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LG Hamburg: Urheberrechtlicher Schutz von Interviewäußerungen

LG Hamburg, Urteil v. 27.04.2011, Az. 308 O 625/08

1. Äußerungen in Interviews, die weder in sprachlicher noch in inhaltlicher Hinsicht als schöpferisch anzusehen sind, genießen keinen urheberrechtlichen Schutz.

2. Bei der Frage, in welchem Umfang eine urheberrechtlich geschützte Äußerung zitiert werden darf, muss berücksichtigt werden, dass ein zu restriktives Zitatrecht zu einer sinnentstellenden Verkürzung von Zitaten führen kann.

LANDGERICHT HAMBURG

Im Namen des Volkes

Urteil

Aktenzeichen: 308 O 625/08

Verkündet am: 2011-04-27

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

[…]

erlässt das Landgericht Hamburg – Zivilkammer 8 – […] auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 27.04.2011 folgendes Urteil:

I. Die einstweilige Verfügung vom 15.12.2008 wird aufgehoben und der ihr zugrundeliegende Antrag zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Antragsteller darf die Kostenvollstreckung durch den Antragsgegner durch Sicherheitsleistung In Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Antragsgegner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um den Bestand einer einstweiligen Verfügung.

Der Antragsteller ist Rechtsanwalt. Der Antragsgegner betreibt die Internetseite www.buskeismus.de auf der er sich u.a. kritisch mit der presserechtlichen Rechtsprechung auseinandersetzt. In der Berliner Zeitung vom […] erschien ein Interview, in dem sich der Kläger zu Fragen des Presse rechts äußerte (Anlage K 4). Der Beklagte kopierte Teile dieses Interviews auf seine Internetseite und ftlgte eigene Kommentare hinzu, wie aus folgenden Screenshots ersichtlich: (Anlage K 3):

(Abbildung)

Der Antragsteller sah sich dadurch in seinen Rechten verletzt und erwirkte eine einstweilige Verfügung der Kammer vom 15.12.2008 (Az.: 308 0 625/08), mit der dem Antragsgegner verboten worden ist, die aus obigen Screenshots ersichtlichen Interviewäußerungen des Antragstellers zu vervielfältigen und/oder im Internet öffentlich zugänglich zu machen. Dagegen hat der Antragsgegner Widerspruch eingelegt.

Er vertritt die Ansicht, die streitgegenständlichen Interviewäußerungen hätten keinen Werkcharakter, jedenfalls seien allenfalls die Interviewer und nicht der Antragsteller als Urheber anzusehen. Im Übrigen beruft sich der Antragsgegner auf die urheberrechtliche Zitierfreiheit.

Der Antragsgegner beantragt,

die einstweilige Verfügung vom 15, Dezember 2008 aufzuheben und den ihrem Erlass zugrunde liegenden Antrag zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,

die einstweilige Verfügung vom 15, Dezember 2008 zu bestätigen.

Er ist der Auffassung, seine streitgegenständlichen Interviewäußerungen genössen Werkcharakter im Sinne des § 2 UrhG. Die Grenzen des Zitat rechts gemäß § 51 UrhG habe der Antragsgegner überschritten. Insbesondere zeige er in seinen Ausführungen selbst, dass es problemlos möglich gewesen wäre, die maßgeblichen Kernaussagen der zitierten Interviewäußerungen in jeweils einem Satz zusammenzufassen. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Antragsgegner ihn seit Jahren in rechtlich unzulässiger Weise auf seiner Homepage vorführe.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 27.4.2011 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die einstweilige Verfügung ist nach dem Ergebnis der Widerspruchsverhandlung aufzuheben und der zugrundeliegende Antrag zurückzuweisen. Dem Antragsteller steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu, namentlich nicht gemäß § 97 Abs. 1 UrhG.

1. Die letzte der streitgegenständlichen Interviewäußerungen, in der sich der Antragsteller zu der Frage äußert, ob einige Prominente heute gegenüber den Medien „zu empfindlich“ seien, ist bereits nicht als Werk im Sinne des § :2 UrhG anzusehen, insbesondere nicht als Sprachwerk im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 iVm. Abs. 2 UrhG. Zwar gelten nach den Grundsätzen der „Kleinen Münze“ (auch) insoweit geringe Anforderungen (vgl. dazu: Schulz, in: Dreier/Schulze, UrhG, 3. AufL, § 2, Rn. 85). Die fragliche Interviewäußerung des Antragstellers beschränkt sich jedoch im Wesentlichen auf den weder in sprachlicher noch in inhaltlicher Hinsicht als schöpferisch anzusehenden schlichten Hinweis, dass es durchaus auch Prominente gebe, die ihren Erfolg nicht der Vermarktung ihres Privatlebens in den Medien, sondern allein ihren individuellen Leistungen verdankten.

Ein Werkschutz lässt sich insoweit auch nicht aus dem Zusammenhang mit den beiden ersten streitgegenständliehen IntervieWäußerungen des Antragstellers ableiten, denn diese betreffen einen inhaltlich gänzlich eigenständigen Kontext, nämlich die sogenannte „Stolpe“-Rechtsprechung.

2. Den beiden Interviewäußerungen zur „Stolpe“-Rechtsprechung ist zwar als Sprachwerk im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 iVm. Abs. 2 UrhG Urheberrechtsschutz zuzubilligen. Gemessen am Maßstab der „Kleinen Münze“ liegt eine hinreichende persönliche geistige Schöpfung insoweit darin, dass der Antragsteller die Kernaussage der – in ihren Verästelungen hoch komplexen – „Stolpe“-Rechtsprechung in einer für Laien verständlichen Sprache prägnant zusammengefasst hat.

Der Antragsteller ist auch als alleiniger Schöpfer dieses Teils des Interviews als Urheber im Sinne des § 7 UrhG anzusehen.

Das Vervielfältigen (§ 16 UrhG) und öffentliche Zugänglichmachen (§ 19a UrhG) dieser Interviewäußerungen war jedoch im angegriffenen Kontext vom Zitatrecht des § 51 UrhG gedeckt Danach ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zwecke des Zitats zulässig, sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zitalzweck gerechtfertigt ist. Zulässig ist ein Zitat gemäß § 51 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 UrhG u.a. dann, wenn Stellen eines Werkes nach der Veröffentlichung in einem selbständigen Sprachwerk angeführt werden. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

Die angegriffene Kommentierung genießt ihrerseits Werkschutz nach § 2 Abs 1 Nr. 1 UrhG. Die von dem Antragsgegner geäußerte Auffassung, der Antragsteller müsse nach den von ihm dargelegten Grundsätzen der „Stolpe“-Rechtsprechung nunmehr selbst befürchten, abgemahnt zu werden, nämlich von schon zuvor „sorgfältig arbeitenden“ Journalisten der „Berliner Zeitung“, mag man als juristisch unzutreffend oder gar als abwegig ansehen. Die in mehreren gedanklichen Schritten vollzogene Herleitung dieser These erfüllt aber jedenfalls aufgrund der in ihr auf die Spitze getriebenen Rabulistik die (geringen) Anforderungen der „Kleinen Münze“, so dass offen bleiben kann, ob § 51 UrhG die Schaffung eines neuen (übernehmenden) Werkes voraussetzt (zum Streitstand: Dreier in: Dreier/Schulze, UrhG, § 51, Rn. 6).

In welchem Umfang zitiert werden darf, hängt stets von einer Gesamtabwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls ab. Danach hat der Antragsgegner den Rahmen eines zulässigen Zitats vorliegend nicht überschritten. Er greift in seiner Kommentierung zwar zunächst nur den letzten Satz der zitierten Äußerungen des Antragstellers auf („Das heißt, Journalisten werden künftig sorgfältiger formulieren müssen“). Die daran anknüpfenden Ausführungen wären aber für den Leser nicht nachvollziehbar, wenn der Antragsgegner nicht zuvor auch die eigenen Erläuterung des Antragstellers zur „Stolpe“-Rechtsprechung im Wortlaut zitiert hätte, denn dem Antragsgegner geht es ja gerade darum, den Nachweis zu führen, dass diese Erläuterungen nach den vom Antragsteller selbst dargestellten Grundsätzen rechtlich angreifbar seien, was der Antragsteller offenbar verkenne („Begreift Herr Dr. X nicht oder möchte er nicht begreifen, dass die Stolpe-Entscheidung jeder beliebigen richterlichen Entscheidung Tür und Tor öffnet?“).

In die Gesamtabwägung nach § 51 UrhG hat ferner einzufließen, dass sich der Antragsteller mit seinen Interviewäußerungen aus freien Stücken gezielt an eine unbestimmte Öffentlichkeit gewandt hat und an einer kritischen Auseinandersetzung mit dieser Form der Selbstdarstellung eines Anwaltes ein berechtigtes öffentliches Interesse besteht, so dass sich der Antragsgegner insoweit auf den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG berufen kann. Hätte der Antragsgegner – wie vom Antragsteller gefordert – nur den letzen Satz aus den beiden in Rede stehenden Interviewäußerungen des Antragstellers zitiert, hätte dies im Übrigen leicht eine sinnentstellende Verkürzung zur Folge haben können. Hinzu kommt, dass sich die Schöpfungshöhe der beiden in Rede stehenden Interviewäußerungen des Antragstellers eher am unteren Ende des für den Werkschutz erforderlichen Spektrums bewegt. Auch dies führt dazu, dass die Schutzbedürftigkeit des Antragstellers in urheberrechtlicher Hinsicht als gering anzusehen ist und im Ergebnis hinter dem öffentlichen Interesse an der angegriffenen Publikation zurückzutreten hat.

Darauf, ob der Antragsgegner an anderer Stelle durch seine Publikationen Rechte des Antragstellers verletzt hat, kommt es nicht an, denn auch wenn dies der Fall sein sollte würde dadurch die Freiheit des Antragsgegners, in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu berichten, nicht beschränkt.

II. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 6, 711 ZPO.

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