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Streaming: Warum kommt so wenig bei Musikern an?

Kann im Digitalzeitalter wirklich kaum jemand mehr von einem Musikalbum leben? Und zementieren Spotify und Apple Music diesen Zustand? Wir haben einige Fragen zum Musikstreaming, zu Geldflüssen und Plattenverträgen zusammengetragen.

Der Tweet von Geoff Barrow (Portishead) spricht für sich. Viele griffen ihn auf – zum Kopfschütteln, zur Empörung oder um die Frage zu stellen, der sich auch dieser Beitrag widmet: Verdienen Musiker fast nichts auf Spotify, Google Play, Deezer und Apple Music?

Radiohead-Sänger Thom Yorke hatte rund zwei Jahre vor Barrows Tweet jungen Musikern geraten, sich – wie er selbst – bloß von Spotify fernzuhalten („da wird man nicht bezahlt”). Tatsächlich boykottieren einige der großen Acts das Streaming, mal mehr oder weniger konsequent: Adele ist dort mit ihrem aktuellen Album gar nicht erst erschienen, und es hat sich dennoch – ganz klassisch – glänzend verkauft. Taylor Swift fühlt sich bei Spotify nicht wertgeschätzt und zog dort 2014 ihre Songs ab; mit Apple Music kann sie mittlerweile leben. Der Markt zersplittert.

Gestreamt zu werden, das bedeutet, mies verkauft und mies bezahlt zu sein, so die Verweigerer. Was läuft da schief?

1. Streamingdienste zahlen kaum – oder?

Fest steht: Pro Stream kommt am Ende nur der Bruchteil eines Cents bei Musikern an. Mal spricht ein James Blunt von 0,00065 Dollar, und rechnet man Geoff Barrows Betrag auf einen Stream herunter, steht nach dem Komma sogar noch eine Null mehr. Das wäre weniger als mickrig. Der übliche wie naheliegende Vorwurf lautet: Die Dienste zahlen einfach zu wenig.

Interessant zunächst: Streaming ist für die Dienste selbst oft noch ein Verlustgeschäft. Gleichzeitig sind Namen wie Spotify und Apple Music von extrem hohem Wert. Und wer wie Apple in erster Linie Hardware verkauft, ist nicht so sehr auf die Einnahmen aus seinem Streamingdienst angewiesen.

Wie ist das nun mit den Zahlen? Dreißig Prozent ihrer Einnahmen behalten die Dienste in der Regel für sich, siebzig schütten sie aus. Das ist die übliche Quote, die Apple schon vor 15 Jahren mit dem Download-Dienst iTunes etablierte. Eine starre Summe pro Stream wird nicht bezahlt, betont Spotify zum Beispiel und gibt ein Spektrum von 0,006 bis 0,0084 Dollar an. Um hiervon leben zu können, muss ein Musiker hunderttausendfach im Monat gespielt werden. Und trotzdem liegen diese Zahlen deutlich höher als das, was die Musiker selbst angeben.

So unter Beschuss, bemüht sich Spotify seit geraumer Zeit um Dialog und Transparenz. Mitte 2015 gab der Dienst an, innerhalb von drei Monaten 300 Millionen und bis dahin insgesamt über drei Milliarden Dollar an Rechteinhaber ausgeschüttet zu haben. Doch was heißt das bei einem Katalog von rund dreißig Millionen Tracks? Etwas Aufschluss gibt hier ein lesenswertes Stück des Spiegel, in dem es heißt:

„2013 hat Spotify einmal echte Zahlen, wenn auch anonymisiert, veröffentlicht. Für die Streams eines globalen Hitalbums, so von Lady Gaga oder Taylor Swift, wurden 425.000 Dollar im Monat an die Rechteinhaber gezahlt, für ein Top-Ten-Album immer noch 145.000 Dollar, für ein gehyptes Indie-Album 76.000 Dollar monatlich, für ein zeitloses Rockalbum 17.000 Dollar und für ein Indie-Nischenalbum immerhin noch 3.300 Dollar. Das klingt ganz in Ordnung. Wo sonst verdient ein Indie-Nischenkünstler mehr als 3.000 Dollar im Monat? Im untergegangenen Plattengeschäft des analogen Zeitalters sicher nicht.”

Der Spiegel, Ausgabe 1/2016; Link nicht im Original

Wie kommt es dann zu der vierstelligen Summe bei 34 Millionen Portishead-Streams? Was also landet von den 3.000 Dollar, die Spotify verspricht, tatsächlich beim Indie-Nischenkünstler?

2. Viele Plattenverträge sind veraltet oder schlecht

Die Frage führt zu einem entscheidenden Punkt: Streamingdienste schütten Geld nicht direkt an Musiker aus (von ganz wenigen Ausnahmen einmal abgesehen). Das liegt daran, dass Labels die Rechte an der Musik halten; sie – und nicht die Musiker selbst – lizenzieren ihre Musikkataloge an die Streamingdienste. Die Labels beteiligen ihre Künstler dann an den Einnahmen. Das läuft meist über feste Quoten, die in den Plattenverträgen stehen. Die Anteile, die ein Label seinen Bands bezahlt, liegen mal bei fünf oder sechs Prozent der Einnahmen, mal bei 15 bis zwanzig.

Das Problem: Viele Plattenverträge atmen noch den Geist der Zeit, in der Musik nur physisch über die Ladentheke ging – als Schallplatte, Kassette oder CD. Vor allem Altverträge berücksichtigen die Online-Verwertung hingegen oft nicht gesondert oder regeln sie nur vage. Die klassischen Quoten passen aber nicht zum Online-Vertrieb. Denn Produkte zum Anfassen durchlaufen mehr Wertschöpfungsketten – und die entfallen beim Streaming, das ja unverkörpert stattfindet. Viele Plattendeals basieren also auf der falschen Annahme, dass bei Labels Kosten für die CD-Produktion und den Vertrieb im Handel anfallen. Diese vermeintlichen Kosten streichen die Labels bei der Online-Verwertung für sich ein, so der Vorwurf.

Die Quoten beim Streaming sollten gesondert geregelt und höher liegen, könnte man aus Musikersicht fordern. Was aber wäre fair? Die Antwort darauf hängt auch davon ab, welche Aufgaben ein Label im Einzelfall übernimmt. Viele kleinere Labels jedenfalls beteiligen ihre Künstler bei der Online-Verwertung bereits mit fünfzig Prozent, heißt es beim Domus-Verband, der sich für eine gerechtere Beteiligung der Musiker einsetzt (siehe § 36 UrhG).

3. Keine harten Zahlen und kaum Transparenz

Oft lässt nur sehr schwer beziffern, was Streamingdienste insgesamt an Plattenfirmen ausschütten: Lizenziert etwa Universal seinen Musikkatalog an Spotify, zahlt Spotify für die Nutzung nicht unbedingt nur feste Geldsummen. Vergütet wird oft auch in Form von Firmenanteilen oder Werbekontingenten. Das macht es schwieriger, auf belastbare Zahlen zu kommen. Immerhin haben Warner und Sony angekündigt, hier nachzubessern – und künftig auch den Wert von Aktienanteilen in die Ausschüttungen einzubeziehen.

Vereinbarungen zwischen Streamingdiensten und Plattenfirmen sind zudem meist geheim. Eine scheinbar klare Quote von zwanzig Prozent hilft nicht viel, wenn gar nicht klar ist, von welchem Gesamtbetrag sie ausgeht. Transparenzpflichten sind unüblich, und Kontrolle über Beteiligungsschlüssel damit aus Musikersicht kaum möglich. Auch das ist ein kritischer Punkt im Dickicht der enormen Statistiken und Algorithmen des Streamings.

Um dieses Dickicht aufzubrechen, wird der Vorschlag diskutiert, das Streaming dem Radio anzunähern: keine individuellen Lizenzen mehr, sondern Pauschalvergütungen und Kontrahierungszwänge, organisiert über Verwertungsgesellschaften. In diese Kerbe schlägt etwa Leonhard Dobusch. Seine Analyse: Es herrsche eine „Bewilligungskultur im Netz”, wenn jedes Label jedem Dienst gesondert Lizenzen erteilen muss. Dobuschs Gegenmodell: „pragmatische und universale Zugangsregeln”, durch die Streaming-Anbieter „gegen eine angemessene Vergütung das Recht haben, die Musik in ihr Repertoire aufzunehmen”. Der ungeheure Aufwand, die fehlende Transparenz, unübersichtliche Märkte – vielleicht ließe sich all das so überwinden.

4. Viele Akteure im Spiel – und manchmal zu viele

Gerade für kleinere Acts kann es sich lohnen, die Zahl der Akteure zu reduzieren, um die Ausbeute zu erhöhen. Die Fragen dahinter: Durch wie viele Hände (Labels und Vertriebe) gehen die Ausschüttungen eines Streamingdienstes, bevor sie bei mir ankommen? Und muss ich vielleicht jahrelang auf Erlöse warten? Die Überlegung kann durchaus lauten, auf ein Label gleich ganz zu verzichten. Das ist aber eine Abwägungssache mit vielen weiteren Faktoren (künstlerische Betreuung, Live-Türöffner, Übernahme von Promotion und Produktion).

5. Wichtige Deals stehen aus

Ein letzter, wenn auch eher weitläufiger Punkt: Noch immer sind viele potentielle Einnahmequellen nicht erschlossen. Das Beispiel schlechthin: YouTube und die GEMA. Der Streit um Haftungsfragen und eine Einigung um angemessene Vergütungen wird vor Gerichten und mit reichlich Polemik geführt. Es wäre aber dringend nötig, nach sechs Jahren Sperrtafeln Klarheit zu schaffen. Dann wäre Musikschaffenden diese eine weitere Quelle der Online-Verwertung endlich gewiss.

Streaming nicht verteufeln

Klar sein dürfte: Es greift zu kurz, die Schuld an mieser Online-Verwertung allein bei den Streamingdiensten zu suchen. Für bessere Deals und mehr Transparenz könnten auch die Labels sorgen.

Und eines hat das Streaming jedenfalls gebracht: die Zeitenwende nach illegalen Downloads. Es ist die legale und vor allem handhabbare Alternative zum Filesharing. Darum sollten auch Musiker Streamingdiensten nicht verteufeln, sondern als Chance begreifen – und fordern, dass sie fairer behandelt werden. Der Ruf kann an alle gehen: Dienste, Labels, Gesetzgeber.

Musik aus den Diensten abzuziehen mag da eine Form von Protest sein. Den können sich kleinere Acts aber kaum leisten.

Ausführlicher Beitrag zum Thema in Der Spiegel, Ausgabe 1/2016.
Interview über den Fairtrade-Streamingdienst Resonate bei Jäger und Sampler.

Ich danke Georg Fischer vom Blog Jäger und Sampler für Input und Anmerkungen zu diesem Beitrag.

, Telemedicus v. 09.03.2016, https://tlmd.in/a/3059

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