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Streaming-Nutzer im Fadenkreuz der Abmahnanwälte

Seit vergangenem Donnerstag rollt eine neue Abmahnwelle durchs Land. Betroffen sind nach ersten Schätzungen einige Tausend deutsche Nutzer der amerikanischen Streaming-Plattform Redtube.com, einem kostenlosen Dienstleister im Bereich der Erwachsenenunterhaltung. Massenabmahnungen gehören längst zum Alltag und auch U+C Rechtsanwälte sind in der Szene hinlänglich bekannt. Neu dagegen ist die Adressatengruppe: Streaming-Nutzer.

Galt eine Abmahnung wegen Streamings bisher als undenkbar oder zumindest unwahrscheinlich, haben uns U+C Rechtsanwälte nun eines Besseren belehrt. Dabei ist der Zielgruppenschwenk von P2P-Filesharern hin zu Streaming-Nutzern nur konsequent. Streaming hat dem klassischen P2P-Filesharing – zumindest bei den Jüngeren – längst den Rang abgelaufen und ist auf bestem Wege auch die Sharehoster zu verdrängen. Technisch wie rechtlich beschreiten die Rechtsanwälte somit Neuland und begeben sich gleichzeitig auf dünnes Eis.

Telemedicus mit einer ausführlichen Stellungnahme.

1. Worum geht es?

Die Rechtsanwaltskanzlei Urmann + Collegen mahnte zahlreiche Nutzer ab, die sich Pornofilme über die Streaming-Plattform Redtube.com angeschaut haben, an denen das schweizer Unternehmen „The Archive AG“ die Rechte hält (u.a. „Amandas Secret“, „Miriam’s Adventures“ und „Dream Trip“). Der Tatvorwurf lautet auf unberechtigte Vervielfältigung (Kopie) der Filme bzw. Teile derselben. Damit beziehen sie sich auf die vorübergehende, flüchtige Kopie einzelner Auszüge, die beim Streaming im Arbeitsspeicher oder einem temporären Verzeichnis der lokalen Festplatte des Nutzers angelegt werden, um eine störungsfreie Wiedergabe zu ermöglichen.

2. Rechtliche Bewertung

Diese technisch bedingte Zwischenspeicherung (Caching) greift in das Vervielfältigungsrecht des Urhebers (§ 16 UrhG) ein und bedarf somit der Zustimmung. Für die rechtliche Beurteilung spielt es dabei keine Rolle, dass es sich lediglich um Ausschnitte eines Filmes handelt, sofern ihnen eine gewisse schöpferische Eigenheit innewohnt. Ist dies nicht der Fall greifen mitunter ergänzende Leistungsschutzrechte. Auch der Umstand, dass die Lebensdauer der Kopie auf dem PC des Nutzers zeitlich begrenzt ist, ändert daran erst einmal wenig.

a) Streaming – Zwischen Urheberrechtsverletzung und freier Nutzung

Die Rechtslage ist jedoch keineswegs so eindeutig wie im Falle der Tauschbörsennutzung (P2P-Filesharing). Hier wird der Upload und damit das öffentliche Zugänglichmachen (§ 19a UrhG) urheberrechtlich geschützter Inhalte abgemahnt, nicht der Download und damit die Kopie (§ 16 UrhG). Während für den Upload neben der Zustimmung des Urhebers keine gesetzliche Rechtfertigung existiert, kommen im Falle des Streaming-Konsums mit § 53 UrhG und § 44a UrhG gleich zwei potenziell einschlägige Schrankenregelungen in Betracht.

aa) Streaming als Form der Privatkopie (§ 53 UrhG)
Das Anfertigen einer Kopie zum privaten Gebrauch ist nach wie vor zulässig. Der Gesetzgeber hat dies zuletzt allerdings auf solche Kopien beschränkt, deren Vorlage nicht offensichtlich rechtswidrig hergestellt oder öffentlich zugänglich gemacht wurde (§ 53 Abs. 1 UrhG). Dies mag auf Portale wie Kino(x).to zutreffen, bei denen sich dem Nutzer die Illegalität des Angebots geradezu aufdrängt – bei YouTube oder eben auch Redtube, die überwiegend oder zumindest auch nutzergenerierte Inhalte (user generated content) zum Abruf bereithalten, fällt eine Beurteilung aber auf den ersten Blick schwer. Zweifel an der Legaltität eines Angebots führen aber noch nicht zur offensichtlichen Rechtswidrigkeit. Demnach könnten im Einzelfall nicht nur der Streaming-Konsum, sondern auch Aufzeichnungen und Mitschnitte für den eigenen Privatgebrauch rechtmäßig sein.

bb) Streaming als vorübergehende Vervielfältigungshandlung (§ 44a UrhG)
§ 44 UrhG besagt:

Zulässig sind vorübergehende Vervielfältigungshandlungen, die flüchtig oder begleitend sind und einen integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens darstellen und deren alleiniger Zweck es ist,
1. […]
2. eine rechtmäßige Nutzung

eines Werkes oder sonstigen Schutzgegenstands zu ermöglichen, und die keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben.

Es handelt sich im Falle des Streamings um eine vorübergehende, flüchtige Vervielfältigungshandlung (Kopie). Sie ist auch wesentlicher Bestandteil des technischen Verfahrens (Streaming), da ansonsten eine Wiedergabe der übertragenen Inhalte nicht möglich wäre. Anders als im Falle der Privatkopie (§ 53 UrhG) kommt es für die Frage der Rechtmäßigkeit auf die mit der Vervielfältigungshandlung bezweckte Nutzung an, nicht auf die Rechtmäßgikeit der Quelle. Ob Kino(x).to, Red- oder YouTube spielt keine Rolle.

Umstritten ist, ob die durch die Vervielfältigung ermöglichte Nutzung (Wiedergabe) rechtmäßig erfolgt. Ziel der Nutzer ist es, sich die aufgerufenen Inhalte anzuschauen und damit der Konsum (rezeptiver Werkgenuss). Dieser aber unterliegt nicht dem Rechtskreis des Urhebers, sondern ist grundsätzlich frei. Aus diesem Grund wird auch vertreten, es handele sich beim Streaming schon nicht um eine Nutzung im urheberrechtlichen Sinne und werde somit nicht von der Schrankenregelung erfasst. Dem ist entgegenzuhalten, dass es sich beim Werkgenuss um die ureigenste „Nutzungsform“ kreativen Schaffens handelt. Wenn aber die Schrankenregelung des § 44a UrhG die vorübergehende Vervielfältigung für Nutzungshandlungen rechtfertigt, die dem Urheberrecht unterliegen, muss dies erst recht für solche Handlungen gelten, die dem Bestimmungsrecht des Urhebers von vornherein entzogen sind. Mit anderen Worten: Unterliegt der Werkgenuss keinerlei (urheber-) rechtlichen Restriktionen, kann er auch nicht rechtswidrig sein. Er wird jedenfalls nicht deshalb zustimmungspflichtig, weil es an einer rechtmäßigen Verwertungskette fehlt und der Nutzer diesen Zustand perpetuiert.

Außerhalb der Betrachtung kommt der Vervielfältigung keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zu. Diese Feststellung ist gleichermaßen für die nachträgliche Kontrolle im Rahmen des sogenannten Drei-Stufen-Tests von Bedeutung.

cc) Der Drei-Stufen-Test – Ein europäisches Korrektiv
Jede Beschränkung der Rechte des Urhebers muss aber wiederum besonderen Kriterien genügen. Diese ergeben sich aus dem sogenannten Drei-Stufen-Test, der durch InfoSoc-Richtlinie eingeführt wurde.
Es muss sich (1) um einen Sonderfall handeln, (2) der die normale Verwertung des Urheberrechts nicht beeinträchtigt und (3) die berechtigten Interessen des Urhebers nicht ungebührlich beeinträchtigt.

(1) Ob ein Sonderfall vorliegt, richtet sich nach den Belangen der Allgemeinheit, die durch die Schrankenregel geschützt werden sollen. Ähnlich wie die Schranke der Privatkopie soll auch die temporäre Vervielfältigung nach § 44a UrhG die geistige Auseinandersetzung mit urheberrechtlich geschützten Inhalten fördern. Dazu zählt auch der Konsum (Werkgenuss). Insofern dient das Streaming der Befriedigung des individuellen Informationsbedürfnisses und stellt einen Sonderfall im Sinne der Richtlinie dar.

(2) Eine Beeinträchtigung der normalen Auswertung ist insofern gegeben, als die Nutzung von Streaming-Plattformen zweifelsohne Auswirkungen auf die zurückgehenden Nutzerzahlen innerhalb der herkömmlichen Verwertungskette Kino, Videoverleih, Verkauf, TV haben. Hier ist jedoch zwischen den maßgeblichen Nutzungshandlungen zu unterscheiden. Die wirtschaftliche Beeinträchtigung geht nicht von der Nachfrage (Werkgenuss) aus, sondern vom Angebot. Nicht der Nutzer ist Teil der Verwertungskette, sondern der Kinobetreiber, der Verleiher, der Händler und der TV-Sender oder im vorliegenden Falle, der Plattformbetreiber. Die wirtschaftliche Beeinträchtigung erfolgt somit durch das Einstellen und Bereithalten der Inhalte, nicht aber durch deren nutzerseitige Nachfrage. Diese unterliegt nicht dem Rechtskreis des Urhebers, sondern lediglich die Entscheidung wie er diese bedienen will.

(3) Der Werkgenuss ist (noch) frei. Eine Beeinträchtigung der Rechte des Urhebers erfolgt beim Streaming allenfalls anbieterseitig, nicht durch das bloße Betrachten und die hierfür erforderliche flüchtige Vervielfältigung beim Streaming.

Somit gilt: Test bestanden, die Schrankenregelung des § 44a UrhG findet Anwendung.

b) Herkunft und Verwertbarkeit der IP-Adresse

Bei den vorliegenden Abmahnungen wirft allerdings bereits die Herkunft der IP-Adressen einige Fragen auf. Nach anfänglichen Spekulationen gilt es mittlerweile als wahrscheinlich, dass die fraglichen Daten den Rechtsanwälten nicht vom Plattformbetreiber ausgehändigt wurden. Vielmehr soll nach Angaben von Golem.de die Software GladII 1.1.3. (ITGuards Inc.) zum Einsatz gekommen sein. Zuverlässigkeit und rechtliche Verwertbarkeit der Daten sind damit zumindest zweifelhaft und dürften in den kommenden Wochen für weiteren Diskussionsstoff sorgen.

Sollten sich herausstellen, dass die Daten nicht vom Plattformbetreiber stammen, sondern durch das Anzapfen des eigentlichen Streams gewonnen wurden, drohen den Ermittlern mitunter datenschutz- und strafrechtliche Konsequenzen. In diesem Falle wären die Daten unter Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis erlangt worden und unterlägen im Rahmen der folgenden gerichtlichen Auseinandersetzung einem Beweisverwertungsverbot.

c) Die Rolle des Gerichts im Auskunftsverfahren

Auch ist mehr als fraglich, ob im Falle der Streaming-Nutzung die Voraussetzungen des Auskunftsanspruchs nach § 101 UrhG vorliegen. Insbesondere bei pornographischen Inhalten dürfte der Kernbereich privater Lebensgestaltung der Nutzer betroffen sein, was bei der Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen sowie im Rahmen der vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung entsprechend zu würdigen wäre. Dabei dürfte ein derart intensiver Eingriff in die Privatsphäre des betroffenen Anschlussinhabers (der nicht unbedingt der Täter sein muss) das Interesse der Rechteinhaber an der Durchsetzung der ihnen übertragenen wirtschaftlichen Verwertungsrechte im Einzelfall überwiegen. Angesichts der Vielzahl der von der aktuellen Abmahnwelle Betroffenen, dürfte so mancher Anschlussinhaber überrascht bis unverständlich auf die bisher heimlichen und nunmehr dokumentierten sexuellen Vorlieben seines Nachwuchses, des Partners oder der Partnerin reagieren. Derlei Erwägungen haben zumindest in der Vergangenheit nie eine Rolle gespielt.

Die nunmehr im Netz auffindbaren Gerichtsdokumente lassen vor allem das im Auskunftsverfahren zuständige Landgericht Köln in einem schlechten Licht erscheinen. Der Antrag auf Auskunftserteilung ist zwar etwas verklausuliert formuliert, nennt aber als einschlägige Verletzungshandlung ausschließlich die Vervielfältigung (§ 16 UrhG), nicht die öffentliche Zugänglichmachung (§ 19a UrhG). Im Übrigen fällt der Vortrag an den entscheidenden Stellen, etwa zu den Voraussetzungen des Auskunftsanspruchs (§ 101 UrhG), erstaunlich kurz aus. Der Auskunftsbeschluss des Landgerichts dagegen besteht aus den üblichen Textbausteinen und verweist zur Begründung auf die öffentliche Zugänglichmachung der Filme in Tauschbörsen. Ein Fehler der bereits bei aufmerksamer Lektüre des Antrags hätte vermieden werden können – von der gebotenen rechtlichen Prüfung ganz zu schweigen.

3. Fazit

Rechtlich bewegen sich die abmahnenden Rechtsanwälte auf äußerst dünnem Eis. Dies gilt sowohl für die Verwertbarkeit der ermittelten IP-Adressen als auch für das abgemahnte Verhalten. Der Vorwurf der Urheberrechtsverletzung durch die Nutzung von Streaming-Angeboten lässt sich bei näherer Betrachtung nur schwerlich aufrechterhalten.

Der mit 250 Euro auffallend niedrige Forderungsbetrag und die pikanten Inhalte lassen darauf schließen, dass hier aus dem Schamgefühl der Abgemahnten Kapital geschlagen werden soll. Es wäre nicht das erste Mal. Andererseits ist der niedrige Streitwert Folge des kürzlich in Kraft getretenen Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken, das nunmehr vormals unrentable Abmahnmodelle in einem neuen Licht erscheinen lässt. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Form der Massenabmahnung trägt oder ob sich das Eis doch als zu dünn erweist.

Zur Meldung auf Golem.de.
Zur Meldung auf Telepolis.
Zur Meldung auf Spiegel Online.
Weiterführend: Brüggemann, Streaming – Moderner Medienkonsum und strafrechtliche Verantwortlichkeit, JSE 2013, 285-301.

, Telemedicus v. 08.12.2013, https://tlmd.in/a/2690

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