Wie Stefan Niggemeier berichtet, ist der Bundesverband der Zeitungsverleger (BDZV) der Ansicht, dass Snippets auch nach der „entschärften” Fassung des Leistungsschutzrechtes nicht ohne Lizenz verwendet werden dürfen. Anders sehen es bislang die meisten Kommentatoren in den Medien. Was also gilt nun?
Zur Erinnerung: Nach langem Hin und her wurde der Gesetzesentwurf zum Presse-Leistungsschutzrecht nur wenige Tage vor der Abstimmung im Bundestag noch einmal kurzfristig geändert. Hintergrund war die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (Drucksache 17/12534), die eine zusätzliche Einschränkung vorsah. Die entscheidende Norm § 87f Abs. 1 UrhG soll demnach wie folgt lauten:
„(1) Der Hersteller eines Presseerzeugnisses (Presseverleger) hat das ausschließliche Recht, das Presseerzeugnis oder Teile hiervon zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen, es sei denn, es handelt sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte. Ist das Presseerzeugnis in einem Unternehmen hergestellt worden, so gilt der Inhaber des Unternehmens als Hersteller.”
Hervorhebung nicht im Original
Anders als ursprünglich vorgesehen sollen also „einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte” nicht vom Leistungsschutzrecht erfasst sein, was weithin als Ausnahme für Snippets bei Suchmaschinen interpretiert wurde.
Anders sieht es nun der BDZV. Auf Nachfrage von Stefan Niggemeier erklärt dieser seine Rechtsansicht wie folgt:
„Der Wille des Gesetzgebers, wie er auch heute in der Bundestagsdebatte ausgedrückt wurde, ist unverkennbar darauf gerichtet, kleinste Textausschnitte wie zum Beispiel Überschriften und einzelne Wörter, nicht vom Leistungsschutzrecht erfassen zu lassen; die längenmäßig darüber hinaus gehenden Auszüge jedoch schon. Die Äußerungen der Koalitionsvertreter in der Bundestagsdebatte dazu waren heute unmissverständlich. Die Google-Suchergebnisse gehen über die nicht erfassten Längen hinaus.”
Und in der Tat, in seiner Beschlussempfehlung begründe der Rechtsausschuss die Ausnahme für „kleinste Textausschnitte” wie folgt:
„Einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte, wie Schlagzeilen, zum Beispiel „Bayern schlägt Schalke“, fallen nicht unter das Schutzgut des Leistungsschutzrechtes. Die freie, knappe aber zweckdienliche Beschreibung des verlinkten Inhalts ist gewährleistet. Suchmaschinen und Aggregatoren müssen eine Möglichkeit haben, zu bezeichnen, auf welches Suchergebnis sie verlinken.”
Von Snippets ist also keine Rede. Im Gegenteil führt die Begründung lediglich die Schlagzeile eines Artikels als Beispiel an.
Und doch ist die Lage damit immer noch nicht klar. Denn die Begründung geht noch weiter:
„Insofern gilt der Rechtsgedanke der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Vorschaubildern („Vorschaubilder I“, Urteil vom 29.04.2010, Az. I ZR 69/08; „Vorschaubilder II“, Urteil vom 19.10.2011, Az. I ZR 140/10).”
Hinter diesem unscheinbaren Satz steckt Sprengstoff. Der Kollege Jonas Kahl hat die Hintergründe dazu vor einigen Tagen bei Telemedicus schon ausführlich erläutert. Zusammengefasst besagt die Rechtsprechung des BGH: Wer Inhalte frei zugänglich ins Netz stellt und keine technischen Maßnahmen ergreift, um Suchmaschinen an der Indizierung zu hindern, muss mit den „nach den Umständen üblichen Nutzungshandlungen” rechnen.
Was bedeutet das nun? Wenn der Rechtsausschuss „kleinste Textausschnitte” vom Leistungsschutzrecht ausnehmen will und gleichzeitig auf die Vorschaubilder-Entscheidungen des BGH verweist, dann will er damit ausdrücken, dass „übliche Nutzungshandlungen” nicht vom Leistungsschutzrecht erfasst werden sollen. Und zu üblichen Nutzungshandlungen zählen ohne Zweifel auch Snippets, die schon seit über 10 Jahren im Internet Standard sind.
Und doch ist die Verwirrung perfekt. Denn schon die Formulierung des Gesetzes „einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte” lässt gewaltigen Spielraum für Interpretationen zu – und das an der zentralen Stelle des gesamten Gesetzesvorhabens. Obendrein ist auch die Begründung des Rechtsausschusses durchaus missverständlich.
Die Bundesregierung hat damit das Kunststück vollbracht, ein Gesetz zu entwerfen ohne sich eindeutig festzulegen, was es genau regeln soll. Taktisch kein schlechter Schachzug: Sowohl Google als auch die Verlage können sich so lange als Sieger fühlen, bis ein Gericht endgültig darüber entschieden hat, was der Gesetzgeber eigentlich bezwecken wollte. Doch es drängt sich der Eindruck auf, dass dieser sich darüber selbst nicht ganz im Klaren war.
Stefan Niggemeier zur Rechtsansicht des BDZV.
„Leistungsschutzrecht: Freie Fahrt für Google!” bei Telemedicus.