Telemedicus

LG Berlin: Internationale Zuständigkeit bei Unterlassungsansprüchen

LG Berlin, Urteil v. 07.04.2009, Az. 27 O 736/08

1. Die Zuständigkeit eines deutschen Gerichts ist bei Unterlassungsansprüchen gegen ein Presseunternehmen aus dem europäischen Ausland gem. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO am Verbreitungsort nur dann gegeben, wenn der Betroffene dort ein „erhebliches Ansehen“ genießt.

2. Allein der Umstand, dass eine Person bereits vor einigen Jahren vereinzelt Gegenstand von Presseberichterstattungen in Deutschland geworden ist, genügt nicht, um ein „erhebliches Ansehen“ anzunehmen.

LANDGERICHT BERLIN

Im Namen des Volkes

Urteil

Aktenzeichen: 27 O 736/08

Verkündet am: 2009-04-07

In dem Rechtsstreit

Frau von S.
[…]
Hamburg

gegen

Associated Newspapers Limited
[…]
London, Vereinigtes Königreich,

hat die Zivilkammer 27 des Landgerichts Berlin in Berlin-Charlottenburg, Tegeler Weg 17-21, 10589 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 07.04.2009 […] für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages zuzüglich 10 % vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt Unterlassung.

Die Beklagte verlegt die “ Daily Mail”, in deren Ausgaben vom 08.06.2007 und 11.09.2007 (Anlagen K 1und K 2) Artikel erschienen, die sich mit der Klägerin beschäftigen. Die “ Daily Mail” wird täglich auch im Raum Berlin ausgeliefert.

Die Klägerin meint, durch die Berichterstattung werde ihre Privatsphäre verletzt. Die berichteten Details gingen die Öffentlichkeit nichts an. Die vom EuGH in der Entscheidung “Shevill” aufgestellten Grundsätze gälten nicht für Unterlassungsansprüche, sondern nur für Schadensersatzklagen. Zudem sei sie durch verschiedene Berichterstattungen der Presse im Sommer 2007 in Deutschland den Lesern nicht unbekannt gewesen. Sie behauptet, es würden täglich 1.500 Exemplare der Zeitung in Berlin vertrieben.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000,00 , Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre), im Bereich der Bundesrepublik Deutschland zu unterlassen,

I.

unter Bezugnahme auf Frau von S zu verbreiten: “Girl who’s cosying up to the Aga … the vastly rich Aga, I can reveal, has been entertaining an attractive new companion. She is blonde […] van […], the daughter of Sixties folk singer Baron […]van […]- half of the wholesome […]and […]duo, who at the height of their fame rivalled the popularity of The […]. … was spotted on a boat with a bikini-clad […], 39, in the ritzy playground of the Costa […], the […]resort the Aga founded in the 1960s. So who ist this blonde beatuy who bears a striking resemblance to the Aga’s German-born wife […]? A former pupil of the […]Ballet School in Camberley, Surrey, she is the former wife of City recruitment company boss […]von der Sch[…]. The couple married in 1990, have four children and divorced two years ago. It is understood the London-based […]and the Aga have been friends for more than a year. … in […]the other day he was enjoying the company of Miss van […], … Her father moved to […]and then the […]after his singing career ended. He was shot dead in the tropical paradise of […]in 1994 together with his […]commonlaw wife […], apparently at the hands of a hired assassin.”;

II.

unter Bezugnahme auf Frau von S und […] […]K[…]das Folgende erneut zu verbreiten:

1. “Aga picks a hot date for a night in […]”;

2. “Last weekend’s party was much more relaxed, not least because among the guests was the Aga’s lates companion, […]van […], 39, who has been close to the playboy philanthropist for the past 18 months. Friends are wonderin if her presence at such a key family event represents a sophisticated shift in […]position in the Aga’s life.

The London-based blonde daughter of Sixties folk singer Baron […]van […]
– one half of the folk duo […]and […]- bears a passing resemblance to the Aga’s estranged second wife.”;

3. “They have been photographed together on his yacht on the Costa […], the Sardinian resort the Aga – ‘K’ to his friends – founded 40 years ago.”;

4. “’After all, […]is not much older than […]and – like her – has children,’ says my source. ‘When he takes […]away on holiday there is now always a great big crowd of kids, which he enjoys.’”;

5. “[…], who is the former wife of City recruitment boss […] Sch[…], is the latest beauty to take the Aga’s eye since he split from […]three years ago.”.

Die Beklagte beantragt,

die Klage als unzulässig abzuweisen, hilfsweise, die Klage abzuweisen.

Sie vertritt die Ansicht, dass das angerufene Gericht international nicht zuständig sei. Denn die Zeitung der Beklagten werde in Berlin nicht bestimmungsgemäß verbreitet und die Klägerin sei hier auch nicht allgemein bekannt. Sie rügt die Unzulässigkeit der Klage, da die Klägerin über keine ladungsfähige Anschrift in Deutschland verfüge.

Die Klägerin versuche rechtsmissbräuchlich, die deutsche Gerichtsbarkeit für sich in Anspruch zu nehmen. Zudem sei gem. Art 40 Abs. 2 EGBGB englisches Recht anwendbar. Danach sei die beanstandete Berichterstattung jedoch zulässig gewesen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das angerufene Gericht ist zur Entscheidung des Sachverhaltes international gem. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO nicht zuständig.

Gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO kann eine Person, die ihren Wohnsitz – bei juristischen Personen: ihren satzungsmäßigen Sitz, den Sitz ihrer Hauptverwaltung oder denjenigen ihrer Hauptniederlassung (Art. 60 Abs. 1 EuGVVO) – in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, in einem anderen Vertragsstaat vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichsteht, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden. Ist eine solche Zuständigkeit begründet, erstreckt sie sich auch auf Unterlassungsansprüche, die aus der behaupteten Verletzung hergeleitet werden (OLG München AfP 2008, 394; OLG München RDV 2008, 24).

Danach ist, wenn eine unerlaubte Handlung den Gegenstand des Verfahrens bildet, das Gericht des Ortes zuständig, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist. Der Geschädigte hat damit die Wahl zwischen dem Handlungsort und dem Erfolgsort (OLG München AfP 2008, 394). Letzterer ist jedenfalls auch Berlin. Denn die Klägerin stützt ihren Unterlassungsanspruch auf §§ 823, 1004 BGB, Art. 1 Abs. 1 GG, 2 Abs. 1 GG mit der Begründung, ihr Persönlichkeitsrecht sei durch die Berichterstattung verletzt worden. Dies geschah (auch) mit Verbreitung der Zeitung in Berlin. Dass die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Großbritannien hat und die Verletzungshandlung nicht in Deutschland wahrnimmt, ist dagegen unerheblich.

Indes kann Art. 5 Nr. 3 EuGVVO nicht soweit ausgelegt werden, dass die Vorschrift jeden Ort erfasst, an dem die schädlichen Folgen eines Umstands spürbar werden können, der bereits einen an einem anderen Ort entstandenen Schaden verursacht hat (OLG München aaO.). Denn die Verordnung über die internationale Zuständigkeit sieht nur in Abweichung von dem allgemeinen Grundsatz der Zuständigkeit der Gerichte am Beklagtenwohnsitz eine Anzahl besonderer Zuständigkeiten vor, zu denen auch Art. 5 Nr. 3 EuGVVO gehört; diesen besonderen Zuständigkeitsregeln ist eine strikte Auslegung zu geben, die nicht über die ausdrücklich vorgesehene Fälle hinausgehen darf (OLG München aaO.). Bei einer im Ausland erscheinenden Zeitschrift liegt der Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, im Inland, wenn die Zeitschrift auch im Inland verbreitet worden ist (EuGH NJW 1995, 1881). Davon kann nur dann gesprochen werden, wenn die Zeitschrift mit einer im regelmäßigen Geschäftsbetrieb vor sich gehenden Versendung durch den Zeitungsverlag über die Grenzen gelangt (OLG München aaO.; BGH GRUR 1971, 153). Denn es kann nicht ausreichen, dass nur hier und da einmal durch Dritte ein oder mehrere Exemplare in ein Gebiet gelangen, das von der Betriebsorganisation des Verlegers oder Herausgebers nicht erfasst und in das das Druckerzeugnis nicht regelmäßig geliefert wird, und so außerhalb des üblichen, von der Zeitschrift erreichten Gebietes wohnenden Lesern zur Kenntnis kommt (BGH NJW 1977, 1590, 1591).

So verhält es sich vorliegend. Denn die “ Daily Mail” wird im Raum Berlin täglich ausgeliefert, so dass von einer nur zufälligen bzw. vereinzelten Grenzüberschreitung von Presseexemplaren nicht ausgegangen werden kann. Soweit die Beklagte bestritten hat, dass die Ausgaben der Zeitung an den streitgegenständlichen Tagen in einer Anzahl von 1.500 Stück ausgeliefert wurde, ist dies unsubstantiiert. Die Klägerin hat den aus ihrer Sicht zutreffenden Umfang der Verbreitung hinreichend bestimmt dargetan; nunmehr hätte es der Beklagten oblegen, die Zahlenangaben der Klägerin dezidiert zu bestreiten und die aus ihrer Sicht zutreffende Zahl der ausgelieferten Exemplare darzutun. Dies gilt umso mehr, als es sich hierbei um einen Umstand handelt, der der Geschäftssphäre der Beklagten zuzurechnen ist, so dass allein sie in der Lage wäre, die nach ihrer Ansicht nach zutreffenden, konkreten Zahlen der ausgelieferten Exemplare zu benennen. Der Hinweis auf eine angebliche Behauptung der Klägerin “in´s Blaue hinein” verfängt daher nicht.

Allerdings weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass die Zuständigkeit gem. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO am Verbreitungsort nur dann gegeben ist, wenn der Betroffene dort ein erhebliches Ansehen genießt (EuGH GRUR Int 1998, 298). Der Europäische Gerichtshof hat in der vorgenannten Entscheidung unter anderem ausgeführt:

“… Der Schadenserfolg ist an dem Ort verwirklicht, an dem die schädigenden Auswirkungen des haftungsauslösenden Ereignisses zu lasten des Betroffenen eintreten. Im Fall einer grenzüberschreitenden Ehrverletzung durch Presseerzeugnisse wird die Beeinträchtigung der Ehre und des Ansehens einer Person durch eine ehrverletzende Veröffentlichung an den Orten verwirklicht, an denen die Veröffentlichung verbreitet wird, wenn der Betroffene dort bekannt ist. Somit sind die Gerichte jedes Vertragsstaats, in dem die ehrverletzende Veröffentlichung verbreitet und das Ansehen des Betroffenen nach dessen Behauptung beeinträchtigt worden ist, für die Entscheidung über die in diesem Staat am Ansehen des Betroffenen entstandenen Schäden zuständig…”

Dass der Europäische Gerichtshof das Kriterium der Bekanntheit des Betroffenen lediglich für den Fall fordert, dass Gegenstand des Verfahrens eine Schadensersatzklage ist, lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen. Zwar hatte die damalige Klägerin im Fall Shevill Schadensersatz geltend gemacht, so dass der Europäische Gerichtshof im Rahmen seiner Ausführungen hierauf notwendig auch Bezug nimmt. Doch ergibt sich aus der Vorlage des House of Lords, dass dort allgemein für Fälle der Ehrverletzung die Vorlagefrage formuliert wurde, wo sich im Sinne von Art. 5 Nr. 3 EuGVVO der Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, befindet. Aufgrund dessen hat der Europäische Gerichtshof seine Entscheidung getroffen und die vorgenannten Kriterien formuliert. Im Übrigen handelt es sich auch bei dem geltend gemachten Unterlassungsanspruch um eine Forderung, die auf deliktischer Grundlage beruht. Da somit der rechtliche Charakter dieses Anspruchs dem einer Schadensersatzforderung gleichzustellen ist, sind keine überzeugenden Gründen ersichtlich, für einen Unterlassungsanspruch aufgrund Ehrverletzung auf eine Bekanntheit der Betroffenen am Verbreitungsort zu verzichten.

Hiervon kann jedoch nicht ausgegangen werden. Die Klägerin war und ist in Deutschland unbekannt. Sie hatte und hat ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in Großbritannien und ist – nach ihrem eigenen Vortrag – in der Öffentlichkeit unbekannt. Allein der Umstand, dass sie im Jahr 2007 in auch in Deutschland verbreiteten Zeitschriften zum Gegenstand der Berichterstattung geworden ist, reicht nicht aus. Denn dies war lediglich in zwei Zeitschriften, also einer äußerst geringen Anzahl der Fall. Von beiden Zeitschriften war lediglich eine, nämlich die “B[…]”, überhaupt einer breiten Leserschaft bekannt; für die in italienischer Sprache abgefasste “C[…]” gilt dies nicht. Angesichts des Umstandes, dass der Artikel über die Klägerin in der “B[…]” lediglich auf hinteren Seiten im Heft erschien und vor dem Hintergrund, dass gerade in der Sommerzeit eine nahezu unüberschaubare Vielzahl von Artikeln erscheint, in denen über Bootsausflüge und andere Vergnügungen am Mittelmeer berichtet wird, ist es geradezu fernliegend, dass die vorgenannten Berichte zu einer Bekanntheit der Klägerin in Deutschland gleichsam “aus dem Nichts heraus” geführt haben. Auch wenn die Klägerin einem alt eingesessenen Adelsgeschlecht mit deutschen Wurzeln angehört, kann hieraus kein Rückschluss gerade auf die Bekanntheit der Person der Klägerin gezogen werden.

Die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht aus Art. 5 Nr. 5 EuGVVO. Denn die Klägerin hat nicht einmal behauptet bzw. dargetan, dass die Beklagte in Deutschland über eine Niederlassung verfügt, noch dass sie von einer etwaigen Niederlassung außerhalb ihres Sitzstaates aus am Geschäftsverkehr teilnimmt. Dies wäre jedoch Voraussetzung zur Anwendung der vorgenannten Bestimmung (Zöller/Geimer ZPO 27. A., EuGVVO Art. 5 RZ 40).

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.

Newsletter

In Kooperation mit

Kommunikation & Recht

Hosting

Domainfactory