OLG Hamburg, Urteil v. 11.11.2008, Az. 7 U 26/08
1. Ein Verstoß gegen eine Unterlassungserklärung löst sowohl Ansprüche auf eine Vertragsstrafe als auch erneute gesetzliche Unterlassungsansprüche aus. Mahnt ein Unterlassungsgläubiger den Unterlassungsschuldner trotz bereits vorhandener Unterlassungserklärung zunächst nur ab, muss der Schuldner weiterhin damit rechnen, dass auch die Vertragsstrafe geltend gemacht werden wird. Eine konkludente Erklärung, auf die Vertragsstrafe zu verzichten, liegt nicht vor.
2. Allein die Tatsache, dass der Untersagungsvertrag sich nach seinem Wortlaut auf einen bestimmten Satz bezieht, führt nicht zu dem Schluss, dass sich die Unterlassungspflicht auf diesen beschränken muss. Vielmehr findet die sog. „Kerntheorie“ als Auslegungshilfe Anwendung.
Im Namen des Volkes
Urteil
Aktenzeichen: 7 U 26/08
Verkündet am: 2008-11-11
In dem Rechtsstreit
[…]
hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 7. Zivilsenat, […] für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 5.000 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11.8.2007 zu zahlen.
Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1. Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung einer Vertragsstrafe von 5.000 € aufgrund einer von dieser am 17.10.2002 abgegebenen strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung (K 3) und stützt seinen Anspruch auf die Verbreitung einer ihn betreffenden Passage in einem in der von der Beklagten verlegten Zeitschrift „N…… P…..“ vom 25.10.2006 (Anl. K 4) veröffentlichten Interview.
Er begehrt ferner Ersatz von weiteren Abmahnkosten in Höhe von 604,71 €, die ihm durch das anwaltliche Abmahnungsschreiben vom 30.10.2006 (Anl. K 5) entstanden sind, mit welchem die Beklagte zur Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung bezüglich der in der „N…… P…..“ vom 25.10.2006 veröffentlichten, von ihm beanstandeten Äußerungen aufgefordert wurde.
Das Landgericht hat die Klage bezüglich der Vertragsstrafe abgewiesen und dem Kläger einen Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten zugesprochen.
Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt der Kläger den Anspruch auf Leistung einer Vertragsstrafe weiter. Die Beklagte wendet sich im Wege der hilfsweisen Anschlussberufung gegen die Verurteilung zu Schadensersatz
Der Kläger beantragt, in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Beklagte zur Zahlung weiterer 5.000 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen, sowie hilfsweise im Wege der Anschlussberufung, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage in Höhe des Teilbetrags von 604, 71 € abzuweisen.
Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Anschlussberufung.
Zum Sachverhalt im Einzelnen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
2. Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 5.000 € gem. § 339 S.2 BGB, da die Verbreitung der beanstandeten Passage des Interviews, welches in der „N…… P…..“ vom 25.10.2006 erschienen ist, einen Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung vom 15.10.2002 darstellt.
a) Die Tatsache, dass der Kläger nach Kenntnisnahme von der Veröffentlichung vom 25.10.2006 die Beklagte am 30.10.2006 zunächst lediglich zur Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung aufgefordert hat, eine Vertragsstrafe aber erstmals am 29.1.2007 geltend gemacht hat, nachdem die Beklagte die geforderte Erklärung abgegeben und die Kostenrechnung nur teilweise erstattet hatte, führt nicht dazu, dass ein Anspruch auf Leistung einer Vertragsstrafe nicht mehr geltend gemacht werden kann.
aa) In der Aufforderung vom 30.10.2006 liegt insbesondere keine (konkludente) Erklärung dahingehend, dass auf die Geltendmachung einer Vertragsstrafe verzichtet werde. Da nämlich der Verstoß gegen eine Unterlassungserklärung sowohl Ansprüche auf eine Vertragsstrafe als auch erneute gesetzliche Unterlassungsansprüche auslöst, musste die Beklagte auch nach Zugang der Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungserklärung weiterhin damit rechnen, dass auch die Vertragsstrafe geltend gemacht werden würde.
Es ist allgemein anerkannt, dass im Falle einer Rechtsverletzung bei Vorliegen einer kerngleichen strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung neben der Vertragsstrafe auch die Unterlassung der neuen Verletzungshandlung verlangt werden kann, weil diese eine neue Wiederholungsgefahr auslöst (vgl. Teplitzky, 9.Aufl., 8. Kap. Rn. 50; 20. Kap. Rn. 22ff m.w.N.). An einem solchen Unterlassungstitel besteht ein Rechtsschutzbedürfnis, weil ein gerichtlicher Titel die Vollstreckung nach § 890 ZPO eröffnet, während die Geltendmachung der Verwirkung einer Vertragsstrafe sich über Jahre hinziehen kann. Hieraus folgt, dass die Stellung eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen der zweiten Verletzungshandlung keinerlei Aussage darüber enthält, ob darüber hinaus noch die Vertragsstrafe aufgrund der bestehenden Unterlassungsverpflichtungserklärung geltend gemacht werden wird.
Nichts anderes gilt für den Fall der Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung wegen der erneuten Rechtsverletzung. Zwar würde im Falle einer kerngleichen Verletzung der Verletzte keine verbesserte Position durch die zweite Unterlassungsverpflichtungserklärung gewinnen, weil er aus ihr – im Unterschied zu einem Vollstreckungstitel – im Falle eines weiteren Verstoßes nicht nach § 890 ZPO vollstrecken könnte. Gleichwohl kann der Verletzte ein Interesse an der Erlangung einer zweiten Unterlassungsverpflichtungserklärung haben, so etwa dann, wenn, wie hier, nicht unstreitig ist, ob ein kerngleicher Verstoß vorliegt, oder wenn die neuerliche Verletzungshandlung zum Teil über den Gegenstand der ersten Unterlassungsverpflichtungserklärung hinausgeht.
Die alleinige Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs ließ daher keine Schlüsse in Bezug auf die eventuelle Geltendmachung eines Vertragsstrafenanspruchs zu, zumal es denkbar war, dass der Kläger vorerst deshalb von der Forderung einer Vertragsstrafe absah, weil er zunächst eine solche als nicht verfallen betrachtete oder weil er die ursprüngliche Unterlassungserklärung vergessen oder nicht mehr im Besitz hatte, wie dies in dem Schreiben vom 29.1.2007 (Anl. K 10) anklingt.
bb) Auch eine Verwirkung von Ansprüchen auf Vertragsstrafe kommt nicht in Betracht, da dadurch, dass diese nicht sogleich geltend gemacht wurden, kein Vertrauen dahingehend geschaffen wurde, dass dies auch künftig nicht geschehen werde, und da zudem nicht ersichtlich ist, dass die Beklagte im Vertrauen darauf irgendwelche Dispositionen getroffen hätte.
b) Durch die Veröffentlichung der Äußerungen der geschiedenen Ehefrau des Klägers in der „N…… P…..“ ist die Vertragsstrafe aus der Unterlassungsverpflichtungserklärung vom 17.10.2002 angefallen, da der beanstandete Text der neueren Veröffentlichung kerngleich mit der in der Unterlassungsverpflichtungserklärung bezeichneten Äußerung ist.
Dass der Schutzumfang eines Unterlassungsgebots nicht nur die Verletzungsfälle, die mit der verbotenen Form identisch sind, sondern auch solche gleichwertigen Äußerungen umfasst, die ungeachtet etwaiger Abweichungen im Einzelnen den Äußerungskern unberührt lassen, ist im Presserecht wie auch im Wettbewerbsrecht allgemein anerkannt (vgl. HH-Ko/MedienR/v.Petersdorff-Campen, 31, Rn. 9 m.w.N.; Wenzel/Burkhardt, Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5.Aufl. 12, Nr. 158 m.w.N.; BVerfG, Beschluss vom 4.12.2006, 1 BvR 1200/04). Dem gegenüber ist die von Seiten der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung vertretene Rechtsmeinung, der BGH habe die Anwendung der „Kerntheorie“ im Presserecht aufgegeben, nicht nachzuvollziehen. Die als Beleg aufgeführte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 1.7.2008 (Geschäftsnummer VI ZR 243/06) bezieht sich ausschließlich auf das Recht der Bildberichterstattung durch die Presse, enthält insoweit keine neue Entwicklung und ist für den hier vorliegenden Fall ohne Belang.
Die sogenannte „Kerntheorie“ ist als Auslegungshilfe auch bei Unterlassungsverpflichtungserklärungen heranzuziehen. Allein die Tatsache, dass der Untersagungsvertrag sich nach seinem Wortlaut auf einen bestimmten Satz bezieht, führt nämlich nicht zu dem Schluss, dass sich die Unterlassungspflicht auf diesen beschränken muss. Der von dieser Erklärung ausgehende Persönlichkeitsrechtsschutz würde nämlich leerlaufen, wenn es danach dem Verpflichteten frei stände, mit anderen Worten sinngemäß die Äußerungen zu wiederholen bzw. sinngemäße Äußerungen zu verbreiten. Nach dem Sinn des Unterlassungsvertrages ist daher regelmäßig davon auszugehen, dass die Parteien durch ihn auch im Kern gleiche Verletzungen erfassen wollten (BGH GRUR 1997, 931).
Dies ist auch hier anzunehmen. Bei Veröffentlichung des Interviews im Jahre 2002 ging es dem Kläger erkennbar nicht um bestimmte Formulierungen seiner früheren Ehefrau, die die Beklagte verbreitet hatte, sondern um den Vorwurf, er habe seine frühere Ehefrau ohne Rücksicht auf ihr Befinden zu Auftritten verpflichtet und unter Druck gesetzt. Dies ist auch Gegenstand der nunmehr verbreiteten Äußerungen, wobei die neuere Veröffentlichung darüber hinaus noch die Verstärkung erhält, dass dies „ständig“ bzw. “stets“ der Fall gewesen sei. Die von der Unterlassungsverpflichtungserklärung vom 17.10.2002 erfassten Äußerungen Frau B……. „ Ich war total überlastet. …Mein Ex-Mann hat mich völlig überpowert. Er buchte teilweise an einem Tag drei Termine für mich.“, sind kerngleich mit den nunmehr verbreiteten Äußerungen: „Er trieb mich regelrecht zur Höchstleistung. Ich wurde ständig von ihm verplant, er machte mich fix und fertig. Ich musste stets nur funktionieren“.
Die Höhe der von dem Kläger geforderten Vertragsstrafe entspricht billigem Ermessen und ist nicht zu beanstanden.
3. Die Anschlussberufung ist zwar zulässig, sie ist jedoch nicht begründet.
Gegen ihre Zulässigkeit spricht insbesondere nicht, dass sie nur hilfsweise für den Fall erhoben wurde, dass die Berufung des Klägers Erfolg haben sollte. Da es sich bei einer unselbstständigen Anschlussberufung nicht um ein Rechtsmittel im engeren Sinne handelt, kann sie, wie andere prozessuale Erklärungen auch, unter eine Bedingung gestellt werden, die einen innerprozessualen Vorgang betrifft (vgl. BGH NJW 1984, 1240).
Wie das Landgericht entschieden hat, steht dem Kläger ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs.1 BGB i.V. m. Art. 1,2 Abs.1 GG auf Erstattung der Anwaltskosten in tenorierter Höhe zu. Zur Begründung kann auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts verwiesen werden, denen der Senat folgt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711,713 ZPO.
Ein Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, da die Rechtssache keine grundlegende Bedeutung hat und da weder die Fortbildung des Rechts noch die Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert (§ 543 Abs.2 ZPO).