LG Köln, Urteil v. 19.05.1993, Az. 28 O 424/92
1. Bei einer BGB-Hausarbeit handelt es sich sich um ein urheberrechtlich geschütztes Werk im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG. Eine individuell-schöpferische Leistung ist gegeben, da es sich in der Regel um die sinnreiche Konstruktion eines Sachverhalts handelt, der einem Prüfling Gelegenheit gibt, erlerntes Wissen am konkreten Fall zu erproben.
2. Auch Randbemerkungen im Zusammenhang mit der Gesamtbeurteilung sind als individuell-schöpferische Leistungen im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG anzusehen – jedenfalls unter dem Gesichtspunkt, dass der Korrektor auch Ersteller der Hausarbeitsaufgabe ist. Von einer Zwangsläufigkeit des Ergebnisses kann bereits deshalb nicht ausgegangen werden, weil gerade im juristischen Bereich ein Beurteilungsspielraum existiert. Oftmals sind mehrere Lösungswege vertretbar. Dabei kann die schöpferische Leistung auch nicht wegen der Kürze der Bemerkungen abgelehnt werden, denn der Umfang einer Äußerung besagt nichts über deren Qualität.
3. Die Veröffentlichung der Hausarbeit durch einen Dritten ist auch nicht im Hinblick auf § 24 Abs. 1 UrhG erlaubt. Durch die Aneinanderreihung verschiedener Hausarbeiten wird kein „selbständiges“ Werk im Sinne dieser Vorschrift geschaffen. Erforderlich hierfür wäre zunächst, dass durch die Benutzung des fremden Werks eine persönliche geistige Schöpfung entsteht. Außerdem muss das entstehende Werk in seiner schöpferischen Ausdruckskraft gegenüber dem benutzten Werk selbständig, d.h. von ihm unabhängig sein. Es muss ein auf eigener schaffender Tätigkeit beruhendes Werk entstehen.
4. Die Veröffentlichung durch einen Dritten ist auch nicht durch das Zitatrecht § 51 Nr. 1 UrhG gedeckt. Die Anwendung dieser Norm scheitert bereits daran, dass das Werk des Klägers nicht „erschienen“ ist. Dazu müsste es der Öffentlichkeit in verkörperter Form zugänglich gemacht worden sein. Zum einen sind Hausarbeitstexte regelmäßig nur für die Teilnehmer der genau bezeichneten Übung bestimmt. Zudem sind aber jedenfalls die genaue Korrektur dieser einen Hausarbeit und die Gesamtbeurteilung allein für den Studenten erfolgt, der die Hausarbeit bearbeitet hatte, damit war sie keinesfalls für die Öffentlichkeit bestimmt.
Der Kläger ist Universitätsprofessor der Rechtswissenschaften, die Beklagte zu 1 betreibt bzw. betrieb einen Verlag, dessen persönlich haftender Gesellschafter der Beklagte zu 2 ist bzw. war. Die Beklagte zu 1 verlegte ein Skript mit dem Titel „Hausarbeiten zum kleinen BGB-Schein“, Untertitel „Originalarbeiten mit Korrekturen“. Als Herausgeber dieses Skripts war ein Herr A. angegeben. Dieses Skript war im Frühjahr 1992 in Buchhandlungen in verschiedenen Universitätsstädten in der Bundesrepublik Deutschland, u.a. in Köln, zu erwerben, obwohl die Beklagte zu 1 seit dem 29.7.1991 von Amts wegen gelöscht ist.
Das Skript enthält nach einer zweiseitigen Einleitung insgesamt acht von Professoren deutscher Hochschulen in ihren Übungen zum Erlangen des kleinen „BGB-Scheines“ gestellte und von Studenten bearbeitete Hausarbeiten mitsamt Originalkorrekturen und Originalgesamtbeurteilungen. Die siebente Hausaufgabe in diesem Heft („Erdbeerpflücken in Dossenheim“) stammt vom Kläger, der sie im Wintersemester 1989/90 an der Universität Heidelberg zur Bearbeitung gestellt hatte. Die im Skript abgedruckte Hausarbeit wurde weitestgehend vom Kläger korrigiert.
Der Kläger hat zu keinem Zeitpunkt eine Genehmigung zur Veröffentlichung dieser Hausarbeit nebst Randbemerkungen und Gesamtbewertung erteilt. Ebenso wenig ist er von den Beklagten oder von dem als Herausgeber auftretenden Herrn A. darüber informiert worden, dass eine solche Veröffentlichung geplant bzw. durchgeführt werden sollte.
Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger zunächst einen Unterlassungsanspruch bezüglich der weiteren Veröffentlichung der Hausarbeit geltend gemacht; weiterhin sollten die Beklagten über die mit dem Verkauf des Skripts erwirtschafteten Gewinne Rechnung legen und an ihn danach 15 % des Gewinns auszahlen.
Der Kläger ist der Ansicht, der Hausarbeitstext sowie die Randbemerkungen und sein Kommentar zu der von der Beklagten zu 1 verwendeten Hausarbeit stellten ein geschütztes Werk im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG dar. Die Schöpfungshöhe, mit der die Schwelle zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit überschritten werde und an die keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürften, sei vorliegend überschritten: Die Hausarbeit sei von ihm so konzipiert gewesen, dass sie dem Kenntnisstand der an der Übung, teilnehmenden Studenten entsprochen habe. Von einer „Routine“ könne bei der Herstellung einer Hausarbeit schon deshalb nicht die Rede sein, weil er als Universitätsprofessor nur alle 2 – 3 Jahre einen Hausarbeitstext konzipiere.
Auch die Korrekturbemerkungen stellten – ebenso wie die Gesamtbewertung – urheberrechtlich geschützte Werke dar: Die Korrektur laufe in mehreren Arbeitsphasen ab, zudem sei eine profunde Rechtskenntnis für die Durchdringung des Rechtsstoffs und der Ausführungen des Verfassers Voraussetzung für eine sachgerechte Stel-lungnahme. Da die Korrekturbemerkungen Ausdruck der schöpferischen Gesamtbeurteilung der Arbeit seien, sei auch die gesamte Hausarbeit in dieser Aufmachung ein insgesamt schutzwürdiges Werk. Um in der Lektüre der Schlussbemerkungen profitieren zu können, müsse der Leser des Skripts zuvor die gesamten Ausführungen des Verfassers kennen.
Nur mitsamt den Korrekturbemerkungen habe auch der wirtschaftliche Zweck der Veröffentlichung erfüllt werden können: Durch die Veröffentlichung habe den Studenten Anschauungsmaterial geliefert werden sollen, um bei einer Einschätzung der Beurteilungskriterien sicherer zu werden.
Der Kläger hat mit der Klageschrift zunächst folgenden Antrag angekündigt,
1. die Beklagten zu verurteilen, die Verbreitung der von ihm gestellten, von einem Studenten bearbeiteten und mit handschriftlichen Anmerkungen sowie der Unterschrift des Klägers versehenen Hausarbeit mit dem Titel: „Erdbeerpflücken in Dossenheim“ nicht mehr im Rahmen des Skripts „Hausarbeiten zum kleinen BGB-Schein, Originalarbeiten mit Korrekturen“, oder in ähnlicher Form zu veröffentlichen und zu verbreiten sowie die weitere Verbreitung der bereits ausgelieferten Exemplare zu verhindern;
2. die Beklagten zu verurteilen, Rechnung zu legen hinsichtlich des Gewinnes, den sie durch den Verkauf des Skriptes „Hausarbeiten zum kleinen BGB-Schein, Originalarbeiten mit Korrekturen“ erzielt haben;
3. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn 15 % des Gewinns zu zahlen, den sie mit dem Skript „Hausarbeiten zum kleinen BGB-Schein, Originalarbeiten mit Korrekturen“ erzielt haben, mithin den Anteil des Gewinns, der auf der Veröffentlichung und Verbreitung der vom ihm gestellten und von einem Studenten bearbeiteten und mit seinen handschriftlichen Bemerkungen sowie seiner Unterschrift versehenen Hausarbeit zurückzuführen sei.
Nachdem die Klageschrift der Beklagten zu 1 nicht zugestellt werden konnte, hat der Kläger am 11.11.1992 die Klage gegen die Beklagte zu 1 zurückgenommen.
Hinsichtlich des Beklagten zu 2 – im folgenden Beklagter – hat er in der mündlichen Verhandlung vom 02.12.1992 unter Rücknahme des weitergehenden Klageantrages zu 1. beantragt,
1. dem Beklagten zu verbieten, die von ihm gestellte, von einem Studenten bearbei-tete und mit handschriftlichen Anmerkungen sowie seiner Unterschrift versehene Hausarbeit mit dem Titel „Erdbeerpflücken in Dossenheim“ im Rahmen des Skripts „Hausarbeiten zum kleinen BGB-Schein, Originalarbeiten mit Korrekturen“ oder in ähnlicher Form zu veröffentlichen und zu verbreiten;
2. den Beklagten zu verurteilen, Rechnung zu legen hinsichtlich des Gewinns, den er durch den Verkauf des vorgenannten Skripts erzielt hat.
Daraufhin hat die Kammer am 09.12.1992 ein entsprechendes Teilversäumnisurteil erlassen.
Gegen dieses Teilversäumnisurteil, das dem Beklagten am 14.12.1992 zugestellt worden ist, hat er am 28.12.1992 Einspruch eingelegt und diesen mit Schriftsatz zum 01.02.1993 begründet.
Nachdem der Beklagte in Erfüllung des Klageantrags zu 2. am 02.02.1992 Rechnung dahingehend gelegt hat, dass für das Skript ein Gewinn von 1.240,00 DM einge-nommen wurde, haben beide Parteien den Rechtsstreit bezüglich des Klageantrags zu 2. für erledigt erklärt.
Der Kläger beantragt nunmehr,
1. das Teilversäumnisurteil vom 09.12.1992 bzgl. des Klageantrags zu 1. aufrechtzuerhalten;
2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 186,00 DM nebst 4 % Zinsen seit 18.09.1982 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
das Teilversäumnisurteil vom 09.12.1992 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Ansicht, bei der von einem Studenten ausgearbeiteten Lösung der Hausaufgabe sei eine Urheberrechtsverletzung ausgeschlossen, da der betreffende Student ihm hieran – dies ist unstreitig – die Verwertungsrechte übertragen habe.
Die Aufgabenstellung (Hausaufgabentext) sei kein urheberrechtlich geschütztes Werk, es enthalte keine persönliche geistige Schöpfung mit hinreichendem schöpferischen Eigentümlichkeitsgrad. Es sei nicht dargelegt, dass der Hausarbeitstext ein et-was gegenüber dem Alltäglichen deutlich Überragendes darstelle. Vielmehr beruhe die Hausarbeit auf mehr oder weniger routinemäßigem Professorenschaffen. Die Hausarbeit gehe grundsätzlich nicht über die Standardanforderungen hinaus, die an jede Hausarbeit zu stellen seien, die von einem Professor in der Übung zur Erlangung des „kleinen BGB-Scheins“ gestellt würde. Auch die angesprochenen Problemkreise richteten sich alle nach dem von den Studenten bisher erlernten Lernstoff, dieser sei also zwingend von dritter Seite vorgegeben.
Bezüglich der Randbemerkungen besitze der Kläger – wenn überhaupt – nur bzgl. seiner eigenen Korrekturen ein Urheberrecht. Zudem stellten die Randbemerkungen keine persönliche geistige Schöpfung dar. Sie seien notwendig, in der Form absolut üblich und ergäben sich zwangsläufig aus dem Text des Studenten, der Kläger habe keinerlei schöpferischen Spielraum. Auch die Gesamtbeurteilung hebe sich nicht von den normalen Bewertungen ab, es würden Bewertungskriterien plakativ wiedergegeben, die sich außerdem zwangsläufig aus dem Fall ergäben.
Die vom Kläger beanstandeten Darstellungen seien zudem durch das Zitatrecht nach § 51 UrhG gedeckt.
Die Klage ist, soweit über sie noch zu entscheiden war, im wesentlichen begründet.
1. Dem Kläger steht gegenüber den Beklagten ein Anspruch auf Unterlassung der Veröffentlichung und Verbreitung des mit handschriftlichen Anmerkungen sowie der Unterschrift des Klägers versehenen Hausarbeit „Erdbeerpflücken in Dossenheim“ aus § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG zu.
a) Nach Auffassung der Kammer gehört die Hausarbeitsaufgabe zu den urheberrechtlich geschützten Werken im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG.
Bei der Hausarbeit handelt es sich um ein geschütztes Sprachwerk (Schriftwerk), nämlich um ein durch Zeichen äußerlich erkennbar gemachten Gedankenausdruck (vgl. dazu BGH GRUR 1981, 352, 353).
Ein Schriftwerk ist nur dann urheberrechtlich schutzfähig, wenn es eine individuell schöpferische Leistung darstellt (§ 2 Abs. 2 UrhG). Diese kann nicht nur in der sich in der Sprachgestaltung ausdrückenden Gedankenformung und -führung sowie in der schöpferischen Sammlung, Auswahl, Einteilung und Anordnung vorhandenen Stoffs liegen (vgl. BGH GRUR 1983, 520, 521; 1985, 1041, 1047; 1986, 739, 740), sondern grundsätzlich auch im Inhalt des Werks (vgl. BGH GRUR 1980, 227, 230; 1981, 352, 353 , OLG Köln, Urteil vom 31.03.1992, AZ: S 56-57/92).
Dagegen sind Gedanken, Lehren und Theorien als solche nicht schutzfähig; sie müssen der freien geistigen Auseinandersetzung zugänglich bleiben (vgl. Schricker/Loewenheim, § 2 UrhG, Rdz. 30). Wissenschaftliches Gedankengut als solches genießt daher keinen Urheberschutz (vgl. Schricker/Loewenheim, § 2 UrhG, Rdz. 31). Für die Gedankenformung und -führung bei der Darstellung dieses Gedankenguts gilt regelmäßig, dass der im betreffenden wissenschaftlichen Fachgebiet üblichen Ausdrucksweise die erforderliche schöpferische Individualität fehlt. Beim Aufbau und einer Darstellungsart, die aus wissenschaftlichen Gründen geboten oder in Fragen des behandelten Gebiets weitgehend üblich sind, verhält es sich ebenso (vgl. BGH GRUR 1983, 352, 353; 1984, 659, 661).
Insoweit kann sich die Schutzfähigkeit nur nach der Form und Art der Sammlung, Anordnung und Einteilung des Stoffs ergeben (BGH GRUR 1985, 1041, 1047), wobei die Anwendung von Denkgesetzen und Fachkenntnissen sowie die Berücksichtigung von Erfahrungen Urheberrechtsschutz nicht ausschließen (vgl. BGH GRUR 1986, 739, 743). Sie gehören vielmehr zum Wesen wissenschaftlicher, auch rechtswissenschaftlicher, Tätigkeit. In Anwendung dieser Grundsätze hat die Rechtsprechung die Schutzfähigkeit bejaht bei einem wissenschaftlichen Register zu historischen und geisteswissenschaftlich bedeutsamen Texten des deutschen Mittelalters (BGH GUR 1980, 227, 231) ebenso wie bei der Sammlung von 1220 Kontrollfragen zu einem medizinischen Lehrbuch (vgl. BGH GRUR 1981, 520, 521).
Schließlich wurde das Verfassen nichtamtlicher Leitsätze zu gerichtlichen Entscheidungen als urheberrechtsfähige Leistung anerkannt und betont. Angesichts der Tatsache, dass ein Leitsatz mit den wesentlichen Kernaussagen der Entscheidung übereinstimmen müsse, genüge selbst ein geringes Maß an schöpferisch-individueller Umformung solange nicht nur einzelne Formulierungen der Entscheidung aufgegriffen und wiederholt würden (vgl. BGH Urteil vom 21.11.1990, AZ: I ZR 190/89). Für die Beurteilung der Schutzfähigkeit eines Schriftwerks kommt es damit maßgeblich auf den Inhalt, aber auch auf die förmliche Ausgestaltung an.
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist nach Auffassung der Kammer von einer Schutzfähigkeit der Aufgabenstellung der Hausarbeit auszugehen. In der Hausarbeitsaufgabe ist ein bestimmter Lebenssachverhalt geschildert, für den der Teilnehmer der Übung unter sachgerechter Anwendung der erlernten wissenschaftlichen Grundlagen eine Lösung zu finden hat. Bei dieser Fallschilderung handelt es sich entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht nur um eine nicht schutzfähige Darstellung wissenschaftlichen Gedankensguts. Vielmehr wird ein Handlungs- und Fallgerüst aufgebaut, das die Studenten veranlassen soll, die erlernten Kenntnisse und Fähigkeiten praktisch und sinnvoll anzuwenden. Dabei kann der Entwurf geeigneter Fälle ein durchaus schwieriges, zeitraubendes und anspruchsvolles Unterfangen sein. Dies gilt – wie der Kläger anschaulich dargelegt hat – auch für die von ihm ersonnene Hausarbeit.
Zunächst ist die Aufgabe auf den Bearbeiterkreis zuzuschneiden, d.h. sie muss einen gewissen Schwierigkeitsgrad aufweisen, ohne aber zu schwer zu sein. Dies gilt auch für die Arbeit „Erdbeerpflücken in Dossenheim“; diese wendet sich an Teilnehmer der Übung zur Erlangung des „kleinen BGB-Scheins“. Schwerpunkt einer solchen Hausarbeit ist der „allgemeine Teil“ des BGB, der einen hohen Abstraktionsgrad aufweist. Demgemäss muss der Sachverhalt präzise sein, um den Studenten die korrekte Einordnung des Falls zu ermöglichen. Außerdem hat die Aufgabenstellung aber auch über den allgemeinen Teil des BGB hinauszugehen, um zu überprüfen, ob sich der Student auch in bisher noch unbekannten oder wenig besprochenen Gebieten zurechtfindet.
Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass sich die Hausarbeit an Studenten in den Anfangssemestern wendet, für die diese Hausarbeit sogar häufig die erste Berührung mit einem „praktischen Fall“ über einen längeren Zeitraum hinaus bedeutet. Auch diese Unerfahrenheit ist im Hinblick auf die den Studenten nur begrenzt zur Verfügung stehende Zeit einzuplanen.
Bei der Beurteilung der Schutzfähigkeit erscheint weiterhin von Relevanz, dass der Sachverhalt auch hinsichtlich der Lösung in allen Konsequenzen durchdacht sein muss: Sind einzelne Sachverhaltselemente missverständlich, besteht die Gefahr, dass die Studenten während der Bearbeitungszeit auf Irrwege geraten. Dieses ist nur dadurch zu vermeiden, dass zunächst Musterlösungen erstellt und erst danach die endgültige Fassung des Textes gefertigt wird.
Weiterhin ist zu bedenken, dass sogar Fragesammlungen und nichtamtliche Leitsätze als schutzwürdig gelten. Dann können aber keine Bedenken dagegen bestehen, die sinnreiche Konstruktion eines Sachverhalts, der einem Prüfling Gelegenheit gibt, erlerntes Wissen am konkreten Fall zu erproben, als individuell-schöpferische Leistung zu bewerten. Anderenfalls blieben auch die in vielen wissenschaftlichen Fachbereichen anzutreffenden Fallsammlungen mit Lösungen ohne Urheberrechtsschutz, obwohl sie nach Form und Inhalt in der Regel die unverwechselbare Handschrift des Verfassers und damit individuell schöpferische Eigenart aufweisen. Muss aber ein Buch voller Musterklausuren ohne weiteres als schutzfähig angehen werden, kann für die einzelne Hausarbeit grundsätzlich nichts anderes gelten (vgl. OLG Köln, a.a.O. zur Klausuraufgabe).
Diese Ausführungen zeigen auch, dass – entgegen der Ansicht des Beklagten – das Ersinnen der Hausarbeitsaufgabe durch den Kläger nicht als Alltägliches, als „mehr oder weniger auf Routine beruhendes Professorenschaffen“ angesehen werden kann. Hiergegen spricht auch der vom Beklagten nicht bestrittene Umstand, dass Professoren allenfalls alle 2 – 3 Semester eine Hausarbeit zu erstellen haben. Bei einem solchen Zeitraum, der in großen Universitäten sogar noch länger sein mag, erscheint das Wort „Routine“ fehl am Platz.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass für jede Übung neue Fallkonstellationen zu entwickeln sind, da davon auszugehen ist, dass die Lösungen der verwendeten Arbeiten unter den nachfolgenden Studenten bekannt werden, möglicherweise auch in Repetitoren behandelt werden. Das bloße Abändern von Bekanntem reicht somit nicht aus.
Insoweit unterscheidet sich das Erstellen einer Hausarbeitsaufgabe auch vom „normalen“ Anwaltsschriftsatz. Damit bleibt festzuhalten, dass die Aufgabenstellung eine individuell geistige Schöpfung im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG darstellt.
b) Nach Auffassung der Kammer gilt dies auch für die Randbemerkungen und die Gesamtbeurteilungen der Hausarbeit. Die Randbemerkungen des Klägers – welche von ihm stammen, zeigt das Kürzel „EJ“ – stellen eine geistige Schöpfung dar, die auf einem mehrteiligen Vorgang beruht: zunächst ist der Gedankengang des Studenten nachzuvollziehen, danach muss dessen Lösung mit einer Musterlösung verglichen werden, evtl. auch darauf, ob die nicht mit der Musterlösung übereinstimmende Be-arbeitung noch von vertretbaren Gesichtspunkten ausgeht. Erst auf einer dritten Stufe kann eine Bewertung der Leistung der Studenten nachfolgen. Bei der Bewertung ist zu berücksichtigen, wie nahe der Student der richtigen bzw. einer vertretbaren Lösung kommt.
Nach Auffassung der Kammer sind daher die Randbemerkungen im Zusammenhang mit der Gesamtbeurteilung als individuell-schöpferische Leistungen im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG anzusehen – jedenfalls unter dem Gesichtspunkt, dass der Korrektor auch Ersteller der Hausarbeitsaufgabe ist. Von einer Zwangsläufigkeit des Ergebnisses kann bereits deshalb nicht ausgegangen werden, weil gerade im juristischen Bereich ein Beurteilungsspielraum existiert: es muss – anders als z.B. bei einem Multiple-Choice-Test – nicht immer nur eine „richtige“ Lösung geben, oftmals sind mehrere Lösungswege vertretbar. Dabei kann die schöpferische Leistung auch nicht wegen der Kürze der Bemerkungen abgelehnt werden, denn der Umfang einer Äußerung besagt nichts über deren Qualität.
c) Die Veröffentlichung der Hausarbeit ist nicht im Hinblick auf § 24 Abs. 1 UrhG erlaubt. Durch die Aneinanderreihung verschiedener Hausarbeiten wird kein „selbständiges“ Werk im Sinne dieser Vorschrift geschaffen. Erforderlich hierfür wäre zunächst, dass durch die Benutzung des fremden Werks eine persönliche geistige Schöpfung entsteht, außerdem muss das entstehende Werk darüber hinaus in seiner schöpferischen Ausdruckskraft gegenüber dem benutzten Werk selbständig, d.h. von ihm unabhängig sein; es muss ein auf eigener schaffender Tätigkeit beruhendes Werk entstehen (vgl. Schricker/Loewenheim, § 24 UrhG, Rdz. 8).
Von letzterem kann bzgl. des Skripts „Hausarbeiten zum kleinen BGB-Schein“ nicht ausgegangen werden: Das Skript enthält lediglich eine Aneinanderreihung von acht Hausarbeiten, wobei bei der Reihung weder thematisch noch zeitliche oder auf den Schwierigkeitsgrad bezogene Kriterien erkennbar sind.
Auch die Einleitung als solche vermag dem Skript nicht zur Erfüllung des Merkmals „Selbständigkeit“ zu verhelfen. Abgesehen davon, dass der Umfang der Einleitung (2 Seiten) im Verhältnis zum Gesamtskript (150 Seiten) unbedeutend ist, enthält es teil-weise nur Allgemeinplätze, teilweise werden lediglich Aussagen anderer Personen (Professoren) zitiert.
d) Entgegen der Auffassung des Beklagten ist die vom Kläger beanstandete Veröffentlichung auch nicht durch das Zitatrecht § 51 Nr. 1 UrhG gedeckt. Die Anwendung dieser Norm scheitert bereits daran, dass das Werk des Klägers nicht „erschienen“ ist. Dazu müsste es der Öffentlichkeit in verkörperter Form zugänglich gemacht worden sein (vgl. Schricker/Schricker, § 5 UrhG, Rdz. 38; Schricker/Katzenberger, § 6 UrhG, Rdz. 30). Zum einen sind die Hausarbeitstexte nur für die Teilnehmer der genau bezeichneten Übung der Universität Heidelberg im Wintersemester 1989/90 bestimmt gewesen. Zum anderen sind aber jedenfalls die genaue Korrektur dieser einen Hausarbeit und die Gesamtbeurteilung allein für den Studenten erfolgt, der die Hausarbeit bearbeitet hatte, damit war sie keinesfalls für die Öffentlichkeit bestimmt.
Schließlich ist § 51 Nr. 1 UrhG auch deshalb nicht anwendbar, weil der zulässige Zitatzweck die „Erläuterung des Inhalts“ ist, – und zwar des Inhalts des zitierenden Werks (Schricker/Schricker, § 51 UrhG, Rdz. 39); vorliegend müsste also der Hausarbeitstext die Lösung der Hausarbeit erläutern. Dies ist jedoch nicht der Fall.
2. a) Dem Kläger steht aufgrund der Veröffentlichung der Hausarbeit mitsamt den Randbemerkungen und der Gesamtbewertung in dem Skript „Hausarbeiten zum kleinen BGB-Schein“ ein Anspruch auf Auszahlung des anteiligen Gewinns in Höhe von 155,00 DM aus § 97 Abs. 1 UrhG zu.
Die durch die Verwendung der urheberrechtlich geschützten korrigierten Hausarbeit des Klägers vom Beklagten begangene widerrechtliche Urheberrechtsverletzung ist schuldhaft erfolgt.
Der Beklagte hat die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen, somit fahrlässig (§ 276 Abs. 1 Satz 2 BGB) gehandelt, da er hätte wissen müssen, dass er eine Rechtspflichtsverletzung begeht.
Grundsätzlich muss sich jeder, der ein fremdes Gedankengut nutzt oder von einer ihm erteilten Einwilligung Gebrauch machen will, über deren Bestand bzw. die Legi-timation Gewissheit verschaffen (vgl. BGH GRUR 1960, 606, 608; OLG Stuttgart UFI-TA 41 (1964), 218, 222; Schricker/Wild, § 97 UrhG, Rdz. 52).Dies hat der Beklagte versäumt. Es wurde zwar – dies ist unbestritten – vom Verfasser der Lösung der Hausarbeit eine Genehmigung zum Abdruck eingeholt. Beim Kläger als dem Verfasser des Hausarbeitstextes und Korrektor der Bearbeitung hat der Beklagte aber keine Nachfrage gehalten. Dabei wäre er aber bereits im Hinblick darauf aber verpflichtet gewesen, dass die Urheberschaft des Klägers auch für die Korrekturen eindeutig aus dessen Kürzel an den Randbemerkungen und der Unterschrift unter der Gesamtbeurteilung herzuleiten war.
Der materielle Schaden (§§ 249, 251 BGB) ist nach Ansicht der Kammer mit 155,00 DM richtig bemessen.
Übereinstimmend gehen die Parteien nunmehr davon aus, dass durch den Verkauf des Skripts ein Gewinn von 1.240,00 DM erzielt wurde.
Die Hausarbeit des Klägers war eine von acht abgedruckten (12,5 %), sie war 19 Sei-ten lang bei einem Gesamtumfang des Skripts von ca. 150 Seiten (12,5 %). 12,5 % von 1.240,00 DM ergeben den zuerkannten Betrag von 155,00 DM.