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Urheberrecht: Der Gesetzesentwurf der NRW-Piraten im Detail

Letzte Woche hat die Piratenpartei Nordrhein-Westfalen einen eigenen Entwurf zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes veröffentlicht. Fast 100 Seiten umfasst das Papier, das umfangreiche und tiefgreifende Änderungen am geltenden Urheberrecht vorsieht. Wir haben uns die Vorschläge genauer angeschaut und die wichtigsten Änderungen in einem zweiteiligen Artikel kommentiert.

Schutz von Datenbanken

Gleich zu Beginn wartet der Entwurf mit einer tiefgreifenden Änderung auf: Der Schutz von Datenbanken nach § 4 UrhG wird ersatzlos gestrichen. Danach sind sog. Datenbankwerke geschützt. Also Sammlungen von Daten, deren Zusammenstellung so besonders ist, dass sie eine eigene Schöpfungshöhe erreicht.

Ein weiterer Blick in den Gesetzesentwurf zeigt: Nicht nur der Schutz von Datenbankwerken, auch das Leistungsschutzrecht von Datenbanken in den § 87a UrhG ff. ist nicht mehr vorgesehen. Von diesem Leistungsschutzrecht sind alle anderen Datenbanken erfasst, deren Erstellung eine „wesentliche Investition” erfordert hat. Datenbanken sollen demnach vollständig aus dem Urheberrechtlichen Schutz fallen – eine extrem weitreichende Änderung, die in Deutschland nicht ohne eine Änderung der Urheberrechtsrichtlinie umzusetzen wäre.

Amtliche Werke

Die Gemeinfreiheit von amtlichen Werken soll erweitert werden. § 5 Abs. 2 UrhG soll wie folgt ergänzt werden:

Gleiches Das gleiche gilt für alle anderen andere amtliche amtlichen Werke, die im amtlichen Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme veröffentlicht worden sind sowie für unveröffentlichte und inneramtliche Werke, sofern an diesen ein besonderes öffentliches Interesse besteht, mit der Einschränkung, dass die Bestimmungen über Änderungsverbot und Quellenangabe in § 62 Abs. 1 bis 3 und § 63 Abs. 1 und 2 entsprechend anzuwenden sind.

Ähnlich wie beim Entwurf des Berliner Piraten Christopher Lauer sollen also nicht nur alle amtlichen Werke gemeinfrei sein, die in § 5 Abs. 2 UrhG explizit genannt sind. Stattdessen sollen im Grundsatz alle amtlichen Werke gemeinfrei sein. Neu ist im Entwurf der NRW-Piraten, dass auch inneramtliche Dokumente erfasst sind; mit der Einschränkung, dass an ihnen ein besonderes öffentliches Interesse bestehen muss.

Dieser Zusatz ist sinnvoll und auch inhaltlich gelungen. Gerade bei geleakten Dokumenten kann das geltende Urheberrecht zum Problem werden. Eine Ausnahme, die dem öffentlichen Interesse an gewissen internen Dokumenten gerecht wird, fehlt bislang. Auf der anderen Seite ginge es auch zu weit, sämtliche internen Dokumente vom Urheberrecht auszunehmen. Insofern ist die Einschränkung ein kluger Vorschlag – das Urheberrecht könnte damit jedenfalls nicht zum Rechtsinstrument gegen geleakte Dokumente genutzt werden.

Die Funktion des Urheberrechts

Die Rolle des Urheberrechts, die in § 11 UrhG definiert wird, soll geringfügig angepasst werden.

Das Urheberrecht schützt den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werkes. Es dient zudem zugleich grundsätzlich der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werkes.

Nach der Begründung des Entwurfs sollen diese redaktionellen Änderungen ausdrücken, dass die Einheit von Urheberpersönlichkeitsrecht und Vermögensrecht künftig nicht mehr völlig untrennbar sein soll. Ob das Wörtchen „grundsätzlich” die geeignete Formulierung für eine Feinjustierung der philosophischen Grundlagen des Urheberrechts ist, dürfte recht fraglich sein.

Erschöpfungsgrundsatz

Der Erschöpfungsgrundsatz ist eine ganz heiße Baustelle im Urheberrecht. Er besagt im Wesentlichen, dass ein Werk, das einmal im Europäischen Wirtschaftsraum auf den Markt gelangt ist, beliebig weiter verkauft werden darf. Wer also eine CD in Frankreich kauft, darf diese CD in Deutschland wieder verkaufen – auch wenn darauf urheberrechtlich geschützte Werke enthalten sind.

Bislang galt dieser Erschöpfungsgrundsatz eindeutig nur für körperliche Werke, also nicht für Downloads oder ähnliche digitale Vertriebswege. Verankert ist er in Deutschland daher in § 17 Abs. 2 UrhG als Ergänzung zum Verbreitungsrecht. Der EuGH hat in der jüngsten Vergangenheit am stabilen Ast des Erschöpfungsgrundsatzes mehrfach gesägt – die Zukunft ist also auch nach geltendem Recht ungewiss.

Diese Kontroverse findet sich auch im Gesetzesentwurf der NRW-Piraten wieder. § 17 Abs. 2 UrhG soll demnach wie folgt geändert werden:

Sind das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes mit Zustimmung des zur Verbreitung Berechtigten

1. im Gebiet der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum im Wege der Veräußerung in Verkehr gebracht worden, so ist ihre Weiterverbreitung mit Ausnahme der Vermietung zulässig oder

2. im Wege der Veräußerung in Verkehr gebracht worden, so ist ihre Weiterverbreitung im Einzelfall durch Privatpersonen mit Ausnahme der Vermietung zulässig.

Außerdem soll ein Absatz 4 ergänzt werden:

Absatz 2 ist entsprechend auf die unkörperliche Veräußerung von Werken anzuwenden.

Der Erschöpfungsgrundsatz soll also nicht nur innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums gelten, sondern für Privatpersonen auch international. Ein hehres Ziel, das wohl nicht nur weit außerhalb des Machbaren liegt, sondern wohl auch etwas über das Ziel hinaus schießt: Wenn schon ein europaweiter Erschöpfungsgrundsatz ein kompliziertes Streitthema ist, ist eine internationale Ausweitung wohl etwas zu weit gedacht.

Auch die einfache Ergänzung, dass der Erschöpfungsgrundsatz auch für unkörperliche Werke gelten soll, ist einfacher gesagt, als getan. Denn hinter der Einschränkung stehen komplexe Probleme bei den EU-Grundfreiheiten. Eine nationale Lösung innerhalb Deutschlands ist hier schon aus der Natur der Sache ausgeschlossen. Die Vorschrift kann also höchstens als eine Fernzieldefinition verstanden werden.

Vererbung des Urheberrechts

Die Vererbbarkeit des Urheberrechts soll massiv eingeschränkt werden. § 28 UrhG soll demnach wie folgt geändert werden:

(1) Das Urheberrecht ist vererblich.
(1) Das Urheberrecht ist grundsätzlich nicht vererblich und erlischt mit dem Tode.

(2) Der Urheber kann durch letztwillige Verfügung die Ausübung des Urheberrechts einem Testamentsvollstrecker übertragen. § 2210 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist nicht anzuwenden.
(2) Der Urheber kann durch letztwillige Verfügung bestimmen, dass das Urheberrecht eines Werkes an

1. den Ehegatten oder frühere Lebenspartner oder

2. an einen oder mehrere Nachkommen übertragen wird.

(3) Der Urheber kann durch letztwillige Verfügung die Ausübung des Urheberrechts einem Testamentsvollstrecker übertragen. § 2210 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist nicht anzuwenden.

(4) Wird das Urheberrecht nach Absatz 2 an mehrere Personen übertragen, so gelten diese gleichberechtigt als Miturheber gemäß § 8.

Im Normalfall sollen Urheberrechte also mit dem Tod des Urhebers verfallen – es sei denn, der Urheber trifft eine testamentarische Regelung. Der Ansatz hat einen entscheidenden Vorteil: Er verhindert, dass Urheberrechte unbewusst vererbt werden. In einer Zeit, in der urheberrechtliche Werke millionenfach geschaffen werden, kann das durchaus sinnvoll sein. Auf der anderen Seite zwingt es natürlich Urheber zum Handeln: Wer seine Urheberrechte seiner Nachfolgegeneration vermachen will, muss das ausdrücklich tun. Möglicherweise wären hier noch etwas ausführlichere Regelungen nötig, um diesen Ansatz sinnvoll und zum Interesse aller Beteiligten genauer auszugestalten. Aber der Gedanke ist kein schlechter.

Einräumung von Nutzungsrechten

Auch das Einräumen von Nutzungsrechten soll an entscheidenden Punkten eingeschränkt werden. § 31 Abs. 3 UrhG-E sieht vor:

Das ausschließliche Nutzungsrecht berechtigt den Inhaber, das Werk unter Ausschluss aller anderen Personen auf die ihm erlaubte Art zu nutzen und Nutzungsrechte einzuräumen. Es kann bestimmt werden, dass die Nutzung durch den Urheber vorbehalten bleibt. § 35 bleibt unberührt. Das ausschließliche Nutzungsrecht kann höchstens für 20 Jahre eingeräumt werden.

Eine ähnliche Regelung sah auch der Entwurf des Berliner Piraten Christopher Lauer vor. Nach seinem Modell konnten ausschließliche Nutzungsrechte nach fünf Jahren zurückgerufen werden. Der Entwurf aus NRW sieht gleich ein gesetzliches Verfallsdatum von 20 Jahren vor. Damit sollen Buy-Out-Verträge verhindert werden, mit denen Urheber zum Teil für einen Spottpreis sämtliche Rechte verkaufen.

Doch ein solches Verfallsdatum hätte auch abseits von Buy-Out-Verträgen massive Auswirkungen. Schließlich schränkt es auch Urheber in ihrer Entscheidungsfreiheit ein: Nicht selten wollen Urheber weitreichende Rechte an ihren Werken einräumen. Auch ist die Rechtsfolge dieser Einschränkung nicht klar genug geregelt. Was passiert, wenn ein Recht länger als 20 Jahre eingeräumt wird? Soll es dann gänzlich an den Urheber zurückfallen? Oder soll es in ein nicht-ausschließliches Recht umgewandelt werden? Wenn man also eine solche Ablaufzeit für ausschließliche Nutzungsrechte vorsehen will, wird man noch einige Details zu klären haben.

Ähnlich wie der Entwurf von Christopher Lauer sieht auch der NRW-Entwurf eine Einschränkung für unbekannte Nutzungsarten vor. § 31 Abs. 4 UrhG soll lauten:

Die Einräumung von Nutzungsrechten für noch nicht bekannte Nutzungsarten sowie
Verpflichtungen hierzu sind unwirksam.

Ein gewagter Schritt, der in Zeiten kurzer Innovationszyklen wohl kaum in der Praxis bestehen könnte. Unbekannte Nutzungsarten waren schon nach altem Urheberrecht viele Jahre ein Problem: Seitenlang mussten einzelne Nutzungsarten aufgeführt werden, um klar zu definieren, in welchem Rahmen ein Werk genutzt werden durfte. Mit jedem neuen Trägermedium bestand die Gefahr, sämtliche Rechte neu verhandeln zu müssen.

Erst mit dem zweiten Korb im Jahr 2008 wurde eine komplexe Regelung gefunden, die genau dieses Problem lösen sollte. So richtig ist nicht einzusehen, warum das wieder über den Haufen geworfen und durch eine kurze Pauschalregelung ersetzt werden soll.

Open Access

Ein neuer § 38a UrhG soll umfassende Regelungen zu Open Access einführen:

§ 38a Wissenschaftliche Publikationen

(1) Wissenschaftliche Publikationen, deren Schaffung zumindest überwiegend aus öffentlich geförderter Forschung entsteht, sind nach ihrer verbindlichen Fertigstellung spätestens nach Ablauf eines halben Jahres mindest im Wege öffentlicher Zugänglichmachung unentgeltlich und dauerhaft durch die forschende Einrichtung zu veröffentlichen.

(2) Mit der Veröffentlichung wird ein uneingeschränktes einfaches Nutzungsrecht an dem Werk für jedermann eingeräumt.

Der Vorschlag ist eine gute erste Diskussionsgrundlage. Doch fallen schon beim ersten Lesen mehrere Schwachstellen auf: Was genau soll „überwiegend aus öffentlich geförderter Forschung”. Was ist „überwiegend”? Fallen schon vorübergehend staatlich bezuschusste Forschungsprojekte darunter? Was genau ist die „verbindliche Fertigstellung”? Und bedarf es nicht in einigen Forschungsbereichen Ausnahmen?

Für eine solch umfassende Änderung ist die Begründung des Gesetzesentwurfes leider ausgesprochen knapp. Ein kurzer Absatz, der in keinem Wort auf die genaue Formulierung angeht, handelt das Thema Open Access ab. Das ist zu wenig.

Vorübergehende Vervielfältigungen

§ 44a UrhG regelt sog. vorübergehende Vervielfältigungen. Davon erfasst sind vor allem technische Vorgänge, wie das Laden von Inhalten in den Arbeitsspeicher eines Computers. Bedeutend ist das vor allem bei der Frage der Zulässigkeit von Streaming.

Die Vorschrift soll nach dem Gesetzesentwurf umbenannt werden in „Andere Vervielfältigungen” und einen neuen Absatz 2 erhalten:

Ferner zulässig sind Vervielfältigungshandlungen durch öffentliche Zugänglichmachung, sofern diese dem alleinigen Zweck der Auffindbarkeit von Werken oder sonstigen Schutzgegenständen dienen, es sei denn, dass der Urheber dies explizit ausschließt.

Nach der Begründung sollen dadurch vor allem Suchmaschinen privilegiert werden. Ihnen soll erlaubt werden, Vervielfältigungen zum Auffinden eines Werkes im Internet herstellen zu dürfen. Dabei geht die Vorschrift allerdings an der Sache vorbei. Schon die Formulierung „Vervielfältigungshandlungen durch öffentliche Zugänglichmachung” ist kaum nachzuvollziehen. Eine Vervielfältigung ist das Kopieren von Daten. Das öffentliche Zugänglichmachen ist das Bereitstellen von Daten in Netzwerken. Es soll also um das Kopieren von Daten durch das Bereitstellen in Netzwerken gehen. Was genau damit gemeint sein soll, bleibt unklar und ergibt sich auch nicht aus der knappen Begründung.

Zitatrecht

Auch das Zitatrecht soll angepasst werden. § 51 UrhG soll wie folgt geändert werden:

(1) Zulässig ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck des Zitats, sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist. Zulässig ist dies insbesondere, wenn

1. einzelne veröffentlichte Werke nach der Veröffentlichung in ein selbständiges wissenschaftliches Werk zur Erläuterung des Inhalts aufgenommen werden,

2. Stellen eines veröffentlichten Werkes nach der Veröffentlichung in einem nicht notwendigerweise selbst schutzfähigen selbständigen Sprachwerk oder einer Sammlung angeführt werden.,

3. einzelne Stellen eines erschienenen Werkes der Musik in einem selbständigen Werk der Musik angeführt werden.

(2) Zulässig sind die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines unveröffentlichten Werkes zum Zweck des Zitats, sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist, wenn sich dieser Zweck im Rahmen der zeithistorischen Forschung oder durch ein besonderes öffentliches Interesse ergibt.

Die entscheidende Änderung ist Absatz 1 Nummer 2: Ein Zitat soll auch dann zulässig sein, wenn Stellen eines Werkes in einem selbst nicht geschützten Werk verwendet werden. Der Hintergrund: Bislang können Zitate nur in einem selbstständigen Werk genutzt werden. Wer zitieren will, muss also selbst ein urheberrechtlich geschütztes Werk schaffen. In der Praxis ist das aber oft nicht der Fall. In Blogs, bei Facebook, Tumblr und zahllosen anderen sozialen Medien werden häufig kurze „Teaser” eines Links wiedergegeben, ohne dass diese in ein eigenes Werk eingebettet wären. Diese Realität kann das geltende Zitatrecht nicht abbilden. Der Änderungsvorschlag versucht dieses Problem zu lösen.

, Telemedicus v. 28.09.2012, https://tlmd.in/a/2427

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