Als Edward Snowden enthüllt hat, in welch ungeahntem Ausmaß eine Überwachung der Bürger stattfindet, war erst die Empörung groß – und dann die Ratlosigkeit. Denn anders als bei Medienskandalen üblich, wurde der Missstand diesmal nicht von selbst unmittelbar abgestellt. Ganz im Gegenteil passierte auf der materiellen Ebene – sehr wenig. Die Bundesregierung setzte (und setzt) auf Abwiegeln und Symbolpolitik. Und noch die wenigen verbleibenden Ansätze wie den Versuch, ein „No Spy-Abkommen” auszuhandeln, hat die US-Regierung unmissverständlich abgeblockt. Als Fazit nach über einem Jahr Überwachungsskandal lässt sich sagen: Die deutsche Politik hat sich bisher nicht nur als unfähig erwiesen, das Problem abzustellen. Sie ist sogar Teil des Problems.
Seit sich dies abzeichnet, herrscht in der Aktivistenszene, aber auch in den Medien, Ratlosigkeit. Was kann man jetzt noch tun? Die Öffentlichkeit mobilisieren, indem man Schreckensbilder verbreitet und hoffen, dass der Wähler sich zur nächsten Bundestagswahl noch daran erinnert? Den technischen Selbstschutz üben, durch Verschlüsselung, Schengen-Netze und „E-Mail made in Germany”?
Das alles mag eine Option sein. Wer sich die Sache genau betrachtet, der sieht aber: Es geht hier um grundlegende Fragen, die sich, zumindest zum Teil, nur rechtlich lösen lassen.
In einem früheren Artikel dieses Projektes habe ich herausgearbeitet, dass durch Überwachung ausgelöste „Chilling Effects“ primär Minderheiten betreffen. Während die große, passive Mehrheit letztlich „nichts zu verbergen“ hat, sind es vor allem die Meinungsführer der Gesellschaft, die Schutz benötigen. Ohne Meinungsführer kein demokratischer Diskurs, ohne Minderheitsmeinungen keine Innovation. Das „geistige Einfrieren“ einer Gesellschaft kann sich keine Demokratie leisten; es führt in die Stagnation und letztlich zum Absturz. Deshalb dient die Eingrenzung von Massenüberwachung zunächst dem Minderheitenschutz – ist aber gleichzeitig ein Interesse der allgemeinen Mehrheit.
Diese Erkenntnis gibt vor, welche Rolle das Recht in diesem Konfliktbereich einnimmt: Minderheitenschutz ist eine klassische Aufgabe des Rechtes. Insbesondere gilt das für die Grundrechte: Diese sollen, als Teil des Verfassungsrechts, bestimmte Grundwerte so abstrakt festlegen, dass sie dem täglichen Spiel der politischen Kräfte entzogen sind. Rechtsstaatlichkeit dient dazu, Macht in kontrollierbare Formen zu fassen und dadurch zu begrenzen. Das gilt auch für Macht, die durch Überwachung ausgeübt wird. Eben aus diesem Grund ist das Recht eines der wichtigsten Instrumente, wenn es um die Bewältigung des NSA-Skandals geht.
Das heißt nicht, dass nicht auch andere Lösungsansätze denkbar wären.
Das Recht als Lösungsansatz hat dieses Problem nicht. Die Macht der Judikative im Staate hängt nicht davon ab, ob sie politischer Unterstützung hat – in vielen Fällen sind Gerichte sogar gezielt ermächtigt worden, um Minderheiten vor der Mehrheit zu schützen. Und die „Dritte Gewalt” muss sich nicht durch Notwehrrechte legitimieren. Sie gehört zum staatlichen Apparat und kann ebenso über die Legitimität staatlichen Handelns entscheiden wie die Legislative.
Dass die Gerichte und Juristen dennoch bisher nur wenig von sich reden gemacht haben, liegt an einer Reihe von grundlegenden Schwierigkeiten. Denn so spannend der NSA-Skandal in den Medien erzählbar ist; in juristischer Hinsicht lässt er sich schwer fassen. Schon die schiere Menge der Enthüllungen und die Kleinteiligkeit der dahinter liegenden Sachverhalte macht die rechtliche Aufarbeitung schwierig: Die Enthüllungen von Snowden beschreiben viele einzelne „Taten“, die jeweils einzeln erfasst und rechtlich ausgewertet werden müssen. Auch die Beweilslage ist nicht einfach. Und auch welche Grundrechte jeweils greifen, lässt sich nur im Einzelfall entscheiden.
So vielgestaltig die einzelnen Elemente des Überwachungsskandals sind, so vielgestaltig muss auch ihre rechtliche Auswertung sein. Je nachdem, welche Methode angewendet wurde, wer sie anwendete und wessen Rechte beeinträchtigt wurden, greifen unterschiedliche Rechtstatbestände und Verfahrensarten.
Einige der in dieser Hinsicht denkbaren Verfahren sind bereits eingeleitet:
Einige weitere Rechtsverfahren wären denkbar, sind aber meines Wissens bisher nicht eingeleitet.
Zusammengefasst lässt sich sagen: Einige Verfahren laufen bereits, aber keines davon läuft reibungslos. Andere Verfahren wären denkbar, sind aber bisher nicht eingeleitet – wohl aus politischen Gründen.
So eindeutig die Bewertung auf der materiellrechtlichen Ebene ausfallen mag, so schwer ist bisher noch die Rechtsdurchsetzung. Dabei geht es nicht nur um rechtsdogmatische Probleme, z.B. der Schwierigkeit eines Beschwerdeführers, nachzuweisen, dass er heimlich überwacht wurde. Es geht auch schlicht darum, dass viele Personen, Institutionen und Staaten, die klagen könnten, ihre Klagerechte nicht nutzen.
Es gibt also offensichtlich noch Entwicklungsbedarf. Und eben deshalb gibt es die Telemedicus Sommerkonferenz 2014.
Zu allen Artikeln aus der Reihe zu „Chilling Effects”.
Programm und Anmeldung der Telemedicus Soko 2014 am 30. und 31. August in Berlin.