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Street View: Eine Diskussion ohne Grautöne

Ein Kommentar von Tobias Kläner

Wenn verschiedene Personen und Institutionen unabhängig voneinander kleine Fehler begehen, ist das normalerweise nicht weiter tragisch. Irgendjemand wird es meistens schon wieder richten. Anders verhält es sich aber momentan bei der „Diskussion“ zu Google Street View, die in den letzten Wochen völlig entgleist ist. Hier gibt es keine Wiedergutmachung, der Schaden ist unwiderruflich eingetreten. Kaputt gegangen ist das Vertrauen in eine vernünftige und inhaltsreiche Diskussion, welche die Öffentlichkeit informiert und zur Meinungsbildung wesentlich beitragen könnte. Es bleibt schon jetzt ein schaler Nachgeschmack zurück und auch die Furcht, dass diese Art der eindimensionalen Berichterstattung sich wohl fortsetzen könnte in den nächsten Wochen und Monaten.
Offen ist, wer diesen Umstand verantworten muss. Man könnte zunächst an die üblichen Verdächtigen denken. Also schon wieder mal die BILD-Zeitung? Mitnichten. Man kann dem Springer-Flagschiff sicherlich vieles vorwerfen. Die BILD meldete sich zu Street View allerdings erst spät zu Wort und ist eher Sympton als Ursache. Dass in den aktuellen Ausgaben der Zeitung redaktionelle Google-Schelte und ganzseitige Google-Werbeanzeigen zu Street View sich vermengen, ist ironischerweise der printgewordene Ausdruck der absurden Street View Diskussion. Der BILD sind aber insgesamt keine weiteren Vorwürfe zu machen.

Wie sieht es mit Verbraucherministerin Ilse Aigner aus, stellvertretend für die Politik und die meisten Politiker? Aigner hat sich des Öfteren dazu hinreißen lassen, plakative Statements zu öffentlichkeitswirksamen Themen wie Facebook und Street View zu machen. Man erinnere sich nur an ihren medial inszenierten Facebook-Austritt oder ihre unzähligen Forderungen, dass Google sich doch gefälligst an das Datenschutzrecht zu halten habe. Dass das Datenschutzrecht und das Web 2.0 aber nicht so recht zusammen passen, konnte man von Aigner lange Zeit nicht hören. Nun endlich gibt es von ihr die Rolle rückwärts und die Erkenntnis, dass Politik in Sachen Street View und Co. ganzheitlich und nicht bloß einzelfallbezogen vorgehen sollte.

Auch seitens verschiedener Landesdatenschutzbeauftragter war zum Thema Street View nicht immer Konstruktives zu vernehmen. Die bloße Feststellung, dass Googles geplanter Dienst womöglich nicht mit dem BDSG in Einklang steht, konnte auch nicht wesentlich zur öffentlichen Meinungsfindung beitragen. Unversöhnlich schienen die Datenschützer dem Konzern aus dem Silicon Valley gegenüber zu stehen und auf den gesetzlichen Status quo zu pochen. Aber kann es wirklich Aufgabe sein, sich der technischen Entwicklung zu verschließen und sich immer wieder auf den leicht angerosteten Begriff des schützenswerten, personenbezogenen Datums zu berufen? Oder wird dadurch ganz einfach die Realität verkannt, dass personenbezogene Daten mittlerweile soetwas wie die „Währung 2.0“ sind? Vieles scheint für die zweite Variante zu sprechen.

Etwas unglücklich kam schließlich der Versuch einiger Street View-Verfechter daher, die Debatte um Drohungen anzureichern, alle Häuser und Wohnungen eigenhändig abzufotografieren zu wollen, welche zuvor von Google aufgrund Widerspruchs betroffener Mieter oder Hauseigentümer entfernt worden sind. Warum musste ein gefundener Kompromiss, der tragfähig erschien, torpediert werden? Wozu die Scharfmacherei? Adressaten dieser Frage sind übrigens auch die Bundesländer Hamburg und Saarland, denen dieser Kompromiss nicht weit genug zu gehen schien und die passend zur Landtagswahl in NRW die Diskussion um eine eigene „lex Street View“ anheizten. Diese soll zwar inhaltlich nicht wesentlich über das hinaus gehen, was Google ohnehin schon eingeräumt hatte, aber immerhin konnte man sich so öffentlich profilieren und es in die Schlagzeilen schaffen. Als trauriger Höhepunkt waren die Ankündigungen einiger Kommunen zu empfinden, fortan von Google Sondernutzungsgebühren je abfotografiertem Street View-Kilometer erheben zu wollen.

Bleibt noch Google selbst. Ein Meisterstück an PR und Marketing hat der Suchmaschinenbetreiber bezüglich Street View nicht vollbracht. Die eingeräumten Zugeständnisse beim Widerruf betroffener Eigentümer und Mieter waren abgerungen. Die jüngste Aussage, Street View in Kürze in Deutschland nun starten zu wollen, wirkte trotzig und so, als wolle man händeringend Tatsachen schaffen und auf die „normative Kraft des Faktischen“ vertrauen. Den Beginn der Widerrufsaktion noch in die Ferienzeit zu legen kann man auch nur als ungeschickt bewerten. Wie eine Rechtfertigung wirken die vielen ganzseitigen Anzeigen in Tageszeitungen, die über Street View aufklären sollen, jedoch tatsächlich kaum eine Botschaft vermitteln. Dabei hatte Google die Karten und alle Trümpfe selbst auf der Hand gehabt. Warum hat man sich nicht lange vor dem Start von Street View mit Datenschützern und Politikern zusammengesetzt und die Öffentlichkeit dann gemeinsam aufgeklärt? Warum hat Google nie kommuniziert, einen spannenden Service anbieten zu wollen, der mit unseren veralteten und reformbedürftigen Gesetzen vielleicht nicht mehr in Einklang steht? Wieso gab es keine wahrnehmbare und konstruktive Lobbyarbeit hinein in die Politik?

Nun bewegt sich die Street View Diskussion irgendwo im luftleeren Raum, es gibt nur noch schwarz oder weiß, richtig oder falsch. Grautöne oder vermittelnde Ansichten offensichtlich ausgeschlossen. Die Medien haben versagt, indem sie ungefiltert das wiedergekäut haben, was ihnen gezielt vorgeworfen wurde. Und wir alle haben uns ein Stück weit verführen lassen von einem Thema, das zu Plakationen einlädt wie kaum ein zweites.

Kommentar von Hendrik Wieduwilt zur Street View – Debatte.

Zehn Gründe für und gegen Google Street View.

, Telemedicus v. 18.08.2010, https://tlmd.in/a/1834

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