EuGH, Beschluss v. 21.10.2014, Az. C-348/13
Die Einbettung eines auf einer Website öffentlich zugänglichen geschützten Werkes in eine andere Webseite mittels eines Links unter Verwendung der Framing-Technik allein stellt keine „öffentliche Wiedergabe“ dar, soweit das betreffende Werk weder für ein neues Publikum noch nach einem speziellen technischen Verfahren wiedergegeben wird, das sich von demjenigen der ursprünglichen Wiedergabe unterscheidet.
In der Rechtssache C-348/13
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 16. Mai 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Juni 2013, in dem Verfahren
(…)
gegen
(…)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung des Richters J. Malenovskjr (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben der Präsidentin der Neunten Kammer, des Richters M. Safjan und der Richterin A. Prechal,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund der nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, folgenden
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. L 167, S. 10).
2 Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der (…) (imFolgenden: (…)) einerseits und Herrn (…) und Herrn (…) andererseits wegen Einbettung anklickbarer Links den von den Letztgenannten betriebenen Websites, die sich der Framing- Technik bedienen und mit deren Hilfe der Internetnutzer zu einem Film geleitet wurde, an dem (…) die ausschließlichen Nutzungsrechte zustanden.
Rechtlicher Rahmen
3 Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
4 (…) beschäftigt sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von Wasserfiltersystemen. Zu Werbezwecken ließ sie einen etwa zwei Minuten langen Film zum Thema Wasserverschmutzung herstellen, an dem ihr die ausschließlichen Nutzungsrechte zustehen. Zu dem für das Ausgangsverfahren
maßgeblichen Zeitpunkt war dieser Film auf der Videoplattform „YouTube“ abrufbar. (…) macht jedoch geltend, dass er dort ohne ihre Zustimmung eingestellt worden sei.
5 Herr (…) und Herr (…) sind als selbständige Handelsvertreter für ein mit (…) im Wettbewerb stehendes Unternehmen tätig. Sie unterhalten jeweils eine eigene Website, auf der sie für die von ihrem Kunden vertriebenen Produkte werben. Im Sommer 2010 ermöglichten sie Besuchern ihrer Websites, den von (…) hergestellten Film über einen Internetlink im Wege des so genannten Framings abzurufen. Bei einem Klick auf diesen Link erschien der Film, der von der vorgenannten Videoplattform stammte, in einem auf den Websites von Herrn (…) und Herrn (…) erscheinenden
Rahmen („Frame“), wodurch der Eindruck erweckt wurde, dass er von diesen Websites aus gezeigt werde.
6 Da (…) der Ansicht war, dass Herr (…) und Herr (…) den Film ohne ihre Erlaubnis öffentlich zugänglich gemacht hätten, verklagte sie diese auf Unterlassung der Verbreitung des Films und verlangte von ihnen Schadensersatz sowie die Erstattung von Abmahnkosten.
7 Nachdem Herr (…) und Herr (…) hinsichtlich der Verbreitung des Films eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hatten, erklärten die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich des Unterlassungsbegehrens übereinstimmend für erledigt. Den übrigen Anträgen von (…) hingegen gab das erstinstanzliche Gericht statt und verurteilte die im Ausgangsverfahren Beklagten, an (…) jeweils 1 000 Euro Schadensersatz zu zahlen und ihr jeweils Abmahnkosten in Höhe von je 555,60 Euro zu erstatten. Das erstinstanzliche Gericht erlegte Herrn (…) und Herrn (…) außerdem die Kosten des Rechtsstreits auch hinsichtlich des erledigten Teils der Klage auf.
8 Das von Herrn (…) und Herrn (…) angerufene Berufungsgericht änderte die erstinstanzliche Entscheidung ab und verteilte die Kosten für den erledigten Klageantrag hälftig auf die Parteien. Die übrigen Klageanträge von (…) hingegen wies es ab.
9 (…) legte gegen diese Entscheidung Revision beim Bundesgerichtshof ein.
10 Im Rahmen der Prüfung der Revision stellte das vorlegende Gericht u. a. fest, dass in einem Fall, in dem ein Werk bereits Gegenstand einer „öffentlichen Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001129 gewesen sei, eine neue Wiedergabehandlung unter Verwendung des gleichen technischen Verfahrens nur dann als „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne der genannten Vorschrift eingestuft werden könne, wenn diese Handlung vor einem neuen Publikum stattfinde. Daher habe die von Herrn (…) und Herrn (…) vorgenommene Einfügung eines Links zu dem von (…) hergestellten Film, um die es im Ausgangsverfahren gehe, keine Wiedergabe für ein neues Publikum bewirkt, da dieser Film bereits auf einer Videoplattform frei zugänglich gewesen sei. Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass sich die betreffenden Links der Framing-Technik bedienten. Diese Technik ermögliche es dem Betreiber einer Website, sich ein Werk zu eigen zu machen, ohne dieses jedoch kopieren zu müssen und damit dem Anwendungsbereich der Vorschriften über das Vervielfältigungsrecht zu unterfallen. Daraus leitet das vorlegende Gericht die Frage ab, ob es nicht doch gerechtfertigt wäre, die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verlinkung als „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 anzusehen.
11 Unter diesen Voraussetzungen hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Stellt die Einbettung eines auf einer fremden Internetseite öffentlich zugänglich gemachten fremden Werkes in eine eigene Internetseite unter Umständen, wie sie im Ausgangsverfahren vorliegen, eine öffentliche Wiedergabe im Sinne des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 dar, auch wenn das fremde Werk damit nicht für ein neues Publikum wiedergegeben wird und die Wiedergabe nicht nach einem spezifischen technischen Verfahren erfolgt, das sich von demjenigen der ursprünglichen Wiedergabe unterscheidet?
Zur Vorlagefrage
12 Gemäß Art. 99 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn die Antwort auf eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann, auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden.
13 Diese Bestimmung ist auf das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen anwendbar.
14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es nämlich für eine Einstufung als „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 erforderlich, dass ein geschütztes Werk unter Verwendung eines technischen Verfahrens, das sich von dem bisher verwendeten unterscheidet, oder, ansonsten, für ein neues Publikum wiedergegeben wird, d. h. für ein Publikum, an das die Inhaber des Urheberrechts nicht gedacht hatten, als sie die ursprüngliche öffentliche Wiedergabe erlaubten (vgl. in diesem Sinne Urteil SGAE, C-306/05, EU:C:2006:764, Rn. 40 und 42, Beschluss Organismos Sillogikis Diacheirisis Dimiourgon Theatrikon kai Optikoakoustikon Ergon, C-136/09, EU:C:2010:151, Rn. 38, sowie Urteil ITV Broadcasting u. a., C-607/11, EU:C:2013: 147, Rn. 39).
15 Was speziell die Fallgestaltung betrifft, bei der ein Dritter auf einer Website ein geschütztes Werk, das bereits auf einer anderen Website frei öffentlich wiedergegeben wurde, mittels eines Internetlinks einstellt, hat der Gerichtshof in Rn. 24 des Urteils Svensson u. a. (C-466/12, EU:C:2014:76) entschieden, dass eine solche Wiedergabehandlung, da sie sich desselben technischen Verfahrens bedient, das schon für die Wiedergabe des Werkes auf einer anderen Website verwendet wurde, nur dann als „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001129 einzustufen ist, wenn die Handlung gegenüber einem neuen Publikum erfolgt.
16 Ist dies nicht der Fall, insbesondere weil das Werk bereits auf einer anderen Website mit Erlaubnis der Urheberrechtsinhaber für alle Internetnutzer frei zugänglich ist, kann die betreffende Handlung nicht als „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001129 eingestuft werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Svensson u. a., EU:C:2014:76, Rn. 25 bis 28).
17 In den Rn. 29 und 30 des Urteils Svensson u. a. (EU:C:2014:76) hat der Gerichtshof klargestellt, dass diese Feststellung nicht durch den Umstand in Frage gestellt wird, dass das Werk bei Anklicken des betreffenden Links durch die Internetnutzer in einer Art und Weise erscheint, die den Eindruck vermittelt, dass mittels eines „eingebetteten“ Internetlinks (Inline Linking) ein einer anderen Website entstammender Bestandteil angezeigt wird, damit den Nutzern dieses Webauftritts die ursprüngliche Umgebung dieses Bestandteils verborgen bleibt.
18 Zwar kann diese Technik, wie das vorlegende Gericht feststellt, verwendet werden, um ein Werk der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ohne es kopieren zu müssen und damit dem Anwendungsbereich der Vorschriften über das Vervielfältigungsrecht zu unterfallen. Unbeschadet dessen führt aber ihre Verwendung nicht dazu, dass das betreffende Werk für ein neues Publikum wiedergegeben wird. Denn sofern und soweit dieses Werk auf der Website, auf die der Internetlink verweist, frei zugänglich ist, ist davon auszugehen, dass die Inhaber des Urheberrechts, als sie diese Wiedergabe erlaubt haben, an alle Internetnutzer als Publikum gedacht haben.
19 In Anbetracht dessen ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Einbettung eines auf einer Website öffentlich zugänglichen geschützten Werkes in eine andere Website mittels eines Links unter Verwendung der Framing-Technik, wie sie im Ausgangsverfahren in Frage steht, allein keine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. l der Richtlinie 2001/29 darstellt, soweit das betreffende Werk weder für ein neues Publikum noch nach einem speziellen technischen Verfahren wiedergegeben wird, das sich von demjenigen der ursprünglichen Wiedergabe unterscheidet.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:
Die Einbettung eines auf einer Website öffentlich zugänglichen geschützten Werkes in eine andere Webseite mittels eines Links unter Verwendung der Framing-Technik, wie sie im Ausgangsverfahren in Frage steht, allein stellt keine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft dar, soweit das betreffende Werk weder für ein neues Publikum noch nach einem speziellen technischen Verfahren wiedergegeben wird, das sich von demjenigen der ursprünglichen Wiedergabe unterscheidet.