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OLG Frankfurt am Main: Zulässigkeit der Nebenintervention des Plattform-Betreibers im Rechtsstreit über Zulässigkeit von Plattformverboten im Zusammenhang mit Luxusprodukten

OLG Frankfurt am Main, Beschluss v. 13.12.2016, Az. 11 U 96/14

1. Ist ein Verfahren wegen einer Vorlage an den EuGH nach § 267 AEUV ausgesetzt, steht die Unterbrechungswirkung des § 249 ZPO einer Verhandlung und Entscheidung über die Zulässigkeit einer Nebenintervention nach § 271 ZPO nicht entgegen.

2. Ein rechtliches Interesse des Nebenintervenienten im Hinblick auf einen möglichen Folgeprozess setzt voraus, dass der Ausgang des Verfahrens einen unmittelbaren rechtlichen Einfluss auf den Folgeprozess haben kann. Ein lediglich mittelbarer Einfluss auf eine beabsichtigte Klage gegen den Gegner der unterstützten Partei ist insoweit nicht ausreichend.

3. Ein solcher rechtlicher Einfluss ist nicht bereits deshalb anzunehmen, weil in dem Hauptverfahren ein Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV über die Auslegung von Unionsrecht anhängig ist und die Beantwortung der Vorlagefrage geeignet ist, die Rechtsbeziehungen des Nebenintervenienten zu beeinflussen.

OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN

Beschluss

Aktenzeichen: 11 U 96/14

Verkündet am: 2016-12-13

Die Nebenintervention wird zurückgewiesen.

Die Nebenintervenientin hat die Kosten des Zwischenstreits zu tragen.

Gründe

I.

Die Klägerin ist einer der führenden Anbieter von Luxuskosmetik, so genannter „Depot-Kosmetik“, in Deutschland. Sie vertreibt die im Klageantrag aufgeführten Marken im selektiven Vertrieb an autorisierte Einzelhändler („Depositäre“) auf der Grundlage eines so genannten Depotvertrages. Nach dem Depotvertrag ist es den Einzelhändlern nicht gestattet, im Rahmen des Internetvertriebs nach außen sichtbar ein Drittunternehmen einzuschalten, für welches die Klägerin keine Autorisierung erteilt hat.

Die Beklagte vertreibt als Depositär die Produkte der Klägerin sowohl in stationären Absatzstätten als auch im Internet. Der Internetverkauf erfolgt teilweise über die Plattform „x.de“.

In dem vorliegenden Rechtsstreit begehrt die Klägerin unter Berufung auf die genannte Vertragsbestimmung, der Beklagten zu untersagen, die im Klageantrag genannten Markenprodukte über die Plattform „x.de“ zu vertreiben.

Der Senat hat mit Beschluss vom 19.4.2016 das Verfahren ausgesetzt und zur Klärung der Wirksamkeit der entsprechenden Vertragsklausel dem EuGH nach Art. 267 AEUV einige Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt.

Die Nebenintervenientin betreibt den offenen Internet-Marktplatz „X Y“. Sie hat mit Schriftsatz vom 13.05.2016 den Beitritt zu dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten erklärt.

Die Klägerin hat dem Beitritt widersprochen. Sie ist der Auffassung, dass die Nebenintervenientin lediglich ein wirtschaftliches, jedoch kein rechtliches Interesse am Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits habe.

Die Klägerin beantragt,

die Nebenintervention zurückzuweisen.

Die Nebenintervenientin beantragt,

die Nebenintervention zuzulassen.

Sie behauptet, sie unterhalte mit der Beklagten eine Vertragsbeziehung aufgrund des „X Z“-Vertrages. Auf der Grundlage dieses Vertrages biete die Beklagte die von ihr vertriebenen Waren – unter Einschluss von Produkten der Klägerin – auf dem X Y auf der Website www.x.de an. Sie, die Nebenintervenientin, erhalte für ihre Dienste eine Vergütung, die u.a. von den jeweiligen Umsätzen abhänge.

Diese Vertragsbeziehung könne die Beklagte im Falle eines den Klageanspruch zusprechenden Urteils nicht mehr fortsetzen. Die Vertragsbeziehung zwischen der Beklagten und der Nebenintervenientin würde dann aufgrund der Wirkung des Urteils rechtlich und faktisch unmöglich.

Soweit das Plattformverbot dazu führe, dass die Beklagte oder andere Vertragshändler der Klägerin von Verkäufen über den X Y absähen, erleide die Nebenintervenientin einen Provisionsverlust. Wenn die Beklagte obsiege, weil die Vertragsklausel als kartellrechtswidrig einzuordnen sei, entstehe ein Schadensersatzanspruch der Nebenintervenientin gegen die Klägerin nach § 33 GWB.

Ein rechtliches Interesse der Nebenintervenientin sei auch unter Berücksichtigung der Bestimmung des § 68 ZPO jedenfalls infolge der ergaomnes-Wirkung der EuGH-Entscheidung zu bejahen.

II.

1) Da die Klägerin beantragt hat, die Nebenintervention zurückzuweisen, war über die Zulässigkeit der Nebenintervention nach § 71 ZPO in einem Zwischenstreit zu verhandeln und zu entscheiden. Die Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf das derzeit beim EuGH anhängige Vorlageverfahren stand insoweit nicht entgegen, weil die Unterbrechungswirkung des § 249 ZPO lediglich das Hauptsacheverfahren betrifft.

2) Die Nebenintervention war zurückzuweisen, weil die Nebenintervenientin nicht schlüssig dargelegt hat, dass sie ein rechtliches – und nicht lediglich ein wirtschaftliches – Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hat (§ 66 ZPO).

Dabei kann letztendlich offen bleiben, ob die in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwalts A nach § 296 Abs. 2 ZPO verspätet ist und falls nein, ob durch sie der vorgetragene Sachverhalt ausreichend glaubhaft gemacht wird. Denn es fehlt bereits an einem schlüssigen Tatsachenvortrag, aus dem sich ein rechtliches Interesse der Nebenintervenientin ergäbe.

Der Begriff des rechtlichen Interesses ist zwar grundsätzlich weit auszulegen (BGH, Beschluss vom 18.11.2015 – VII ZB 2/15). Aus dem Erfordernis eines rechtlichen Interesses folgt jedoch, dass ein rein wirtschaftliches oder tatsächliches Interesse für die Zulässigkeit einer Nebenintervention nicht ausreicht. Der Begriff des rechtlichen Interesses erfordert vielmehr, dass der Nebenintervenient zu der unterstützten Partei oder dem Gegenstand des Rechtsstreits in einem Rechtsverhältnis steht, auf das die Entscheidung des Rechtsstreits durch ihren Inhalt oder ihre Vollstreckung unmittelbar oder auch nur mittelbar rechtlich einwirkt. Der bloße Wunsch der Nebenintervenientin, der Rechtsstreit möge zugunsten einer Partei entschieden werden, und die Erwartung, dass die damit befassten Gerichte auch in einem künftigen eigenen Rechtsstreit mit einer Partei an einem einmal eingenommenen Standpunkt festhalten und zu einer ihnen günstigen Entscheidung gelangen sollten, stellen lediglich Umstände dar, die ein tatsächliches Interesse am Obsiegen einer Partei zu erklären vermögen. Ein Interesse daran, dass eine rechtliche oder tatsächliche Frage auf eine bestimmte Weise beantwortet wird, genügt demnach ebenso wenig wie der denkbare Umstand, dass in beiden Fällen dieselben Ermittlungen angestellt werden müssen oder über gleichgelagerte Rechtsfragen zu entscheiden ist (BGH, Beschluss vom 18.11.2015 – VII ZB 2/15; Beschluss vom 10.2.2011 – I ZB 63/09; Beschluss vom 17.1.2006 – X ZR 236/01; Senat, Urteil vom 24.8.16, 11 U 123/15 (Kart)).

Nach diesen Maßstäben kann ein rechtliches Interesse der Nebenintervenientin nicht festgestellt werden

a) Ein solches ergibt sich zunächst nicht aus der vorgetragenen – von der Klägerin bestrittenen – Vertragsbeziehung mit der Beklagten. Dass die Nebenintervenientin bei einem Unterliegen der Beklagten erhebliche Provisionseinbußen zu befürchten hätte, weil die Beklagte dann die verfahrensgegenständlichen Waren nicht mehr über den X Y vertreiben würde, begründet lediglich ein wirtschaftliches Interesse. Es ist nicht vorgetragen, dass die Beklagte nach dem Vertrag verpflichtet wäre, eine bestimmte Mindestmenge dieser Waren über die Website www.x.de zu vertreiben. Nur in diesem Fall wäre der Ausgang des Rechtsstreits aber geeignet, die Rechtsposition der Nebenintervenientin gegenüber der Beklagten zu beeinflussen, weil bei einem gerichtlichen Verbot entsprechend dem Klageantrag mögliche Schadensersatzansprüche der Nebenintervenientin wegen Nichterfüllung solcher vertraglichen Verpflichtungen gegen die Beklagte am fehlenden Verschulden der Beklagten scheitern könnten.

b) Soweit die Nebenintervenientin sich darauf beruft, im Falle eines Obsiegens der Beklagten Schadensersatzansprüche gegen die Klägerin nach § 33 GWB wegen Provisionseinbußen in den letzten Jahren geltend machen zu wollen, würde dies nur dann ein rechtliches Interesse der Nebenintervenientin begründen, wenn der Ausgang des vorliegenden Verfahrens einen wie auch immer gearteten rechtlichen Einfluss auf den Folgeprozess haben könnte. Dies ist nicht ersichtlich, weil es keine Vorschrift gibt, nach der das Ergebnis des vorliegenden Verfahrens im Verhältnis zur Klägerin eine Bindungswirkung entfalten könnte:

Die Rechtskraft eines im vorliegenden Verfahren ergehenden Urteils wirkt nach § 325 Abs. 1 ZPO nur im Verhältnis zwischen den Parteien bzw. ihren etwaigen Rechtsnachfolgern. Die Interventionswirkung des § 68 ZPO tritt ausschließlich im Verhältnis zur unterstützten Partei, das ist hier die Beklagte, nicht aber zur Gegenpartei ein (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 68 Rdnr. 6). Die Bindungswirkung des § 33 Abs. 4 GWB betrifft lediglich Entscheidungen der Kartellbehörden bzw. gerichtliche Entscheidungen, mit denen diese überprüft worden sind, nicht hingegen Urteile in Kartellzivilverfahren.

Würde die vorliegende Klage mit der Begründung abgewiesen, dass die gegenständliche Vertragsklausel kartellrechtswidrig ist, wäre diese Feststellung für das mit einer Schadensersatzklage der Nebenintervenientin gegen die Klägerin befasste Gericht daher in keiner Weise präjudiziell.

Dass ein entsprechendes Urteil, wie die Nebenintervenientin meint, möglicherweise ihre Erfolgsaussichten in einem solchen Folgeprozess erhöhen würde, wäre allenfalls im Hinblick darauf denkbar, dass sich das Gericht des Folgeprozesses an der im vorliegenden Verfahren ergehenden Entscheidung orientieren könnte. Eine solche rein faktische Präzedenzwirkung vermag jedoch ein rechtliches Interesse i.S.d. § 66 Abs. 1 ZPO nicht zu begründen (BGH, Beschluss vom 10.2.2011 – I ZB 63/09).

c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die zu erwartende Entscheidung des EuGH allgemein verbindlich ist.

Der EuGH entscheidet im Vorlageverfahren nicht den konkreten nationalen Rechtsstreit, sondern er bestimmt lediglich über die Auslegung entscheidungsrelevanter Normen des Unionsrechts. Nur diese Auslegung ist für das vorlegende Gericht ebenso wie für alle anderen Rechtsanwender innerhalb der Union bindend. Die Frage, ob die gegenständliche Vertragsklausel tatsächlich gegen Art. 101 AEUV – in der durch den EuGH vorgegebenen Auslegung – verstößt, wird hingegen allein durch das erkennende Gericht (bzw. ggf. durch das Revisionsgericht) entschieden.

Die Wirkung „erga omnes“ betrifft im Falle des EuGH also gerade nicht ein konkretes Rechtsverhältnis, sondern nur den rechtlichen Rahmen. Es besteht daher keine Vergleichbarkeit mit Fallgestaltungen, in denen ein deutsches Gericht etwa über Patentnichtigkeitsklagen (dazu BGH, Beschluss vom 17.1.2006 – X ZR 236/01), Statusfragen oder gesellschaftsrechtliche Gestaltungsklagen entscheidet (vgl. Schultes in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl., § 66 Rdnr. 12).

Die Interessenlage der Nebenintervenientin ist insoweit keine andere als die sonstiger Dritter, für deren Rechtsverhältnisse ebenfalls die Auslegung der im vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Bestimmungen des Unionsrechts von Bedeutung ist. Ob eine solche Betroffenheit ausreicht, um in dem Vorlageverfahren vor dem EuGH Beteiligungs- bzw. Äußerungsrechte wahrnehmen zu können, ist eine Frage der Verfahrensordnung des EuGH.

3) Die Kosten des Zwischenverfahrens waren nach § 91 ZPO der Nebenintervenientin aufzuerlegen.

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