Telemedicus

LG Stuttgart: Veröffentlichung von E-Mails aus Mailing-Listen

LG Stuttgart, Urteil v. 06.05.2010, Az. 17 O 341/09

Das öffentliche Zitat einer E-Mail, die nur an einen begrenzten Empfängerkreis gerichtet war, verletzt den Absender rechtswidrig in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.

LANDGERICHT STUTTGART

Im Namen des Volkes

Urteil

Aktenzeichen: 17 O 341/09

Verkündet am: 2010-05-06

Im Rechtsstreit

[…]

hat die 17. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 13. April 2010 […] für Recht erkannt:

1. Dem Beklagten wird es unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu zahlenden Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten untersagt, die E-Mail des Klägers mit dem im folgenden wiedergegebenen Text im Internet zum Abruf durch jedermann bereitzustellen:

[…]

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 4000 € vorläufig vollstreckbar.

Streitwert: 6.000 €

Tatbestand:

Der Kläger ist freier Journalist und Initiator des Netzwerks für unabhängige Impfaufklärung, das unter anderem den „X“, eine Zeitschrift zu diesem Thema herausgibt. Er beteiligt sich aktiv an der Diskussion um die Aufklärung über Risiken und die Aufrechterhaltung der eigenverantwortlichen Entscheidung jedes einzelnen bezüglich der Durchführung von Impfungen. Der Beklagte hält den Standpunkt des Klägers für unverantwortlich und gefährlich, der Tod vieler Menschen sei auf unterbliebene Impfungen zurückzuführen, Impfkritiker wie der Kläger und Vertreter der „alternativen Medizin“ seien mitursächlich für die unzureichende Impfdisziplin mit all ihren Konsequenzen.

Der Beklagte unterhält unter www.a.com und unter www.i.de private Webseiten auf denen er u. a. die im Tenor Ziff. 1 wiedergegebene E-Mail des Klägers mit folgendem Vorspann zitiert:

Impfkritiker was man über sie wissen sollte, wenn man überleben will

Diese Site ist gewidmet denen, deren Leben durch Impfgegner zerstört wurde. Sie ist gewidmet den Eltern und den Kindern – und vor allem jenen, die jetzt sterben, sterben an einer Krankheit, die durch eine Impfung hätte verhindert werden können.
Und nun zitiere ich ihn, einen der größten lebenden deutschen Denker: XY, den Herausgeber des X:

XY in der genannten Gruppe von Ärzten, über H

Der Kläger hatte die E-Mail im Jahre 2005 an eine geschlossene Mailing-Liste gesandt, in der sich hauptsächlich Ärzte, nämlich Mitglieder des Vereins „A e.V.“ und einige wenige Nichtärzte über das Impfthema austauschten. Die Mailing-Liste wurde durch zwei Ärzte, die Zeugen Dr. P und Dr. Q moderiert, Zugang zur Liste erhielten nach Vortrag des Klägers nur autorisierte Personen.

Der Kläger hatte den Beklagten wiederholt vergebens aufgefordert, die Veröffentlichung zu unterlassen.

Der Kläger behauptet, der Beklagte sei rechtswidrig in die private Mailing-Liste eingedrungen, habe die E-Mail kopiert und sie ohne seine Zustimmung auf seiner Homepage öffentlich zugänglich gemacht. Der Kläger steht auf dem Standpunkt, der Beklagte habe dadurch sein allgemeines Persönlichkeitsrecht in Gestalt seiner Geheimsphäre und darüber hinaus auch sein Urheberrecht verletzt. E-Mails seien genauso wie Briefe urheberrechtlich geschützt, sofern sie sich durch die Art der Auseinandersetzung u. a. mit wissenschaftlichen, kulturellen, politischen oder sonstigen Fragen von gewöhnlichen Briefen abheben. Dies sei vorliegend der Fall. Darüber hinaus erfülle das Verhalten des Beklagten auch die Tatbestände der Beleidigung (§ 185 StGB), der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung (§ 826 BGB) und der §§ 202a – 202c StGB.

Der Kläger beantragt – wie erkannt.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte bestreitet, widerrechtlich in die Mailing-Liste eingedrungen zu sein. Er habe die E-Mail von einem Mitglied dieser Liste weitergeleitet bekommen. Er steht auf dem Standpunkt, der Inhalt sei weder privat noch vertraulich, der Kläger habe genau den in der E-Mail eingenommenen Standpunkt schon seit Jahren öffentlich verbreitet. Tangiert sei allenfalls die Sozialsphäre, keinesfalls aber die Privatsphäre des Klägers. Die Persönlichkeitsrechte des Klägers würden – wenn überhaupt – nur ganz geringfügig beeinträchtigt, es handle sich um eine inhaltliche Auseinandersetzung von erheblichem Interesse für die Öffentlichkeit, weshalb der Meinungsfreiheit des Beklagten Vorrang vor dem Persönlichkeitsrecht des Klägers einzuräumen sei. Weiter meint der Beklagte, die E-Mail sei kein urheberrechtlich geschütztes Werk.

Zur Ergänzung des Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat gem. Beschluss vom 14.01.2010 Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung des Zeugen Dr. Q, auf seine schriftliche Zeugenaussage vom 15.02.2010 (Blatt 59 bis 62 der Akten) wird verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der zulässigen Klage war stattzugeben.

I.

Der Beklagte hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers verletzt, indem er die für einen beschränkten Empfängerkreis bestimmte E-Mail des Klägers auf seiner Homepage in verfälschtem Zusammenhang öffentlich zugänglich gemacht hat, dem Kläger steht daher gem. den §§ 823 Abs. 1, 1004 analog BGB ein Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten zu.

Die an die Mailing-Liste gerichtete E-Mail des Klägers ist dessen Sozialsphäre zuzuordnen. Der Persönlichkeitsschutz ist hier zwar weniger weitgehend ausgeprägt als bezüglich der Privatsphäre oder gar der Intimsphäre, das berufliche Wirken des Klägers wird aber durch die öffentliche Zugänglichmachung der E-Mail des Klägers in dem vom Beklagten gestalteten Kontext erheblich beeinträchtigt. Der Eingriff in die geschützte Persönlichkeitssphäre des Klägers ist nach Abwägung sämtlicher Gesichtspunkte nicht durch die Meinungsfreiheit des Beklagten gerechtfertigt.

Zitate eines Kritisierten müssen grundsätzlich zutreffend und der Sinn korrekt wiedergegeben, der Bezugsrahmen muss berücksichtigt werden, die unkorrekte oder unvollständige Zitierweise ist unzulässig, soweit sie herabsetzend oder verfälschend wirkt (BGH, NJW 1982,635). Zitate dürfen auch nicht mit eigenen Interpretationen des Kritikers vermengt werden (BVerfG, NJW 1980, 2072).

Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass der Kläger die E-Mail für einen beschränkten Personenkreis bestimmt hatte, dessen Haltung zum diskutierten Thema ihm bekannt war und von dem er wusste, dass er seine persönliche Auffassung grundsätzlich teilt. Durch die schriftliche Zeugenaussage des Dr. Q, dessen Glaubwürdigkeit von keiner Seite in Zweifel gezogen wird, ist bewiesen, dass die Teilnahme an der Nachrichtengruppe nur nach persönlicher Autorisierung möglich war und dass zum damaligen Zeitpunkt ca. 100 Teilnehmer die E-Mail erhielten. Auch wenn seinerzeit keine Maßnahmen getroffen wurden, um die weitere Verbreitung der ausgetauschten E-Mails zu verhindern, so steht doch fest, dass es nicht beabsichtigt war, die Inhalte der per E-Mail geführten Diskussionen zu veröffentlichen oder einem größeren Personenkreis zugänglich zu machen. Im Vertrauen auf die gleiche Gesinnung der Adressaten seiner E-Mail konnte der Kläger seine persönliche Meinung äußern ohne damit rechnen zu müssen, dass sie von Kritikern kommentiert, veröffentlicht oder angegriffen wird. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger seine persönliche Einschätzung nicht in gleicher Weise geäußert hätte, wenn er sich der Vertraulichkeit seiner E-Mail nicht so sicher gewesen wäre. Unter diesen Umständen durfte der Beklagte die E-Mail des Klägers nicht als wörtliches Zitat in einem von ihm deutlich überzeichneten Rahmen wiedergeben, der den Kläger und seinen Standpunkt in ganz anderem Kontext der Lächerlichkeit preisgibt und ihn gleichzeitig für niedrige Impfraten in Deutschland verantwortlich macht. Zwar muss derjenige, der sich an der öffentlichen Meinungsbildung beteiligt, grundsätzlich das Risiko öffentlicher, auch scharfer, wertender Kritik seiner Ziele auf sich nehmen und Polemik gegen seine Person ertragen, dies bedeutet aber nicht, dass ihm insoweit jeglicher Schutz seiner Persönlichkeit versagt ist. Wenn eine Äußerung gerade im Hinblick auf den geschützten Empfängerkreis abgegeben wird, darf diese nicht veröffentlicht werden – und schon gar nicht in einem anderen, polemisch verzerrten Kontext. Gerade das Mittel des wörtlichen Zitats ermöglicht es, eine Meinungsäußerung in verfremdetem Zusammenhang wieder zu geben und dadurch die Aussage so zu verfälschen, dass der ursprüngliche Sinn der Äußerung verändert oder sogar in ihr Gegenteil verkehrt wird und dem Autor eine Erklärung zugeschrieben wird, die dieser nie beabsichtigt hat.

Zwar darf der Beklagte die aus seiner Sicht unsachliche Angstkampagne gegen das Impfen und die Impfgegnerszene als solche und auch des Wirken des Klägers kritisieren, er darf die Äußerungen des Klägers aber nicht bewusst verfälschen und seine vertrauliche E-Mail als Äußerung des „größten lebenden Deutschen Denkers“ im Internet der Öffentlichkeit zugänglich machen um die Person des Klägers der Lächerlichkeit preiszugeben.

Die Abwägung der Interessen fiel daher zu Lasten des Beklagten aus.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat seine Rechtsgrundlage in § 709 Satz 1 ZPO. Die Höhe der Sicherheitsleistung berücksichtigt den Kostenerstattungsanspruch des Klägers und darüber hinaus das ideelle Interesse des Klägers an der zukünftigen Unterlassung der öffentlichen Bereitstellung seiner E-Mail.

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