OLG München, Urteil v. 17.09.2015, Az. U 3886/14 Kart
1. Der sachlich relevante Markt ist nach ständiger Rechtsprechung aus Sicht der Marktgegenseite nach dem Bedarfsmarktkonzept abzugrenzen. Danach sind einem (Angebots-) Markt alle Produkte zuzurechnen, die aus der Sicht der Nachfrager nach Verwendungszweck, Eigenschaft und Preislage zur Deckung eines bestimmten Bedarfs austauschbar sind.
2. Mit Blick auf die Preislage eines Koffers deckt ein bei einem Discountgeschäft angebotenes Billigprodukt nicht dieselben Verbraucherbedürfnisse wie ein hochpreisiger Koffer, da ausschlaggebend und kaufentscheidend in diesem Preissegment neben der Qualität insbesondere der mit einer bestimmten Marke bzw. einem bestimmten Hersteller verbundene und gewünschte Prestige- und Statuseffekt ist, der mit Produkten aus darunter liegenden Preissegmenten regelmäßig nicht zu erzielen ist.
3. Ein Unternehmen verfügt auf dem relevanten Markt über eine Spitzenstellung in dem Sinne, dass ihre Ware generell durch gleichartige Waren anderer Hersteller im Sortiment eines Händlers nicht ersetzbar ist, wenn es als Hersteller aufgrund der Qualität und Exklusivität seines Produkts ein solches Ansehen genießt und eine solche Bedeutung erlangt hat, dass der nachfragende Händler in seiner Stellung als Anbieter darauf angewiesen ist, gerade (auch) dieses Produkt in seinem Sortiment zu führen und sich daher vorhandene Möglichkeiten, auf andere Hersteller auszuweichen, nicht als ausreichend und zumutbar erweisen.
4. Knüpft ein Hersteller den Vertrieb seiner Waren im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems an konkrete vom Händler innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu erfüllende Voraussetzungen an die Gestaltung der Verkaufsfilialen, die der Händler jedenfalls nicht von vorneherein verweigert, so kann dies einen Missbrauch der relativen Marktmacht darstellen, wenn dem Händler nicht zuvor Gelegenheit gegeben wurde, die Filialen im vertraglich bedungenen Zeitraum gegebenenfalls vertragskonform umzugestalten.
Im Namen des Volkes
Urteil
Aktenzeichen: U 3886/14 Kart
Verkündet am: 17.09.2015
In dem Rechtsstreit
[…]
gegen
[…]
erlässt der Kartellsenat des Oberlandesgerichts München […] aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. Juni 2015 folgendes Urteil:
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts München l vom 9. September 2014 (Az.: 1 HK 0 7249/13) aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, den als Anlage K 1 der Klageschrift beigefügten und von der Klägerin rechtsverbindlich zum Abschluss angebotenen „Händlervertrag zum selektiven Vertriebssystem 2011“ nebst dazugehöriger Anlagen A bis F mit der Vertriebsberechtigung für alle sechs nachfolgend aufgeführten Filialen der Klägerin,
– K.-platz, 80335 München,
– T., 80331 München,
– N.-Straße, 80331 München,
– S.-Straße, 80331 München,
– H.-Straße, 80801 München, und
– S.-Straße, 93047 Regensburg
rechtverbindlich anzunehmen.
III. Die Beklagte wird verurteilt, die sechs in Ziffer II. aufgelisteten Filialen zu den Konditionen des als Anlage K 1 beigefügten „Händlervertrages zum selektiven Vertriebssystem 2011“ mit den Waren ihres jeweils aktuellen Produktsortiments zu den Preisen der jeweils aktuellen Händlerpreisliste und den für alle Vertragshändler der Beklagten geltenden Geschäftsbedingungen zu beliefern.
IV. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen.
V. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung aus Ziffer III. durch Sicherheitsleistung in Höhe von € 1.000.000,00 abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen kann die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten einen kartellrechtlichen Belieferungsanspruch geltend.
Die Klägerin vertreibt in ihren Filialen in München und Regensburg unter anderem Koffer und Taschen. Die Beklagte stellt hochwertiges Reisegepäck her, insbesondere Koffer aus Aluminium und Kunststoff. Sie stand mit der Klägerin über etwa vierzig Jahre lang in Geschäftsbeziehungen.
Der zuletzt zwischen den Parteien bestehende Händlervertrag wurde von der Beklagten mit Schreiben vom 4. Juni 2012 zum 30. September 2012 gekündigt. Auf den Abschluss eines neuen Händlervertrages („Händlervertrag zum selektiven Vertriebssystem 2011″, Anlage K 1) für die Filialen der Klägerin in München (K.-platz, T., N. Straße, S. Straße, H.-straße) und Regensburg (S.-straße) konnten sich die Parteien nicht einigen, da der Auftritt der Klägerin nach außen aus Sicht der Beklagten nicht dem Geschäftskonzept und der Marketingstrategie der Beklagten entspricht.
Die Klägerin sieht die Beklagte in der Pflicht, die genannten Filialen mit den von der Beklagten hergestellten Koffern zu beliefern und den als Anlage K 1 vorgelegten „Händlervertrag zum selektiven Vertriebssystem 2011″ abzuschließen. Die Klägerin hat ihre Ansprüche in erster Linie auf den Gesichtspunkt der Spitzenstellungsabhängigkeit, in zweiter Linie auf den Gesichtspunkt der Oligopolmarktbeherrschung und in dritter Linie auf den Gesichtspunkt der Einzelmarktbeherrschung gestützt.
Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt,
II. die Beklagte zu verurteilen, die sechs in Klageantrag zu Ziffer I. aufgelisteten Filialen der Klägerin zu den Konditionen des als Anlage K 1 beigefügten „Händlervertrages zum selektiven Vertriebssystem 2011“ mit den Waren ihres jeweils aktuellen Produktsortiments zu den Preisen der jeweils aktuellen Händlerpreisliste und den für alle Vertragshändler der Beklagten geltenden Geschäftsbedingungen zu beliefern.
Hilfsweise hat sie ergänzend zu Klageantrag Ziffer I. beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, den „Händlervertrag zum selektiven Vertriebssystem 2011“ nebst dazugehöriger Anlagen A bis F mit der Vertriebsberechtigung für alle sechs in Klageantrag Ziff. I. genannten Filialen der Klägerin rechtsverbindlich anzunehmen mit der Maßgabe, dass die Warenpräsentation im Schaufenster gemäß dem Händlervertrag in der Art erfolgt, wie sie sich aus den Anlagen K 18 und K 19 ergibt.
Höchsthilfsweise hat sie ergänzend zum ersten Hilfsantrag beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, den „Händlervertrag zum selektiven Vertriebssystem 2011“ nebst dazugehöriger Anlagen A bis F mit der Vertriebsberechtigung für alle sechs in Klageantrag Ziff. I. genannten Filialen der Klägerin rechtsverbindlich anzunehmen mit der Maßgabe, dass die Präsentation der Waren der Beklagten im Schaufenster gemäß dem Händlervertrag in der Art erfolgt, wie es sich aus den Anlagen K 18 und K 19 ergibt, und mit der zusätzlichen Maßgabe, dass die Innenraumgestaltung in den Geschäftsstellen der Klägerin so erfolgt, wie es sich aus den Fotos der Innenräume in der Anlage K 19 ergibt.
Die Beklagte hat in erster Instanz beantragt,
Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 9. September 2014 abgewiesen. Auf dieses Urteil wird einschließlich der darin getroffenen tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin.
Die Klägerin hat in der Berufungsinstanz beantragt,
II. die Beklagte zu verurteilen, den als Anlage K 1 der Klageschrift beigefügten und von der Klägerin rechtsverbindlich zum Abschluss angebotenen „Händlervertrag zum selektiven Vertriebssystem 2011“ nebst dazugehöriger Anlagen A bis F mit der Vertriebsberechtigung für alle sechs nachfolgend aufgeführten Filialen der Klägerin,
– K.platz, 80335 München,
– T., 80331 München,
– N. Straße, 80331 München,
– S. Straße, 80331 München,
– H.-straße, 80801 München, und
– S.-straße, 93047 Regensburg
rechtverbindlich anzunehmen;
III. die Beklagte zu verurteilen, die sechs in Klageantrag zu Ziff. II. aufgelisteten Filialen der Klägerin zu den Konditionen des „Händlervertrages zum selektiven Vertriebssystem 2011“ mit den Waren ihres jeweils aktuellen Produktsortiments zu den Preisen der jeweils aktuellen Händlerpreisliste und den für alle Vertragshändler der Beklagten geltenden Geschäftsbedingungen zu beliefern;
hilfsweise ergänzend zu Klageantrag Ziff. II.,
die Beklagte zu verurteilen, den „Händlervertrag zum selektiven Vertriebssystem 2011“ nebst dazugehöriger Anlagen A bis F mit der Vertriebsberechtigung für alle sechs in Klageantrag Ziff. II. genannten Filialen der Klägerin rechtsverbindlich anzunehmen mit der Maßgabe, dass die Präsentation der Waren der Beklagten im Schaufenster gemäß dem Händlervertrag in der Art erfolgt, wie sie sich aus den Anlagen K 18 und K 19 ergibt;
höchsthilfsweise ergänzend zum ersten Hilfsantrag,
die Beklagte zu verurteilen, den „Händlervertrag zum selektiven Vertriebssystem 2011“ nebst dazugehöriger Anlagen A bis F mit der Vertriebsberechtigung für alle sechs in Klageantrag Ziff. II. genannten Filialen der Klägerin rechtsverbindlich anzunehmen mit der zusätzlichen Maßgabe, dass die Präsentation der Waren der Beklagten im Schaufenster gemäß dem Händlervertrag in der Art erfolgt, wie es sich aus den Anlagen K 18 und K 19 ergibt, und mit der zusätzlichen Maßgabe, dass die Innenraumgestaltung in den Filialen der Klägerin so erfolgt, wie es sich aus den Fotos der Innenräume in der Anlage K 19 ergibt.
Die Beklagte hat in der Berufungsinstanz beantragt,
Ergänzend wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll des Termins der mündlichen Verhandlung vom 11. Juni 2015 Bezug genommen.
Die zulässige Berufung hat Erfolg.
Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten aus § 33 Abs. 1 S. 1 i.V. mit §§ 20 Abs. 1 S. 1, 19 Abs. 1 und 2 Nr. 1 GWB einen Anspruch auf Abschluss des „Händlervertrages 2011“ und Belieferung, da sie zur Erhaltung ihrer Wettbewerbsfähigkeit als Facheinzelhändlerin für Reisegepäck auf die Belieferung der Beklagten mit den Produkten aus deren Sortiment angewiesen ist, um gegenüber ihren Konkurrenten wettbewerbsfähig zu bleiben.
Nach § 20 Abs. 1 S. 1 GWB gilt das Behinderungs- und Diskriminierungsverbot nach § 19 Abs. 1 und 2 Nr. 1 GWB auch für Unternehmen, soweit von ihnen kleine oder mittlere Unternehmen als Nachfrager einer bestimmten Art von Waren in der Weise abhängig sind, dass ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, auf andere Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen.
1. Bei der Klägerin handelt es sich um ein kleines bis mittleres Unternehmen im Sinne des nach § 20 Abs. 1 S. 1 GWB.
Üblicherweise werden Unternehmen mit bis zu 25 Mio. Euro Umsatz zu den kleinen Unternehmen gerechnet (vgl. Bechtold, GWB, 7. Auflage 2013, § 20 Rn. 10 unter Hinweis auf § 35 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 GWB).
Die Nettojahresumsätze der Klägerin in den Jahren 2011 bis Oktober 2014 liegen deutlich unter diesem Umsatzschwelle.
2. Der für den streitgegenständlichen Belieferungsanspruch sachlich relevante Markt ist der Markt für hochpreisige und hochwertige Koffer.
Für die Abgrenzung des sachlich relevanten Markts kommt es auf die Sicht der Marktgegenseite an (BGH NZKart 2015, 353). Demnach ist hier die Marktabgrenzung aus der Sicht des anbietenden Einzelhandels vorzunehmen. Nach ständiger Rechtsprechung (siehe dazu Wolf in: MüKoGWB, 2. Auflage 2015, § 18 Rn. 5 m.w.N.) ist für die Bestimmung des sachlichen Marktes das so genannte Bedarfsmarktkonzept maßgebend. Danach sind einem (Angebots-) Markt alle Produkte zuzurechnen, die aus der Sicht der Nachfrager nach Verwendungszweck, Eigenschaft und Preislage zur Deckung eines bestimmten Bedarfs austauschbar sind.
Zutreffend hat das Landgericht zwar festgestellt, dass Koffer nach ihrem Verwendungszweck – also unabhängig von ihren Eigenschaften und der Preisgestaltung – ohne weiteres austauschbar sind, denn funktionell dient ein Koffer unabhängig von Qualität und Preis dem Transport und Schutz von Gepäck. Hiergegen wendet sich auch die Berufung der Klägerin nicht.
Anders stellt sich die Abgrenzung des sachlich relevanten Markts allerdings bei Berücksichtigung der Eigenschaften von Koffern und insbesondere deren Preislage dar:
Mit Blick auf die Preislage eines Koffers deckt ein bei einem Discountgeschäft angebotenes Billigprodukt entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht dieselben Verbraucherbedürfnisse wie ein Koffer der Beklagten. Insbesondere bei Luxus- und Prestigeartikeln indizieren Preisunterschiede getrennte Märkte (wie hier Fuchs/Möschel in: Immenga/ Mestmäcker, GWB, 5. Auflage 2014, § 18 Rn. 35). Der Verbraucher unterscheidet bei Reisegepäck – wie auch bei vielen anderen Konsumgütern (siehe hierzu die zahlreichen Beispiele aus der Rechtsprechung bei Fuchs/Möschel, a.a.O., § 18 Rn. 35) – zwischen verschiedenen Preissegmenten. Dabei erwartet der Verbraucher im Hochpreissegment besondere Qualität und gehobene Ausstattung des Produktes. Ausschlaggebend und kaufentscheidend ist in diesem Preissegment neben der Qualität aber insbesondere der mit einer bestimmten Marke bzw. einem bestimmten Hersteller verbundene und gewünschte Prestige- und Statuseffekt, der mit Produkten aus darunter liegenden Preissegmenten regelmäßig nicht zu erzielen ist. Für potentielle Käufer eines hochpreisigen Koffers stehen Marken- und Prestigebewusstsein klar im Vordergrund. Von einer solchen Preissegmentierung geht mit Blick auf ihre eigenen Produkte offenbar auch die Beklagte aus, wenn sie in ihrem Jahresabschluss 2012 davon spricht,
und dementsprechend über den „Händlervertrag 2011“ eine dem Premiumstatus ihrer Koffer gebührende Präsentation bei den Händlern durchzusetzen sucht. Die Beklagte ist sich auch durchaus bewusst, dass ihre Koffer aus Verbrauchersicht ein hohes Prestige bedeuten, welches sie klar aus der Masse der Anbieter funktionell vergleichbarer Produkte heraushebt; im § 4 des „Händlervertrages 2011“ ist deshalb nicht nur vom
die Rede, sondern auch von der Pflicht der Händler, die R.-Produkte
Die Beklagte grenzt ihre Produkte demnach selbst sowohl in der Preisgestaltung als auch in der Präsentation deutlich von anderen Anbietern von Koffern ab, da es sich bei diesen aus Sicht der Beklagten eben gerade nicht um Allerwelterzeugnisse oder Dutzendware aus dem unteren oder mittleren Preissegment handelt.
Das Bestehen verschiedener Preissegmente wird zuletzt auch durch die von der Klägerin vorgelegten GfK-Studien (Anlage K 5, Seite 4; Anlage K 72, Seite 22 f.) bestätigt. In dieser wird die Verkaufsmenge von Koffern in verschiedenen Preissegmenten separat erhoben und ausgewiesen. Dass die Grenzen der Preissegmente – wie dies die Beklagte unter Hinweis auf den Vortrag der Klägerin moniert – möglicherweise nicht scharf voneinander zu scheiden sind und im einzelnen Übergangsbereiche aufweisen, hat auf die grundsätzliche Unterscheidung verschiedener Preissegmente keinen Einfluss (so auch OLG Stuttgart WuW/EOLG 1889 – Ferngläser), zumal insoweit auch die sich im Fluß befindliche Preisentwicklung in Rechnung zu stellen ist.
3. Die Beklagte verfügt auf dem relevanten Markt über eine Spitzenstellung in dem Sinne, dass ihre Ware generell durch gleichartige Waren anderer Hersteller im Sortiment eines Händlers nicht ersetzbar ist.
Eine solche Abhängigkeit ist anzunehmen, wenn ein Hersteller aufgrund der Qualität und Exklusivität seines Produkts ein solches Ansehen genießt und eine solche Bedeutung erlangt hat, dass der nachfragende Händler in seiner Stellung als Anbieter darauf angewiesen ist, gerade (auch) dieses Produkt in seinem Sortiment zu führen und sich daher vorhandene Möglichkeiten, auf andere Hersteller auszuweichen, nicht als ausreichend und zumutbar erweisen (BGH GRUR 2000, 1108 – Designer-Polstermöbel m.w.N.). Hinweise für eine solche Stellung im Markt können sich aufgrund der hervorragenden Qualität, der einmaligen technischen Gestaltung oder der exponierten Werbung ergeben. Verhält es sich aber so, dass der Verkehr das Angebot eines betreffenden Produkts bei einem Händler als selbstverständlich voraussetzt, und führt das Fehlen dieser Ware im Angebot zu einem Verlust an Ansehen und zu einer gewichtigen Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit des Händlers, so wird sich diese Stellung – zumindest bei einer Ware, die nicht über ein selektives Vertriebssystem abgesetzt wird – auch in einer entsprechenden Distributionsrate niederschlagen: Die Ware wird sich in diesem Fall im Sortiment fast aller vergleichbaren Händler finden (BGH a.a.O. – Designer-Polstermöbel), so dass eine hohe Distributionsrate ein deutliches Indiz für eine Spitzenstellungsabhängigkeit darstellt.
Die Beklagte genießt aufgrund der Qualität und Exklusivität ihrer Produkte eine solche Spitzenstellung. An der hervorragenden Qualität der Produkte der Beklagten bestehen keine Zweifel. Die Koffer der Beklagten weisen aber auch – im Gegensatz etwa zu hochpreisigen Produkten des Herstellers S. – ein einmaliges Design mit hohem Wiedererkennungswert auf: Die Beklagte selbst hat in anderem Zusammenhang (OLG Karlsruhe GRUR-RR 2013, 518) darauf hingewiesen, dass das von ihr verwendete Rillen-Design einmalig ist, es also auf dem Markt kein vergleichbares Wettbewerbsprodukt gibt. Die Beklagte war bislang selbst der Überzeugung, dass sich ihr Rillen-Design innerhalb der beteiligten Verkehrskreise als Hinweis auf ihr Unternehmen durchgesetzt hat und ihre Aluminiumkoffer bekannte Marken sind (so der Vortrag der Beklagten laut dem Urteil des BGH in GRUR 2008, 793 – Rillenkoffer); sofern die Beklagte nunmehr unter Hinweis auf eine in ihrem Auftrag in 17 Ländern durchgeführte Online-Befragung zur Ermittlung der R.-Bekanntheit vorträgt, ihre Bekanntheit nehme sich sowohl weltweit (6%) als auch in Deutschland (19%) doch eher bescheiden aus, ist dies mit ihrem Vortrag in Verfahren, in denen es um den Schutz ihrer Koffer in marken- bzw. wettbewerbsrechtlicher Sicht ging, kaum vereinbar.
Die Beklagte bewirbt ihre Produkte nach eigenen Angaben (vgl. BGH a.a.O. – Rillenkoffer) umfangreich. Diese Werbung erfolgt auch exponiert und gezielt mit Blick auf das zahlungskräftige Publikum, an welches sich die Beklagte mit ihren ebenso hochwertigen wie hochpreisigen Koffern etwa im Herbst/Winter-Katalog des Lufthansa-Worldshop (Anlage BB 1) wendet; in Art und Umfang der Darstellung von R.-Produkten im Katalog des Lufthansa-Worldshop kommt die herausgehobene Stellung dieser Produkte klar zum Ausdruck.
Mit Blick auf die Distributionsrate der Beklagten ist zunächst entsprechend ihrem Vortrag zum Markenschutz ihrer Koffer (BGH a.a.O. – Rillenkoffer) davon auszugehen, dass die Koffer der Beklagten jedenfalls bis zum Jahr 2008 in beinahe jedem Fachgeschäft in Deutschland angeboten wurden. Davon ist auch das OLG Karlsruhe (GRUR-RR 2013, 518) entsprechend dem Vortrag der hiesigen Beklagten in dem genannten Verfahren noch im Jahr 2013 ausgegangen. Dem entsprechend führen auch die zahlreichen Wettbewerber der Klägerin in der Münchner Innenstadt noch immer R.-Produkte in ihrem Sortiment. Zwar verkennt der Senat nicht, dass die Beklagte mittlerweile bemüht ist, ihr Händlernetz auszudünnen, um dem Premium-Anspruch ihrer Koffer noch besser Geltung zu verschaffen. Unabhängig von diesem Bemühen setzt der Verkehr das Angebot von R.-Koffern bei einem Händler wie der Klägerin allerdings weiterhin als selbstverständlich voraus. Dies zeigt gerade der von der Beklagten vorgelegte Artikel aus dem „Lederwaren Report 12/2012“ (Anlage B 64), dem sich eindeutig entnehmen lässt, dass Kunden bei einem Händler vom Zuschnitt der Klägerin „gezielt R. suchen“. Es zeigt sich auch, dass das Fehlen dieser Ware im Angebot zu einem Verlust an Ansehen führt, denn aus dem von der Beklagten vorgelegten Artikel ergibt sich gerade, dass eben nicht jeder Kunde, der gezielt nach R. fragt, auf einen anderen Hersteller umgelenkt werden kann.
Nach allem steht fest, dass R.-Koffer aufgrund ihrer Qualität und Exklusivität beim Verbraucher hohes Ansehen genießen; die Bedeutung der Produkte der Beklagten für den nachfragenden Händler in seiner Stellung als Anbieter lässt sich aber mit Blick auf die tatsächliche Verbrauchernachfrage auch zahlenmäßig darstellen: Die Beklagte dominiert mit ihren Produkten ausweislich der von der Klägerin vorgelegten GfK-Studie (Anlage K 5) im Hochpreissegment für Hartschalenkoffer gegenüber dem Hersteller S. deutlich, bei Koffern über 400,00 € gar mit einem Marktanteil über 95%. Nach der GfK-Studie sind relevante Umsätze anderer Hersteller als der Beklagten und S. in diesem Preissegment nicht zu verzeichnen; auch in dem von der Beklagten vorgelegten Katalog „Lufthansa-WorldShop“ finden sich kaum Produkte anderer Hersteller in diesem Preisbereich . Die darin zum Ausdruck kommende Geltung und das Ansehen von R.-Koffern beim Verbraucher im Hochpreissegment führt dazu, dass Händler wie die Klägerin darauf angewiesen sind, gerade (auch) R.-Koffer in ihrem Sortiment zu führen und sich daher etwaige Möglichkeiten, auf andere Hersteller wie etwa S., auszuweichen, nicht als ausreichend und zumutbar erweisen.
4. Die Weigerung der Beklagten, mit der Klägerin einen Vertrag zu den Konditionen des „Händlervertrages zum selektiven Vertriebssystem 2011″ abzuschlie-ßen, stellt einen Missbrauch ihrer relativen Marktmacht im Sinne von §§ 19 Abs. 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB dar.
Nach §§ 19 Abs. 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB liegt ein Missbrauch insbesondere dann vor, wenn ein Unternehmen mit relativer Marktmacht als Anbieter ein anderes Unternehmen ohne sachlich gerechtfertigten Grund unmittelbar oder mittelbar anders behandelt als gleichartige Unternehmen.
Der Beklagte behandelt die Klägerin anders als andere Reisegepäck-Einzelhändler, mit denen seit August 2012 ein „Händlervertrag zum selektiven Vertriebssystem 2011″ abgeschlossen wurde. Ein sachlich gerechtfertigter Grund hierfür besteht nicht. Insbesondere das Vorbringen der Beklagten, das auf Schnäppchenjäger abzielende Geschäftsmodell der Klägerin sei mit den qualitativen Anforderungen des Selektivvertriebs der Beklagten nicht vereinbar, verfängt nicht. Das von der Beklagten als inadäquat bezeichnete Erscheinungsbild der Filialen der Beklagten ist schon deshalb kein sachlich gerechtfertigter Grund zur Verweigerung des Vertragsschlusses, da die Zulassung eines Händlers zum selektiven Vertriebssystem der Beklagten ausweislich von § 4 des „Händlervertrages zum selektiven Vertriebssystem 2011″ davon abhängt, dass die von der Beklagten in dem genannten Vertrag aufgestellten qualitativen Kriterien spätestens zwölf Monate nach Vertragsschluss erfüllt werden. Da sich die Klägerin nicht von vornherein geweigert hat, am Erscheinungsbild ihrer Filialen etwas ändern zu wollen, ist ihr wie allen anderen Händlern, mit denen die Beklagte den „Händlervertrages zum selektiven Vertriebssystem 2011“ geschlossen hat – vertragsgemäß – Gelegenheit zu geben, ihre Filialen im vertraglich bedungenen Zeitraum („spätestens zwölf Monate nach Vertragsschluss“) gegebenenfalls vertragskonform umzugestalten.
1. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
3. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO hat und im Übrigen auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO nicht vorliegen.