzeige im Verhältnis zum Wahltag und das Ergebnis der Antragstellerin zu a) bei der Wahl am 14. Mai 1995.
Unter der Überschrift „Leistungsbilanz der CDU-Bürgerschaftsfraktion Teil 1 und Teil 2“ hat die CDUBürgerschaftsfraktion jeweils zwei Anzeigen in der Regionalpresse Bremens und Bremerhavens geschaltet. Die Anzeigen im Weser-Kurier nahmen ca. 3/7 einer Seite der Tageszeitung ein, die in der Nordsee-Zeitung Bremerhaven erschienenen Anzeigen ca. ½ Seite der Tageszeitung. Wie bereits oben erwähnt, kann diesen Anzeigen ein gewisser wahlwerbender Charakter nicht abgesprochen werden. Häufigkeit, Größe und Aufmachung der Anzeigen sprechen jedoch dafür, daß sie auf das Wahlverhalten der Bürger am 14. Mai 1996 keine Auswirkungen gehabt haben. Die aufgewendeten Kosten für diese Anzeigen sind innerhalb der Gesamtaufwendungen für den Wahlkampf von nicht erheblichem Gewicht.
Die Anzeigen erschienen ca. 7 ½ Wochen vor dem Wahltag in den genannten Tageszeitungen. Da Tageszeitungen, anders als Wochen- oder Monatszeitschriften, die in dem Zeitraum, für den sie bestimmt sind, immer wieder einmal zur Hand genommen werden, ein in der Sache begründetes kurzes Dasein haben, spricht die allgemeine Lebenserfahrung dagegen, daß der in den Anzeigen begründete Wahlfehler das Wahlergebnis beeinflußt haben kann. Die Vielfalt und Masse der Informationen durch Presse, Rundfunk und Fernsehen, denen sich der Bürger und Wähler kaum entziehen kann, begründen die hohe Wahrscheinlichkeit, daß die veröffentlichte Leistungsbilanz der CDU-Bürgerschaftsfraktion in der kurzlebigen Tagespresse sehr schnell wieder in Vergessenheit geraten ist und die 7 ½ Wochen später erfolgte Bürgerschaftswahl nicht beeinflußt hat.
Die Antragstellerin zu a) hat im Wahlbereich Bremerhaven knapp die 5%-Grenze verfehlt. Die auf ihre Vorschlagsliste entfallenen 2.695 Stimmen ergaben 4,69 % der abgegebenen gültigen Stimmen. Um die 5%- Grenze in diesem Wahlbereich zu erreichen, fehlten ihr demzufolge 178 Stimmen. Setzt man diese fehlenden Stimmen ins Verhältnis zu den erhaltenen, so ergibt sich, daß ca. 6,6 % mehr Wählerstimmen auf die Vorschlagsliste der Antragstellerin hätten entfallen müssen als tatsächlich entfallen sind. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen erscheint es unwahrscheinlich, daß ohne die Anzeigen der CDUBürgerschaftsfraktion die Antragstellerin zu a) ein Wahlergebnis erzielt hätte, das ihr den Einzug in die Bremische Bürgerschaft erlaubt hätte. Insgesamt kann deshalb eine Erheblichkeit des Wahlfehlers für den Ausgang der Wahl im Wahlbereich Bremerhaven nicht festgestellt werden.
Ist eine Erheblichkeit bereits für den Wahlbereich Bremerhaven nicht festzustellen, so muß dies umso mehr für den Wahlbereich Bremen und damit auch für das Land Bremen insgesamt gelten. Im Wahlbereich Bremen hätten auf die Vorschlagsliste der Antragstellerin zu a) mehr als das Doppelte an Stimmen entfallen müssen als sie erhalten hat, um einen Sitz in der Bürgerschaft zu erlangen.
Gleichwohl bleibt festzuhalten, daß die Ausgaben von Fraktionsmitteln aus öffentlicher Hand zur Wahlwerbung eine zweckwidrige Verwendung dieser Mittel ist, die zu einer Erstattungspflicht an die öffentliche Hand führen kann. Auf die Entscheidungen des Staatsgerichtshofes vom 19. Oktober 1996 in den Verfahren St 1/96 und St 2/96 wird hingewiesen.
5. Unbegründet ist weiterhin die Rüge, der Antragstellerin zu a) sei rechtswidrig und ermessensfehlerhaft der Einsatz eines Lautsprecherwagens in der Zeit vom 8. Mai 1995 bis zum 13. Mai 1995 zwischen 9.00 Uhr und 13.00 Uhr und 15.00 Uhr und 19.00 Uhr verweigert worden. Die Antragstellerin zu a) hatte beim Stadtamt Bremen am 27. März 1995 einen entsprechenden Antrag gestellt, den das Stadtamt in Fotokopie mit folgendem handschriftlichen Vermerk zurücksandte:
Daraufhin ließ die Antragstellerin zu a) ihren Antrag auf Einsetzung eines Lautsprecherwagens zunächst ruhen und beantragte erst mit Schriftsatz vom 6. Mai 1995 beim Verwaltungsgericht Bremen im Wege der einstweiligen Anordnung eine Genehmigung für den Einsatz von Lautsprecherwerbung von einem fahrenden Fahrzeug aus. Mit Beschluß vom 9. Mai 1995 hat das Verwaltungsgericht diesen Antrag zurückgewiesen (Az: 4 V 91/95). Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen mit Beschluß vom 11. Mai 1995 zurück. In den Gründen führte das Oberverwaltungsgericht aus, es spreche einiges dafür, daß das Stadtamt den Ermessensrahmen des § 46 Abs. 1 Nr. 9 StVO mit dem Ablehnungsbeschluß vom 9. Mai 1995 zu eng gezogen habe, da der verfassungsrechtlichen Bedeutung von Parlamentswahlen ein grundsätzlicher Vorrang gegenüber den Belangen des Straßenverkehrs einzuräumen sei. Gleichwohl sei der Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht geboten, da der Verfahrensablauf zu erkennen gebe, daß die Antragstellerin ihrem jetzigen Begehren bislang selbst nicht eine Bedeutung beigemessen habe, die zur Abwendung wesentlicher Nachteile den Erlaß einer einstweiligen Anordnung erforderlich mache, und da aufgrund des jetzt unmittelbar bevorstehenden Wahltermins eine sachgerechte Prüfung der Voraussetzungen, unter denen der Einsatz von Lautsprecherwagen im Stadtgebiet der Antragsgegnerin in Betracht komme, nicht mehr vorgenommen werden könne (OVG Bremen Beschl. vom 11. Mai 1995 – Az 1 B 41/95). In Würdigung dieses vom Oberverwaltungsgericht festgestellten Sachverhaltes, kommt der Staatsgerichtshof zu dem Ergebnis, daß ein Wahlfehler nicht vorliegt. Dem liegen folgende grundsätzliche Überlegungen zugrunde:
Immer dann, wenn sich Wähler, Gruppen oder Vereinigungen von Wählern in ihrer Wahlfreiheit oder Chancengleichheit verletzt fühlen, ist es erforderlich, die vorhandenen Rechtsbehelfe und Rechtsmittel auszuschöpfen, um einen Wahlfehler zu vermeiden. Erst wenn dieser zumutbare Eigenschutz erfolglos geblieben ist, kann die entsprechende Wahlrechtsverletzung erfolgversprechend in einem Wahlanfechtungsverfahren gerügt werden. Dies ergibt sich in erster Linie aus der Verantwortung des Aktivbürgers für den das Parlament konstituierenden Wahlakt und dem Respekt vor der zu treffenden Entscheidung des Wahlvolkes. Damit stünde es nicht im Einklang, abwendbare Wahlfehler zunächst geschehen zu lassen und sie später als Argument gegen die Gültigkeit der Wahl zu verwenden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß Wahlen als Massenvorgang besonders fehleranfällig sind.
Aufgrund dieser Überlegungen ist festzustellen, daß die Antragstellerin zu a) für das Unterbleiben des Einsatzes eines Lautsprecherwagens in Bremen wegen ihrer zögerlichen Rechtsverfolgung soviel Mitverantwortung trägt, daß sie mit dieser Rüge im Wahlanfechtungsverfahren keinen Erfolg haben kann. Hätte die Antragstellerin zu a) ihren Genehmigungsantrag auf den Hinweis des Stadtamtes vom 3. April 1995 nicht mehrere Wochen liegen lassen, sondern einen rechtsmittelfähigen Bescheid verlangt, um dann – wie in Bremerhaven geschehen – die Verwaltungsgerichte anzurufen, wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit spätestens durch Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Bremen im Wege der einstweiligen Anordnung die Genehmigung erteilt und die Möglichkeit eines Wahlfehlers vermieden worden.
6. Soweit die Antragsteller weiter rügen, die SPD habe vor der vom Stadtamt festgesetzten 8-Wochen-Frist mit der Plakatwerbung in den Straßen begonnen und der Antragstellerin zu a) sei die Erlaubnis zum Aufstellen von Plakaten erst am 29. März 1995 erteilt worden, ist der Vortrag so unsubstantiiert, daß ein Wahlfehler nicht festgestellt werden kann.
a) Gem. § 38 Abs. 1 und 2 BremWG erfolgt die Prüfung der Wahl nur auf Einspruch, der zu begründen ist. Hieraus folgt, daß die Antragsteller substantiiert Tatsachen vortragen müssen, aus denen sich die Verletzung des Grundgesetzes, der Landesverfassung oder des Wahlgesetzes ergeben soll. Von dieser Darlegungslast werden die Beschwerdeführer auch nicht durch den in diesem Verfahren anzuwendenden Grundsatz der Amtsermittlung befreit (BVerfGE 48, 271 [280]). Dieser Rechtsprechung hat sich das (früher zuständige) Wahlprüfungsgericht II. Instanz in seiner Entscheidung vom 4. Mai 1981 angeschlossen (BremStGHE 4, 111 [145]). Hierbei wird nicht übersehen, daß das Bundesverfassungsgericht in einer späteren Entscheidung vor einer Überspannung der an die Substantiierungspflicht gestellten Anforderungen gewarnt hat (BVerfGE 85, 148 [159]). Im hier zu entscheidenden Fall fehlt es an einem Vortrag, zu welchem Zeitpunkt die SPD mit der Plakatwerbung begonnen hat, wo diese vorzeitige Plakatwerbung stattfand und wieviele Plakate schätzungsweise vorzeitig geklebt worden sind. Darüber hinaus ist auch in diesem Zusammenhang auf das unter Ziffer 5. Gesagte hinzuweisen, denn auch hier könnte ein Wahlfehler nur dann festgestellt werden, wenn das Stadtamt auf eine Beschwerde der Antragstellerin zu a) hin der vorzeitigen Plakatierung durch die SPD nicht Einhalt geboten
hätte.
b) Aufgrund der Tatsache, daß der Antragstellerin zu a) erst am 29. März 1995 die Erlaubnis zur Plakatwerbung erteilt wurde, ist ein Wahlfehler nicht festzustellen, da es an dem Vortrag fehlt, wann die Antragstellerin zu a) bei dem Stadtamt den Antrag gestellt und ob sie diesen Antrag mit der zu fordernden Nachdrücklichkeit verfolgt hat.
7. Schließlich können die Antragsteller auch keinen Erfolg mit ihrem Vortrag haben, öffentliche Veranstaltungen der Antragstellerin zu a) seien nicht möglich gewesen und deshalb unterblieben. Kein Gastwirt sei bereit gewesen, für öffentliche Veranstaltungen der Antragstellerin zu a) Räumlichkeiten zu vermieten. Wahlplakate der Antragstellerin zu a) seien in großer Anzahl zerstört worden, Strafanzeigen nicht bearbeitet oder die Verfahren mangels öffentlichen Interesses eingestellt worden. Die Tageszeitungen hätten sich geweigert, Wahlinserate zu schalten, gewalttätige Demonstranten seien gegen Informationsstände und Wahlhelfer tätlich vorgegangen. Die Antragsteller haben diese Rügen nur schlagwortartig in den Prozeß eingebracht. Für die einzelnen Behauptungen fehlt ein nachprüfbarer Tatsachenvortrag, aus dem hervorgeht, daß sich die Antragstellerin zu a) gegen diese Wahlrechtsverletzungen mit rechtsstaatlichen Mitteln zur Wehr gesetzt hat. Soweit die Antragstellerinnen und Antragsteller zu a) bis c) mit Schriftsatz vom 28. Oktober 1996 zu diesem Komplex einen Tatsachenvortrag beigebracht haben, handelt es sich um Ereignisse aus den Jahren 1992 und 1993; damit läßt sich kein Wahlfehler im Jahre 1995 feststellen.
Ob das Land Bremen die ihm gegenüber der Antragstellerin zu a) obliegende Schutzpflicht während des Wahlkampfes verletzt hat, kann der Staatsgerichtshof nicht feststellen, da ein entsprechender substantiierter Sachvortrag fehlt. Die dem Schriftsatz vom 8. Oktober 1996 der Antragsteller zu a) bis c) beigefügten Ausschnitte aus der Nordsee-Zeitung vom 8. August 1992 und der Bildzeitung vom 22. März 1993 lassen jedenfalls erkennen, daß den Mitgliedern und Anhängern der Antragstellerin zu a) Polizeischutz gewährt worden ist.
8. Die Rüge des Antragstellers zu d), die Bürgerschaftswahl vom 14. Mai 1995 sei durch Falschbestückung der Wahlumschläge manipuliert worden, ist unbegründet. Nach seinem eigenen Vortrag waren die Briefumschläge nicht mit zwei Stimmzetteln für die Bürgerschaftswahl, sondern für die Beiratswahl bestückt. Die Falschbestückung betrifft demzufolge nur die Beiratswahl, nicht jedoch die Bürgerschaftswahl. Die nach den Feststellungen des Landeswahlleiters durch den Wahlvorstand getroffene Entscheidung, die Stimmzettel für die Bürgerschaftswahl aus den falsch bestückten Umschlägen als gültige Stimme zu zählen, ist nicht zu beanstanden. Bei den Wahlen zur Bürgerschaft und den Wahlen zu den Beiräten handelt es sich um Wahlen unterschiedlicher Ebenen, für die getrennt gewählt und deren Ergebnisse getrennt ausgezählt werden. Eine Falschbestückung der Umschläge mit Stimmzetteln zur Beiratswahl ist deshalb für die Bürgerschaftswahl irrelevant.
9. Da nur in bezug auf die Rüge der Anzeigen der CDU-Bürgerschaftsfraktion ein Wahlrechtsverstoß festgestellt worden ist, der sich aber nicht so auf das Ergebnis in den Wahlbereichen Bremen und Bremerhaven ausgewirkt hat, daß die Antragstellerin zu a) bei Unterbleiben dieses Verstoßes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Sitze in der Bürgerschaft erhalten hätte, müssen die Beschwerden in vollem Umfang erfolglos bleiben.
Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.