OLG Hamburg, Urteil v. 09.02.2010, Az. 7 U 73/09
1. Die identifizierende Veröffentlichung der Verwarnung eines Rudersportlers aus dem deutschen Bundeskader durch den Rechtsausschuss des Deutschen Ruderverbandes wegen Verstoßes gegen Dopingmeldepflichten im Internet berü̈hrt das allgemeine Persönlichkeitsrecht des betroffenen Sportlers im Bereich der Sozialsphäre.
2. Dabei überwiegt das Interesse des Sportlers am Schutz seiner Anonymität das Informationsinteresse der Öffentlichkeit jedenfalls dann, wenn die Veröffentlichung über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten erfolgt. Dies gilt auch dann, wenn der Ruderer grundsätzlich in die Veröffentlichung eingewilligt hatte. Ins Gewicht fällt vorliegend insbesondere, dass eine Internetveröffentlichung weltweit von jedem Rechner mit Internetzugang abgerufen werden kann und das nicht nur von Rudersportinteressierten.
Im Namen des Volkes
Urteil
Aktenzeichen: 7 U 73/09
Verkündet am: 2010-02-09
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 24, vom 29.5.2009 – 324 O 1002/08 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwider- handlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro wahlweise Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken am Vorstandsvorsitzenden des Beklagten, zu unterlassen,
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 6/7, der Beklagte 1/7. Das Urteil ist hinsichtlich des Verbotsausspruchs für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 3.000 Euro und hinsichtlich der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Mit der Berufung wendet sich der Kläger gegen die Abweisung seiner Klage, deren Ziel es ist, den Beklagten zur Unterlassung der Veröffentlichung einer ihn namentlich nennenden öffentlichen Verwarnung zu verurteilen sowie zu einem entsprechenden Widerruf in der Zeitschrift „R…“ und auf den Internetseiten „www.r…de“ und „www.R…com“. Der Kläger ist Leistungssportler im Bereich Rudern und gehört seit Mai 2007 dem Bundeskader der Leistungsklasse C an. Der Beklagte ist der deutsche Spitzensportverband des Ruderns, der die Verbandszeitschrift „R…“ herausgibt und die Website „www.r…de“ unterhält. Die Website „www.R…com“ wird vom L… Verlag betrieben. Die öffentliche Verwarnung des Klägers, die den Anlass für die Klage gegeben hat, beruht auf einer Entscheidung des Rechtsausschusses des Deutschen Ruderverbandes vom 26.5.2008. Der Rechtsausschuss sah es als erwiesen an, dass der Kläger im August 2007 die ihm nach Ziffer 6.1.1 des Anti-Doping-Regelwerks der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA-CODE) obliegende Meldepflicht verletzt hat, wobei es sich um einen erstmaligen Verstoß handelte. Eine so genannte Amtliche Mitteilung, deren Gegenstand die Verwarnung des Klägers war, war mindestens in der Zeit vom 6.6.2008 bis Dezember 2008 auf der Website „www.r…de“ des Beklagten abrufbar.
Für die Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.
Der Kläger beanstandet mit der Berufung im Wesentlichen, dass das Landgericht eine wirksame Einwilligung in die mit der öffentlichen Verwarnung verbundene Beeinträchtigung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts angenommen hat. Hinsichtlich der mit den Widerrufsanträgen begehrten Folgenbeseitigung sei insbesondere zu berücksichtigen, dass sich der Kläger gegen das Selbstverständnis des Beklagten wende, er sei dazu berufen, quasi-hoheitlich Dopingverstöße des Klägers festzustellen und rechtsverbindlich Sanktionen gegen ihn zu verhängen. Da dieses Selbstverständnis die beanstandeten Veröffentlichungen präge, komme eine Beurteilung als dem Schutzbereich des Art. 5 GG unterfallende Meinungsäußerung nicht in Betracht.
Der Kläger beantragt,
2. eine als solche bezeichnete „Amtliche Mitteilung“ mit dem Wortlaut „Der Deutsche Ruderverband e.V. widerruft die mit der Amtlichen Mitteilung Nr. 4527 vom 26.5.08 bekanntgegebene öffentliche Verwarnung des Ruderers C…….“
b) bis zum Ablauf des auf die Rechtskraft des Urteils folgenden Kalenderjahres, jedenfalls aber solange in einer öffentlich über das Internet unter den Pfaden „http://www.r…de/Nachricht.1092+M5531ae5a818.0.html“ und „http://www.R…com/cms/red/Amtl_Bekannt.php“
abrufbaren Datei bereitzuhalten oder bereithalten zu lassen wie unter der jeweiligen Domäne („www.r…de“ bzw. „www.R…com“) aus dem Jahr 2008 datierende „Amtliche Mitteilungen“ des Beklagten abrufbar sind.
Der Beklagte beantragt,
Zu den Ausführungen der Parteien im Berufungsverfahren im Einzelnen wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet, soweit sie sich dagegen richtet, dass das Landgericht den Klagantrag auf Unterlassung der Veröffentlichung der so genannten Amtlichen Mitteilung abgewiesen hat. Sie ist unbegründet, soweit sie die Abweisung des Widerrufsantrags betrifft.
Unterlassungsantrag Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog in Verbindung mit Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG. Dieser Anspruch beruht darauf, dass die Veröffentlichung der gegen ihn ausgesprochenen Verwarnung auf der Website des Beklagten „www.r…de“ jedenfalls, nachdem die Verwarnung mehr als drei Monate im Internet veröffentlicht war, den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht bei bestehender Wiederholungsgefahr rechtswidrig verletzt hat.
a) Die Veröffentlichung der Verwarnung des Klägers unter Nennung seines Namens berührt sein allgemeines Persönlichkeitsrecht im Bereich der Sozialsphäre. In diesen Bereich fallen seine sportliche Betätigung als Mitglied eines Bundeskaders des deutschen Ruderns und das vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Ruderverbandes gegen ihn durchgeführte Verfahren. Auch im Rahmen der Sozialsphäre muss dem Einzelnen grundsätzlich die Bestimmung darüber vorbehalten bleiben, welcher Öffentlichkeit er namentlich vorgestellt wird; denn der Lebens- und Entfaltungsraum der Persönlichkeit wäre übermäßig eingeengt, wenn sie stets damit rechnen müsste, einer breiteren Öffentlichkeit ausgesetzt zu werden als jener, die sie im sozialen Kontakt gesucht hat (vgl. Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Auflage, 5. Kap. Rn. 65; BGH, NJW 1981, 1366). Jedoch muss der Einzelne andererseits Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hinnehmen, wenn und soweit solche Beschränkungen von hinreichenden Gründen des Gemeinwohls oder überwiegenden Rechtsinteressen Dritter getragen werden und bei einer Abwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze des Zumutbaren noch gewahrt ist (vgl. BGH, NJW 2009, 2888, Rn. 30 mit weiteren Nachweisen).
Bei der danach vorzunehmenden Interessenabwägung fällt auf Seiten des Beklagten ins Gewicht, dass wirksame Anti-Doping-Maßnahmen und deren Transparenz für die Sportler und Trainer, aber auch die Information der Öffentlichkeit über die zur Doping-Abwehr getroffenen Maßnahmen ein berechtigtes Anliegen sind. Indes bedeutet dies noch nicht, dass damit die namentliche Bekanntgabe einer Verwarnung im Internet schon bei einem Erstverstoß gegen Meldeauflagen gerechtfertigt wäre, wenn die Verwarnung unbefristet oder auch nur für einen längeren Zeitraum im Internet veröffentlicht wird. Jedenfalls bei einer länger andauernden Veröffentlichung auf der Website des Beklagten wiegt nämlich das Interesse des Klägers am Schutz seiner Anonymität vor der breiten Öffentlichkeit des Internets schwerer als das Informationsinteresse des Beklagten. Denn die Veröffentlichung der Verwarnung im Internet in der Zeit seit spätestens 6. Juni 2008 bis mindestens Dezember 2008 beeinträchtigt den Kläger erheblich in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Ins Gewicht fällt insbesondere, dass eine Internetveröffentlichung weltweit von jedem Rechner mit Internetzugang abgerufen werden kann und nicht nur von Rudersportinteressierten, sondern auch von solchen Personen zur Kenntnis genommen wird, die gezielt nach Informationen zur Person des Klägers suchen und mit Hilfe einer Suchmaschine zu der Verwarnung wegen eines Verstoßes gegen Anti-Doping-Bestimmungen gelangen. Wenn dies zum Beispiel mit Blick auf eine Vorstellung des Klägers bei Personen geschieht, auf deren Wohlwollen er angewiesen ist, sei es wegen einer Förderung oder eines Arbeitsplatzes, kann die Veröffentlichung einschneidende negative Folgen wirtschaftlicher und persönlicher Art haben.
Mithin ergibt die Interessenabwägung eine rechtswidrige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beklagten, und zwar auch dann, wenn der Rechtsausschuss nach den von ihm zu Grunde gelegten Disziplinarvorschriften zu Recht eine öffentliche Verwarnung des Klägers ausgesprochen hat.
b) Der Rechtswidrigkeit der bekämpften Internetveröffentlichung auf der Website „www.r…de“ steht nicht entgegen, dass der Kläger in die damit verbundene Rechtsbeeinträchtigung eingewilligt hat, wie der Beklagte geltend macht. Der Kläger hat zwar am 30.4.2007 schriftlich die ihm übersandten Anti-Doping-Bestimmungen des Beklagten und der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) anerkannt und mit Schreiben des Beklagten vom 28.6.2007 den Text der „Missed Test Policy“ der NADA (Stand 1.7.2007) erhalten. Eine wirksame Einwilligung in die in seinem Fall vorgenommene Veröffentlichung der Verwarnung im Internet liegt darin jedoch nicht.
Ob der Kläger mit der Anerkennung der Grundgesetze des Deutschen Ruderverbandes (dort § 3) zumindest in die Veröffentlichung der Verwarnung in der Verbandszeitschrift wirksam eingewilligt hat, ist nicht entscheidungserheblich, da der streitgegenständliche Unterlassungsanspruch bereits auf Grund der rechtswidrigen Internetveröffentlichung begründet ist.
Nur in Hinsicht auf die Veröffentlichung im Internet ist deshalb zu prüfen, ob die Einwilligung des Klägers wirksam ist. Insoweit bestehen schon Zweifel an der für eine rechtsverbindliche Einwilligung erforderlichen Bestimmtheit der Regelwerke, auf die sich die Einwilligung des Klägers bezog. Denn die Anti-Doping-Bestimmungen des Beklagten und der NADA sahen für den dem Kläger vorgeworfenen Meldepflichtverstoß eine öffentliche Verwarnung vor, § 3 (3) b) GG DRV, Ziffer 11.5.3 NADA-Code, ohne dass dort geregelt wurde, wie die Veröffentlichung vorgenommen werden sollte. Lediglich aus der „Missed Test Policy“ (Ziffer 6. letzter Absatz) ergibt sich dazu Folgendes:
„ … Die Verwarnung wird öffentlich gemacht durch die Publizierung des Verstoßes im jeweiligen Verbandsorgan. Hierbei ist eine Veröffentlichung auf der jeweiligen Homepage des Verbandes ausreichend. … „ Nach dieser Formulierung ist unklar, ob eine wahlweise Veröffentlichung im Verbandsorgan oder auf der Homepage des Verbandes gemeint ist – wofür der Wortlaut spricht – oder ob eine doppelte Veröffentlichung in der Verbandszeitschrift und auf der Website erfolgen kann, wenn sich der Verband nicht auf die „ausreichend(e)“ Internetveröffentlichung beschränken will. Gänzlich ungeregelt war, für welchen Zeitraum eine Veröffentlichung auf der jeweiligen Homepage vorgenommen werden sollte. Selbst wenn zu Gunsten des Beklagten davon ausgegangen wird, dass die rechtsgeschäftliche Unterwerfung des Klägers die Bestimmungen der „Missed Test Policy“ einschloss, fehlt es an einer ausreichenden Grundlage für die hier erfolgte mindestens sechsmonatige Veröffentlichung der Verwarnung im Internet. Denn nach der unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben vorzunehmenden Beurteilung der Einwilligungserklärung kann diese nicht weiter reichen, als der Kläger billigerweise mit einer Veröffentlichung rechnen musste. Da die Internetveröffentlichung als Ersatz für eine Veröffentlichung im Verbandsorgan genannt wurde, liegt es nahe, den Zeitraum bis zum Erscheinen des nächsten Verbandsblattes anzunehmen, längstens aber drei Monate. Auch weil die Internetveröffentlichung der Verwarnung – wie oben ausgeführt – die härtere Sanktion gegenüber dem Abdruck im Verbandsblatt darstellt, wäre es grob unbillig, dem Kläger eine über drei Monate hinausgehende Zeitspanne zuzumuten, zumal das Regelwerk eine Grundlage in der gebotenen Klarheit und Bestimmtheit nicht enthielt.
c) Die rechtswidrige Veröffentlichung der so genannten Amtlichen Mitteilung auf der Website des Beklagten – jedenfalls soweit sie mehr als drei Monate im Internet stand – lässt eine Wiederholungsgefahr vermuten, ohne dass der Beklagte diese Vermutung widerlegt hat. Insbesondere die Entfernung der Verwarnung aus der Website berührt die Wiederholungsgefahr nicht. Eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung hat der Beklagte nicht abgegeben.
Der Beklagte ist deshalb zu der uneingeschränkt beantragten Unterlassung der erneuten Veröffentlichung zu verurteilen. Die im Berufungsantrag zu 1. ergänzten Orte der Veröffentlichung sind keine Einschränkungen des Unterlassungsantrags, sondern zählen nur beispielhaft die bisherigen Veröffentlichungen auf, wie die Formulierung „insbesondere“ erkennen lässt.
d) Die Veröffentlichung auf der Website „www.R…com“ des L… Verlages kann hingegen nicht als Grundlage für einen Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten herangezogen werden, weil nicht dargelegt oder ersichtlich ist, dass der Beklagte auch für den Inhalt jener Website verantwortlich ist.
Widerrufsantrag Der Kläger hat keinen Anspruch auf die mit dem Berufungsantrag zu 2. a) und b) begehrte Veröffentlichung von Widerrufserklärungen. Denn ein Widerruf gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog kann nur im Hinblick auf eine unwahre Tatsachenbehauptung verlangt werden, der hier verlangte Widerruf der öffentlichen Verwarnung des Klägers betrifft aber keine unwahre Tatsache. Es entspricht nämlich der Wahrheit, dass der Kläger durch die Entscheidung des Rechtsausschusses des Deutschen Ruderverbands vom 26.5.2008 öffentlich verwarnt worden ist. Unstreitig ist auch, dass der Kläger gegen diese öffentliche Verwarnung eine Rechtsbeschwerde nicht eingelegt hat. Mit den verlangten Widerrufserklärungen müsste der Beklagte mithin eine Entscheidung seines Rechtsausschusses widerrufen, obwohl der Kläger sie disziplinarrechtlich nicht angefochten hat. Dafür besteht keine Rechtsgrundlage, ohne dass darüber entschieden werden muss, ob der Kläger die Entscheidung des Rechtsausschusses in einem Zivilprozess überprüfen lassen könnte. Denn einen dahin gehenden Feststellungsantrag hat der Kläger nicht gestellt. Stattdessen hat er mit der erhobenen Klage einen äußerungsrechtlichen Unterlassungsanspruch geltend gemacht und ist gegen die Art und Weise vorgegangen, in der die Veröffentlichung der Verwarnung vorgenommen wurde. In dieser Konstellation kann der Kläger jedoch mit dem Mittel eines Widerrufsantrags eine Aufhebung der Entscheidung des Rechtsausschusses nicht erreichen.
Nebenentscheidungen Die Kostenentscheidung ist in §§ 92, 97 Abs. 1 ZPO begründet. Die Vollstreckbarerklärung hat ihre Grundlage in § 709 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht erfüllt sind.