OLG Hamburg, Urteil v. 21.03.2006, Az. 7 U 124/05
1. Die Berichterstattung über eine begangene Straftat unter Namensnennung des Täters stellt regelmäßig eine erhebliche Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts dar. Eine solche Beeinträchtigung besteht auch bei einem Bericht über einen relativ leichten oder mittelschweren Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz.
2. Handelt es sich beim Täter um eine Person der Zeitgeschichte, so ist eine Abwägung zwischen der vorliegenden Persönlichkeitsverletzung und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit herzustellen. Danach wird in der Regel eine aktuelle Berichterstattungen über schwere Straftaten unter Namensnennung des Täters zulässig sein. Bei Straftaten von geringerem Gewicht, die nicht als solche von überragendem Allgemeininteresse sind, kann jedoch dem Schutz des Straftäters vor einer öffentlichen Preisgabe seines Fehlverhaltens unter voller Namensnennung jedenfalls dann der Vorrang zu geben sein, wenn sich aus der Person des Täters oder der Straftat selbst keine besonderen Umstände ergeben, die die Veröffentlichung rechtfertigen.
3. Ist der Täter einer breiten Öffentlichkeit als TV-Darsteller eines Kriminalkommissars bekannt, der in aller Regel für Recht und Ordnung steht, so rechtfertigt dies grundsätzlich nicht die Annahme sterengerer Maßstäbe zu Lasten des Betroffenen im Rahmen der vorzunehmenden Güterabwägung.
4. Die identifizierende Berichterstattung über die Festnahme einer Person wird nicht automatisch zulässig, weil sie in aller Öffentlichkeit stattgefunden hat.
Im Namen des Volkes
Urteil
Aktenzeichen: 7 U 124/05
Verkündet am: 2006-03-21
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Geschäftsnummer 324 O 105/05, vom 11.11. 2005 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 28.000 EUR vorläufig vollstreckbar.
Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen ein Urteil des Landgerichts, mit dem sie zur Unterlassung der Verbreitung einer Wortberichterstattung verurteilt worden ist.
Die Beklagte ist Verlegerin der Tageszeitung „Rh. P.“ in deren Ausgabe vom 30.9.2004 unter der Überschrift „TV-Kommissar mit Kokain erwischt“ ein inhaltlich zutreffender Bericht über die vorläufige Festnahme des Klägers in dem Zelt „Käfers Wies’n Schänke“ auf dem Oktoberfest 2004 wegen Kokainkonsums und wegen Besitzes von 0,23 g Kokain erschien. Diese Berichterstattung enthielt die Passagen, deren Verbreitung das Landgericht in dem angegriffenen Urteil verboten hat.
Der Kläger ist Schauspieler und hat in zahlreichen Fernsehproduktionen mitgewirkt. In der vom Sender … im Abendprogramm ausgestrahlten Fernsehserie „…“ hat er über einen längeren Zeitraum den Titelhelden, einen Kriminalkommissar, dargestellt.
Wegen des Deliktes, das Gegenstand der hier beanstandeten Berichterstattung war, wurde der Kläger zwischenzeitlich zu einer Geldstrafe in Höhe von 18.000 EUR verurteilt.
Bezüglich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.
Mit der Berufung rügt die Beklagte das vom Landgericht gefundene Ergebnis der Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers.
Die Beklagte beantragt,
Der Kläger beantragt,
Zu den Ausführungen der Parteien im Berufungsverfahren im einzelnen wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
Zu Recht hat das Landgericht entschieden, dass dem Kläger ein Unterlassungsanspruch gem. §§ 823, 1004 BGB i.V. m. Art. 1 Abs.1 und Art. 2 Abs.1 GG zusteht. Zur Begründung wird auf die ausführlichen Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils verwiesen, denen der Senat folgt.
Demgegenüber führt das Berufungsvorbringen zu keiner abweichenden Entscheidung. Die beanstandete Berichterstattung verletzt den Kläger rechtswidrig in seinem Persönlichkeitsrecht, so dass er nicht dulden muss, dass in ihn identifizierender Weise über die von ihm begangene Straftat berichtet wird. Dem steht insbesondere kein überwiegendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit entgegen.
1) Die Berichterstattung über eine begangene Straftat unter Namensnennung des Täters stellt regelmäßig eine erhebliche Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts dar, weil die Bekanntmachung seines Fehlverhaltens zu einer negativen Bewertung des Täters in der Öffentlichkeit führt (vgl. BVerfGE 35, 202ff; BVerfG NJW 1993, 1463ff). Eine solche Beeinträchtigung besteht auch bei einem Bericht über einen relativ leichten oder mittelschweren Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, da nicht davon auszugehen ist, dass wiederholte Drogendelinquenz allgemein sozial gebilligt ist. Zudem ist nicht von der Hand zu weisen, dass es auch negative Konsequenzen für die künftige Vergabe von Rollen an den Kläger haben kann, wenn über dessen Kokainkonsum und – besitz berichtet wird. Die Berichterstattung über eine derartige Straftat hat unzweifelhaft für den Kläger eine stigmatisierenden Wirkung.
Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass Straftaten zum Bereich des Zeitgeschehens gehören, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist, und dass die Verletzung der Rechtsordnung ein anzuerkennendes Interesse an näherer Information über Tat und Täter begründet, wobei die Zulässigkeit des Eingriffs in die geschützte Persönlichkeitssphäre durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt ist (vgl. BVerfG NJW 1993, 1463,1464; BGH, Urteil vom 15.11.2005; Geschäftsnummer VI ZR 286/04). Im Einzelfall ist daher abzuwägen, ob die für den Täter durch die Berichterstattung entstehenden Nachteile in einem adäquaten Verhältnis zu deren Bedeutung für die Öffentlichkeit stehen.
Danach wird in der Regel davon ausgegangen werden können, dass aktuelle Berichterstattungen über schwere Straftaten unter Namensnennung des Täters zulässig sind. Bei Straftaten von geringerem Gewicht, die, im Unterschied zu Kapitalverbrechen, nicht als solche von überragendem Allgemeininteresse sind, kann jedoch dem Schutz des Straftäters vor einer öffentlichen Preisgabe seines Fehlverhaltens unter voller Namensnennung jedenfalls dann der Vorrang zu geben sein, wenn sich aus der Person des Täters oder der Straftat selbst keine besonderen Umstände ergeben, die die Veröffentlichung rechtfertigen (grundlegend BVerfGE 35,202; Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 10, Rn.198 m.w.N.).
Wie der Bundesgerichtshof in dem oben genannten Urteil vom 15.11.2005 hervorgehoben hat, ist bei der vorzunehmenden Abwägung insbesondere die Art des Gesetzesverstoßes und die von ihm ausgehende Gefährdung für andere zu berücksichtigen. Ferner ist auf die Stellung des Täters, seine öffentliche Bekanntheit sowie sein bisheriges Verhalten in der Öffentlichkeit abzuheben (vgl. auch BGH NJW 1994, 1950,1952).
2) Im vorliegenden Fall ergibt die Abwägung der konkreten Umstände, dass der Kläger die Berichterstattung nicht hinnehmen muss.
a) Der Charakter der Straftat sowie die konkreten Umstände ihrer Begehung fallen als solche nicht aus dem Rahmen alltäglicher Kriminalität und wären, sofern der Täter ein Unbekannter gewesen wäre, für die Öffentlichkeit ohne jedes Interesse. Der Eigenverbrauch und der Besitz geringer Mengen von Betäubungsmitteln hat keine unmittelbar schädigenden Folgen für andere Personen oder die Allgemeinheit. Da der Kläger Kokain nicht im Festzelt vor den Augen der Öffentlichkeit konsumiert hat, resultiert aus seinem Verhalten auch keine mittelbare Gefährdung Jugendlicher, die in Anbetracht der Bekanntheit des Klägers möglicherweise zur Nachahmung hätten veranlasst werden können.
b) Ein besonderes öffentliches Informations- und Unterhaltungsinteresse an der Mitteilung folgt hier allerdings unzweifelhaft aus dem Umstand, dass der Kläger als Schauspieler einer breiten Öffentlichkeit bekannt ist und über einen längeren Zeitraum die Figur eines Kriminalkommissars verkörpert hat, somit eine Figur, die in den jeweiligen Filmen für Recht und Ordnung einzutreten pflegt.
Das hieraus resultierende allgemeine Informations- und Unterhaltungsinteresse ist indessen nicht so gewichtig, dass es den in der Veröffentlichung liegenden Eingriff in das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung rechtfertigen könnte.
Selbst wenn der Kläger zur Zeit der Veröffentlichung auf die Rolle des „…“ festgelegt war und möglicherweise auch heute noch ist, führt dies nicht dazu, dass er selbst dadurch Idol- oder Vorbildcharakter als Ordnungshüter erlangt hat, was ein erhöhtes Interesse der Öffentlichkeit begründen könnte, zu erfahren, ob der Kläger selbst einem solchen Leitbild gerecht werde. Ein derartiger Leitbildcharakter kam nämlich lediglich der von ihm verkörperten Figur eines Kommissars zu. Auch wenn der Kläger nach außen überwiegend als Darsteller des „…“ in Erscheinung getreten sein mag, war es doch für jeden offensichtlich, dass der Darsteller nicht mit der dargestellten Figur übereinstimmte. Es bestand nämlich kein Zweifel, dass der Kläger selbst weder Kommissar, noch persönlich an der Verfolgung von Straftaten beteiligt war. Selbst wenn die fingierte Figur des „…“ durch die Darstellung des Klägers gleichsam zum Leben erweckt wurde und wenn dem Kläger, der dieser Figur ein Gesicht verlieh, in der Folge auch persönliche Sympathien entgegengebracht wurden, weil durch seine Darstellung die verkörperte Figur bei den Zuschauern Gefallen fand, ist davon auszugehen, dass den Zuschauern eine Unterscheidung zwischen Darsteller und dargestellter Figur geläufig ist. Dass Zuschauer dargestellte Figur und deren Darsteller üblicherweise ohne weiteres zu unterscheiden wissen, zeigt sich insbesondere auch darin, dass etwa die Darsteller negativ besetzter Gestalten wegen der „Taten“ der von ihnen dargestellten Figuren in ihrem Privatleben üblicherweise keine feindseligen Reaktionen ihrer Umgebung zu gewärtigen haben.
Etwas anderes belegt auch nicht die Existenz von Fanclubs und öffentlichen Auftritten des Klägers als „…“-Darsteller. Zwar mag es sein, dass das Aussehen des Klägers, sein Auftreten und seine in den Filmen zur Schau gestellte „lockere Haltung“ andere, insbesondere junge Menschen anzieht. Dass diese den Kläger zugleich persönlich als moralische Instanz ansehen, deren Bild mit der angegriffenen Berichterstattung berichtigt werden müsste, erscheint jedoch fern liegend.
c) Eine andere Bewertung könnte sich allerdings dann ergeben, wenn sich der Kläger selbst außerhalb seiner Rolle als „…“ in der Öffentlichkeit als Vorbild oder Verfechter einer strengen Kontrolle von Drogen gleichsam als „Moralapostel“ präsentiert hätte. Allein die Tatsache, dass der Kläger kurz nach seiner ersten Verurteilung wegen eines Drogendelikts auf die Frage eines Reporters der Zeitschrift B. nach etwaigem Drogenkonsum erklärt hat, er habe keine Zeit, Drogen zu konsumieren, ist nicht als Äußerung in diesem Sinne zu verstehen. Der Kläger, dessen früherer Drogenkonsum aufgrund der früheren Berichterstattung über die Verurteilung und aufgrund seiner eigenen Äußerung im Jahre 1999 öffentlich bekannt war, reagierte damit lediglich auf die Frage nach seinem aktuellen Umgang mit Drogen.
Ebenso wenig lässt sich dem Vortrag der Beklagten entnehmen, dass der Kläger im Übrigen Angelegenheiten, die gewöhnlich als privat gelten, öffentlich gemacht hätte, so dass auch aus diesem Grund der Schutz seiner Privatsphäre vor Bekanntmachung etwaiger negativer Vorkommnisse nicht entfallen ist.
d) Entgegen der Meinung der Beklagten ist die Berichterstattung auch nicht etwa deshalb zulässig, weil die Festnahme des Klägers in aller Öffentlichkeit im Festzelt stattgefunden hat.
Die Beklagte meint, auch wenn sich das erhöhte öffentliche Interesse an Vorgängen innerhalb des Prominentenzeltes nicht auf solche Vorgänge beziehe, die im Bereich der Herrentoilette stattfänden, dürfe doch jedenfalls über die durch den dort erfolgten Drogenkonsum provozierte öffentliche Festnahme berichtet werden. Diese Argumentation lässt außer Acht, dass sich die beanstandete Berichterstattung nicht auf den in der Öffentlichkeit erfolgten Vorgang der polizeilichen Festnahme beschränkt, sondern darüber hinaus das Delikt, welches dem Kläger vorgeworfen wird, benennt und beschreibt, somit den Vorgang, der für andere nicht wahrnehmbar „hinter den Kulissen“ stattgefunden hat.
e) Entgegen der Ansicht der Beklagten rechtfertigt die Verbreitung der Berichterstattung auch nicht das Anliegen, einen wichtigen Beitrag zu der öffentlichen Diskussion um Drogendelikte zu liefern. Auch wenn angesichts des erheblichen Anstiegs von Kokainmissbrauch dieses Thema von hohem öffentlichen Interesse ist, lässt sich nicht erkennen, dass die Hervorhebung des Namens des Klägers in diesem Zusammenhang die Diskussion wesentlich bereichern könnte. Zwar mag Personalisierung ein wichtiges publizistisches Mittel zur Erregung von Aufmerksamkeit sein, wodurch Interesse und Anteilnahme gegenüber Ereignissen und Umständen erweckt wird. Dies gilt aber in erster Linie für die Leidtragenden derartiger Umstände. Es ist indessen nicht erkennbar, dass die Mitteilung, dass der Kläger Kokain konsumiert habe, einen Effekt haben könnte, der die Diskussion um die Drogenproblematik weiterführen könnte. Die Meldung vom Drogenkonsum des Klägers mag beim Rezipienten entweder Ablehnung oder Billigung seines Verhaltens auslösen, Anlass, etwa über die schädigende Wirkung von Kokain speziell auf den Kläger nachzudenken, bietet eine derartige Berichterstattung nicht. Auch die allgemein verbreitete Kenntnis, dass Kokainbesitz strafrechtlich verfolgt wird, wird durch die Mitteilung von der Festnahme des Klägers wegen eines Drogendeliktes nicht vertieft, so dass auch eine etwaige generalpräventive Wirkung außer Acht bleiben kann. Die Berichterstattung hat vielmehr in erster Linie und ganz überwiegend für den Kläger eine Prangerwirkung, die, abgesehen von einem unbestreitbaren Unterhaltungsinteresse, durch kein weiterführendes gesellschaftspolitisches Anliegen ihre Berechtigung findet.
Da die Berichterstattung bei voller Namensnennung somit rechtswidrig war, ist, bei bestehender Wiederholungsgefahr, der zuerkannte Unterlassungsanspruch begründet.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs.1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO. Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich, da die Entscheidung als Ergebnis einer Einzelfallabwägung keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts, noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs.2 ZPO).
Sie steht auch nicht im Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung