OLG München, Urteil v. 26.09.1996, Az. 6 U 1707/96
1. Eine allgemeine Gesetzessammlung ist kein Werk i.S.v. § 4 UrhG, wenn es sich lediglich um eine lose Zusammenstellung ohne besondere Auswahl oder Anordnung handelt.
2. Auch redaktionell hinzugefügte Überschriften zu einzelnen Vorschriften erreichen keine ausreichende Schöpfungshöhe, um urheberrechtlichen Schutz in Anspruch nehmen zu können.
3. Die Übernahme einer solchen Gesetzessammlung ist auch wettbewerbsrechtlich zulässig.
Im Namen des Volkes
Urteil
Aktenzeichen: 6 U 1707/96
Verkündet am: 1996-09-26
Die Klägerin vertreibt nach der Einführung einer Diskettenversion im April 1994 seit Juni 1994 auf dem deutschen Markt eine CD-ROM mit dem Titel „Gesetze auf CD-ROM“. Auf dieser CD-ROM befinden sich folgende deutsche Gesetze:
BGB, AGB-Gesetz, HaustürWG, HGB, ScheckG, WechselG, EGV, EUV, GG, HausratsVO, NMV, WEG, ArbeitsplatzschutzG, BBiG, KSchG, TVG, EStDV, EStG, LStDV, AktG, GmbHG.
Bei einem großen Teil der nichtamtlichen Überschriften der einzelnen Gesetzesparagraphen formulierte die Klägerin die Überschriften neu.
Die Beklagte vertreibt seit Oktober 1994 auf dem deutschen Markt eine CD-ROM mit dem Titel „Deutsche Gesetze“. Auf der CD-ROM der Beklagten befinden sich dieselben Gesetze wie bei der Klägerin. Auch die Reihenfolge ist identisch.
Zusätzlich ist auf der CD-ROM der Beklagten das StGB vorhanden. Die Beklagte verwendete die CD-ROM der Klägerin, um Daten für ihre CD zu gewinnen.
Bei den Gesetzestexten des BGB und des HGB änderte die Beklagte die Überschriften der einzelnen Paragraphen bei den jeweils ersten 10 Paragraphen des Gesetzes.
Im übrigen entsprechen die Überschriften dort nahezu wörtlich den Überschriften auf der CD der Klägerin. Bei den Gesetzestexten zum Scheckgesetz, Wechselgesetz, EG-Vertrag, EU-Vertrag, Grundgesetz und GmbH-Gesetz stimmen die Überschriften der einzelnen Paragraphen in über 90 % der Fälle überein. Bei der Überschrift zu Art. 188 c des EG-Vertrages findet sich bei beiden CD-ROMs derselbe Schreibfehler.
Die Benutzeroberfläche und das Recherche-Programm der beiden von den Parteien vertriebenen CD-ROMs sind verschieden. Das Produkt der Klägerin arbeitet volltextorientiert, das Programm der Beklagten datenbankorientiert. Auch Bedienungsanleitung und graphische Gestaltung sind unterschiedlich.
Die Klägerin hat die Klageansprüche auf Urheberrechtsverletzung und wettbewerblichen Leistungsschutz gemäß § 1 UWG gestützt.
Die CD-ROM sei ein urheberrechtlich geschütztes Werk. Die Auswahl und Anordnung der einzelnen Gesetze sowie die Neufassung der Paragraphen-Überschriften seien schöpferische Leistungen der Klägerin. Das „Abkupfern“ der CD-ROM der Klägerin durch die Beklagte stelle eine unmittelbare Leistungsübernahme und damit einen Verstoß gegen die guten Sitten im Wettbewerb dar. Die CD-ROM der Klägerin weise wettbewerbliche Eigenart auf. Bei der rechtlichen Beurteilung müsse zwischen Programmebene und Datenebene differenziert werden. Die Problematik des vorliegenden Falles bewege sich ausschließlich auf der Datenebene.
(…)
Die zulässige Berufung der Beklagten führt zur Aufhebung des Ersturteils und zur Abweisung der Klage.
Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu, weil weder eine Urheberrechtsverletzung noch ein zu ihren Gunsten bestehender wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz in Betracht kommen.
1. Das Produkt der Klägerin ist nicht urheberschutzfähig.
Die Gesetzestexte sind keine Schöpfung der Klägerin. Jedoch kann in einer Auswahl und Anordnung von fremden Werken oder Beiträgen eine Schöpfung eines selbständigen Werks liegen (vgl. § 4 UrhG).
Erforderlich ist aber, daß hierin eine ausreichende Schöpfungshöhe zum Ausdruck kommt. Hieran fehlt es, wenn es sich lediglich um lose Zusammenstellungen handelt, bei denen das Schwergewicht auf den einzelnen Werken und nicht auf deren Auswahl oder Anordnung liegt.
Die Sammlung der Klägerin von 21 Gesetzen und Verordnungen auf einer CD-ROM zum Abrufen und persönlichen Gebrauch der einzelnen Vorschriften beinhaltet lediglich eine bloße Aneinanderreihung ohne übergeordnete Bedeutung.
Die Auswahl beschränkt sich auf die verschiedenartigsten Sachgebiete, die für jedermann als Benutzer in Betracht kommen. Besondere Gesichtspunkte der Auswahl und Zusammenstellung sind nicht ersichtlich. Insoweit unterscheidet sich vorliegender Sachverhalt von dem vom OLG Frankfurt entschiedenen Fall (GRUR 1986, 242 – Gesetzessammlung) betreffend eine Gesetzessammlung „Apotheken- und Arzneimittelrecht“.
2. Denkbar ist eine Werkschöpfung auch in der Ausarbeitung der Überschriften der einzelnen Paragraphen, soweit solche nicht, wie überwiegend, bereits im amtlichen Text enthalten sind.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Überschriften eine zusammenhängende Einheit bilden oder ob sie im Gesamtumfang der zusammengestellten Texte quantitativ überwiegen. Auch kleinste Textteile können urheberschutzfähig sein, wenn sie eine eigentümliche Schöpfung darstellen.
Die Klägerin hat daher zu Recht alle von der Beklagten identisch übernommenen Überschriften, insbesondere des BGB, HGB und GG, einzeln aufgelistet.
Keine dieser übernommenen Überschriften hat Schöpfungsqualität.
Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Klägerin aufgrund des zugrundeliegenden Zwecks einer möglichst kurzen und prägnanten Aussage über den Inhalt des Paragraphen, wobei weitgehend Worte aus dem Paragraphen verwendet werden, in einer freien Gestaltung bereits erheblich eingeschränkt war und diese Beschränkung auch wahrnahm.
So besteht jede Überschrift nur aus wenigen Worten, die überwiegend dem Paragraphentext entnommen sind. Hinzu kommt schließlich noch eine Vorbekanntheit der Überschriften in identischer Form oder unter weitestgehender Verwendung der Worte der Klägerin, wie sich aus dem Vergleich mit den von der Klägerin aufgelisteten Überschriften ergibt, die der B-Verlag bei seiner Gesetzessammlung „Schönfelder, Deutsche Gesetze“ verwendet.
Insbesondere stellt die bloße Umstellung der Wortreihenfolge keine eigenschöpferische Leistung dar.
3. Die Klägerin kann nicht einen wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz beanspruchen.
Ein solcher setzt eine wettbewerbliche Eigenart und besondere Unlauterkeitsmerkmale voraus, wobei in einer Gesamtschau die Wechselwirkung zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Intensität der Übernahme und den besonderen Unlauterkeitsmerkmalen zu würdigen ist.
4. Die wettbewerbliche Eigenart eines zu schützenden Produkts kann in Merkmalen bestehen, die auf die betriebliche Herkunft hinzuweisen geeignet sind.
In diesem Fall liegt das Anstößige der Handlungsweise in der Erzeugung einer Herkunftsverwechslung. Derartiges liegt beim Produkt der Beklagten nicht vor. Abgesehen von der Aufbewahrungsbox der CD-ROM, die die übliche Form hat, ist das Produkt der Beklagten äußerlich ganz anders aufgemacht und hängt sich in nichts an das Produkt der Klägerin. Das Cover ist vollständig anders gestaltet, die Herstellerbezeichnung der Beklagten ist ebenso klar wie bei der Klägerin angebracht.
Selbst die Vorderseite der Platte ist jeweils verschieden bedruckt. Die weitgehende Gleichheit des Inhalts der Platten ist zur Identifizierung der Herkunft nicht geeignet, da es sich um Gesetzestexte handelt, die keine individualisierenden Merkmale aufweisen. Das Produkt der Beklagten ist sonach für eine Herkunftstäuschung nicht geeignet.
5. Die wettbewerbliche Eigenart kann aber auch in Merkmalen liegen, die die Qualitätserwartungen des Originalprodukts hervorrufen. In diesem Fall liegt das Anstößige der Handlungsweise in der Erzeugung einer Qualitätsvorstellung und damit einer Ausnutzung eines Rufs des Originalprodukts und eine Anlehnung an dieses oder in einer Behinderung des Mitbewerbers durch Rufverschlechterung bei schlechterer Qualität oder durch Absatzbehinderung bei billigeren Preisen.
Entscheidend bei diesem Gesichtspunkt der Warenverwechslung ist dabei der übereinstimmende Gesamteindruck beider Waren, nicht dagegen die Übernahme von Einzelheiten.
Da es der Zweck von Gesetzestexten auf CD-ROM ist, diese zu fixieren und wiedergebbar zu machen, kommt dem Inhalt der Texte keine besondere Merkmalseigenschaft zu. Allenfalls inhaltlicher Umfang und Aktualität spielen eine bedeutendere Rolle.
Das Produkt der Klägerin geht inhaltlich über Durchschnittliches nicht hinaus, wobei das abgekürzte Verzeichnis auf dem Cover weniger erwarten läßt, als tatsächlich beim Betrieb sichtbar gemacht werden kann, während die Beklagte dort alle ihre Gesetzesvorschriften aufführt. Die von der Klägerin so sehr herausgestellte Bemühung um Aktualität samt der erforderlichen Aufwendungen hierfür findet keinen Niederschlag; ein Gesetzesstand ist nicht angegeben, allerdings auch nicht bei der Beklagten.
Ohne größere Bedeutung für den Gesamteindruck ist ferner die Fassung der Paragraphenüberschriften im einzelnen. Solche Paragraphenüberschriften sind bei neueren Gesetzen bereits amtlich üblich. Bei älteren sind sie von fast jedem Herausgeber eingefügt, wobei sie sich alle ähneln, da sie naturgemäß in knappster Fassung auf den Inhalt bezogen sind. Diese Überschriften stellen damit kein den Gesamteindruck des klägerischen Produkts entscheidend prägendes Merkmal dar.
6. Ein für den Gesamteindruck entscheidendes Merkmal stellt dagegen dar, welche Wiedergabeeigenschaften die CD-ROM der Klägerin für ihre Gesetzestexte hat, mit anderen Worten, was die integrierte Benutzungssoftware leistet. Während die Beklagte in ihrem Produkt durch eigene Entwicklung ein datenbankorientiertes Programm installiert haben will, im Gegensatz zu einem volltextorientierten Programm bei der Klägerin, greift die Klägerin das Softwaremerkmal bewußt nicht auf und will die Charakteristik ihrer CD-ROM auf die Datenebene beschränkt sehen.
Daß die Produkte der Parteien sowohl unter der allgemeinen Betriebssoftware DOS wie auch unter Windows lauffähig sind, ist heute und war beim Erscheinen der CD-ROM der Beklagten im Herbst 1994 vorbekannt.
7. Mangelt es mithin bereits an der wettbewerblichen Eigenart des klägerischen Produkts, so bedarf es keines Eingehens mehr auf die weiteren Fragen, ob allein die „Gewinnung gemeinfreier Rohdaten aus der CD-ROM der Klägerin“ zur Kombination mit einer eigenen Betriebssoftware eine ausreichende Intensität unerlaubter Übernahme in ein eigenes Produkt hat sowie ob die Beklagte gegenüber den Aufwendungen der Klägerin wirklich soviel eingespart hat, daß sie deshalb den Preis der Klägerin derart stark unterbieten konnte, sowie ob die Aufwendungen der Klägerin nicht bereits längst amortisiert sind.
(…)