Telemedicus

LG Berlin: Informelle Ansprache bei Online-Spielen keine verbotene Kaufaufforderung an Kinder

LG Berlin, Urteil v. 21.04.2015, Az. 16 O 648/13

1. Der Begriff Kind in Nr. 28 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG ist, aufgrund des europarechtlichen Ursprungs, europarechtlich auszulegen. Eine Definition, die darunter alle Minderjährigen (bis 18 Jahren) zusammenfasst, hält das Gericht aber für zu weit und wählt die enge Auslegung, die nur unter 14-jährige erfasst.

2. Spiele, die „teilweise grausam oder blutrünstig“ sind, richten sich nicht an „Kinder“ i.S.v. Nr. 28 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG. Unerheblich ist, ob Kinder das Spiel im Einzelfall aus Neugierde spielen.

3. Die Ansprache des Konsumenten in der zweiten Person („du“) stellt auch kein Indiz für die Ansprache von Kindern dar. Dies ist, vor allem im Internet, auch gegenüber Erwachsenen mittlerweile üblich.

4. Begriffe wie „monströse, fleischfressende Fledermaus“ sind nicht kindertypisch. Das Merkmal „überwiegend kindertypischer Begriffe einschließlich gebräuchlicher Anglizismen“ (vgl. Runes of Magic-Urteil des BGH) ist nicht ausreichend bestimmt und für die Praxis kein taugliches Abgrenzungskriterium.

LANDGERICHT BERLIN

Im Namen des Volkes

Urteil

Aktenzeichen: 16 O 648/13

Verkündet am: 2015-04-21

In dem Rechtsstreit

[…]

hat die Zivilkammer 16 des Landgerichts Berlin

[…]

für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages zzgl. 10 % vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen unzulässiger Werbung gegenüber Minderjährigen auf Unterlassung und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten in Anspruch.

Der Kläger ist ein Verein, der gemäß § 2 seiner Satzung unter anderem bezweckt, Verbraucherinteressen wahrzunehmen und den Verbraucherschutz zu fördern. Er ist in der vom Bundesamt für Justiz geführten Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen. Die Beklagte betreibt über das Internet Computerspiele und bietet dafür virtuelle Ergänzungsprodukte an, insbesondere betreibt sie das Online-Rollenspiel „[…]“. Dieses hat eine Altersfreigabe „ab 12 Jahren“. Um an dem Spiel teilnehmen zu können, muss ein Spieler einen so genannten „Battle.net Account“ erstellen. Gibt er auf die dortige Abfrage ein Geburtsdatum an, wonach er jünger als 16 Jahre alt ist, wird er aufgefordert, die E-Mail-Adresse seiner Eltern bzw. Erziehungsberechtigten anzugeben. Diese werden sodann per E-Mail aufgefordert, den Account – in ihrem Namen – für den Minderjährigen zu erstellen. Für die Teilnahme muss der Spieler ein Abonnement abschließen, das je nach Dauer des Abonnements zwischen 10,99 € und 12,99 € pro Monat kostet.

Die Beklagte bewarb am 17. September 2013 auf ihrer Internetseite zusätzliche kostenpflichtige Elemente für das Spiel „[…]“, insbesondere eine „Gepanzerte Blutschwinge“ für 20 € und verschiedene Haustiere für 10 bis 20 €. Wegen Wortlaut und Gestaltung der Werbung wird auf die Anlagen K 1 bis 3 zur Klageschrift Bezug genommen. Der Kläger mahnte die Beklagte mit Schreiben vom 20. September 2013 wegen unzulässiger Werbung gegenüber Minderjährigen erfolglos ab.

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte verstoße gegen § 3 Abs. 3 UWG i.V.m. Nr. 28 des Anhangs sowie gegen § 4 Nr. 1 Nr. 2 UWG. Es liege eine unmittelbare Kaufaufforderung vor, die sich auch an Kinder richte. Dafür spreche der Charakter des Spiels als „Fantasy-Spiel“, die Anrede in der Kaufaufforderung (2. Person Plural) und die Tatsache, dass die Einrichtung eines Accounts für Kinder ausdrücklich vorgesehen sei.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

1. es bei Vermeidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen,

im Rahmen geschäftlicher Handlungen im Internet auf der Seite http://[…].html im Blizzard Shop zu werben bzw. werben zu las-sen
a) mit der Aufforderung „Kauft ein im Haustiershop“

und/oder

b) mit der Aufforderung „Neues exklusives Reittier: Gepanzerte Blutschwinge Holt es Euch jetzt“

wenn dies geschieht wie in Anlage K 1 wiedergegeben.

2. an den Kläger 200,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24. April 2014 (Klageerhebung) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet, dass sich das Online-Spiel „[…]“ an Kinder richte. Diese seien jedenfalls nicht die von ihr angesprochene Zielgruppe des Spiels. Das ergebe sich aus dessen tatsächlicher Nutzerstruktur, zudem aus der Komplexität der Spielwelt, der Spieltiefe sowie des Spielablaufs. Weniger als 1 % der Spieler seien Kinder, wobei unter dem Begriff „Kinder“ nur Minderjährige unter 14 Jahren zu verstehen seien. Diese würden durch ihre Werbung jedenfalls nicht gezielt angesprochen. Hinsichtlich der angegriffenen Aussage „Kauft ein im Haustiershop“ fehle es außerdem an einer unmittelbaren Kaufaufforderung.

Wegen des Vortrags der Parteien im Einzelnen wird auf die Schriftsätze ihrer Prozessbevollmächtigten nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe


Die Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Unterlassungsanspruch wegen unzulässiger Werbung gegenüber Kindern gemäß §§ 8 Abs. 3 Nr. 3, § 3 Abs. 3 in Verbindung mit dem Anhang Nr. 28,oder gemäß § 4 Nr. 1 und 2 UWG.
Das streitgegenständliche Angebot der Beklagte enthält keine in die Werbung einbezogene „unmittelbare Aufforderung an Kinder“, selbst die beworbene Ware zu erwerben oder ihre Eltern dazu zu veranlassen, wie gemäß Anhang Nr. 28 zu § 3 Abs. 3 UWG verboten.

Die Kammer geht zunächst davon aus, dass der Begriff „Kinder“ in diesem Zusammenhang nur Minderjährige bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres umfasst. Er ist allerdings unionsrechtlich, also nicht nach deutschem Rechtsverständnis auszulegen. Deshalb wäre grundsätzlich auch denkbar, den Begriff „Kind“ lediglich als Gegensatz zum Begriff „Erwachsene“ zu verstehen, der damit alle Minderjährigen erfassen würde (vgl. Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 33. Aufl., UWG Anh. zu § 28, Rdn. 28,5). Die Kammer hält allerdings die einschränkende Auslegung des Begriffs für zutreffend und sieht deshalb davon ab, dem EuGH die Frage der Auslegung des Begriffs „Kinder“ vorzulegen.

Eine „Aufforderung“ setzt ein „gezieltes Ansprechen“ der betreffenden Personengruppe voraus. Kinder müssen allerdings nicht als individuelle Personen, sondern können auch als Bevölkerungsgruppe angesprochen werden. Werden sie gezielt angesprochen, so ist es unerheblich, dass in ein und derselben Werbung daneben auch oder sogar überwiegend Erwachsene angesprochen werden. Eine Aufforderung an jedermann genügt dagegen selbst dann nicht, wenn sich Kinder von der Werbung angesprochen fühlen können. Ob eine Aufforderung an Kinder vorliegt, beurteilt sich aus Sicht der betroffenen Personen, also hier der Kinder selbst. Dabei sind das beworbene Produkt (z.B. Spiele, Spielzeug) und die gesamte Art und Weise der Werbung (z. B. Verwendung der Umgangssprache von Kindern, Abbildung von Kindern), ihr Umfeld (z.B. Werbung in Zeitschriften für Kinder und Jugendliche, Kindersendungen) zu berücksichtigen. Die Verwendung des „Du“ allein genügt nicht, da dies mittlerweile auch gegenüber Erwachsenen üblich geworden ist. Wohl aber kann es ausreichen, wenn darüber hinaus überwiegend kindertypische Begriffe einschließlich gebräuchlicher Anglizismen verwendet werden (Köhler/Bornkamm a.a.O. Rdn. 28.8; BGH GRUR 2014, 298 – Runes of Magic I; GRUR 2014, 1211 – Rundes of Magic II).

„Unmittelbar“ ist die Aufforderung zum Kauf von Produkten, wenn die Werbung einen Käuferbezug – d.h. einen Kaufappell gerade an Kinder – aufweist. Nicht erforderlich ist dafür ein Direktkontakt, etwa im Rahmen einer Verkaufsveranstaltung. Denn Werbung gegenüber Kindern in Print- und Telemedien (insbesondere im Internet) vermag Kinder genauso leicht zu beeinflussen wie eine Direktansprache. Das Vorliegen eines Kaufappells beurteilt sich – wie die Frage der Aufforderung – wiederum aus Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds der betroffenen Gruppe – hier also der Kinder. Die Kaufaufforderung erfolgt zwar typischerweise in Form des Imperativs, das ist jedoch nicht unerlässlich. Entscheidend ist, dass die Kinder den Eindruck gewinnen, sie sollten einen Kauf bestimmter Produkte tätigen. Unmittelbar kann die Aufforderung schließlich auch dann sein, wenn die Aufforderung auf einer Internetseite erscheint, die durch einen Link mit einer anderen Internetseite verbunden ist, auf der die Preise und Merkmale der zum Erwerb angebotenen Waren oder Dienstleistungen abgebildet sind (Köhler/Bornkamm a.a.O. Rdn. 28.9).

Unbeschadet dessen, dass der erkennenden Kammer keine „Kinder“ angehören, kann sie die Frage der „unmittelbaren Aufforderung zu Kauf“ dennoch aus eigener Sachkunde in Bezug auf diese Zielgruppe beurteilen, ohne dafür ein durch eine Meinungsumfrage untermauertes Sachverständigengutachten einholen zu müssen (vgl. BGH GRUR 2014,1211 Rdn. 18ff. – Runes of Magic II). Die Ermittlung des Verkehrsverständnisses ist nämlich keine Tatsachenfrage, sondern Anwendung eines speziellen Erfahrungswissens, über welches das Gericht grundsätzlich auch dann verfügen kann, wenn die entscheidenden Richter nicht zu den angesprochenen Verkehrskreisen zählen (BGH a.a.O. Rdn. 19). Die Kammer kann die Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds der angesprochenen Konsumentengruppe der Kinder – als „Verkehrsverständnis“ – auf Grund eigener Sachkunde und Lebenserfahrung feststellen.

Im vorliegenden Fall ist danach eine „unmittelbare Aufforderung an Kinder“ nicht feststellbar. Diese ergibt sich weder aus dem beworbenen „Produkt“ (einem Ergänzungsprodukt zum Fantasy-Rollenspiel „[…]“), noch aus Art und Weise oder Umfeld der Werbung.

So ergibt sich nach den Erfahrungen der Mitglieder der erkennenden Kammer für das Produkt „Spiele“ im Bereich Fantasy nicht schon deshalb ein besonderer Bezug zu Kindern, weil jedwede Art von Spielen generell als kinderbezogen anzusehen wäre. Gerade der Bereich „Fantasy“ spricht in einer bestimmten Ausprägung im Schwerpunkt Erwachsene an, weshalb sich entsprechende Produktangebote – seien es Bücher, Filme oder Internetspiele – in diesem Segment erkennbar an diese Zielgruppe richten. Das gilt insbesondere für Spiele, die – wie das vorliegende – einen eher komplexeren, anspruchsvolleren, teilweise auch grausamen oder blutrünstigen Inhalt haben. Es genügt nicht, dass diese Spiele zweifellos trotzdem – auch – Kinder interessieren dürften, zumal diese generell an (Internet-)Spielen interessiert sind und dies im Zweifel sogar umso mehr, als sie das Spiel als „Erwachsenenspiel“ wahrnehmen, das ihnen eigentlich vorenthalten bleiben soll. Der insoweit für Kinder regelmäßig bestehende „Reiz des Verbotenen“ kann aber nicht Grundlage für die Beurteilung einer an Kinder gerichteten Kaufaufforderung sein. Denn anderenfalls wäre jede Aufforderung zum Kauf von Produkten, von denen Kinder sich in dieser Weise – oder aufgrund allgemeiner kindlicher Neugier – angesprochen fühlen, nach Anhang Nr. 28 zu untersagen. Das kann aber nicht die Intention des Unionsgesetzgebers gewesen sein.

Nach Auffassung der Kammer sprechen hier auch Art und Weise oder Umfeld der Werbung nicht für eine „Aufforderung“ an Kinder. Insbesondere enthält die Kaufaufforderung nach Einschätzung der Kammer keine „kindertypische Begrifflichkeiten einschließlich gebräuchlicher Anglizismen“ (vgl. BGH GRUR 2014, 298, Rdn. 19 – Runes of Magic I). Zunächst ist das Umfeld der Werbung – hier die Internetpräsenz der Beklagten – jedenfalls nicht in besonderer Weise „kinderbezogen“. Ferner können auch die Formulierungen in der in Rede stehenden Kaufaufforderung:

„Diese monströse, fleischfressende Fledermaus ist der perfekte Begleiter für einen Abstecher zum nächsten Schlachtfeld, um Tod und Zerstörung zu verbreiten.“

nicht als ausgeprägt „kindertypische Begrifflichkeiten“ angesehen werden, die in besondere Weise gerade von Kindern unter 14 Jahren verwendet werden.

Allenfalls ergänzende Indizwirkung misst die Kammer der Einlassung der Beklagten bei, wonach nur 1 % ihrer Nutzer tatsächlich „Kinder“ seien. Allerdings sind die entsprechenden Angaben der Beklagten nur sehr schwer überprüfbar und deshalb auch nicht einlassungsfähig. Nach den vorstehenden Ausführungen kam es darauf aber für die Entscheidung der Kammer nicht mehr an.

Die Kammer verkennt nicht, dass den zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs „Runes of Magic I und II“ ein zumindest ähnlicher Sachverhalt (Internetwerbung für Produkte eines Fantasy – Computerspiels) zugrunde lag und der Bundesgerichtshof dort eine unzulässige unmittelbare Kaufaufforderung an Kinder angenommen hat. Die Kammer sieht aber zum einen relevante Unterschiede in tatsächlicher Hinsicht sowohl in Bezug auf das Spiel selbst – das vorliegend zumindest etwas blutrünstiger erscheint -, als auch des Kaufangebots – das im vorliegenden Fall (noch) weniger kindertypische Begrifflichkeiten enthielt. Unabhängig davon bestehen aus Sicht der Kammer aber auch praktische Schwierigkeiten, die vom Bundesgerichtshof gestellten Anforderungen in Form von „kindertypischen Begrifflichkeiten einschließlich gebräuchlicher Anglizismen“ auf einen konkreten Sachverhalt anzuwenden, zumal vor dem Hintergrund des Sachverhalts im Fall „Runes of Magic I“ unklar erscheint, wie der Bundesgerichtshof den Begriff „kindertypische Begrifflichkeiten“ versteht. Im Zweifel kann deshalb die Werbung nicht untersagt werden.

Da kein Unterlassungsanspruch besteht ist auch der Kostenerstattungsanspruch gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 UWG nicht begründet.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 S. 1 BGB.

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