BVerfG, Beschluss v. 18.01.1996, Az. 1 BvR 2116/94
1. Bringt ein Mieter eine Parabolantenne, die er zuvor aufgrund eines rechtskräftig ergangenen mietrechtlichen Urteils abnehmen musste, eigenmächtig wieder an, ohne dabei einen Versuch zur Abwendung der Vollstreckung zu unternehmen, so spricht nichts dafür, daß das Erhaltungsinteresse des Mieters an seiner Wohnung von den Zivilgerichten im Fall einer erneuten Abwägung unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Entscheidung als überwiegend angesehen werden würde. Die Einlegung der Verfassungsbeschwerde, die als außerordentlicher Rechtsbehelf die Rechtskraft des angegriffenen Urteils nicht hemmt, konnte ihn von den Verpflichtungen des mietrechtlichen Urteils nicht befreien. Somit ist der Vermieter sodann zur fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses befugt.
2. Dies gilt auch wenn sich der Mieter bei der Anbringung der Antenne auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG beruft.
hat das Bundesverfassungsgericht – Erster Senat – die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen Räumungsurteile, die ergangen sind, weil die Beschwerdeführer eine vorausgegangene, später aber vom Bundesverfassungsgericht aufgehobene Verurteilung zur Entfernung einer Parabolantenne nicht befolgt hatten.
1. Die Beschwerdeführer sind türkische Staatsangehörige. Sie bewohnen eine Mietwohnung in einem Mehrfamilienhaus. Das Haus ist an das Breitbandkabelnetz angeschlossen, in das ein türkisches Fernsehprogramm eingespeist wird. Die Beschwerdeführer installierten ohne die nach dem Mietvertrag erforderliche Zustimmung der Vermieterin am Balkon ihrer Wohnung eine Parabolantenne, um weitere türkische Fernsehprogramme empfangen zu können. Die Vermieterin verlangte von ihnen vergeblich die Entfernung der Parabolantenne. Das Amtsgericht verurteilte die Beschwerdeführer mit Urteil vom 20. August 1993, die Parabolantenne zu entfernen.
Die Beschwerdeführer befolgten das in Rechtskraft erwachsene Urteil nicht. Sie baten vielmehr die Vermieterin um Mitteilung eines ihr genehmen Standorts für die Parabolantenne und erhoben kurz darauf Verfassungsbeschwerde, wovon sie die Vermieterin unterrichteten. Diese ging auf das Ersuchen um Angabe eines Alternativstandorts für die Antenne nicht ein, sondern erwirkte im November 1993 einen Vollstreckungsbeschluß, der sie zur Ersatzvornahme ermächtigte. Nach Zustellung dieses Beschlusses ließ die Vermieterin die Antenne abbauen. Am folgenden Tag brachten die Beschwerdeführer sie wieder an. Daraufhin kündigte die Klägerin das Mietverhältnis fristlos wegen vertragswidrigen Gebrauchs der Mietsache sowie aus wichtigem Grund unter Hinweis auf die ergangenen gerichtlichen Entscheidungen und das erneute Anbringen der Antenne. Die am selben Tag von den Beschwerdeführern eingelegte sofortige Beschwerde gegen den Ermächtigungsbeschluß des Amtsgerichts wies das Landgericht zurück.
Das amtsgerichtliche Urteil zur Beseitigung der Antenne wurde vom Bundesverfassungsgericht durch Kammerbeschluß vom 29. Juni 1994 wegen Verstoßes gegen das Grundrecht der Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG) aufgehoben.
2. Noch ehe der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts ergangen war, entschied das Amtsgericht mit dem hier angegriffenen Urteil, daß die Beschwerdeführer die Wohnung zu räumen und an die Klägerin herauszugeben hätten. Die Klägerin sei zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt gewesen. Ihr sei nicht zuzumuten, weiter am Mietvertrag festzuhalten. Dies ergebe sich daraus, daß die Beschwerdeführer auch nach dem rechtskräftigen Urteil vom 20. August 1993 der darin ausgesprochenen Verpflichtung, die auf dem Balkon installierte Parabolantenne zu entfernen, nicht nachgekommen seien. Sie hätten sogar die Antenne, nachdem diese aufgrund eines gerichtlichen Ermächtigungsbeschlusses entfernt worden sei, umgehend wieder anmontiert. Die Pflicht zur Duldung der Zwangsvollstreckung sei ihnen mit der Ersatzvornahme deutlich vor Augen geführt worden. Die anwaltlich beratenen Beschwerdeführer könnten nicht geltend machen, daß sie ohne Verschulden davon ausgegangen seien, angesichts des laufenden Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht bestehe noch keine definitive Verpflichtung zur Entfernung der Parabolantenne.
Das Landgericht wies – zeitlich nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – die Berufung der Beschwerdeführer gegen das Räumungsurteil zurück. Die fristlose Kündigung sei gemäß § 554 a BGB gerechtfertigt, weil die Beschwerdeführer ihre vertraglichen Pflichten schuldhaft in einem solchen Maße verletzt hätten, daß der Vermieterin die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zuzumuten gewesen sei. Die Beschwerdeführer hätten das bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts vom 20. August 1993 nicht befolgt und die von ihnen installierte Parabolantenne nicht entfernt. Darüber hinaus hätten sie den Vollstreckungsbeschluß mißachtet. Das Verhalten der Beschwerdeführer sei schuldhaft. Sie hätten gewußt, daß das Urteil des Amtsgerichts rechtskräftig geworden und ein Vollstreckungsbeschluß zugunsten der Vermieterin ergangen sei. Das Gesamtverhalten der Beschwerdeführer zeige, daß diese im laufenden Mietverhältnis nicht gewillt seien, rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidungen nachzukommen und rechtmäßige Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu dulden.
1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer im wesentlichen eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 14 Abs. 1 GG.
Die angegriffenen Entscheidungen verletzten ihre allgemeine Handlungsfreiheit. Das Urteil des Amtsgerichts vom 20. August 1993, auf dessen Nichtbefolgung die Kündigung gestützt werde, sei vom Bundesverfassungsgericht wegen Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG aufgehoben worden. Unter diesen Umständen liege in ihrem Verhalten keine eindeutige und grob schuldhafte Pflichtverletzung, die zur fristlosen Kündigung berechtige. Sie hätten vielmehr nur von ihren verfassungsrechtlich verbrieften Rechten Gebrauch gemacht. Ihnen könne nicht entgegengehalten werden, daß das Amtsgerichtsurteil vom 20. August 1993 zunächst rechtskräftig gewesen sei. Nach § 95 Abs. 2 BVerfGG sei dieses Urteil als nicht existent zu behandeln.
Die angegriffenen Entscheidungen verletzten ferner das Grundrecht der Informationsfreiheit. Keine der beiden Entscheidungen lasse erkennen, daß die Gerichte bei der Anwendung der §§ 553, 554 a BGB im Rahmen einer Güterabwägung das besondere Interesse an der Wahrung dieses Grundrechts gewichtet und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts überhaupt berücksichtigt hätten. Indem sie sich zur Begründung der Räumungspflicht auf das Urteil vom 20. August 1993 bezögen, setzten sie den Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG fort.
Weiterhin sei ihr durch Art. 14 Abs. 1 GG geschütztes Besitzrecht als Wohnungsmieter verletzt. Die angegriffenen Entscheidungen ließen nicht erkennen, daß diese Rechtsposition im Rahmen einer Abwägung mit dem Eigentumsrecht der Vermieterin berücksichtigt worden sei.
2. Auf Antrag der Beschwerdeführer hat das Bundesverfassungsgericht durch einstweilige Anordnung die Wirkung der angegriffenen Urteile ausgesetzt (BVerfGE 92, 126).
Dem Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen und der Gegnerin des Ausgangsverfahrens ist Gelegenheit gegeben worden, zur Verfassungsbeschwerde Stellung zu nehmen. Das Justizministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Gegnerin des Ausgangsverfahrens hat die angegriffenen Urteile verteidigt.
Die Voraussetzungen, von denen nach § 93 a BVerfGG die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung abhängt, liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführer angezeigt.
Die Frage, ob und gegebenenfalls wie das Landgericht bei seiner Entscheidung über die fristlose Kündigung nach § 554 a BGB in Rechnung stellen mußte, daß das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts im Erstverfahren über die Anbringung der Parabolantenne inzwischen wegen eines Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG aufgehoben worden war, bedarf hier keiner Entscheidung. Selbst wenn dieser Umstand bei der von § 554 a BGB verlangten Interessenabwägung hätte berücksichtigt werden müssen, wäre im vorliegenden Fall kein anderes Entscheidungsergebnis zu erwarten. Das ergibt sich aus dem Gewicht, das das Landgericht dem Verhalten der Beschwerdeführer nach Erlaß des rechtskräftigen Urteils im Erstverfahren im Rahmen des § 554 a BGB beigemessen hat. Die Auffassung des Gerichts, die Beschwerdeführer hätten das Urteil des Amtsgerichts befolgen müssen, solange es rechtskräftig war, begegnet keinen Bedenken. Die Einlegung der Verfassungsbeschwerde, die als außerordentlicher Rechtsbehelf die Rechtskraft des angegriffenen Urteils nicht hemmt, konnte sie von dieser Pflicht nicht befreien. Demgegenüber haben die Beschwerdeführer das Urteil nicht nur mißachtet, sondern nach seiner Vollstreckung den vorherigen Zustand sogar eigenmächtig wieder hergestellt, ohne einen Versuch zur Abwendung der Vollstreckung zu unternehmen. Angesichts dessen spricht nichts dafür, daß das Erhaltungsinteresse der Beschwerdeführer an ihrer Wohnung von den Zivilgerichten im Fall einer erneuten Abwägung unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Entscheidung als überwiegend angesehen werden würde.
(Unterschriften)