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OLG Hamburg: Berichterstattung über mögliche Stasi-Tätigkeit

Zum Anspruch auf Unterlassung der Verbreitung einer Äußerung gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 analog BGB i.V.m. Artt. 1, 2 Abs. 1 GG sowie zu den Anforderungen an eine Verdachtsberichterstattung. Hier in Zusammenhang mit einer möglichen Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR.

OBERLANDESGERICHT HAMBURG

Im Namen des Volkes

Urteil

Aktenzeichen: 7 U 95/09

Verkündet am: 23.03.2010

In dem Rechtsstreit

Dr. Gregor Gysi
[…]
– Antragsteller und Berufungsbeklagter-
[…]

gegen

Zweites Deutsches Fernsehen
[…]
– Antragsgegnerin und Berufungsklägerin –
[…]

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 7. Zivilsenat […] nach der am 2.3.2010 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

1. Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten das Urteil des Landgerichts Hamburg, Geschäftsnummer 324 0 836/08, vom 4.9.2009 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt,

es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 EURO, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre)

zu unterlassen

die Behauptung der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik in Bezug auf Dokumente der Stasi-Unterlagenbehörde, bei denen es um ein Gespräch zwischen R. H. und Dr. Gregor Gysi als seinem Anwalt geht, zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen:

„in diesem Fall ist willentlich und wissentlich an die Stasi berichtet worden, und zwar von Gregor Gysi über R. H.“,

soweit dies im Zusammenhang mit einer Berichterstattung geschieht, wie sie in der Sendung „heute journal“ vom 22.5.2008 ausgestrahlt wurde.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs gegen Sicherheitsleistung von 50.000 €, hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe:
I.

Mit seiner Klage wendet sich der Kläger, der Vorsitzender der Bundestagsfraktion DIE LINKE ist, gegen die erneute Verbreitung eines Zitats der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Birthler, welches die Antragsgegnerin, eine Sendeanstalt des öffentlichen Rechts, im Rahmen der Sendung „heute-journal“ vom 22.5.2008 unter Einblendung von Frau Birthler ausgestrahlt hat. Anlass dieser Sendung war die Rücknahme der Berufung des Antragstellers gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin, mit dem seine Klage, die sich gegen die Herausgabe von drei Dokumenten durch die Stasi-Unterlagenbehörde gerichtet hatte, abgewiesen worden war.

Zum Sachverhalt im Einzelnen wird auf das angefochtene Urteil des Landgerichts verwiesen.

Wegen desselben Gegenstandes hat der Senat – auf die Beschwerde des Antragstellers – durch Beschluss vom 31.7.2008 eine einstweilige Verfügung erlassen (Geschäftsnummer 7 W 73/08), die auf den Widerspruch der Antragsgegnerin durch Urteil des Landgerichts vom 30.9.2008 aufgehoben wurde (Geschäftsnummer 324 O 421/08). Mit diesem Urteil hat das Landgericht statt der ursprünglichen Verfügung eine einstweilige Verfügung erlassen, deren Verbotsausspruch dem in dem vorliegenden Verfahren ausgeurteilten Verbot des Landgerichts entspricht. Durch Urteil vom 8.9.2009 hat der Senat die Berufung der Antragsgegnerin zurückgewiesen und auf die Berufung des Antragstellers die einstweilige Verfügung wiederum abgeändert und neu gefasst (Geschäftsnummer 7 U 25/09). Im einzelnen wird hierzu auf die beigezogene Akte 7 U 25/09 verwiesen.

Im nunmehr vorliegenden Hauptverfahren hat das Landgericht die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen auf den Hilfsantrag des Klägers bei Androhung von Ordnungsmitteln verurteilt, es zu unterlassen, durch die aus der Anlage zu dem Urteil ersichtliche Berichterstattung den Verdacht zu erwecken, der Kläger habe wissentlich und willentlich an die Staatssicherheit berichtet. Gegen dieses beiden Parteien am 8.9.2009 zugestellte Urteil haben die Parteien jeweils am 25.9.2009 Berufung eingelegt, die von ihnen form- und fristgemäß begründet worden sind.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, es unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils der Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verbieten, die Behauptung der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik in Bezug auf Dokumente der Stasi-Unterlagenbehörde, bei denen es um ein Gespräch zwischen R. H. und Dr. Gregor Gysi als seinem Anwalt geht, zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen:

„In diesem Fall ist willentlich und wissentlich an die Stasi berichtet worden, und zwar von Gregor Gysi über R. H.“,

hilfsweise klarstellend das Verbot dahin gehend zu formulieren,

dass es der Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln verboten wird, die Behauptung der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik in Bezug auf Dokumente der Stasi-Unterlagenbehörde, bei denen es um ein Gespräch zwischen R. H. und Dr. Gregor Gysi als seinem Anwalt geht, zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen:

„In diesem Fall ist willentlich und wissentlich an die Stasi berichtet worden, und zwar von Gregor Gysi über R. H.“,

soweit dies im Zusammenhang mit einer Berichterstattung geschieht, wie sie in der Sendung „heute journal“ vom 22.5.2008 ausgestrahlt wurde.

Die Parteien beantragen ferner, die Berufung der Gegenpartei zurückzuweisen. Zum Vortrag der Parteien im Einzelnen wird auf die in der Akte befindlichen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, sie ist jedoch nicht begründet. Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet.

Die angegriffene Berichterstattung verletzt den Kläger bei bestehender Wiederholungsgefahr rechtswidrig in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, so dass ein Anspruch gem. §§ 823 Abs. 1, 1004 analog BGB i. V. m. Artt. 1, 2 Abs. 1 GG auf Unterlassung der Verbreitung der Äußerung Frau Birthlers besteht.

1. Bei dieser Äußerung handelt es sich um eine Tatsachenbehauptung. Mit ihr wird im Anschluss an die Berichterstattung der Beklagten über ein in „ich-Forrn“ abgefasstes Dokument vom 10. 7 1979 (Anlage B 3), welches eine Anlage zu einem Dokument der Hauptabteilung XX vom 11.7.1979 (Anlage B 4) darstellt und sich auf ein Treffen des Klägers mit den Eheleuten H am 9.7.1979 bezieht, die Behauptung aufgestellt, über dieses Treffen habe der Kläger wissentlich und willentlich an die Stasi berichtet. Im Zusammenhang mit dem zuvor ausschnittsweise eingeblendeten Dokument vom 10.7.1979 ist die Äußerung Frau Birthlers nur so zu verstehen, dass der Kläger dieses Schriftstück für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR gefertigt und diesem zugeleitet habe.

2. Dass diese Behauptung zutreffend ist, hat das Landgericht zu Recht als nicht erwiesen angesehen. Insoweit wird auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil Verwiesen. Dies wird auch von der Beklagten mit der Berufung nicht beanstandet.

Allein die Tatsache, dass die Behauptung Frau Birthlers prozessual als nicht zutreffend anzusehen ist, führt allerdings nicht zu einem Verbot der Verbreitung der Äußerung. Dabei kann offen bleiben, ob sich die Beklagte von ihr distanziert hat. Wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 25.6.2009 (Aktenzeichen 1 BvR 134/03) klargestellt hat, genießt auch die Information über den Meinungsstand in einer aktuellen Auseinandersetzung über eine die Öffentlichkeit berührende Frage den Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit, so dass die eindeutige Kennzeichnung als Fremdbericht als hinreichende Distanzierung ausreichen kann, um eine Haftung des Verbreiters auszuschließen. Daher ist auch die Verwendung eines Zitats im Rahmen einer Verdachtsberichterstattung über einen die Öffentlichkeit interessierenden Vorgang jedenfalls dann zulässig, wenn diese ansonsten ausgewogen ist, so dass für den Rezipienten deutlich wird, dass das verbreitete Zitat nur ein Element eines ansonsten als offen dargestellten Verdachts ist.

3. Wie das Landgericht zu Recht und mit zutreffender Begründung entschieden hat, handelt es sich bei dem Beitrag, der den vom Kläger beanstandeten Satz Frau Birthlers enthält, um eine Verdachtsberichterstattung, die indessen rechtswidrig ist.

Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung ist das Vorliegen eines auf einen Mindestbestand an Beweistatsachen gestützten Verdachts, an dem wegen der Art oder Schwere der Tat oder wegen der Person des Verdächtigen ein besonderes öffentliches Interesse besteht. (vgl. HH-Ko/Medienrecht//Breutz, 39,78ff m.w.N.)

Im Hinblick auf die Gefahr einer öffentlichen Vorverurteilung ist weiter Voraussetzung Für die Zulässigkeit einer solchen Berichterstattung, dass durch die Art der Darstellung deutlich gemacht wird, dass es sich um nicht mehr als einen Verdacht handelt, der nicht erwiesen ist, und dass nicht mehr für als gegen den Verdacht spricht (Soehring, Presserecht, 4. Aufl. § 16, 24 e). Insbesondere ist eine präjudizierende Darstellung zu vermeiden, mit der der Eindruck erweckt wird, der Betroffene sei bereits überführt. Dabei sind die Sorgfaltsanforderungen an die Berichterstattung umso höher anzusetzen, je schwerer der Verdacht wiegt (BGH AfP 2000. 167ff).

Im vorliegenden Falle ist zwar der Gegenstand des Beitrags dem Grunde nach einer zulässigen Verdachtsberichterstattung zugänglich, da an der Frage, ob der Fraktionsvorsitzende einer im Bundestag vertretenen Partei zu Zeiten der DDR für den Staatssicherheitsdienst tätig war, ein hohes Interesse der Öffentlichkeit besteht. Dieses erstreckte sich insbesondere auch auf die Darstellung der aktuellen Verdachtslage, wie sie sich nach Freigabe der drei Dokumente darstellte, die Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens waren.

Die von der Beklagten ausgestrahlte Berichterstattung zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass sie auf nicht hinreichender Recherche basiert und dass sie in ihrer Darstellung unausgewogen zu Lasten des Klägers ist. In diesem Zusammenhang erscheint das beanstandete Zitat als wichtiges Element einer von der Beklagten geführten Beweiskette gegen den Kläger, die den Zuschauer dazu veranlasst, den Kläger als praktisch überführt anzusehen.

a) Auch wenn die Redakteurin der Beklagten vor Ausstrahlung der Sendung mit Frau Birthler und Herrn K. gesprochen hat und das rechtskräftig gewordene Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin sowie den Abschlussbericht des Ausschusses für die Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des 13. Deutschen Bundestages vom 20.5.1998 vorliegen hatte, ist sie ihrer Recherchepflicht nicht in dem erforderlichen Maße nachgekommen.

Sie hat es nämlich verabsäumt, den Kläger konkret zu der von Frau Birthler gemachten Äußerung zu befragen und ihm stattdessen lediglich die Durchführung eines Interviews angeboten. Wie sich aus den eidesstattlichen Versicherungen der Redakteurinnen S. und Z. vom 16.6.2008 in der Sache 7 U 25/09 ergibt (dort Anl. AG 11,12), war dem Kläger über seinen Pressesprecher mehrfach ein Interview vorgeschlagen worden zu der Frage, warum er seine Berufung zurückgenommen habe, was dieser trotz erneuter Nachfrage ausgeschlagen hat. Die Zurückweisung dieses Interview-Angebotes enthob die Beklagte indessen nicht der Pflicht, dem Kläger Gelegenheit zu geben, auf anderem Wege zu dem Sachverhalt Stellung zu nehmen.

aa) Im Zusammenhang mit einer Berichterstattung über den Verdacht einer Straftat bzw. eines Standesvergehens erscheint es für einen Betroffenen nicht ohne Weiteres zumutbar, sich der Öffentlichkeit in einem Interview zu präsentieren, um den Vorwürfen zu begegnen, da diese Form der Äußerung die Aufmerksamkeit des Zuhörers in erhöhtem Maße auf den Verdächtigten und den Gegenstand des Verdachts lenkt und da ein Fernsehinterview schon im Hinblick auf dessen weitere Bearbeitung ein Risiko von Ungenauigkeiten in sich birgt. Auch wenn der Kläger in öffentlichen Auftritten vor den Medien erfahren sein mag, musste er hier im Falle eines Interviews damit rechnen, dass seine Darstellung nur verkürzt gesendet würde und dass daher die Gefahr der Verfälschung bestand. Es handelte sich um einen sehr komplexen Berichtsgegenstand, für dessen Darstellung im Rahmen des „heute-journal“ nur eine relativ kurze Zeit zur Verfügung stehen konnte, so dass die aufgeworfenen Fragen in der Sendung nicht detailliert abgehandelt werden konnten.

bb) Hinzu kommt, dass dem Kläger nicht bekannt gemacht worden war, dass sich Frau Birthler in der zitierten Weise geäußert hatte und dass man konkret über den Verdacht gegen ihn in Bezug auf den Vorgang vom 9./10.7.1979 berichten werde. Zwar lag es in Anbetracht der drei durch das Verwaltungsgericht freigegebenen Dokumente nahe, dass auch deren Inhalt Gegenstand der Berichterstattung sein würde. Dennoch zielte die von der Redakteurin S dem Pressesprecher T genannte Frage, warum der Antragsteller die Berufung zurückgezogen habe, nicht unmittelbar auf die Vorgänge aus dem Jahr 1979 und die Behauptung Frau Birthlers.

Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger aufgrund eines vorausgegangenen Artikels, der am 20.5.2008 bei Spiegel online erschienen war (Anlage B 21), damit rechnen musste, dass man sich mit den neuen Verdachtsmomenten befassen würde, die sich aus den durch das Verwaltungsgericht Berlin freigegebenen Dokumenten ergeben könnten. So ist insbesondere nicht ohne Weiteres zu unterstellen, dass sich der Kläger bei entsprechender Konfrontation mit dem Zitat ebenso wie in der E-Mail, die sein Pressesprecher am 21.5.2008 als Stellungnahme zu dem Spiegel online-Artikel (Anlage B 20) an die Beklagte übersandte, lediglich darauf beschränkt hätte, pauschal darauf zu verweisen, dass für ihn erst im Jahr 1980 ein IM-Vorlauf angelegt wurde, der später mangels Eignung des Klägers archiviert wurde. In dem Artikel bei Spiegel online vom 20.5.2008 findet sich nämlich weder die Äußerung Frau Birthlers, noch irgendeine sonstige Behauptung des Inhalts, der Kläger habe über das Treffen vom 9.7.1979 wissentlich an den Staatssicherheitsdienst der DDR berichtet.

Entgegen der Meinung der Beklagten musste der Kläger auch nicht damit rechnen, dass sich Frau Birthler in dieser Weise über ihn geäußert hatte. Die Pressemitteilung der Bundesbeauftragten vom 20.5.2008 (Anlage B 24) enthält nämlich keine eindeutige Aussage darüber, ob das Dokument vom 10.7.1979 wissentlich vom Kläger für die Stasi gefertigt wurde. Frau Birthler wird vielmehr in der Pressemitteilung in der Weise zitiert, dass man „endlich weitere Dokumente über die Einflussnahme der Stasi auf Anwälte und das Verhältnis R. Hs zu seinem Anwalt Dr. Gysi für Forschung und Medien zugänglich machen“ könne. Selbst wenn also der Kläger, wie er bestreitet, diese Pressemitteilung gekannt haben sollte, bestand für ihn kein Anlass zu der Annahme, dass eine Aussage Frau Birthlers in den Beitrag des „heute journal“ aufgenommen werden würde, mit der der Spitzelvorwurf zu dem Treffen vom 9.7.1979 in pointierter Weise erhoben würde.

Trotz mehrfacher Ablehnung eines Interviews durch den Pressesprecher des Klägers wäre es daher für die Beklagte angezeigt gewesen, an den Kläger schriftlich konkrete und gezielte Fragen zu richten und ihm Frau Birthlers Äußerung vorzuhalten, um ihm Gelegenheit zu geben, seine Interpretation des gezeigten Dokuments – auch außerhalb eines Interviews – darzulegen.

b) Der Rechtmäßigkeit der Berichterstattung steht ferner die unausgewogene Form der Darstellung entgegen, wie das Landgericht unter Bezugnahme auf den Beschluss des Senats vom 31.7.2008 ausgeführt hat. Der Beitrag der Beklagten präsentiert im Ganzen nur wenige den Kläger entlastende Umstände, die zudem durch ihre Formulierung oder den Kontext praktisch entwertet werden

Die hiergegen mit der Berufung vorgebrachten Beanstandungen der Beklagten vermögen nicht zu überzeugen.

aa) So wird zwar bereits in der Anmoderation deutlich gemacht, dass der Kläger jede Zusammenarbeit mit der Stasi bestreite und behaupte, nie IM gewesen zu sein und nie jemanden verraten zu haben. Dieses Bestreiten wird aber bereits dadurch als im Grunde unglaubhaft entwertet, dass der Kläger zuvor als „äußerst gewiefter Anwalt“ vorgestellt wird, der jeden, der anderes behaupte, verklage. Das Attribut „gewieft“ hat nach allgemeinem Verständnis die Bedeutung von listig und raffiniert, somit von Charaktereigenschaften, die es ermöglichen, Ansprüche unabhängig von ihrer Berechtigung erfolgreich durchzusetzen.

Die zuvor genannte pauschale Darstellung seines Bestreitens wird zudem durch die anschließende Erwähnung und Darstellung der als „interessant“ bezeichneten Protokolle praktisch widerlegt, ohne dass die Version des Klägers über Qualität und Herkunft dieser Dokumente auch nur angedeutet wird. Die Wiedergabe der Einwände des Klägers zumindest in Grundzügen wäre der Beklagten auch ohne dessen konkrete Stellungnahme schon anhand der Gründe des verwaltungsgerichtlichen Urteils (Anlage B 1) möglich gewesen, die sich mit dem Vortrag des Klägers ausführlich auseinandersetzen. Stattdessen werden die ausschnittsweise eingeblendeten Schriftstücke als geradezu erdrückendes Beweismaterial vorgeführt, das nur von dem Kläger dem Staatssicherheitsdienst zugeleitet worden sein kann, so dass der Zuschauer, zumal nach der Äußerung Frau Birthlers, nur zu dem Schluss kommen kann, dass der Kläger überführt sei. Zwar hatte das Verwaltungsgericht den Erklärungsansatz des Klägers bezüglich des Dokuments vom 10.7.1979 über das Gespräch vom 9.7.1979 als nicht glaubhafte Schutzbehauptung bezeichnet (vgl. Anlage B 1, Abschnitt 19). Gleichwohl wäre es angezeigt gewesen, diesen Ansatz – möglicherweise zusammen mit der Einschätzung des Verwaltungsgerichts – mitzuteilen oder zumindest darauf hinzuweisen, dass der Kläger vor dem Verwaltungsgericht mehrere Erklärungsmöglichkeiten dafür angeboten hatte, wie das Dokument in die Akten des Staatssicherheitsdienstes Eingang gefunden hat.

bb) Die Zusammenstellung der Dokumente und die auf sie gestützte Argumentationskette ist darüber hinaus irreführend. Das erste eingeblendete Dokument, worauf sich die Äußerung Frau Birthlers bezieht, betrifft ein Treffen vom 9.7.1979. Auf die im Anschluss daran gestellte Frage, ob Gysi wirklich der Informant gewesen sei, wird Herr K. vorgestellt, der „1979 auch dabei“ gewesen sei, ohne dass dem Zuschauer wahrheitsgemäß vermittelt wird, dass das Treffen, an dem K teilgenommen hat, an einem anderen Tag, nämlich am 3.10.1979, stattgefunden hat. Zwar mag der alsdann berichtete Umstand, dass K über seine Heimfahrt Mit dem Kläger später einen Bericht in seinen Stasi-Akten fand, ein Indiz dafür darstellen, dass der Kläger auch bezüglich des 9.7.1979 Informant gewesen sein könnte, wenn er auch über das Treffen vom 3.10.1979 berichtet haben sollte. Dennoch hätte dem Zuschauer vermittelt werden müssen, dass der Vorgang, von dem K. berichtet, zu einer anderen Zeit stattgefunden hat, als derjenige, auf den sich die Äußerung Frau Birthlers bezieht, und dass das Treffen mit K. und der Vermerk in dessen Akte bezüglich des Treffens vom 9.7.1979 lediglich als Indiz in Betracht gezogen werden könnte.

Soweit die Beklagte die Vermischung beider Treffen durch die Berichterstattung leugnet, ist dies nicht nachzuvollziehen. Die nach Frau Birthlers Äußerung gestellte Frage lautet nämlich: „War Gysi wirklich der Informant?“. Der Artikel „der“ in diesem Fragesatz zeigt an, dass sich die Frage allein auf den vorausgegangenen Bericht (über den 9.7.1979) bezieht. In diesem Kontext kann die Einführung Ks mit der Erklärung, er sei 1979 auch dabei gewesen, nur so verstanden werden, dass dieser bei dem zuvor genannten Treffen (vom 9.7.1979) dabei gewesen sei. Entgegen der Auffassung der Beklagten hatte der Zuschauer bei dieser Diktion keinen Anlass anzunehmen, dass es sich in Wahrheit um 2 verschiedene Treffen handelte. Gänzlich fernliegend erscheint es, dass dem Zuschauer noch in Erinnerung war, dass zuvor von „Gesprächen“ in der Mehrzahl die Rede war und dass er daraus den Schluss ziehen konnte, das zuvor eingeblendete Dokument einerseits und die Aussage Ks sowie das Dokument aus dessen Akte andererseits beträfen 2 verschiedene Ereignisse. Auch die Tatsache, dass es sich bei den eingeblendeten Texten um solche handelte, die aus verschiedenen Dokumenten stammten, wie jedenfalls dem aufmerksamen Zuschauer wegen der stilistischen Unterschiede auffallen konnte, führte nicht zu dem Verständnis, dass beide Dokumente verschiedene Ereignisse betrafen. Wegen der zitierten Überleitungssätze („War Gysi wirklich der Informant?“ und „Er war 1979 auch dabei.“) musste der Zuschauer vielmehr davon ausgehen, dass beide Dokumente sich auf dasselbe Treffen bezogen.

cc) Auch bezüglich des eingeblendeten Dokuments, welches K. betrifft, hat die Beklagte es unterlassen, die ihr aus dem Verwaltungsgerichtsprozess bekannten Erklärungen des Klägers zumindest anzudeuten.

dd) Aufgrund der gesamten Darstellung gewinnt der Zuschauer den Eindruck, der Kläger habe als einziges Argument gegen den Verdacht nur den Einwand, eine Spitzeltätigkeit sei im Jahr 1979 ausgeschlossen gewesen, weil erst im Herbst 1980 ein IM-Vorlauf über ihn angelegt worden sei. Die Mitteilung von der Anlegung des IM-Vorlauf wird zudem lediglich als Äußerung des Klägers eingeblendet, so dass für den Zuschauer offen bleibt, ob dieser Vorlauf tatsächlich erst zu dieser Zeit angelegt wurde oder ob es sich nur um eine unbewiesene Behauptung des Klägers handelte. Die Verfügung der Staatssicherheitsbehörde, wonach der Kläger als IM ungeeignet sei, wird im Anschluss daran zwar – in indirekter Rede – erwähnt, sie wird indessen im Unterschied zu den belastenden Dokumenten nicht eingeblendet, so dass aus der
Berichterstattung nicht eindeutig hervorgeht, ob es auch hierfür Belege gibt.

Diese einzigen mitgeteilten Entlastungsargumente des Klägers werden zudem unmittelbar im Anschluss daran durch die weitere Äußerung Frau Birthlers entkräftet, die darauf hinweist, dass es unerheblich sei, ob eine offizielle Registrierung erfolgt sei.

Irgendeine Auseinandersetzung mit dem Aussagegehalt der Tatsache, dass erst nach den dokumentierten Vorgängen ein IM-Vorlauf angelegt wurde, findet nicht statt, vielmehr wird diesem Teil der Akte der Staatssicherheit im Unterschied zu den übrigen zitierten Dokumenten keinerlei Bedeutung beigemessen.

ee) Zusammenfassend kommt die Berichterstattung als eine Art Beweisführung gegen den „gewieften“ Kläger daher, bei der wesentliche Erklärungen des Klägers zu belastenden Material unterdrückt werden, nicht zusammengehörende belastende Beweisstücke als Einheit verbunden werden und belastendes Material im Bild auszugsweise gezeigt wird, entlastendes hingegen nicht. Weitere Entlastungsmomente aus der vom Kläger herausgegebenen Presseerklärung vom 22.5.2008 (AnIage K 3) werden zudem nicht erwähnt, wie etwa die erfolgreiche Vertretung R. Hs durch den Kläger sowie die spätere Einleitung einer operativer Personenkontrolle gegen den Kläger

Soweit die Beklagte einwendet, sie habe im Hinblick auf die Aktualität unter Zeitdruck gestanden, ist dem entgegenzuhalten, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts seit längerer Zeit bekannt war, in welchem die Sichtweise des Klägers festgehalten war. Auch wenn die Berufungsrücknahme nicht vorherzusehen war, bestand doch angesichts der bevorstehenden Berufungsverhandlung in jener Sache ein Anlass und die hinreichende Möglichkeit, sich mit den Gründen jenes Urteils näher auseinanderzusetzen, um die in jenem Verfahren vorgetragene Sichtweise des Klägers nachzuvollziehen.

Im Zusammenhang mit dieser Berichterstattung dient die Verbreitung der beanstandeten Äußerungen Frau Birthlers nicht als Darstellung einer von mehreren Sichtweisen, sondern als Bekräftigung der von der Beklagten vermittelten Schlussfolgerung, wonach der Kläger Spitzel gewesen sei. Die pointierte Äußerung Frau Birthlers enthält die zentrale Aussage des Berichts, ohne dass – im Sinne eines Markts der Meinungen – abgesehen von der inhaltsarmen Mitteilung vom Bestreiten des Klägers, eine inhaltliche Gegenposition bezüglich des Treffens vom 9.7.1979 auch nur angedeutet wird.

In diesem Kontext ist die Verbreitung der Äußerung daher rechtswidrig.

4. Hieraus folgt ein Anspruch des Klägers auf Unterlassung einer erneuten Verbreitung des genannten Zitats der Äußerung Frau Birthlers.

Da dem Kläger dieser von ihm in erster Instanz beantragte Anspruch nicht zuerkannt ist, ist er durch das landgerichtliche Urteil beschwert. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat dieses Verbot einen anderen Inhalt als der Verbotstenor des erstinstanzlichen Urteils, da mit dem nunmehr zugesprochenen Anspruch im Schwerpunkt die Äußerung Frau Birthlers verboten wird. Ob das nunmehr ausgesprochene Verbot in der Konsequenz tatsächlich weiter geht, als dasjenige, das das Landgericht zuerkannt hat, ist hierbei unerheblich. Maßgeblich ist allein, dass der Kläger im Hauptantrag ein anderes Verbot begehrt hat, worauf er einen Anspruch hatte.

Wie ausgeführt ergibt sich die Rechtswidrigkeit der Verbreitung aus dem Kontext, in dem die beanstandete Passage steht. Da es zu den Aufgaben Frau Birthlers als Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik gehört, sich über den Inhalt in den Akten befindlicher Dokumente zu äußern, liegt es nicht fern, dass die Verbreitung der beanstandeten Äußerung in einem anderen Kontext im öffentlichen Interesse liegen und daher von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt sein kann. Es handelt sich hierbei um einen Vorbehalt, der jeder Textberichterstattung immanent ist. Klarstellend hat der Senat daher das Verbot der erneuten Verbreitung – entsprechend der als Hilfsantrag bezeichneten Formulierungsanregung in der Berufungsbegründung des Klägers – auf eine solche im Zusammenhang mit der hier vorliegenden Berichterstattung bezogen.

Dieser Ausspruch enthält lediglich eine Klarstellung der ohnehin bestehenden Rechtslage und keine Einschränkung gegenüber dem ursprünglich gestellten Hauptantrag des Klägers, so dass keine Kostenteilung zu erfolgen hat (§ 91 ZPO).

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass der Kläger selbst seinen Berufungsantrag so formuliert hat, dass in erster Linie die Unterlassung ohne Hinzufügung des Zusatzes „soweit dies im Zusammenhang mit einer Berichterstattung geschieht, wie sie in der Sendung „heute journal“ vom 22.5.2008 ausgestrahlt wurde“ beantragt wurde. Der Kläger selbst hat durch die Antragstellung im Berufungsverfahren deutlich gemacht, dass er den „hilfsweise“ gestellten Antrag als klarstellende Formulierung desselben Anspruchs ansieht, wobei er offensichtlich der in der Sache 7 U 25/09 zum Ausdruck gekommenen Meinung des Senats gefolgt ist.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

(Unterschriften)

, Telemedicus v. 29.08.2020, https://tlmd.in/-3519

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