OLG Frankfurt am Main, Urteil v. 07.05.2015, Az. 6 U 79/14
Die von einem Mobilfunkanbieter verwendete Werbeaussage „bis zu 100 Mbit/s“ ist irreführend, wenn im Mittel eine Übertragungsgeschwindigkeit von nicht mehr als 45 Mbit/s erzielt wird.
Im Namen des Volkes
Urteil
Aktenzeichen: 6 U 79/14
Verkündet am: 2015-05-07
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 05.03.2015 verkündete Urteil der 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main teilweise abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen, soweit die Klägerin von der Beklagten Zahlung in Höhe von mehr als 520,13 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit 10.12.2013 verlangt.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 70.000 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
I.
Wegen des Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Gegenstand des Unterlassungsantrags ist eine Anzeige im … unter der Überschrift: „Das … hat ein megaschnelles Netz verdient.“ In der Anzeige ist blickfangartig ein … abgebildet. Darunter heißt es: „Nur im Netz der A surfen Sie mit LTE-Geschwindigkeit von bis zu 100 MBit/s1 – jetzt drei Monate inklusive.“ In der Fußnote heißt es unter 1.: „Die Bandbreite von bis zu 100 Mbit/s im Download ist in immer mehr Ausbauregionen verfügbar. Weitere Informationen vom Netzausbau und zur Verfügbarkeit von LTE erhalten Sie unter www…..de/…“
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr handelnd in der Printwerbung für das LTE-Mobilfunk der Beklagten die Angabe zu verwenden oder verwenden zu lassen: „Nur im Netz der A surfen Sie mit LTE-Geschwindigkeit von bis zu 100 Mbit/s“, wenn dies geschieht wie in der Werbeanzeige gemäß Anlage 3 zur Klageschrift. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Werbung sei irreführend, weil der Verbraucher in seiner Erwartung, dass er nicht nur einen hohen Spitzenwert von bis zu 100 Mbit/s bei der Nutzung des beworbenen … im LTE-Netz der Beklagten erreichen könne, sondern auch eine durchschnittliche Datenübertragungsgeschwindigkeit im Download, die über 50 Mbit/s liegt, getäuscht werde. Auch der Zahlungsantrag sei begründet; der Klägerin stehe ein Anspruch auf Erstattung der ihr durch die Abmahnung vom 30.11.2012 entstandenen Rechtsanwaltskosten gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG zu.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.
Die Beklagte beantragt,
Die Klägerin beantragt,
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst ihren Anlagen Bezug genommen sowie auf die Ausführungen unter II.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache nur zu einem geringen Teil Erfolg.
Mit Recht hat das Landgericht die Beklagte zur Unterlassung verurteilt. Der Anspruch folgt aus §§ 3, 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG.
Nicht gefolgt werden kann allerdings der Auffassung der Klägerin, die angegriffene Aussage sei so zu verstehen, dass kein anderer Anbieter die Möglichkeit eröffne, mit einer LTE-Geschwindigkeit von bis zu 100 Mbit/s zu surfen. Wie der Senat bereits in der Entscheidung zum vorausgegangenen Eilverfahren (6 U 75/13) ausgeführt hat, versteht der situationsadäquat aufmerksame Verbraucher den Satz „Nur im Netz der A surfen Sie mit LTE-Geschwindigkeit von bis zu 100 Mbit/s“ nicht losgelöst von dem in der Werbeanzeige in Bezug genommenen …. Denn jedem Leser, der die Zeitungsseite mit der Anzeige aufschlägt, wird zuerst das abgebildete … auffallen, da es etwa zwei Drittel der gesamten Seite in Anspruch nimmt. Hervorgehoben ist auch die Überschrift „Das … hat ein megaschnelles Netz verdient“. Damit besteht gerade für den eher flüchtigen Leser kein Anlass daran zu zweifeln, dass die beanstandete Angabe sich (nur) auf ein Netz bezieht, welches von dem … unterstützt wird. Bei diesem Verständnis ist die Angabe nicht irreführend, denn unstreitig verfügt allein die Beklagte über Lizenzen in dem Frequenzbereich von 1.800 MHz.
Auch kann die Klägerin nicht mit ihrem Argument durchdringen, die Werbung sei irreführend, weil nur in vereinzelten Regionen der Mobilfunkstandard LTE im Frequenzbereich von 1,8 GHz (LTE 1800) ausgebaut sei, so dass schon deshalb nur sehr wenige potentielle Kunden der Beklagten überhaupt die theoretische Möglichkeit hätten, mit der beworbenen Geschwindigkeit zu surfen. Die Verbraucher wissen, nicht zuletzt wegen der Verfügbarkeit von DSL, dass neue Übertragungstechniken nur sukzessive bereitgestellt werden. Überdies hat die Klägerin auf den Aspekt der Ausbauregionen in einer Fußnote, zwar kleingedruckt, aber dennoch lesbar, hingewiesen. Schließlich ist der Ausbau in immerhin 50 Städten nicht derart marginal, dass man die Werbung unter diesem Gesichtspunkt als irreführend angreifen könnte. Daher kommt es nicht darauf an, ob die Werbung unter diesem Gesichtspunkt jedenfalls mittlerweile nicht mehr irreführend ist, weil die Beklagte, wie sie bereits im Eilverfahren vorgetragen hat, den LTE-Standard schon in 320 deutschen Orten anbietet.
Als tragfähig erachtet der Senat jedoch, wie bereits im Urteil des Eilverfahrens ausgeführt, die Argumentation der Klägerin, die Werbung mit „bis zu 100 Mbit/s“ sei irreführend, weil die angesprochenen Verkehrskreise zwar erkennen, dass es sich bei dieser Download-Geschwindigkeit um einen Spitzenwert handelt, er jedoch annimmt, dass er auch im Mittel einen hohen Download-Speed erwarten darf.
Der Senat hat hierzu auf Seiten 8-10 der Eilentscheidung ausgeführt: „Die Werbung mit „bis zu 100 MBit/s“ ist irreführend, weil die angesprochenen Verkehrskreise zwar erkennen, dass es sich bei dieser Download-Geschwindigkeit um einen Spitzenwert handelt. Interessanter als dieser Spitzenwert ist es für den angesprochenen Verkehrskreis jedoch, welchen Mittelwert er mit dem entsprechenden Tarif erreicht. Dies wird auch bestätigt durch den Artikel auf … online, den die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat überreicht hat. Dort heißt es auf Seite 2:
‚Mittelwerte sagen mehr als Speed-Peaks. Über Mobilfunk muss der mobile User viel stärkere Speed-Schwankungen in Kauf nehmen als an stabilen, stationären Anschlüssen wie etwas VDSL-Kupferkabel, TV-Koaxialkabel oder Glasfaser. Die Protzerei mit sporadischen LTE-Höchstwerten an perfekt versorgten Standorten hilft dem echten Dauer-User wenig, wenn er sein LTE-Smartphone Tag ein Tag aus in Stadt und Land an ständig wechselnden Stellen benötigt.
Da es den angesprochenen Verkehrskreisen in erster Linie auf den Mittelwert ankommt, wird er die angegriffene Aussage so verstehen, dass er auch im Mittel einen hohen Download-Speed erwarten darf.
Aus der von der Antragstellerin als Anlage AST 10 vorgelegten eidesstattlichen Versicherung ihrer Mitarbeiter 1, 2 und 3 ergibt sich, dass im Mittel keine Download-Geschwindigkeit erreicht werden kann, die die Erwartungen, die mit der angegriffenen Werbung geweckt werden, erfüllt. Denn danach haben Mitarbeiter im Oktober 2012 in Stadt1, Stadt2 und Stadt3 durchschnittliche Download-Geschwindigkeiten von 12 bzw. 18 MBit/s gemessen und Speed-Peaks von 19025,1 MBit/s.
Die Antragsgegnerin behauptet, die eidesstattliche Versicherung sei nicht aussagekräftig, weil nicht sämtliche Messungen in die Berechnung eingeflossen seien und die Mitarbeiter …-Geräte mit einem Tarif eingesetzt hätten, der den maximalen Speed von 100 MBit/s nicht erlaubt. Allerdings wird in der eidesstattlichen Versicherung ausdrücklich ausgeführt, es seien …-Geräte mit A SIMs und Tarif „complete mobile XL incl. Speedoption LTE 100 MBit/s“ eingesetzt worden.
Letztlich muss der Frage, wie aussagekräftig die eidesstattliche Versicherung ist und ob sie geeignet ist, eine sekundäre Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast der Antragsgegnerin zu begründen, nicht weiter nachgegangen werden. Denn aus der von der Antragsgegnerin vorgelegten Meldung auf www…..de vom 25.09.2012 ergibt sich, dass die dort zugrundeliegenden Speed-Tests regelmäßig Werte zwischen 30 und 60 MBit/s im Downstream ergeben haben. Weiter heißt es: „Ein typischer Wert waren rund 45 MBit/s.“ Damit ist unstreitig, dass im Mittel ein Downstream von mehr als 45 MBit/s nicht erwartet werden kann, und zwar sowohl bezogen auf den Zeit- punkt der Werbung im November 2012 als auch zu einem späteren Zeitpunkt. Denn die jüngeren Publikationen, die die Antragsgegnerin vorgelegt hat, belegen keine höheren Mittelwerte.
Ein Mittelwert von nicht mehr als 45 MBit/s ist von dem beworbenen Spitzenwert jedoch so weit entfernt, dass die angesprochenen Verkehrskreise bei der Wahl dieses Tarifs nicht die Vorstellung haben, im Mittel mit dieser Geschwindigkeit zu surfen.
Daraus ergibt sich, dass die angegriffene Werbung zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung irreführend war und der daraus resultierende Unterlassungsanspruch auch nicht erloschen ist, weil die Antragsgegnerin höhere Download-Geschwindigkeiten im Mittel bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht dargelegt hat.
Der Einwand der Antragsgegnerin, es sei nicht möglich, zu berechnen, mit welcher mittleren Geschwindigkeit die User surfen, verfängt nicht. Wenn die Antragsgegnerin nicht in der Lage ist, einen Mittelwert – zumindest annähernd – anzugeben, darf sie mit dem Maximalspeed nur dann werben, wenn die Werbung nicht nur die Angabe „bis zu“, sondern weitere aufklärende Hinweise enthält.“ An dieser Beurteilung hält der Senat fest, da Anhaltspunkte dafür, dass sich der Mittelwert zugunsten der Beklagten verändert haben könnte, nicht bestehen; vielmehr beruft die Beklagte selbst sich nach wie vor auf die Meldung auf www…..de vom 25.09.2012 (Anlage B 13).“
Die Beklagte hält dieser Argumentation entgegen, auf diesen Gesichtspunkt könne eine Verurteilung wegen der Gefahr der Irreführung nur gestützt werden, wenn die Klägerin unter Beweisantritt dargelegt hätte, eine Berechnung der Surfgeschwindigkeit vorgenommen zu haben, die eine rechnerisch exakte Ermittlung des Durchschnittswertes zulasse. In diesem Zusammenhang weist die Beklagte, für den Senat nachvollziehbar, darauf hin, dass es faktisch unmöglich ist, einen exakten Mittelwert zu berechnen, da sich die Surfgeschwindigkeit in Abhängigkeit von Zeit und Ort ständig verändert. Hierauf kommt es für die rechtliche Beurteilung der Irreführungsgefahr jedoch nicht an. Eine ergänzende Darlegung der Klägerin bedurfte es schon deshalb nicht, weil die Beklagte sich die Meldung von www ….. de vom 25.09.2012 zu Eigen gemacht hat, in der von einem typischen Wert von rund 45 Mbit/s die Rede ist. Damit ist die mittlere Surfgeschwindigkeit nach ihrem eigenen Vortrag nicht hoch genug, um ihre Werbung zu rechtfertigen. Es kommt in diesem Zusammenhang auch nicht darauf an, dass die dieser Meldung zugrunde liegenden Speed-Tests, da sie nur an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten durchgeführt wurden, unvollständig sind und daher keinen exakten Mittelwert ergeben können. Denn es besteht kein Anlass, daran zu zweifeln, dass dieser Annäherungswert einem theoretisch ermittelbaren exakten Wert so nahe kommt, dass etwaige Abweichungen für die Beurteilung der Irreführungsgefahr nicht relevant sind.
Auch das Argument der Beklagten, das Urteil sei nicht vollstreckbar, weil das Gericht im Ordnungsmittelverfahren gar nicht prüfen könne, ob nun in ausreichender Form Durchschnittsgeschwindigkeit erreicht würden, verfängt nicht. Die Prüfung des Ordnungsmittelgerichts beschränkt sich darauf, ob nach wie vor von einem Mittelwert von etwa 45 Mbit/s auszugehen ist oder ob sich dieser Wert derart zugunsten der Beklagten verbessert hat, dass sie davon ausgehen durfte, sich nicht mehr im Verbotsbereich des Titels zu bewegen. Ist das der Fall, verbessert sich die mittlere Surfgeschwindigkeit signifikant, würde eine erneute Werbung in der beanstandeten Weise zum einen keine Zuwiderhandlung gegen den Titel darstellen und im Übrigen wäre der Titel mit der Vollstreckungsabwehrklage angreifbar.
Der Unterlassungsanspruch ist nicht verjährt, weil die Klägerin bereits in der Antragsschrift, mit der sie das Eilverfahren eingeleitet hat, auf die Irreführungsgefahr unter dem Gesichtspunkt der wesentlich niedrigeren mittleren Downloadgeschwindigkeit hingewiesen hat.
Teilweise Erfolg hat die Berufung hinsichtlich des Zahlungsanspruches. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung vorprozessualer Abmahnkosten gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG in Höhe von 520,13 €. Denn die Abmahnung war nur insoweit begründet, als die Beklagte eine Abschlusserklärung abgegeben hat. Hinsichtlich des vorliegend geltend gemachten Unterlassungsanspruchs besteht kein Kostenerstattungsanspruch, da der letztlich durchgreifende Irreführungsaspekt auf Seite 3 unter cc) der Abmahnung nur mit einem Halbsatz und mit einer anderen Zielrichtung, nämlich im Zusammenhang mit der angeblich eingeschränkten Verfügbarkeit, geltend gemacht wurde. Dies versetzte die Beklagte noch nicht in die Lage, den Verstoß unter dem durchgreifenden Irreführungsaspekt zu erkennen (vgl. BGH GRUR 2015, 403 [BGH 12.02.2015 – I ZR 36/11] – Monsterbacke II Tz. 44).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen. Die Entscheidung beruht auf einer Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls. Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung waren für die Entscheidung nicht tragend.