Am 6. Juli hat der Bundestag eine Novelle des Urheberrechtsgesetzes beschlossen. Lange wurde um diesen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Interessen von Urhebern, Verwertern und Verbrauchern gerungen – doch das Ergebnis ist heftig umstritten. Der Wortlaut der Änderungen lässt erahnen, welche Grabenkämpfe um einzelne Bestimmungen ausgetragen wurden: Die Normen sind geprägt von Ausnahmetatbeständen und diffusen Begriffen. Einige Probleme hat man vorerst gar nicht gesetzlich geregelt. Telemedicus hat deshalb ein paar Fragen an die Referenten der Arbeitsgruppe Bildung und Forschung der SPD-Bundestagsfraktion Nermin Fazlic und Johannes Kollbeck gerichtet:
1) Das neue Gesetz sieht vor, dass sich die Verwertungsgesellschaften und die Geräteindustrie auf eine Vergütung für Privatkopien einigen: Im Wege der Selbstregulierung soll die Höhe der Abgabe für Kopiergeräte und Speichermedien von den Parteien selbst bestimmt werden. Hat ein solches Verfahren überhaupt Aussicht auf Erfolg?
Durch den Gesetzentwurf und die durchgesetzten Änderungen wird erreicht, dass
– die Vergütungspflicht nicht mehr wie bisher vorgesehen auf eine Nutzung in „nennenswertem Umfang“ (10-Prozent-Schranke) abgestellt wird, sondern es vielmehr darauf ankommt, ob die Geräte und Speichermedien für Vervielfältigungen geeignet sind,
– die Festlegung über die Höhe der Vergütungsabgabe nicht mehr an den Gerätepreis gekoppelt ist (5-Prozent-Schranke), sondern nunmehr die Beteiligten in weitgehender Selbstregulierung die Höhe der pauschalen Vergütung „rasch bestimmen bzw. bestimmen lassen können“,
– der Gesetzgeber es sich vorbehält, „zu einer gesetzlichen Regelung der pauschalen Vergütung einschließlich der Vergütungshöhe zurückzukehren“ (wie bisher), falls die Selbstregulierung nicht die Erwartungen erfüllt.
Damit wurde den wichtigsten Bedenken der Urheber – insbesondere der Künstler, Journalisten, Kulturschaffenden und Kreativen – Rechnung getragen und das Grunderfordernis einer angemessenen pauschalen Vergütung auch unter den neuen digitalen Bedingungen erreicht. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass dieses Verfahren der Selbstregulierung – trotz der langwierigen und schwierigen Debatten um den „zweiten Korb“ – erfolgreich sein kann, behält sich allerdings für ein Scheitern der Selbstregulierung vor, zu einer gesetzlichen Regelung der pauschalen Vergütung einschließlich der Vergütungshöhe zurückzukehren.
2) Mit der Reform ist nun auch die bisher unzulässige Einräumung von Lizenzen für noch unbekannte Nutzungsarten erlaubt. Den Urhebern steht dabei ein Widerrufsrecht zu, das aber ausdrücklich nicht für Filmurheber gilt. Wie ist diese Ungleichbehandlung zu rechtfertigen?
Durch den Gesetzentwurf und die durchgesetzten Änderungen wird erreicht, dass im Zusammenhang mit der erstmals möglichen Einräumung von Nutzungsrechten der Urheber gegenüber den Verwertern über noch unbekannte Nutzungsarten neben dem obligatorischen Vergütungsanspruch auch ein tatsächliches Widerrufsrecht für die Nutzung in einer neuen Nutzungsart eingeräumt wird. Dass dieses Widerrufsrecht Filmurheber ausdrücklich ausschließt, ist aus kultur- und medienpolitischer Sicht als problematisch zu bezeichnen.
Aus diesem Grund hat der Deutsche Bundestag einen Entschließungsantrag beschlossen, der einen entsprechenden Prüfauftrag an die Bundesregierung enthält. Die Bundesregierung wird damit aufgefordert, zu prüfen, ob und inwieweit auch eine Widerrufsmöglichkeit für Firmurheber bei unbekannten Nutzungsarten im Filmbereich eingeräumt werden kann, um sicherzustellen, dass die Urheber des Films nicht benachteiligt werden. Leider war es im Gesetzgebungsverfahren nicht möglich, dass sich Produzenten und Urheber auf eine Kompromissformulierung verständigen konnten, so dass eine Kompromissfindung hier am Schluss der Gesetzesberatungen nicht mehr erreicht werden konnte.
3) Öffentliche Bibliotheken dürfen ihre Werke nun auch digital an Leseplätzen bereitstellen. Allerdings nur so oft, wie das Original im Bestand vorhanden ist. Ein Ausnahmetatbestand sieht bei „Belastungsspitzen“ bis zu vier Online-Leseplätze pro Original vor. Wird sich bei einer so restriktiven Regelung für die Einrichtungen überhaupt etwas ändern?
Eine deutliche Verbesserung konnte im Gesetzgebungsverfahren bezüglich der Zurverfügungstellung von Werken an elektronischen Leseplätzen in öffentlichen Bibliotheken, Museen und Archiven erreicht werden, bei der wissenschaftliche und hochschulische Belange, wie etwa die notwendige Zurverfügungstellung nicht mehr lieferbarer oder verfügbarer Werke oder Belastungsspitzen in der Nutzung eines bestimmten Werkes berücksichtigt werden müssen.
Der Begründung des Gesetzes ist zu entnehmen, dass wissenschaftliche und hochschulische Belange wie beispielsweise Belastungsspitzen in der Nutzung eines bestimmten Werkes berücksichtigt werden müssen und dass in diesen Situationen mehr Exemplare gleichzeitig an den Leseplätzen zugänglich gemacht werden dürfen, als der Bestand der jeweiligen Einrichtung umfasst – nämlich an vier Leseplätzen. Leider war es noch nicht möglich, auch die Bildungseinrichtungen in diesen Katalog aufzunehmen, wie es die Richtlinie ermöglicht hätte.
4) Kopien von Zeitschriftenartikeln dürfen öffentliche Bibliotheken nur noch dann versenden, wenn sie nicht von den Verlagen selbst „offensichtlich“ und „zu angemessenen Bedingungen“ zum Download zur Verfügung gestellt werden. Welche Download-Preise können noch als „angemessen“ gelten? Welcher Rechercheaufwand wird den Bibliotheken zugemutet, um festzustellen, dass kein „offensichtliches“ Angebot von Seiten der Verlage vorliegt?
Zunächst einmal können die Bibliotheken in jedem Fall bestellte Kopien per Post oder per Fax versenden, das Online-Privileg der Verlage beeinträchtigt lediglich den elektronischen Kopienversand – der zugegebenermaßen zunehmend der wesentlichere ist. Die Regelung konnte dessen ungeachtet deutlich nutzerfreundlicher und praktikabler ausgestaltet werden. So sind Bibliotheken, die Kopien auf Bestellung elektronisch versenden wollen, durch die Einfügung des Wortes „offensichtlich“ in Zukunft weitestgehend von einer Prüfung entlastet, ob es bereits private kommerzielle Onlineangebote des Verlags zum betreffenden Artikel gibt. Solche müssen dem nun gefundenen Kompromiss zufolge für die Bibliotheken offensichtlich und damit auch für Laien ohne hohen Aufwand erkennbar sein. Unseres Erachtens reicht ein Blick auf die Homepage des Verlags hierfür aus, ob die betreffende Publikation online angeboten wird.
Zudem schließt ein solches Privatangebot den elektronischen Kopienversand durch die Bibliothek auch nur dann aus, wenn es zu angemessenen Konditionen erfolgt. Natürlich eröffnen sich hier Interpretationsspielräume, die letzten Endes nur durch die Rechtsprechung konkretisiert werden können. Aber auch durch die Begründung wird der politische Wille klargestellt, dass die Verlage an dieser Stelle ihre Privilegierung durch den Gesetzgeber nicht missbrauchen dürfen. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn Sie über Scheinangebote im Onlinebereich zu prohibitiven Einzelpreisen kein konkretes Geschäftsmodell verfolgten, sondern allein den Bibliotheken eine Versorgung etwa von Studierenden zu angemessenen Konditionen verbauen wollten. Zweistellige Einzelartikelpreise sind für Studierende kaum zu leisten. Die Politik geht hier davon aus, dass es etwa für Studierende entsprechend günstigere Angebote geben wird.
5) Die digitale Privatkopie kann auch weiterhin – im Gegensatz zur analogen – nicht gegenüber DRM-Systemen durchgesetzt werden. Inwiefern ist eine solche Ungleichbehandlung bzw. die Unterminierung von Urheberrechtsschranken und damit von wichtigen Allgemeininteressen durch digitale Schutzmechanismen zu rechtfertigen?
Diese Regelung stammt noch aus dem ersten Korb, und bereits seinerzeit war klar, dass die Güterabwägung an dieser Stelle nicht einfach eine Gleichbehandlung von digitaler und analoger Welt zum Ergebnis haben kann. Der Gesetzgeber war durch internationale Verträge und die Urheberrechts-Richtlinie verpflichtet, technische Schutzmaßnahmen einem wirksamen Rechtsschutz zu unterstellen. Gleichzeitig einen voraussetzungsfreien Durchsetzungsanspruch für Jedermann zuzulassen, ließe diesen Rechtsschutz völlig leer laufen. Auch wenn viele Experten und Politiker keineswegs überzeugt waren, dass der Weg über technische Schutzmaßnahmen und ein rigides Rechtemanagement für die Branche der richtige sei, so hatte man Geschäftsmodelle auf Grundlage von DRM-Lösungen dennoch zu ermöglichen. Deshalb sind die durch einen eigenständigen direkten Durchsetzungsanspruch begünstigten Schrankenfälle relativ eng definiert worden.
Zur Milderung wurde die Kennzeichnungspflicht festgeschrieben, zudem können Tonträger, die technische Probleme in etwa älteren Abspielgeräten verursachen, zurückgegeben werden. Es bleibt letztlich auch dem Konsumenten überlassen, inwieweit technische Rechtemanagementsysteme sich am Markt durchsetzen. Die letzen Anzeichen waren diesbezüglich doch eher skeptisch. Die klassische Privatkopie ist an dieser Stelle aber rechtlich für den digitalen Bereich sicher unzweifelhaft und substanziell beschränkt worden.
6) Das Gesetz benötigt noch die Zustimmung des Bundesrates. Welche Entscheidung ist zu erwarten?
Wir gehen von einer Zustimmung des Bundesrates aus, zumal auch die FDP dem Kompromiss im Bundestag zugestimmt hat.
7) Welche Reformen wird der „dritte Korb“ in Angriff nehmen? Wann ist mit einer Regelung zu rechnen?
Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung hat bei der abschließenden Beratung des zweiten Korbes eine Entschließung verabschiedet und festgestellt, dass die Schaffung eines bildungs- und wissenschaftsfreundlichen Urheberrechts für die sich herausbildende globale Wissens- und Informationsgesellschaft ein zentrales bildungs- und forschungspolitisches Ziel bleibt. Mit der Umsetzung des zweiten Korbes zur Änderung des Urheberrechtes sind weitere Schritte auf dem Weg zu einem solchen bildungs- und wissenschaftsfreundlichen Urheberrecht unternommen worden, dem jedoch weitere folgen müssen.
Notwendig ist ein dritter Korb zur Novellierung des Urheberrechtes – ein Bildungs- und Wissenschaftskorb –, der die spezifischen Anforderungen von Bildung, Wissenschaft und Forschung in der Wissens- und Informationsgesellschaft sowie der zunehmend wissensbasierten Wirtschaft stärker in den Mittelpunkt rückt. Im Mittelpunkt dieses dritten Korbes müssen die rasanten technologischen Entwicklungen im IuK-Bereich sowie die Rahmenbedingungen für die neuen Lehr- und Lernplattformen (beispielsweise e-Learning, Distance Teaching, Online Instructioning usw.) stehen.
Der Ausschuss für Bildung, Wissenschaft und Forschung hat sich mit seiner Entschließung dafür ausgesprochen, nach der Verabschiedung des zweiten Korbes möglichst rasch die Arbeiten an einem dritten Korb – einem Korb für die Belange von Bildung, Wissenschaft und Forschung in der Wissens- und Informationsgesellschaft – aufzunehmen. Im Rahmen dieses dritten Korbes gilt es insbesondere zu prüfen:
– wie das – auch international inzwischen immer nachhaltiger eingeforderte – Prinzip eines freien und für die Nutzer im Regelfall kostenlosen Zugangs zu mit öffentlichen Mitteln produziertem Wissen (Open Access) auch in Deutschland festgeschrieben werden kann. Damit könnte die Chance eröffnet werden, dass auf der Grundlage des Open-Access-Prinzips innovative, attraktive und elektronischen Umgebungen angemessene Organisations- und Geschäftsmodelle für Publikation und Distribution von Wissen entstehen, die auch Verlagen und der gesamten Informationswirtschaft neue Möglichkeiten zur Erschließung von Publikations- und Distributionsmärkten bieten;
– ob – wie dies auch der Bundesrat gefordert hat – ein Zweitverwertungsrechts für Urheber von wissenschaftlichen Beiträgen, die überwiegend im Rahmen einer mit öffentlichen Mitteln finanzierten Lehr- und Forschungstätigkeit entstanden sind, eingeräumt werden kann. In den USA („government purpose license“) und Großbritannien („crown copyright“) können Urheber, die bei aus Steuermittel finanzierten Einrichtungen beschäftigt sind, Nutzungsrechte an Verlage nur eingeschränkt übertragen. Im Rahmen des Prüfauftrages ist dieser internationale Vergleich zu berücksichtigen und sind ebenfalls die entsprechenden Umsetzungsmöglichkeiten hinsichtlich des deutschen Urheberrechts zu überprüfen;
– wie die Wiedergabe von Werken an elektronischen Leseplätzen neben öffentlichen Bibliotheken, Museen und Archiven auch in Bildungseinrichtungen ermöglicht werden kann, wozu die Urheberrechts-Richtlinie die Möglichkeit eröffnet. Dies ist aus Sicht des Ausschusses für Bildung und Forschung unerlässlich, um Bildungseinrichtungen, deren Bildungsauftrag unzweifelhaft ist, nicht unverhältnismäßig von der dynamischen technologischen Entwicklung abzukoppeln und deren Nutzerinnen und Nutzern moderne Nutzungsmöglichkeiten zu verwehren.
Darüber hinaus setzt sich der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung dafür ein, dass die bestehende Regelung hinsichtlich der öffentlichen Zugänglichmachung für Unterricht und Forschung (§ 52a UrhG) bezüglich der bestehenden Rechtsunsicherheiten sowie der geltenden Bereichsausnahmen überprüft und die Befristung der Regelung ersatzlos gestrichen wird.