OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 23.06.2015, Az. 11 S 45.14
1. Das bloße Bestreiten des Zugangs von Verwaltungsakten durch den Empfänger genügt grundsätzlich dann nicht, um die Zugangsvermutung des § 41 Abs. 2 S. 1 VwVfG zu entkräften, wenn der äußerst unwahrscheinliche Fall des Nichtzugangs einer größeren Zahl von Bescheiden behauptet wird.
2. Dies gilt jedoch nicht, wenn ein Vermerk der Behörde über die Aufgabe eines Bescheides zur Post fehlt (sog. Ab-Vermerk), sodass die Behörde in diesem Fall den Zugang des Bescheides beweisen muss.
3. Auch bei einem bestehenden Ab-Vermerk greift die Zugangsvermutung des § 41 Abs. 2 S. 1 VwVfG nicht, wenn in dem betreffenden Bescheid der enthaltende Adresszusatz objektiv falsch oder für den Zusteller zumindest verwirrend ist oder wenn der Adressat glaubhaft machen kann, dass ihn Postsendungen teilweise nicht erreichen.
Beschluss
Aktenzeichen: 11 S 45.14
Verkündet am: 2015-06-23
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. Juli 2014 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsgegner.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf unter 500,- EUR festgesetzt.
Gründe
Durch Beschluss vom 9. Juli 2014 hat das Verwaltungsgericht den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, „es zu unterlassen, gegen den Antragsteller aus den vermeintlichen Bescheiden vom 1. November 2013, 1. Dezember 2013 und 3. Januar 2014 zu vollstrecken.“ Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, es fehle der Nachweis, dass die genannten Beitragsbescheide dem Antragsteller bekannt gegeben worden seien. Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt werde, gelte gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dies gelte gemäß § 41 Abs. 2 Satz 3 VwVfG nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen sei; im Zweifel habe die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Zwar genüge das bloße Bestreiten des Zugangs durch den Antragsteller dann grundsätzlich nicht, wenn der Nichtzugang einer größeren Zahl von Bescheiden behauptet werde, weil der Verlust einer größeren Zahl von Postsendungen ohne erkennbaren Grund doch äußerst unwahrscheinlich sei. Etwas anderes gelte jedoch, wenn, wie hier, ein Vermerk der Behörde über die Aufgabe eines Bescheides zur Post (Ab-Vermerk) fehle. In diesem Fall habe die Behörde den Zugang des Bescheides zu beweisen, was hier nicht gelungen sei. Im Übrigen seien die Bescheide dem Antragsteller auch nicht im laufenden gerichtlichen Verfahren bekannt gemacht worden, da sie sich lediglich im Verwaltungsvorgang befänden und der Antragsteller keine Akteneinsicht genommen habe. Der Antragsgegner habe die Möglichkeit, die Bescheide dem Antragsteller in einer Weise bekannt zu machen, die einen Nachweis des Zugangs ermögliche.
Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde des Antragsgegners hat keinen Erfolg, weil sie eine Änderung des angefochtenen Beschlusses im Ergebnis nicht rechtfertigt. Zwar macht der Antragsgegner geltend, dass in der so genannten Historie des Beitragskontos, in der alle Vorgänge innerhalb des Beitragskontos vermerkt seien, elektronische Ab-Vermerke zu den streitgegenständlichen Bescheiden enthalten seien, was sich anhand eines beim Verwaltungsvorgang befindlichen Ausdrucks nachvollziehen lässt. Gleichwohl greift die Zugangsvermutung des § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG hier deshalb nicht, weil der Antragsteller Umstände dargelegt hat, die einen atypischen Geschehensablauf denkbar erscheinen lassen, weshalb es vorliegend auch keiner Stellungnahme bedarf, ob ein Ab-Vermerk in elektronischer Form grundsätzlich ausreicht. Denn zum einen hat der Antragsteller darauf hingewiesen, dass der auf sämtlichen in Rede stehenden Bescheiden enthaltene Adresszusatz „Parterre rechts“ objektiv falsch oder für den Zusteller zumindest verwirrend sei. Dem ist der Antragsgegner mit seinem hypothetischen Hinweis, dass links der Haustür, des Flures und der Treppe durchaus zwei Wohnungen liegen könnten, von denen der Antragsteller die Rechte bewohne, nicht überzeugend entgegengetreten. Zum anderen hat der Antragsteller, wie auch schon erstinstanzlich, darauf hingewiesen, dass ihn auch sonst Postsendungen teilweise nicht erreichen würden, und zur Glaubhaftmachung entsprechende Schreiben eines Kreditinstituts vom 8. August und 15. September 2014 vorgelegt. Überdies ist auch der Versuch des Gerichts, dem Antragsteller die Beschwerdeschrift zuzustellen, zunächst gescheitert.
Soweit der Antragsgegner erstmals in seinem Schriftsatz vom 8. September 2014 darauf zu sprechen kommt, dass die in Rede stehenden Bescheide nun nochmals mittels Postzustellungsurkunde zugestellt worden seien, liegt dieser Vortrag außerhalb der Frist zur Begründung der Beschwerde und muss deshalb außer Betracht bleiben (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).