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BGH: Verbreiterhaftung bei ehrverletzenden Äußerungen – Ostkontakte

BGH, Urteil v. 27.05.1986, Az. VI ZR 169/85

Ein Zeitungsverleger kann auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wenn in der Zeitung sowohl im redaktionellen Teil als auch in der Leserbriefspalte ehrverletzende Äußerungen Dritter verbreitet worden sind, da er einen entscheidenden Tatbeitrag zur Verbreitung der betreffenden Behauptung leistet

BUNDESGERICHTSHOF

Im Namen des Volkes

Urteil

Aktenzeichen: VI ZR 169/85

Verkündet am: 1986-05-27

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 30. Mai 1985 wird insoweit als unzulässig verworfen, als sie sich gegen die Abweisung des Klageantrages zu a) 11. richtet.

Im übrigen wird auf die Revision des Klägers das vorbezeichnete Urteil im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es die Klageanträge zu a) 9. und zu b) abgewiesen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand
Der Kl. ist Redakteur bei der Zeitschrift „Stern“. In der von der Bekl. verlegten Zeitung „Bild am Sonntag“ vom 15. Mai 1983 erschien unter der Überschrift „Landesverrat? Verfahren gegen 2, Stern‘-Redakteure“ ein Artikel, der sich mit den Kontakten des Kl. und des Redakteurs H. zu dem Staatssicherheitsdienst der DDR befaßte. In dem Artikel heißt es, Anlaß für ein von der Bonner Staatsanwaltschaft voraussichtlich schon bald gegen sie eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen landesverräterischer Beziehungen seien die engen Kontakte der „Stern“-Redakteure zum Staatssicherheitsdienst der DDR und schwere Vorwürfe des CDU-Bundestagsabgeordneten M. M. beziehe sich dabei auf Berichte, die im „Stern“ u.a. auch über ihn erschienen seien. Diese Berichte „sollen angeblich auf frisiertes und manipuliertes Beweismaterial aus dem Osten zurückgehen“.

In der auch von der Bekl. verlegten Tageszeitung „Die Welt“ vom 13. Mai 1983 erschien ebenfalls ein Artikel über die Beziehungen der beiden „Stern“-Redakteure zum Staatssicherheitsdienst der DDR. Außerdem wurde in dieser Ausgabe ein Leserbrief des Abgeordneten Dr. M. veröffentlicht, in dem dieser u.a. schrieb, die beiden Redakteure hätten „den Verlockungen und Angeboten von Agenten der Ostberliner Fälscherzentrale nicht widerstanden und Teile von deren ihnen zugespielten Material – trotz meines Widerstandes – im,Stern‘ publiziert“.

Mit der vorliegenden Klage hat der Kl. Unterlassung zahlreicher in den beiden Artikeln enthaltener Behauptungen sowie der Verbreitung der vorstehend wiedergegebenen Behauptungen aus dem Leserbrief von Dr. M. verlangt.

Das LG hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Das BerG hat sie teilweise abgewiesen. Es hat die Revision zugelassen, soweit es die Klage abgewiesen hat, die Bekl. zu verurteilen, es zu unterlassen, zu behaupten, zu verbreiten und/oder behaupten oder verbreiten zu lassen, der Bericht über den CDU-Bundestagsabgeordneten W.M. solle auf frisiertes und manipuliertes Beweismaterial aus dem Osten zurückgehen (Klagantrag a) 9.); zu verbreiten oder verbreiten zu lassen – durch einen Leserbrief des CDU-Abgeordneten Dr. W. M. – Dr. W. habe den Verlockungen und Angeboten von Agenten der Ostberliner Fälscherzentrale nicht widerstanden und Teile des ihm zugespielten Materials trotz M.’s Widerstand im „Stern“ publiziert (Klageantrag b).

Mit der Revision verfolgt der Kl. sein Klagebegehren bezüglich dieser beiden Klageanträge sowie bezüglich des folgenden Antrags weiter, die Bekl. zu verurteilen, es zu unterlassen, zu behaupten, zu verbreiten und/oder behaupten oder verbreiten zu lassen, daraufhin habe W. offensichtlich neue Informatiotsquellen beim MAD gesucht, dort eine Deutschlandkarte mit den angeblichen Standorten von Raketenbasen und Atomwaffenlagern mit der Bitte um Begutachtung vorgelegt: Die Karte stamme vom MFS, der „Stern“ wolle nun prüfen, ob sie zutreffend sei.

Der MAD habe jede Stellungnahme dazu abgelehnt, ohne gleichzeitig hinzuzufügen, daß Dr. W. um eine Stellungnahme nicht gebeten hat.

Bei dieser Gelegenheit und auch bei seiner Sicherheitsüberprüfung als Hauptmann der Reserve soll W. gegenüber Beamten des MAD auch Andeutungen über Hitler-Tagebücher gemacht haben, die ihm in der DDR angeboten worden seien (Klageantrag a) 11.).

Die Revision wegen des letztgenannten Antrags wurde als unzulässig verworfen. Wegen der Klageanträge zu 9 a und b wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Entscheidungsgründe

I. Soweit der Kl. mit der Revision seinen Klageantrag zu a) 11., hinsichtlich dessen die Revision nicht zugelassen worden ist, weiterverfolgt, ist das Rechtsmittel unzulässig.

In nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten ist die Revision gemäß § ZPO § 546 ZPO nur statthaft, wenn das OLG sie in seinem Urteil zugelassen hat. Entgegen der Auffassung der Revision handelt es sich vorliegend um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats sind Widerrufs- und Unterlassungsansprüche, welche den sozialen Geltungsanspruch des Betroffenen in der Öffentlichkeit schützen sollen, grundsätzlich nichtvermögensrechtlicher Natur, sofern sich nicht aus dem Klagevorbringen oder offenkundigen Umständen ergibt, daß das Rechtsschutzbegehren in wesentlicher Weise auch der Wahrung wirtschaftlicher Belange dienen soll (Senat, Urt. vom 30. Mai 1974 – VI ZR 199/72 in NJW 1974, NJW Jahr 1974 Seite 1470 zur Fussnote 1; Beschl. vom 1. Februar 1983 – VI ZR 116/82 in NJW 1983, NJW Jahr 1983 Seite 2572; Beschl. vom 3. April 1984 – VI ZR 80/83 in NJW 1985, NJW Jahr 1985 Seite 978, NJW Jahr 1985 Seite 979, jeweils mit weiteren Nachw. Im vorliegenden Fall geht es dem Kl. in erster Linie um die Verteidigung seiner persönlichen Ehre. Soweit sich die angegriffenen ehrverletzenden Behauptungen auch auf seine berufliche Stellung als Redakteur nachteilig auswirken, handelt es sich nur um eine vermögensrechnliche Reflexwirkung, die für die Natur des Rechtsstreits außer Betracht zu bleiben hat (Senatsurt. vom 30. Mai 1974, a.a.O., S 1471 zur Fussnote 1 )

II. Soweit das BerG die Revision zugelassen hat, erweist sich das Rechtsmittel als begründet.

l. Bezüglich der Äußerung im redaktionellen Teil der Zeitung „Bild am Sonntag“ (Klageantrag a) 9.) hat das BerG einen Unterlassungsanspruch des Kl. mit folgender Begründung verneint: Es lasse sich nicht rechtfertigen, die Bekl. neben oder gar anstelle des eigentlichen Urhebers der Äußerung in Anspruch zu nehmen. Die Bekl. habe die streitige Äußerung nicht als eigene, sondern als Äußerung des Abgeordneten Dr. M. aufgestellt. Sie habe dem Leser hinreichend verdeutlicht, daß die Wahrheit dieser Behauptung nicht feststehe und durch sie nicht überprüft worden sei. Außerdem enthalte die Behauptung keine schwere Beeinträchtigung des Kl., weil man daraus allenfalls entnehmen könne, der Kl. sei auf frisiertes und manipuliertes Material hereingefallen.

Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.

a) Selbst wenn mit dem BerG davon auszugehen wäre, die Bekl. habe sich die Äußerung des Abgeordneten Dr. M. nicht zu eigen gemacht und sich hinreichend von ihr distanziert (dazu unten zu 1. b), ließe sich mit dieser Begründung die Passivlegitimation der Bekl. nicht verneinen. Als Verleger hat die Bekl. an der Verbreitung der vom Kl. beanstandeten Behauptung mitgewirkt. Damit gehört sie zum Kreis derer, die als Störer auf Unterlassung in Anspruch genommen werden können. Als Störer ist jeder anzusehen – ohne Rücksicht darauf, ob ihn ein Verschulden trifft -, der die Störung herbeigeführt hat oder dessen Verhalten eine Beeinträchtigung befürchten läßt. Sind bei einer Beeinträchtigung mehrere Personen beteiligt, so kommt es für die Frage, ob ein Unterlassungsanspruch gegeben ist, grundsätzlich nicht auf Art und Umfang des Tatbeitrags oder auf das Interesse des einzelnen Beteiligten an der Verwirklichung der Störung an (Senatsurteil vom 3. Februar 1976 – VI ZR 23/72 in NJW 1976, NJW Jahr 1976 Seite 799, NJW Jahr 1976 Seite 800 = GRUR 1977, GRUR Jahr 1977 Seite 114 mit weiteren Nachw.). Gerade der Verleger ist als „Herr der Zeitung“ für deren Inhalt verantwortlich (vgl. Senatsurt. vom 4. Juni 1974 – VI ZR 68/73 in NJW 1974, NJW Jahr 1974 Seite 1371 = GRUR 1974, GRUR Jahr 1974 Seite 797 , GRUR Jahr 1974 Seite 798 mit weiteren Nachw.). Auch wenn eine Zeitung Äußerungen Dritter wiedergibt und sich von ihrem Inhalt distanziert, ändert das nichts daran, daß der Verleger der Zeitung einen entscheidenden Tatbeitrag zur Verbreitung der betreffenden Behauptung leistet.

b) Die Revision rügt weiterhin mit Recht die Feststellung des BerG, die Bekl. habe die umstrittene Behauptung nicht als eigene aufgestellt und habe sich ausreichend von ihr distanziert. Diese Auslegung des Artikels in „Bild am Sonntag“ ist rechtsfehlerhaft, weil sie den Gesamtzusammenhang des Artikels nicht genügend berücksichtigt. Nahezu der gesamte Artikel befaßt sich mit den Kontakten des Kl. und des Redakteurs H. zum Staatssicherheitsdienst der DDR. Dies wird neben dem Bild der beiden Redakteure in Fettdruck durch die Worte „Enge Kontakte zum Staatssicherheitsdienst der DDR“ und „Stern-Leute verhandelten wiederholt mit Ost Agenten“ auch optisch herausgestellt. Daß es sich bei der Schilderung der Kontakte zum Staatssicherheitsdienst der DDR um eine eigene Darstellung der Autoren des Artikels handelt, zeigt sich nicht zuletzt darin, daß sie sich für einen Teil der Schilderung auch auf „Bild am Sonntag-Informationen“ berufen. Auch die Behauptung, der Bericht des „Stern“ über den Abgeordneten Dr. M. beruhe auf Aussagen seiner früheren Sekretärin, die nach Ost-Berlin geflohen sei, wird als eigene Darstellung der Autoren gebracht. Wenn sodann weitere Einzelheiten der Kontakte zur DDR und deren Ergebnisse als Äußerungen des Abgeordneten Dr. M. angeführt werden, dann faßt der Leser des Artikels dies nach dem Gesamtzusammenhang als Ergänzung und Unterstützung der übrigen Aussagen auf. An keiner Stelle klingen Zweifel an der Richtigkeit der Behauptungen von Dr. M. an. Bei dieser Sachlage reicht die Wahl der Worte, die Berichte „sollen angeblich“ auf frisiertes und manipuliertes Beweismaterial zurückgehen, nicht aus, um diese zusätzliche Information als bloße ungeprüfte Behauptung eines Dritten zu kennzeichnen, von der die Autoren sich distanzieren. Diese Annahme liegt um so ferner, als einer der Berichte den Abgeordneten Dr. M. selbst betraf und der Leser ihm daher ein Urteil über die Stichhaltigkeit des Materials zutraut, auf dem jener Bericht beruhte.

c) Aus den dargelegten Gründen kann die Abweisung des Klagantrags a) 9. keinen Bestand haben.

Die Klageabweisung erweist sich nach dem gegenwärtigen Sachstand auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend. Anspruchsgrundlage des Unterlassungsbegehrens ist die entsprechende Anwendung von § BGB § 1004 BGB in Verbindung mit §§ BGB § 823 Abs. BGB § 823 Absatz 2 BGB, STGB § 186 StGB. Daß die Behauptung, der Bericht über den Abgeordneten M. gehe auf frisiertes und manipuliertes Beweismaterial aus dem Osten zurück, geeignet ist, das Ansehen des Kl. zu beeinträchtigen, bejaht das BerG zu Recht. Da das BerG keine Feststellungen über die Wahrheit des Vorwurfs getroffen hat, der Kl. jedoch Beweis für die Unwahrheit angetreten hat, ist für die Revisionsinstanz von der Unwahrheit des Vorwurfs auszugehen. Solange hierzu keine anderen Feststellungen getroffen worden sind, ist es der Bekl. verwehrt, sich gegenüber dem Unterlassungsbegehren des Kl. auf Wahrnehmung berechtigter Interessen zu berufen. Denn an der Wiederholung einer unwahren Behauptung besteht niemals ein berechtigtes Interesse (st. Rspr.; vgl. Senatsurt. vom 3. Juni 1975 – VI ZR 123/74 in NJW 1975, NJW Jahr 1975 Seite 1882, NJW Jahr 1975 Seite 1883 mit weiteren Nachw.).

d) Deshalb wird das BerG, an das die Sache insoweit zurückzuweisen ist, der Frage nachgehen müssen, ob die Behauptung über das manipulierte Beweismaterial der Wahrheit entspricht oder nicht.

Diese Prüfung könnte sich allerdings erübrigen, wenn die für einen Unterlassungsanspruch unerläßliche Wiederholungsgefahr im vorliegenden Fall nicht gegeben ist. In diesem Zusammenhang kann es von Bedeutung sein, ob die erstmalige Berichterstattung der Bekl. in dem Zeitungsartikel vom 15. Mai 1983 rechtmäßig war oder nicht. Das hängt entscheidend davon ab, ob die Bekl. seinerzeit ihrer Recherchierungspflicht nachgekommen ist (vgl. hierzu BGHZ 31, BGHZ Band 31 Seite 308 zur Fussnote 2; 36, BGHZ Band 36 Seite 77 zur Fussnote 3; Senatsurteile vom 21. Juni 1966 – VI ZR 266/64 in NJW 1966, NJW Jahr 1966 Seite 2010; vom 20. Mai 1969 – VI ZR 256/67 – LM § 824 BGB Nr. 13). Auch wenn sich nachträglich die Unwahrheit der streitigen Behauptung herausstellt, kann die seinerzeitige Berichterstattung durch Wahrnehmung berechtigter Informationsinteressen der Öffentlichkeit gerechtfertigt gewesen sein. Das schließt zwar einen Unterlassungsanspruch, der stets in die Zukunft gerichtet ist, nicht aus, wenn mittlerweile Zweifel an der Richtigkeit der Behauptung laut geworden sind. Denn auch die Wiederholung einer zunächst rechtmäßig aufgestellten Behauptung kann rechtswidrig sein (vgl. BVerfG, Beschl. vom 6. November 1968 – 1 BvR 501/62 in NJW 1969, NJW Jahr 1969 Seite 227, NJW Jahr 1969 Seite 228). War aber die Berichterstattung seinerzeit rechtmäßig, muß die Wiederholungsgefahr konkret festgestellt werden. Nur wenn bereits ein rechtswidriger Eingriff erfolgt ist, besteht eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen der Wiederholungsgefahr (vgl. Senatsurt. vom 25. Mai 1965 – VI ZR 19/64 in LM Art. 5 GG Nr. 19; vom 9. November 1971 – VI ZR 57/70 in GRUR 1972, GRUR Jahr 1972 Seite 435 , GRUR Jahr 1972 Seite 437 ; vom 8. Juli 1980 – VI ZR 159/78 in NJW 1980, NJW Jahr 1980 Seite 2801, NJW Jahr 1980 Seite 2804 f. [insoweit nicht in BGHZ 78, BGHZ Band 78 Seite 9 abgedruckt] ). Fehlt es daran, dann ist die Wiederholungsgefahr, oder richtiger die Erstbegehungsgefahr, anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles vom Kl. darzulegen und notfalls zu beweisen. Sollte sich ergeben, daß die Bekl. zu den von Dr. M. erhobenen Vorwürfen ausreichend hat recherchieren lassen, bevor sie sich diese Vorwürfe zu eigen gemacht und veröffentlicht hat, dann wird man von einer Begehungsgefahr nur sprechen können, wenn Anhaltspunkte gegeben sind, die befürchten lassen, die Bekl. werde die angegriffene Behauptung unverändert wiederholen, obwohl der Kl. ihr entgegengetreten ist und Beweis für ihre Unrichtigkeit angeboten hat.

2. Hinsichtlich der in dem Leserbrief von Dr. M. enthaltenen Behauptung (Klageantrag b) hat das BerG die Klageabweisung mit folgenden Erwägungen begründet: Nach dem Verständnis der Öffentlichkeit enthalte ein Leserbrief in erster Linie die Meinung des Verfassers. Da keine Umstände dafür sprächen, ihn als Äußerung der Zeitung zuzurechnen, habe die Bekl. sich auch nicht ausdrücklich zu distanzieren brauchen. Der Leserbrief enthalte keine so schwere Ehrkränkung des Kl., daß daraus auf ein Eigeninteresse der Bekl. an der Veröffentlichung geschlossen werden könne.

a) Diese Überlegungen reichen zur Abweisung der Klage nicht aus.

Dem BerG ist allerdings darin zuzustimmen, daß die in dem Leserbrief enthaltenen Äußerungen des Abgeordneten Dr. M. der Bekl. nicht als eigene Behauptungen zuzurechnen sind. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Überschrift „Der Stern und die Wahrheit“ von der Zeitung oder von Dr. M. stammt. Ohne Bedeutung ist auch das Fehlen eines Vermerks, daß die veröffentlichten Leserbriefe nicht die Meinung der Redaktion wiedergeben. Durch die deutliche Kennzeichnung „Briefe an DIE WELT“ und die Nennung des Namens des Briefschreibers wird für den Leser der Zeitung hinreichend deutlich, daß es sich bei dem Inhalt der veröffentlichten Briefe um Meinungen und Behauptungen der jeweiligen Verfasser handelt.

Trotzdem ist es aus den bereits oben (1. a) dargelegten Gründen nicht gerechtfertigt, die Passivlegitimation des beklagten Verlegers für Unterlassungsklagen, die sich auf Beeinträchtigungen durch den Inhalt eines Leserbriefes stützen, von vornherein zu verneinen. In der vom BerG angeführten Senatsentscheidung vom 6. April 1976 (BGHZ 66, BGHZ Band 66 Seite 182, BGHZ Band 66 Seite 188), die sich mit einer „live“ ausgestrahlten Fernsehdiskussion befaßt, hat der Senat die Möglichkeit von Unterlassungsansprüchen gegen die Fernsehanstalt wegen Äußerungen, die in der Sendung von Dritten getan worden sind, bei konkreter Gefahr einer zukünftigen Wiederholung der Sendung nicht gänzlich ausschließen wollen, sondern insoweit lediglich die rechtliche Einordnung her Fernsehanstalt als Störer im Blick auf die Ers tausstrahlung eingeschränkt.

b) Die Klageabweisung erweist sich aufgrund des bisher festgestellten Sachverhalts auch nicht aus anderen Erwägungen als begründet.

Die Veröffentlichung des Leserbriefes von Dr. M. durch die Bekl. war zwar rechtmäßig. Das gilt auch dann, wenn die Kl. die Unrichtigkeit einer darin enthaltenen Behauptung nachweisen sollte. Denn die Bekl. und ihre Redaktion waren nicht verpflichtet, die in dem Leserbrief aufgestellten Behauptungen auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Der Inhalt des Leserbriefes von Dr. M. enthielt keine derart schwere Beeinträchtigung des Kl., daß er nicht ungeprüft hätte veröffentlicht werden dürfen. Die Rechtmäßigkeit der Erstveröffentlichung schließt aber – wie bereits oben zu 1. d) dargelegt nicht aus, daß ein erneuter Abdruck des Leserbriefes rechtswidrig sein kann.

Deshalb muß der Rechtsstreit auch insoweit an das BerG zurückverwiesen werden. Die zur Prüfung der Rechtswidrigkeit eines erneuten Abdrucks erforderliche Abwägung muß das BerG noch vornehmen. Vor allem aber wird das BerG kritisch prüfen müssen, ob hinsichtlich des Leserbriefes eine Wiederholungs- bzw. Begehungsgefahr besteht. Gewöhnlich werden Leserbriefe nur einmal, und zwar in zeitlichem Zusammenhang mit ihrer Einsendung an die Zeitung, veröffentlicht. Es müßten schon besondere Umstände vom Kl. dargetan und notfalls bewiesen werden, um die Gefahr eines erneuten Abdrucks zu belegen.

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Weitere Fundstellen: AfP 1986, 241; NJW 1986, 2503; GRUR 1986, 683.

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