Telemedicus

LG München: Keine Mitstörerhaftung des Usenet-Providers

LG München, Urteil v. 19.04.2007, Az. 7 O 3950/07

1. Ein Usenet-Provider ist ein Cache-Provider i.S.v. § 10 TDG. Auf die Dauer der Zwischenspeicherung der Daten aus dem Usenet kommt es dabei nicht an. Die Zwischenspeicherung muss keine „kurzzeitige“, sondern lediglich eine „zeitlich begrenzte“ Speicherung sein und dazu dienen, die Übermittlung der fremden Information an andere Nutzer auf deren Anfrage effizienter zu gestalten.

2. Der Usenet-Provider haftet nur dann als Störer, wenn eine automatisierte Verhinderung von Rechtsverletzung möglich ist. Eine manuelle Prüfung ist dem Provider nicht zuzumuten.

3. Die Beweislast, ob eine technische Filterung des Datenverkehrs zur Verhinderung von Rechtsverletzungen möglich ist, liegt beim Antragsteller. Dieser muss eine konkrete Software benennen, die nach ihrer Auffassung zu einer geeigneten Filterung möglich ist. Dem Antragsgegner ist es nicht zuzumuten, die Nicht-Existenz einer solchen Software nachzuweisen.

LANDGERICHT MÜNCHEN

Im Namen des Volkes

Urteil

Aktenzeichen: 7 O 3950/07

Verkündet am: 2007-04-19

Tenor:

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren (…) wegen Urheberrechtsverletzung erlässt das Landgericht München I, 7. Zivilkammer, durch (…) folgendes Endurteil

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 28.2.2007 wird zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin kann die Vollstreckung durch die Antragsgegnerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Der Streitwert wird auf EUR 20.000,- festgesetzt.

Sachverhalt:

Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren um die Zulässigkeit der Zugangsvermittlung zu MP3-Dateien im s. g. „Usenet“.

Die Antragstellerin ist eine der führenden deutschen Tonträgerhersteller und nimmt für sich in Anspruch, Inhaberin ausschließlicher urheberrechtlicher Verwertungsrechte der ausübenden Künstler sowie der Tonträgerhersteller an dem Musikstück „Das Beste“ der Gruppe „(…)“ zu sein.

Die Antragsgegnerin betreibt unter der Adresse www.(…).de einen kommerziellen Newsserver für das Usenet. Das Usenet ist ein weltweites elektronisches Netzwerk aus Diskussionsforen, s. g. Newsgroups, auch vergleichbar mit einem „Schwarzen Brett“, an dem jeder, der Zugang über einen Newsserver hat, teilnehmen kann. Die einzelnen Newsgroups sind hierachisch unterteilt. In der Unterhierachie „alt.binaries“ finden sich Postings (Beiträge) mit Dateianhängen, wie z.B. Musikdateien, dann „alt.binaries.mp3“.

Das Usenet wird in dem von der Antragsgegnerin als Anlage S 2 vorgelegten Wikipedia-Eintrag wie folgt beschrieben:(…)

Die Antragstellerin macht geltend, dass am 8.2.2007 o. g. Musikstück als MP3-Datei über den Server der Antragsgegnerin unter der Rubrik „alt.binaries.mps“ widerrechtlich abrufbar gewesen sei. Zur Glaubhaftmachung verweist sie auf die eidesstattliche Versicherung der (…) einer Ermittlerin der Fa. (..) sowie diverse Bildschirmausdrucke (Anlagen AST 3 und 4).

Tonträgerherstellerin der Aufnahme „Das Beste“ sei die Fa. (…) GmbH aufgrund eines Auftragsproduzentenvertrages mit (…) und (…)als Gesellschafter der (…) vom 13.10.2003 (Anlage AST 10) gewesen. Die Antragstellerin sei deren Rechtsnachfolgerin und habe diese Aufnahme, die auf dem Albumtonträger „Laut Gedacht“ enthalten sei, am 21.4.2006 in der Bundesrepublik Deutschlands erstveröffentlicht (Anlage AST 9).

Mit dem Künstlerexklusivvertrag vom 13.10.2003 (Anlage AST 11) mit den Mitgliedern der Musikgruppe „(…)“ habe die Antragstellerin auch die ausschließlichen Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte der ausübenden Künstler erworben.

Da eine Abmahnung vom 14.2.2007 (Anlage S 1) erfolglos geblieben (vgl. Anlage AST 5), und die o. g. Musikdatei auch noch am 27.2.2007 auf dem Server der Antragsgegnerin abrufbar gewesen sei (vgl. Anlage AST 6}, beantragte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 28.2.2007, eingegangen bei Gericht am 1.3.2007, den Erlass einer einstweiligen Verfügung.

Die Kammer hat am 6.3.2007 beschlossen, dass über diesen Antrag mündlich zu verhandeln ist.

Die Antragstellerin beantragt, der Antragsgegnerin bei Meidung (…) zu verbieten, die Musikaufnahme „Das Beste“ der Künstlergruppe „(…)“ auf einem Computer zum Abruf durch Teilnehmer des „Usenet“ bereitzustellen und/oder vorzuhalten und damit der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin macht geltend, dass sie keinen Einfluss darauf nehme, welche Dateien auf ihren Servern gespeichert werden. Die Speicherung diene allein der schnelleren Zugangsvermittlung. Zu diesem Zwecke würden die Inhalte, die auf anderen Newsservern gespeichert wurden „gespiegelt“. Zu diesem Zwecke werde von sämtlichen Nachrichten zunächst nur die Kopfzeile (header; vgl. Anlage AG 3) auf dem eigenen Server gespeichert. Dabei handele es sich sozusagen um einen Link auf denjenigen Server, auf dem die gewünschte Musikdatei tatsächlich hinterlegt sei.

Erst im Falle des Abrufs durch einen Nutzer werde auch die Musikdatei auf dem eigenen Server zwischengespeichert und anschließend an den Nutzer weitergesendet. Für den Fall, dass auch andere Nutzer diese Musikdatei downloaden möchten, verbleibe die Datei für 30 Tage auf dem eigenen Server. Somit werde ein schnellerer Download gewährleistet. Die Antragsgegnerin sei daher nicht als Host-Provider, sondern nur als Access-Provider, allenfalls als Cache-Provider, einzustufen. Eine Kontrolle der eingestellten Inhalte sei ihr weder möglich noch zuzumuten. Insgesamt umfasse der Usenet mehrer hundert Terabyte. Täglich kämen drei Terabyte an neuen Daten hinzu. Ein Terabyte entspreche 1.500 randvoll beschriebenen CD-Roms. Dies entspreche der 10fachen Datenmenge, die e-bay täglich zu verarbeiten habe. Derzeit existiere keine Filtersoftware, die eine derartige Datenmenge zeitnah bewältigen könne.

Es sei auch keineswegs so, dass sich unter „alt.binaries“ ausschließlich oder hauptsächlich rechtswidrige Inhalte fänden. Vielmehr unterfalle eine große Anzahl von Inhalten der s. g. „Creative Commons Licence“ bzw. der „Open Source“-Bewegung.

Jedenfalls habe die Abmahnung vom 14.2.2007 die Antragsgegnerin nicht in die Lage versetzt, die fragliche Datei zu sperren. Hierzu sei die Angabe der konkreten Message-ID erforderlich. Auch habe die Antragstellerin in der Abmahnung ihre Aktivlegitimation nicht substantiiert dargelegt oder glaubhaft gemacht.

Die Vorgehensweise der Antragstellerin sei auch rechtsmissbräuchlich, da ihr mit dem „Notice and Take Downw-Verfahren (vgl. die Zeile „X-Complaint-To“ in der Anlage AG 3) ein wesentlicher effizienterer Weg zur Verfügung stände. Denn nur mit diesem Verfahren – einer Email an den Betreiber des Servers, auf dem die streitgegenständliche Musikdatei erstmals hochgeladen wurde – sei gewährleistet, dass diese Datei weltweit gelöscht werde. Eine Löschung auf dem Server der Antragsgegnerin allein sei hingegen wenig wirkungsvoll, da die Datei weiterhin weltweit über andere Server abrufbar bleibe.

Die Antragstellerin verweist hingegen darauf, dass ein Vorhalten von Musikdateien über 30 Tage nicht mehr mit einer bloßen Zwischenspeicherung zur schnelleren Zugangsvermittlung zu vereinbaren sei. Außerdem existiere bereits eine ausreichend effiziente Filtersoftware, die z.B. bei Internet-Tauschbörsen erfolgreich eingesetzt werde.

Die Antragsgegnerin träfen auch erhöhte Überwachungspflichten, da der Großteil der unter „alt.binaries.mp3“ abrufbaren Musikdateien rechtswidrige Kopien seien. Insoweit seien die kompletten TOP-100-Charts abrufbar, die keinesfalls alle der „Creative Commons Licence“ unterfielen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze samt Anlagen, die Schutzschrift der Antragsgegnerin vom 26.2.2007, Az. 0 OH 3650/07), sowie die Sitzungsniederschrift vom 29.3.2007 (Bl. 35/41) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat keinen Erfolg, da nicht glaubhaft gemacht ist, dass es der Antragsgegnerin technisch möglich und zumutbar ist, eine nochmalige Bereitstellung des streitgegenständlichen Musiktitels über das Usenet zu verhindern.

A.

Das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch nach §§ 97 Abs. 1 S. 1, 85 Abs. 1, 19a UrhG wurden von der Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht.

Zwar blieb der Vortrag der Klägerin zur Inhaberschaft an den ausschließlichen Rechten des Tonträgerherstellers gem. § 85 Abs. 1 S. 1 UrhG im Termin unbestritten (§ 138 Abs. 3 ZPO).

Ein derartiger Unterlassungsanspruch besteht nach ständiger Rechtsprechung aber nur dann, wenn wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr besteht. Aufgrund einer vorangegangenen Urheberrechtsverletzung wird das Bestehen einer Wiederholungsgefahr vermutet, wobei es auf ein Verschulden nicht ankommt. Die Vermutung kann regelmäßig nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden.

Die Antragstellerin hat vorliegend eine Wiederholungsgefahr aufgrund einer vorangegangenen Urheberrechtsverletzung geltend gemacht. Dass das Einstellen des streitgegenständlichen Musiktitels in das Usenet durch den unbekannten Haupttäter ein rechtswidriges öffentliches Zugänglichmachen im Sinne des § 19a UrhG darstellte, ist zwar zwischen den Parteien unstreitig. Der Antragstellerin ist es jedoch nicht gelungen glaubhaft zu machen, dass die Antragsgegnerin hierfür (mit-)verantwortlich zeichnet.

Eine (Mit-)Verantwortlichkeit der Antragsgegnerin kommt weder als (Mit-)Täter oder Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfen) des Haupttäters (I.) noch als (Mit-)Störer in Betracht (II) :

I.

Eine (Mit-)Verantwortlichkeit der Organe (§ 31 BGB) oder Mitarbeiter (§ 100 S. 1 UrhG) der Antragsgegnerin als (Mit-)täter oder Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfen) des Haupttäters wurde nicht glaubhaft gemacht.

1.

Im Bereich der Verschuldenshaftung richtete sich die Verantwortlichkeit der Antragsgegnerin bis zum 1.3.2007 nach § 10 TDG:

„Zwischenspeicherung zur beschleunigten Übermittlung von Informationen

Diensteanbieter sind für eine automatische, zeitlich begrenzte Zwischenspeicherung, die allein dem Zweck dient, die Übermittlung der fremden Information an andere Nutzer auf deren Anfrage effizienter zu gestalten, nicht verantwortlich, sofern sie

1. die Informationen nicht verändern,

2. die Bedingungen für den Zugang zu den Informationen beachten,

3. die Regeln für die Aktualisierung der Informationen, die in weithin anerkannten und verwendeten Industriestandards festgelegt sind, beachten,

4. die erlaubte Anwendung von Technologien zur Sammlung von Daten über die Nutzung der Information, die in weithin anerkannten und verwendeten Industriestandards festgelegt sind, nicht beeinträchtigen und

5. unverzüglich handeln, um im Sinne dieser Vorschrift gespeicherte Informationen zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren, sobald sie Kenntnis davon erhalten haben, das die Informationen am ursprünglichen Ausgangsort der Übertragung aus dem Netz entfernt wurden oder der Zugang zu ihnen gesperrt wurde oder ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde die Entfernung oder Sperrung angeordnet hat.

§ 9 Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend.“

Dieser lautet:

„Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Diensteanbieter absichtlich mit einem der Nutzer seines Dienstes zusammenarbeitet, um rechtswidrige Handlungen zu begehen.“

Seit dem 1.3.2007 richtet sich die Haftung nach dem gleichlautenden § 9 des Telemediengesetzes (= TMG; vgl. Hoeren, NJW 2007, 801, 805).

2.

Im Rahmen des TDG/TMG würde die Antragsgegnerin mithin nur für Vorsatz in der Form der Absicht haften.

Denn nach ihrem unbestritten gebliebenen Vortrag {§ 138 Abs. 3 ZPO) sucht sie die gespeicherten Inhalte nicht aus, es handelt sich mithin um fremde Informationen. Die Speicherung erfolgt auch automatisch. Die Speicherung erfolgt auch nicht dauerhaft, sondern nur für 30 Tage und dient allein dem Zweck, die Übermittlung an den Nutzer effizienter zu gestaltet.

Art. 13 der E-Commerce-Richtlinie 2000/3l/EG vom 8. Juni 2000 (Amtsblatt Nr. L 178 vom 17/07/2000 S. 0001 – 0016 = ECRL) bezeichnet diesen Vorgang als „Caching“. Die Zwischenspeicherung i.S.v. § 10 TDG/§ 9 TMG muss im Gegensatz zu derjenigen des § 9 Abs. 2 TDG/§ 8 Abs. 2 TMG keine kurzzeitige, sondern lediglich eine zeitlich begrenzte sein. Die Haftungsprivilegierung tritt dann ein, wenn die Zwischenspeicherung dazu dient, die Übermittlung der fremden Information an andere Nutzer auf deren Anfrage effizienter zu gestalten. Dies ist die typische Konstellation von Servern, die – wie die Antragsgegnerin – in periodischen Abständen automatisiert ganze Festplattenbereiche fremder Server kopieren („Mirror“-Verfahren), oder vom Nutzer abgerufene Seiten speichern (Proxy-Cache-Server; vgl. Hoffmann, MMR 2002, 284, 287 mwN).

Auch die weiteren Voraussetzungen des § 10 S. 1 Nr. 5 TDG/§ 9 S. 1 Nr. 5 TMG sind gegeben. Eine Benachrichtigung über die Löschung der Nachricht am Ausgangsort bzw. eine Anordnung eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde liegt derzeit nicht vor.

Ein mithin allein haftungsbegründendes absichtliches gemeinsames Vorgehen der Organe und Mitarbeiter der Antragsgegnerin mit einem der Nutzer des Usenets ist nicht glaubhaft gemacht.

Ein möglicherweise bestehender bedingter Vorsatz dahingehend, dass die Organe und Mitarbeiter der Antragsgegnerin in Gewinnerzielungsabsicht jedweden Inhalt des Usenets um jeden Preis weiterverbreiten wollten, auch wenn dieser möglicherweise rechtswidrig ist, ist weder glaubhaft gemacht noch rechtlich ausreichend, um eine absichtliche Urheberrechtsverletzung im vorliegenden Einzelfall zu begründen.

Die Annahme eines derartigen bedingten Vorsatzes käme darüber hinaus allenfalls dann in Betracht, wenn die Inhalte des Usenets ganz oder zum größten Teil rechtswidrig wären, was von der Antragsgegnerin bestritten und von der Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht wurde.

Die Abrufbarkeit der TOP-100-Charts reicht hierfür angesichts der gigantischen Gesamtdatenmenge von mehrer hundert Terabyte nicht aus.

II.

Die Antragsgegnerin kann auch nicht unabhängig vom Grad ihres Verschuldens als Mitstörerin zur Verantwortung gezogen werden.

1.

Zwar erfasst die Haftungsprivilegierung des TDG nach der Auffassung des BGH (vgl. BGH GRUR 2004, 860,862 – Internetversteigerung/Rolex) nicht auch den verschuldensunabhängigen markenrechtlichen Unterlassungsanspruch, wobei diese Rechtsprechung auf den urheberrechtlichen Unterlassungsanspruch (vgl. OLG München, MMR 2006, 739, 740 mwN) sowie das neue TMG (vgl. Hoeren, NJW 2007, 801, 805) ebenso anzuwenden sein dürfte.

2.

Eine Inanspruchnahme der Antragsgegnerin anstelle des Betreibers des Servers, auf dem die Ursprungsnachricht gespeichert ist, ist auch nicht rechtsmissbräuchlich, da es dem Geschädigten nach der neusten Rechtsprechung des BGH freisteht, nach seiner Wahl gegen jeden (Mit-)Störer vorzugehen (vgl. BGH, Urt. v. 27.3.2007, Az. VI ZR 101/06; Pressemitteilung des BGH Nr. 30/2007).

Der Geschädigte braucht sich nach der derzeitigen Rechtslage auch nicht auf das „Notice-and-take-down-Verfahren“ verweisen zu lassen (BGH GRUR 2004, 860 – Internetversteigerung/Rolex; OLG München MMR 2006, 739, 741).

3.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Störerhaftung der Antragsgegnerin sind vorliegend hingegen nicht glaubhaft gemacht:

a. Zu den Voraussetzungen der Störerhaftung hat der BGH im Fall „Internetversteigerung/Rolex“ (BGH GRUR 2004, 860, 864) folgendes ausgeführt:

„Mit Recht ist das BerGer. davon ausgegangen, dass derjenige, der – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein -in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung eines geschützten Gutes beiträgt, als Störer für eine Schutzrechtsverletzung auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann (vgl. BGHZ 148, 13 [17] = GRUR 2001, 1038 = NJW 2001, 3265 – ambiente.de; BGH, GRUR 2002, 618 [619] = WRP 2002, 532 – Meißner Dekor, m.w. Nachw.).

Soweit in der neueren Rechtsprechung eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem Institut der Störerhaftung zum Ausdruck kommt und erwogen wird, die Passivlegitimation für den Unterlassungsanspruch allein nach den deliktsrechtlichen Kategorien der Täterschaft und Teilnahme zu begründen (vgl. BGHZ 155, 189 [194f.] – GRUR 2003, 807 = NJW 2003, 2525 – Buchpreisbindung; BGH, GRUR 2003, 969 [970] = NJW-RR 2003, 1685 = WRP 2003, 1350 – Ausschreibung von Vermessungsleistungen, m.w. Nachw.), betrifft dies Fälle des Verhaltensunrechts, in denen keine Verletzung eines absoluten Rechts in Rede steht. Im Falle der Verletzung von Immaterialgüterrechten, die als absolute Rechte auch nach §§ 823 I, 1004 BGB Schutz genießen, sind die Grundsätze der Störerhaftung uneingeschränkt anzuwenden.

Weil die Störerhaftung aber nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf, die nicht selbst die rechtswidrige Beeinträchtigung vorgenommen haben, setzt die Haftung des Störers die Verletzung von Prüfungspflichten voraus. Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist (vgl. BGH, GRUR 1997, 313 [315f.] – NJW 1997, 2188 = WRP 1997, 325 – Architektenwettbewerb; GRUR 1994, 841 [842f.] = NJW 1994, 2827WRP 1994, 739 Suchwort; GRUR 1999, 418 [419f.] = NJW 1999, 418 = WRP 1999, 211 – Möbelklassiker; BGHZ 148, 13 [17f.]= GRUR 2001, 1038NJW 2001, 3265 – ambiente.de, jew. m.w. Nachw.).

Einem Unternehmen, das – wie die Bekl. – im Internet eine Plattform für Fremdversteigerungen betreibt, ist es nicht zuzumuten, jedes Angebot vor Veröffentlichung im Internet auf eine mögliche Rechtsverletzung hin zu untersuchen. Eine solche Obliegenheit würde das gesamte Geschäftsmodell in Frage stellen (vgl. Erwägungsgrund 42 der Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr).
Sie entspräche auch nicht den Grundsätzen, nach denen Unternehmen sonst für Rechtsverletzungen haften, zu denen es auf einem von ihnen eröffneten Marktplatz -etwa in den Anzeigenrubriken einer Zeitung oder im Rahmen einer Verkaufsmesse – kommt.

Andererseits ist zu bedenken, dass die Bekl. durch die ihr geschuldete Provision an dem Verkauf der Piraterieware beteiligt ist. Unter diesen Ulmständen kommt dem Interesse der Bekl. an einem möglichst kostengünstigen und reibungslosen Ablauf ihres Geschäftsbetriebs ein geringeres Gewicht zu als beispielsweise dem Interesse der Registrierungsstelle für Domainnamen an einer möglichst schnellen und preiswerten Domainvergabe (vgl. BGHZ 148, 13 [20f.] = GRUR 2001, 1038 = NJW 2001, 3265 – ambiente.de; BGH, GRUR 2004, 619 [621] – NJW 2001, 3265 = WRP 2004, 769 – kurt-biedenkopf.de).

Dies bedeutet, dass die Bekl. immer dann, wenn sie auf eine klare Rechtsverletzung hingewiesen worden ist, nicht hur das konkrete Angebot unverzüglich sperren muss (§ 11 s. 1 Nr. 2 TDG n.F.), sie muss vielmehr auch Vorsorge treffen, dass es möglichst nicht zu weiteren derartigen Markenverletzungen kommt.

Im Streitfall beispielsweise ist es nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachverhalt zu mehreren klar erkennbaren Markenverletzungen gekommen. Die Bekl. muss diese Fälle zum Anlass nehmen, Angebote von Rolex- Uhren einer besonderen Prüfung zu unterziehen.

Welche technischen Möglichkeiten ihr hierbei zu Gebote stehen, ist zwischen den Parteien streitig. Möglicherweise kann eich die Bekl. hierbei einer Software bedienen, die entsprechende Verdachtsfälle aufdeckt, wobei Anknüpfungspunkt für den Verdacht sowohl der niedrige Preis als auch die Hinweise auf Nachbildungen sein können (vgl. Lehment, WRP 2003, 1058 [1061]).

Auch im Falle einer Verurteilung zur Unterlassung wäre die Bekl. für Zuwiderhandlungen nur haftbar zu machen, wenn sie ein Verschulden trifft (§ 890 ZPO) . Für Markenverletzungen, die sie in dem vorgezogenen Filterverfahren nicht erkennen kann (weil beispielsweise eine gefälschte Rolex- Uhr zu einem für ein Original angemessenen Preis ohne Hinweis auf den Fälschungscharakter angeboten wird) träfe sie kein Verschulden.“

Das OLG München hat in der Entscheidung MMR 2006, 739, 740 zusätzlich folgendes ausgeführt:

„Die Prüfungspflicht des Diensteanbieters i. S. d. § 11 TDG wird erst durch die – im Regelfall durch Stellungnahmen des Rechtsinhabers bewirkte – Kenntnis von rechtsverletzenden Fremdinformationen „aktiviert“ (vgl. Hacker/Ströbele, MarkenG, 8. Aufl., § 14 Rdnr. 216) . Daraus folgt, dass es zu einer Störerhaftung des Diensteanbieters i. S. d. § 11 TDG erst im Hinblick auf Rechtsverletzungen kommen kann, die einer klaren Rechtsverletzung nachfolgen, von der dem Diensteanbieter Kenntnis verschafft worden ist (vgl. Hacker/Ströbele, a.a.O.).“

b. Die Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast für das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen liegt nach den allgemeinen Grundsätzen bei der Antragstellerin (OLG München, Urt. v. 21.12.2006, Az. 29 a 4407/06, S. 15 f.).

In dem zitierten Rechtsstreit forderte ein Parfümhersteller von einem Anbieter von Internetversteigerungen, es in Zukunft zu unterlassen, Angebote seiner Nutzer mit bildlichen Darstellungen gefälschter Parfümflacons online zu stellen. Zwischen den Parteien war streitig, ob eine Bilderkennungssoftware existiert, die in der Lage wäre, ohne händische (Nach-)Kontrolle zukünftige Verletzungshandlungen der streitgegenständlichen Art zu erkennen.

Das OLG München vertrat die Auffassung, dass auch im Bereich der Störerhaftung die anspruchsbegründenden Haftungsvoraussetzungen, wozu die Existenz einer derartigen Filtersoftware zähle, grundsätzlich vom Verletzten darzulegen und zu beweisen bzw. glaubhaft zu machen seien.

c. Vorliegend ist zwischen den Parteien ebenfalls streitig, ob eine geeignete Filtersoftware existiert, mit der die anfallenden Datenmengen zeitnah und zuverlässig nach der streitgegenständlichen Musikdatei durchsuchen werden können.

Die Antragstellerin hat zwar behauptet, dass eine derartige Software bei Internet-Versteigerungen bereits erfolgreich zum Einsatz komme. Dem Einwand der Antragsgegnerin, dass vorliegend die etwa 10fache Datenmenge zu bewältigen sei, hat sie aber nichts mehr entgegengesetzt. Zwar handelt es sich bei dem geltend gemachten Unvermögen der Überwachung des Datenverkehrs um einen Umstand aus der Sphäre der Antragsgegnerin, in die die Antragstellerin nur schwerlich Einblick haben kann. Solange die Antragstellerin aber keine konkrete Software benennt, die ihrer Meinung nach für eine Filterung geeignet wäre, bleibt sie aber jedenfalls beweisfällig. Denn der Antragsgegnerin ist es weder möglich noch zuzumuten, eine negative Tatsache – die Nicht-Existenz einer geeigneten Software – glaubhaft zu machen.

d. Der Antragsgegnerin ist es auch nicht zuzumuten, den Datenverkehr händisch zu überprüfen (vgl. OLG München/ Urt. v. 21.12.2006, Az. 29 U 4407/06, S. 13 f.) bzw. ihren UsenetServer ganz abzuschalten, denn derart drastische Maßnahmen wären nur dann verhältnismäßig, wenn alle bzw. ein Großteil der im Usenet vorhandenen Inhalte rechtswidrig wären, was die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht hat.

Der Diensteanbieter muss nicht jeden nur denkbaren Aufwand betreiben, um die Nutzung rechtswidriger Inhalte zu vermeiden. Vielmehr muss die Bedeutung des Einzelfalls und der erforderliche technische und wirtschaftliche Aufwand sowie die Auswirkungen auf andere Teile des Dienstes und andere Nutzer im Verhältnis zueinander gesehen werden. Hiernach sind Maßnahmen zur Verhinderung des Zugriffs auf fremde Inhalte dann als unzumutbar anzusehen, wenn sie einen erheblichen Aufwand erfordern, ihre Wirksamkeit jedoch durch einen Zugriff auf entsprechende Informationsangebote über andere Netzverbindungen mit einem vergleichsweise geringen Aufwand umgangen werden kann (vgl. OLG München, MMR 2000, 617, 619 – CDBench).

Vorliegend würde selbst die Schließung des Usenetservers der Antragsgegnerin nicht dazu führen, dass die streitgegenständliche Musikdatei für immer aus dem Usenet verschwindet. Sie wäre vielmehr weiterhin über andere Usenetserver abrufbar.

e. Auf die Frage, ob das Abmahnschreiben die Antragsgegnerin nach der oben zitierten Rechtsprechung in die Lage versetzt hat, die Rechtsverletzung abzustellen, kam es daher nicht mehr entscheidend an.

III.

Dem steht auch das im Termin angesprochene Urteil des LG Hamburg vom 19.2.2007 (AZ. 308 O 32/07) nicht entgegen.

Das LG Hamburg hat in dieser Entscheidung – unter Berufung auf eine Entscheidung des Hanseatischen OLG (GRUR-RR 2006, 148) in einem ähnlich gelagerten Fall – eine einstweilige Beschlussverfügung gegen einen anderen Zugangs-vermittler zum Usenet mit der Begründung aufrechterhalten, dass die Störereigenschaft jedenfalls dann gegeben sei, wenn der Antragsgegner seinerseits die Möglichkeit eines Rechtsmissbrauchs den interessierten Anwendern im Rahmen der Produktankündigung, Absatzwerbung bzw. Nutzungsbeschreibung als eine (von mehreren) Nutzungsmöglichkeiten angeboten habe.

Eine derartige Werbeanpreisung ist vorliegend weder Antragsgegenstand noch sonst ersichtlich, vielmehr stellt sich der Internetauftritt der Antragsgegnerin im Vergleich zu der des in Hamburg in Anspruch genommenen Anbieters als neutral dar.

B.

Kosten: § 91 Abs. 1 ZPO

Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO

Streitwert: § 3 ZPO; §§ 8, 53 GKG

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Weitere Fundstellen: MMR 2007, 453; ZUM 2007, 496.

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