LG Hamburg, Urteil v. 04.09.2009, Az. 324 O 836/08
1. Mit dem öffentlichen Auftrag der Medien und ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht zur Mitwirkung an der öffentlichen Meinungsbildung ist es nicht zu vereinbaren, wenn die Veröffentlichung eines Verdachts den Medien als Verbreiterhaftung zuzurechnen wäre.
2. Der Vorwurf, der Kläger habe wissentlich und willentlich an die Stasi berichtet, ist geeignet, ihn in seinem öffentlichen Ansehen herabzuwürdigen. In diesem Fall kommt es zu einer Beweislastumkehr gemäß § 186 StGB analog.
3. Eine Verdachtsberichtserstattung verletzt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, wenn sie nicht beweist und darlegt, dass der von ihr geäußerte Verdacht zutreffend ist.
4. Eine Verdachtsberichterstattung ist zulässig, wenn an der Verbreitung des Verdachts ein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse besteht, der Sachverhalt sorgfältig recherchiert worden ist, hinreichende Anknüpfungstatsachen dafür vorliegen, dass der geäußerte Verdacht zutrifft, und der Sachverhalt ausgewogen dargestellt wird, ohne dass es zu einer Vorverurteilung des Betroffenen kommt.
I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre)
durch die aus der Anlage zu dem Urteil ersichtliche Berichterstattung den Verdacht zu erwecken, der Kläger habe wissentlich und willentlich an die Staatssicherheit berichtet.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Von den Kosten des Verfahrens fallen dem Kläger ¼ und der Beklagten ¾ zur Last.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich Ziffer I. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 50.000,- und hinsichtlich Ziffer III. für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Für die Beklagte ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Und beschließt: Der Streitwert wird auf € 50.000,- festgesetzt.
Der Kläger wendet sich mit einem Unterlassungsanspruch gegen eine Fernsehberichterstattung der Beklagten, in der diese ein Zitat der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Bezug auf Dokumente, bei denen es unter anderem um ein Gespräch zwischen Robert H. und dem Kläger als seinem Anwalt geht, verbreitet hat.
In der Sendung „Sendung h..-j..“ vom 22.5.2008 berichtete die Beklagte über den Kläger im Zusammenhang mit dessen Tätigkeiten als Rechtsanwalt in der ehemaligen DDR. Der Bericht thematisierte die Frage, ob der Kläger als Informeller Mitarbeiter (IM) des Staatssicherheitsdienstes der DDR tätig gewesen ist bzw. ob er wissentlich und willentlich an den Staatssicherheitsdienst der DDR berichtet hat. Anlass der Berichterstattung war die Rücknahme der Berufung des Klägers gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin einen Tag vor dem Termin der mündlichen Verhandlung am 20.5.2008. In dem Verfahren hatte der Kläger in seiner Eigenschaft als ehemaliger Rechtsanwalt von Robert H. – und nicht als angeblicher IM – gegen die Herausgabe von drei Unterlagen durch die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR geklagt, die Gespräche zwischen ihm und seinem damaligen Mandaten Robert H. betreffen. Das Verwaltungsgericht Berlin hatte seine Klage abgewiesen.
Die streitgegenständliche Berichterstattung befasste sich insbesondere mit zwei der Unterlagen, die Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens waren. Es handelt sich zum einem um einen in Ich-Form verfassten „Bericht über ein geführtes Gespräch mit Robert H. am 9.7.1979“ vom 10.7.1979 und zum anderem um einen Bericht vom 5.10.1979 „über weitere Aktivitäten im Zusammenhang mit Robert H.“, der sich mit einem Treffen am 3.10.1979 zwischen Robert H., dessen Ehefrau, dem Kläger und Thomas K. (vormals vormals E.) befasste. Für die Einzelheiten der Berichte wird auf die Anlagen B2 und B6 Bezug genommen. In dem Beitrag werden außerdem einzelne Aussagen der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR, Marianne B., gezeigt, die sie im Rahmen eines Interviews geäußert hatte. Nachdem Auszüge aus dem Bericht vom 10.7.1979 eingeblendet wurden, wurde die streitgegenständliche Aussage Marianne B.s
gesendet. Anschließend bezog sich die Berichterstattung auf das Treffen vom 3.10.1979 und zeigte einen Interviewausschnitt mit Thomas K. (vormals vormals E.):
Sodann wurden Ausschnitte des Berichts vom 5.10.1979 eingeblendet, in denen es heißt:
Der Kläger wurde im Rahmen der Erstellung des streitgegenständlichen Beitrags gefragt, ob er für ein Interview zu den Unterlagen, die nach Beendigung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens von der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR herausgegeben worden seien, bereit sei. Er stand für ein Interview jedoch nicht zu Verfügung. Am 22.5.2008 gab die Bundestagsfraktion der Partei „Partei“ eine Pressemitteilung unter der Überschrift „IM-Vorwurf war und bleibt falsch“ (Anlage K3) heraus. Auszüge aus dieser Pressemitteilung haben in die streitgegenständliche Berichterstattung Eingang gefunden.
Für die weiteren Einzelheiten der Berichterstattung wird auf das als Anlage K1 zur Akte gereichte Transkript des streitgegenständlichen Beitrags Bezug genommen.
Der Kläger, der selbst von Überwachungsmaßnahmen durch das Ministerium für Staatssicherheit betroffen war, kontaktierte im Rahmen seiner anwaltlichen Vertretung Robert H.s in dessen Auftrag die Abteilung Staat und Recht des Zentralkomitees der SED. Das Zentralkomitee leitete in einigen Fällen die so erlangten Informationen an das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) weiter. Ob das auch bezüglich der hier relevanten Unterlagen zutrifft, steht nicht fest.
Auf dem Grundstück von Robert H. führte das MfS Raum- und Telefonüberwachungsmaßnahmen durch.
Im September 1980 wurde über den Kläger ein so genannter IM-Vorlauf angelegt, der 1986 mit dem Beschluss, dass der Kläger nicht als Informeller Mitarbeiter geeignet sei, archiviert wurde (Anlage K2).
Mit Schreiben vom 27.5.2008 mahnte der Kläger die Beklagte wegen der streitgegenständlichen Äußerung Marianne B.s ab und forderte sie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung auf. Dieses lehnte die Beklagte ab. Daraufhin beantragte der Kläger den Erlass einer einstweiligen Verfügung, welche auf seine gegen den zurückweisenden Beschluss der Kammer gerichtete sofortige Beschwerde durch das Hanseatische Oberlandesgericht am 31.7.2008 antragsgemäß erlassen wurde. Mit Urteil vom 30.9.2008 hob die Kammer die einstweilige Verfügung teilweise auf und verbot, durch die Berichterstattung gemäß Anlage K1 den Verdacht zu erwecken, der Kläger habe wissentlich und willentlich an die Staatssicherheit berichtet.
Der Kläger trägt vor, er habe zu keinem Zeitpunkt wissentlich und willentlich an die Staatssicherheit berichtet, auch nicht im Fall von Robert H.. Die sich aus den nun veröffentlichten Dokumenten ergebenen Informationen habe er nicht wissentlich und willentlich an die Staatssicherheit berichtet. Der Bericht vom 10.7.1979 basiere wahrscheinlich auf einer teilweisen Abschrift aus einem mehrseitigen von ihm erstellten Aktenvermerk, den er für seine rechtsanwaltliche Handakte diktiert habe, oder auf einer teilweisen Abschrift des für den Aktenvermerk diktierten Tonbands. Da das MfS über mehrere Kontakte in seinem, des Klägers, unmittelbaren Umfeld verfügt habe, habe sich die Staatssicherheit ohne seine Kenntnis sowohl das Tonband als auch den Aktenvermerk verschafft haben können. Aus der Ich-Form des Berichtes könne nicht darauf geschlossen werden, dass er, der Kläger, diesen Bericht an die Staatssicherheit geliefert habe, zumal ein IM niemals in der Ich-Form geschrieben habe. Die mehrfache Nennung seines Namens in dem Bericht vom 5.10.1979 schließe es nach den damals für das MfS geltenden Vorschriften aus, ihn im selben Bericht als IM zu bezeichnen. Ein als IM Bezeichneter habe im selben Bericht nur mit seinem Decknamen genannt werden dürfen, keinesfalls aber mit seinem bürgerlichen Namen. Die Formulierung „Der IM nahm vormals E. mit in die Stadt“ sei verwandt worden, um die wahre Quelle zu verheimlichen.
Bereits bevor er selbst wegen seiner Tätigkeiten überwacht worden sei, habe sich die Staatssicherheit durch Abhörmaßnahmen und Quellen aus seinem Umfeld Informationen in Bezug auf die Personen, die er vertreten habe, beschafft.
Der Kläger meint, die Beklagte distanziere sich nicht ausreichend von der streitgegenständlichen Behauptung von Marianne B.. Sie habe sich deren Aussage durch die redaktionelle Einarbeitung in den Beitrag des „Sendung h..-j..s“ zu Eigen gemacht. Sie hafte deshalb für deren Verbreitung. Es läge aber auch schon mangels Distanzierung keine zulässige Verdachtsberichterstattung vor. Dazu trägt der Kläger weiter vor, dass er zu dem konkreten Vorwurf Marianne B.s auch nicht gehört worden sei. Dem Zuschauer werde zudem die Tatsache, dass er sich seit über zehn Jahren erfolgreich gegen den IM-Vorwurf zur Wehr setze, nicht mitgeteilt. Dem Zuschauer werde auch nicht mitgeteilt, dass den nun veröffentlichten Unterlagen vergleichbare Papiere bereits seit über zehn Jahren bekannt seien, zu denen jeweils festgestellt worden sei, dass diese nicht geeignet seien, eine Zusammenarbeit von ihm mit dem MfS zu belegen.
Die Beklagte vermische irreführend die präsentierten Berichte vom 10.7.1979 und 5.10.1979. Herr Thomas K. könne zu der Frage, ob er, der Kläger, der Überbringer des Berichts vom 10.7.1979 gewesen sei, nichts beitragen, da er an dem diesem Bericht zugrunde liegenden Treffen vom 9.7.1979 nicht teilgenommen habe. Die Beklagte unterschlage in ihrer Berichterstattung die Information, dass er selbst von Überwachungsmaßnahmen betroffen gewesen sei. Seine Presseerklärung werde nur unvollständig wiedergegeben. So sei insbesondere seine Stellungnahme zu Herrn Thomas K. verschwiegen worden. Der Bericht verschweige des Weiteren, dass Frau Marianne B. zunächst selbst davon ausgegangen sei, dass es sich bei den nun veröffentlichten Unterlagen nicht um IM-Unterlagen handele. Die Beklagte habe sich ausschließlich auf Informationen der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR verlassen, ohne eigene Recherchen zu unternehmen.
Der Kläger beantragt,
hilfsweise
Die Beklagte beantragt,
Die Beklagte trägt vor, es sei davon auszugehen, dass der Kläger der Urheber des Berichts vom 10.7.1979 über ein Treffen mit Robert H. am 9.7.1979 sei. Angesichts des zeitlichen Ablaufs sei es fernliegend, dass ein für die anwaltliche Handakte diktierter Vermerk entwendet und in ein Dokument der Staatssicherheit übernommen worden sein soll. Es spreche vielmehr vieles dafür, dass der Kläger das Tonband mit seinem Vermerk im Verlaufe eines Gesprächs mit der Stasi am 10.7.1979 übergebe habe. Dies ergebe sich aus dem als Anlage B4 vorgelegten „Bericht über ein geführtes Gespräch mit Rechtsanwalt Dr. KLÄGER am 10.7.1979“, in dem es heißt: „Am 9.7.1979 führte Gen. Dr. KLÄGER mit Robert H. nach telefonischer Vereinbarung ein Gespräch in Grünheide. Er übergab die Berufungsbegründung, die Robert H. eingehend studierte und akzeptierte (Tonbandbericht als Anlage).“ Der „Bericht über ein geführtes Gespräch mit Robert H. am 9.7.1979“ (Anlage B2) enthalte im Übrigen eine Fülle von Informationen, die für die Mandatsbearbeitung ohne Bedeutung gewesen seien. Die auf den Kläger gerichtete Personenkontrolle habe frühestens im Jahr 1980 begonnen; der Kläger trage gerade nicht vor, dass er bereits im Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts überwacht worden sei.
Zu dem „Bericht über weitere Aktivitäten im Zusammenhang mit Robert H.“ vom 5.10.1979 (Anlage B6) trägt die Beklagte — unbestritten — vor, der Kläger habe Thomas K. im Anschluss an das Treffen vom 3.10.1979 mit in die Stadt genommen. Hieraus ergebe sich im Rückschluss, dass es sich bei dem Kläger um den in dem Bericht vom 5.10.1979 genannten IM, der vormals E. mit in die Stadt genommen habe, handele. Der als Anlage B13 zur Akte gereichte „Bericht Nr. 4 vom 15.11.1980“ des „IM Torsten“ zeige, dass es keinen Grundsatz, dass Deck- und Klarname eines IM nicht in dem gleichen Dokument verwendet werden dürfe, gebe.
Wie sich aus einem Vergleich mit dem als Anlage K11 zur Akte gereichten Bericht an das Zentralkomitee der SED, Abteilung Staat und Recht, vom 18.11.1979 ergebe, habe es sich bei den Berichten vom 10.7.1979 (Anlage B2) und 5.10.1979 (Anlage B6) nicht um an die Stasi weitergeleitete Berichte des Klägers an die Abteilung Staat und Recht des Zentralkomitee der SED gehandelt.
Zu ihrer Recherchetätigkeit trägt die Beklagte vor, dass ihre Redakteurin Redakteurin S. am 21.5.2008 vor Ausstrahlung der streitgegenständlichen Berichterstattung ein ausführliches Gespräch mit der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen geführt habe. Im Rahmen dieses Gesprächs habe Frau Marianne B. auf die Frage, wie es sein könne, dass die Stasi den Kläger als IM-ungeeignet eingestuft habe, die neuen Dokumente jedoch als IM-Unterlagen bezeichnet würden, die Antwort gegeben, die in der Berichterstattung enthalten sei. Die streitgegenständliche Äußerung Marianne B.s habe sich auf das Dokument vom 9.7.1979 bezogen.
Die Beklagte meint, sie könne nicht als Verbreiterin der Äußerung Marianne B.s in Anspruch genommen werden, da sie sich hinreichend von deren Äußerung distanziere. Sie mache sich die Interviewäußerung insbesondere auch nicht zu Eigen. Es werde sowohl die Aussage Marianne B.s als auch die Stellungnahme des Klägers im Bericht dargestellt. Die streitgegenständliche Berichterstattung erfülle die Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung. In Bezug auf die Anforderungen an eine sorgfältige Recherche sei zu berücksichtigen, dass es sich vorliegend um eine tagesaktuelle Berichterstattung gehandelt habe und nicht um eine umfassende Dokumentation. Bei der Auskunft der Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen, dem Abschlussbericht des Immunitätsausschusses des Deutschen Bundestages sowie dem rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin, auf die sie für ihre Berichterstattung zurückgegriffen habe, handele es sich um privilegierte Quellen. Die Berichterstattung sei auch ausgewogen.
Für den weiteren Sach- und Streitstand wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 5.6.2009 Bezug genommen.
I. Die zulässige Klage ist im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Der mit dem Hauptantrag verfolgte Unterlassungsanspruch steht dem Kläger nicht zu, wohl aber der hilfsweise geltend gemachte Anspruch.
1. Die Klage ist im Hauptantrag unbegründet. Dem Kläger steht nicht der Anspruch zu, die Verbreitung der streitgegenständlichen Äußerung von Marinna B. zu untersagen.
a) Die Beklagte hat sich deren Aussage nicht zu Eigen gemacht. Ob ein intellektueller Verbreiter sich Fremdäußerungen zu eigen macht, hängt davon ab, wie seine Darstellung auf den Durchschnittsempfänger wirkt und von ihm verstanden wird (Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Auflage, Kapitel 4 Rz. 102 m.w.N.). Von einem Zu-Eigen-Machen ist auszugehen, wenn sich der Verbreiter mit der Äußerung des Dritten identifiziert hat, so dass sie als seine eigene Äußerung erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 6.4.1976, Az. VI ZR 246/74, Absatz-Nr. 19). Der Bundesgerichtshof hat hierzu in dem genannten Urteil weiter ausgeführt:
Diese Maßstäbe haben auch im vorliegenden Fall Geltung. Aus der streitgegenständlichen Berichterstattung wird deutlich, dass die Beklagte die Äußerung als solche von Marianne B. darstellt, der sie insbesondere den Standpunkt des Klägers gegenüberstellt, um sich so der von ihr gestellten Frage „War Dr. KLÄGER wirklich der Informant?“ zu nähern. Bereits aus dieser Fragestellung wird deutlich, dass sich die Beklagte nicht schlicht mit der Aussage Marianne B.s identifiziert, sondern diese gerade hinterfragt. Allein der Umstand, dass die Beklagte die Äußerung Marianne B.s aufgreift und sie zum Gegenstand eines redaktionellen Beitrags macht, führt nicht zu einer Identifikation der Beklagten mit dieser Äußerung, mag auch die Tendenz der Sendung in ähnliche Richtung wie die Äußerung des Dritten zielen (vgl. BGH, a.a.O. Rz.20).
b) Die Beklagte haftet im vorliegenden Fall auch nicht als Verbreiterin der Äußerung Marianne B.s. In Rede steht vorliegend nicht die Behauptung oder Verbreitung einer einzelnen Tatsachenbehauptung in Form einer Interviewäußerung, sondern die streitgegenständliche Äußerung Marianne B.s ist Teil einer Verdachtsberichterstattung. Wäre den Medien der Inhalt eines veröffentlichten Verdachts stets unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Verbreiterhaftung zuzurechnen, so wäre ihnen auch in Fällen großer öffentlicher Bedeutung des Vorgangs im Ergebnis die Möglichkeit versperrt, über das Aufkommen eines Verdachts zu berichten (vgl. Soehring, Presserecht, 3. Auflage, Rz. 16.23). Dies wäre mit dem öffentlichen Auftrag der Medien und ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht zur Mitwirkung an der öffentlichen Meinungsbildung nicht zu vereinbaren.
2. Die Klage ist jedoch im Hilfsantrag begründet. Dem Kläger steht insoweit der Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs.1, 1004 Abs.1 S.2 BGB analog in Verbindung mit Artt. 1, 2 Abs.1 GG zu, denn die angegriffene Berichterstattung verletzt insoweit den Kläger bei bestehender Wiederholungsgefahr in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
Es handelt sich vorliegend um eine Verdachtsberichterstattung. Die Beklagte macht durch die Art der Berichterstattung deutlich, dass aus ihrer Sicht lediglich der Verdacht besteht, dass der Kläger im Fall von Robert H. willentlich und wissentlich an die Stasi berichtet habe. Sie bringt grundsätzlich zum Ausdruck, dass der Verdacht nicht erwiesen ist und die Sachlage nicht geklärt ist – mag sie auch eine Tendenz erkennen lassen. Sie stellt bereits zum Beginn der Berichterstattung klar, dass der Kläger jede Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst bestreitet. Sie bringt in der Anmoderation zum Ausdruck, dass es Menschen gibt, die anderes sagen, ohne jedoch dabei zu behaupten, dass diese Menschen Recht hätten und der Kläger Unrecht habe. In der folgenden Berichterstattung wird die streitgegenständliche Äußerung als Schlussfolgerung der „Chefin der Stasiaktenbehörde“ gekennzeichnet. Die Berichterstattung setzt sich mit Unterlagen auseinander, aus denen Marianne B. die Richtigkeit ihrer Behauptung herleitet. Sie präsentiert auf diese Weise dem Zuschauer die Anknüpfungstatsachen für die streitgegenständliche Äußerung und setzt ihn so grundsätzlich in die Lage, sich selbst ein Bild zu machen. In diesem Zusammenhang werden auch die Argumente, die den Kläger entlasten und die er selbst zum Beleg seiner Behauptung, nie sei er IM gewesen, anführt, dargestellt. Die Berichterstattung stellt die Frage „War Dr. KLÄGER wirklich der Informant?“ und bringt so zum Ausdruck, dass die Aussage Marianne B.s nicht einfach nur verbreitet wird. Zur Beantwortung dieser Frage stellt die Beklagte eigene Recherchen an. Ob diese Recherchen dem journalistischen Sorgfaltsmaßstab genügen, ist bei der Frage der Zulässigkeit der Verdachtsberichterstattung zu klären, nicht jedoch bereits bei der Frage, ob es sich überhaupt um eine Verdachtsberichterstattung handelt. Auch zum Ende der Berichterstattung macht die Beklagte noch einmal deutlich, dass vorliegend die Deutung der Stasiakten im Streit steht, so dass der Zuschauer grundsätzlich erfährt, dass die Sachlage nicht geklärt ist.
a) Diese Verdachtsberichterstattung verletzt jedoch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers, soweit sie den Verdacht erweckt, er habe willentlich und wissentlich an den Staatssicherheitsdienst, insbesondere über Robert H., berichtet.
(1) Die Beklagte hat nicht dargelegt und bewiesen, dass der von ihr geäußerte Verdacht zutreffend ist.
Der Kläger bestreitet, zu irgendeinem Zeitpunkt wissentlich und willentlich an die Staatssicherheit berichtet zu haben. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Verdacht zutreffend ist, trägt im vorliegenden Fall die Beklagte. Grundsätzlich hat zwar der Kläger einer Unterlassungsklage die Unwahrheit der angegriffenen Äußerung darzulegen und zu beweisen. Eine Ausnahme gilt jedoch, wenn die Äußerung geeignet ist, den Kläger in seinem sozialen Ansehen herabzuwürdigen. In diesem Fall kommt es zu einer Beweislastumkehr gemäß § 186 StGB analog. Das ist hier der Fall. Der Vorwurf, der Kläger habe wissentlich und willentlich an die Stasi berichtet, ist geeignet, ihn in seinem öffentlichen Ansehen herabzuwürdigen, da der Verrat eines Mandanten an den Staatssicherheitsdienst in der öffentlichen Meinung als ehrenrührig gilt.
Der Vortrag der Beklagten ist nicht geeignet, der Kammer derart die Überzeugung davon zu verschaffen, dass der geäußerte Verdacht zutrifft, dass den Zweifeln Schweigen geboten wird (vgl. hierzu Greger in Zöller, ZPO, 27. Auflage, § 286 Rz. 19).
Die Beklagte trägt zwar Indizien vor, die den von ihr erweckten Verdacht stützen. Sie sind jedoch nicht so verdichtet, dass der Rückschluss, der Kläger habe wissentlich und willentlich im Fall von Robert H. an die Stasi berichtet, allein zwingend ist. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass jeweils andere Erklärungen, wie die Informationen an den Dienst der Staatssicherheit gelangt sein können, möglich und vom Kläger auch vorgetragen sind.
Dem steht nicht entgegen, dass sich auf dem ersten Dokument des Anlagenkonvoluts K9 ein handschriftlicher Vermerk eines Mitarbeiters der Stasi-Unterlagenbehörde befindet, demzufolge es sich bei den nun herausgegebenen Unterlagen um solche handele, die eine bewusste Zusammenarbeit des Klägers mit dem MfS darstellten. Es handelt sich hierbei um eine wertende Schlussfolgerung eines Mitarbeiters der Stasi-Unterlagenbehörde, die Frage nach der Wahrheit oder Unwahrheit wird dadurch gerade nicht beantwortet. Dieses wird bereits aus dem Umstand deutlich, dass sich ebenfalls auf dem ersten Dokument des Anlagenkonvoluts K9 ein weiterer Vermerk befindet, in dem es heißt: „Entscheidend ist hier die Interpretation der aufgefundenen Quelle. Der BF-Mitarbeiter bewertet die Unterlagen als Protokoll eines Gesprächs des MfS mit Dr. KLÄGER. Die AU-Mitarbeiter als Abhörprotokoll (!). Die Interpretationen sind unvereinbar“.
Bei dem Bericht vom 10.7.1979 (Anlage B2) ist es trotz des engen zeitlichen Zusammenhangs nicht ausgeschlossen, dass es sich um einen Teil des anwaltlichen Handaktenvermerks des Klägers über eine Besprechung mit Robert H. am 9.7.1979 handelt, den sich die Staatssicherheit in Teilen oder auch in Form der vom Kläger diktierten Tonbänder ohne ein Zutun des Klägers verschafft hat. Dies gilt auch unter Würdigung des als Anlage B4 vorgelegten „Bericht(s) über ein geführtes Gespräch mit Rechtsanwalt Dr. KLÄGER am 10.7.1979“. Aus diesem Bericht geht nicht hervor, dass in dem erwähnten Gespräch der Gesprächspartner des Klägers offen als Mitarbeiter des MfS aufgetreten ist. Zwar war der Kläger zum damaligen Zeitpunkt noch nicht selbst Gegenstand von Überwachungsmaßnahmen. Es ist jedoch denkbar, dass der Kläger abgeschöpft wurde, um weitere Informationen über dessen Mandanten Robert H. zu erlangen. Hinzu kommt, dass der Kläger substantiiert vorgetragen hat, dass in seinem persönlichen Umfeld informelle Mitarbeiter bzw. Kontaktpersonen des MfS waren, um so an Informationen über u.a. Robert H. zu gelangen, die einen anwaltlichen Handaktenvermerk an das MfS weiter gegeben haben könnten. Darüber hinaus ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass es sich bei den Berichten gemäß der Anlagen B2 und B4 um Weitergaben des Zentralkomitees der SED handelt, mit dem der Kläger unstreitig auch im Zusammenhang mit seiner anwaltlichen Vertretung von Robert H. in Kontakt stand. Auch der Inhalt des als Anlage B2 vorgelegten Berichts lässt keine eindeutigen, unzweifelhaften Schlüsse darauf zu, dass es sich um einen Bericht des Klägers an das MfS gehandelt haben muss. Nach heutigen Maßstäben unter den Verhältnissen in der Bundesrepublik mag der Inhalt für einen anwaltlichen Handaktenvermerk unüblich erscheinen. Allein dieser Umstand rechtfertigt es indes nicht, darauf zu schließen, dass der Kläger einen entsprechenden Vermerk nur für das MfS angefertigt haben kann.
Auch der Bericht vom 5.10.1979 (Anlage B6) über das Treffen des Klägers mit dem Ehepaar Robert H. und Thomas K. (vormals E.) am 3.10.1979 enthält kein eindeutiges Indiz, dass der Kläger im Fall von Robert H. wissentlich und willentlich an den Staatssicherheitsdienst berichtet habe. Die Formulierung „Der IM nahm vormals E. mit in die Stadt“ im Zusammenhang mit der Aussage Thomas K.s, er sei an dem fraglichen Abend vom Kläger mit in die Stadt genommen worden, ist zwar ein gewichtiges Indiz. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Einwand des Klägers, es könne sich bei dem Bericht vom 5.10.1979 schon deshalb nicht um einen Bericht von ihm an die Stasi handeln, weil er dort namentlich erwähnt werde, IMs aber in den Berichten der Stasi nicht zugleich mit Deck- und Klarnamen erwähnt würden, nicht zu überzeugen vermag. Denn zum einem wird der Kläger in dem Bericht nicht mit Decknamen erwähnt und zum anderen ist aus dem Bericht allein nicht ersichtlich, wer der IM ist. Ein Rückschluss wird erst durch die zusätzliche Information von Thomas K. (vormals vormals E.), wer ihn an dem fraglichen Abend mit in die Stadt genommen habe, ermöglicht. Darüber hinaus verdeutlicht der als Anlage B13 vorgelegte „Bericht Nr.4 vom 15.11.1980“ des IM Torsten, dass es sehr wohl Berichte an die Stasi gegeben hat, in denen ein IM sowohl mit Deck- als auch mit Klarnamen genannt wurde. Gleichwohl vermag auch dieses Indiz weder für sich betrachtet noch in einer Gesamtschau mit den weiteren Indizien nicht die erforderliche Überzeugung davon zu begründen, dass der Kläger im Fall von Robert H. wissentlich und willentlich an die Stasi berichtet habe. Dies ergibt sich insbesondere vor dem Hintergrund des als Anlage K2 vorgelegten MfS-Beschlusses vom 14.8.1986 über die Archivierung des IM-Vorlaufes betreffend den Kläger. Denn nach diesem Beschluss war der Kläger „zur Aufklärung und Bekämpfung politischer Untergrundtätigkeit nicht geeignet“, da „die Möglichkeiten des Kandidaten zu einer inoffiziellen Zusammenarbeit auf Grund der beruflichen Tätigkeit begrenzt“ seien. Daraus ergeben sich zumindest vernünftige und beachtliche Zweifel daran, dass der von der Beklagten erweckte Verdacht zutreffend ist.
(2) Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung eingehalten zu haben.
Eine Verdachtsberichterstattung ist zulässig, wenn an der Verbreitung des Verdachts ein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse besteht, der Sachverhalt sorgfältig recherchiert worden ist, hinreichende Anknüpfungstatsachen dafür vorliegen, dass der geäußerte Verdacht zutrifft, und der Sachverhalt ausgewogen dargestellt wird, ohne dass es zu einer Vorverurteilung des Betroffenen kommt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 7.12.1999, Az. VI ZR 51/99, Juris-Absatz Nr. 20).
Der vorliegenden Berichterstattung kann jedenfalls der Vorwurf gemacht werden, letztlich nicht ausreichend ausgewogen und offen zu sein. Eine ausgewogene Darstellung setzt voraus, dass durch die Art der Darstellung dem Rezipienten vermittelt wird, dass die Sachlage offen ist. Eine Vorverurteilung des Betroffenen ist auszuschließen. Es sind auch die entlastenden Umstände mitzuteilen, ohne dass diese nur unzureichend zur Geltung kommen. Diesen Anforderungen genügt die streitgegenständliche Berichterstattung im Ergebnis – insbesondere auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Hanseatischen Oberlandesgerichts im vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren mit Beschluss vom 31.7.2008, Az. 7 W 73/08 – nicht.
Trotz der grundsätzlich als Verdacht formulierten Anmoderation durch Marietta Slomka bezeichnet sie die Dokumente, die sich in den Unterlagen der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR finden, als „interessante Protokolle“. Mit dieser Formulierung gibt die Beklagte bereits eine Wertung zu erkennen, die den Zuschauer geneigt macht, den Dokumenten, über die im Folgenden berichtet wird, Glauben zu schenken. Demgegenüber wird der Antragsgegner als allein stehend mit seiner Behauptung, „nie sei er ein IM gewesen, nie habe er als DDR-Rechtsanwalt jemanden verraten“, dargestellt. Dazu hat das Hanseatische Oberlandesgericht im Beschluss vom 31.7.2008 ausgeführt:
Schließlich führt auch die letzte eingeblendete Äußerung Frau Marianne B.s am Ende des Beitrags zu dem Verständnis des Zuschauers, dass die Erklärungen des Antragstellers zum späteren IM-Vorlauf keine Bedeutung hätten. In dieser Äußerung, die möglicherweise nicht eigens für diesen Beitrag aufgenommen wurde, wird in allgemeiner Form über die Qualifikation einer Unterlage als IM-Unterlage gesprochen, die dann berechtigt sei, wenn konkret jemand wissentlich und willentlich der Stasi berichtet habe. Diese Äußerung betrifft nicht die gegebene Fragestellung, ob der Antragsteller Informant der Stasi war, sondern geht an dieser Thematik vorbei. Der Zuschauer kann den Hinweis indessen in diesem Zusammenhang nur als eine Verstärkung der vorausgegangenen Äußerung Frau Marianne B.s über den Kläger verstehen, mit der die Einwände des Antragstellers als unerheblich abgetan werden.“
Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer weiterhin an.
b) Die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr wird aufgrund der rechtswidrigen Erstberichterstattung indiziert. Die Beklagte hat keine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben. Weitere Umstände, bei deren Vorliegen ausnahmsweise eine Wiederholungsgefahr entfällt, sind nicht ersichtlich.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs.1, 92 Abs.1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 709 S.1 und 2, 711 ZPO.
Der Festsetzung des Streitwerts liegen § 3 ZPO, § 45 Abs.1 S. 2 und 3 GKG zu Grunde.