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Seltsame Sperrverfügung gegen dresden-nazifrei.de

Das Landeskriminalamt Sachsen hat auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Dresden „verfügt”, dass der Provider der Webseite dresden-nazifrei.de diese aus dem Internet nehmen soll (PDF zum Download via Netzpolitik). Als Jurist weiß man erst mal gar nicht, wo man anfangen soll – so viele Mängel hat diese „Verfügung”.
Es fängt bereits bei der Aufmachung dieser „Verfügung” an: Im Kern ordnet hier die Staatsanwaltschaft Dresden (eine Strafverfolgungsbehörde) gegenüber dem LKA Dresden (ebenfalls hauptsächlich strafverfolgend aktiv) an, dass der Provider auf die (vermeintliche) Strafbarkeit der Inhalte der Webseite „hinzuweisen” ist und „aufzufordern” ist, die „entsprechenden Inhalte” zu sperren. Daraufhin schickt an das LKA an den Provider ein Fax, in dem im Wesentlichen nichts steht als ein Verweis auf die mitgeschickte „Verfügung” der Staatsanwaltschaft.

Es ist in keiner Weise erkennbar, was dieses Fax rechtlich darstellen soll. Einen Verwaltungsakt im Rahmen der Gefahrenabwehr? Einen Justizverwaltungsakt im Rahmen der Strafrechtspflege? Oder sogar eine repressive Maßnahme, d.h. eine Strafe?

Verstoß gegen Formvorschriften

Die Verfügung genügt in keiner Weise irgendwelchen Formalia, wie sie im Verwaltungsrecht zwingend vorgeschrieben sind (vgl. § 39 VwVfG). Sie gibt weder ihre Rechtsgrundlage an, noch hat sie einen Entscheidungstenor. Vor allem konkretisiert sie nicht im Geringsten, welche Inhalte es denn nun sein sollen, die hier entfernt werden sollen – es mangelt ihr also auch an der erforderlichen Bestimmtheit. Die Verfügung sagt nicht einmal, welche Maßnahmen überhaupt vorgeschrieben werden – die Rede ist von einer „Entfernung, bzw. Sperrung”.

Die Verfügung lässt – aufgrund der offensichtlichen Kompetenzverwirrung zwischen LKA und Staatsanwaltschaft – auch nicht erkennen, von welcher Behörde sie jetzt eigentlich erlassen wurde. Dies führt, legt man verwaltungsrechtliche Maßstäbe an, zur Nichtigkeit der Verfügung (§ 44 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG).

Welche Behörde auch immer hier aber tätig war, sie dürfte jedenfalls unzuständig gewesen sein. Dass sich die Staatsanwaltschaft und das LKA als Gefahrenabwehrbehörden im Internet betätigen, wirkt schon fast absurd und dürfte nach § 44 Abs. 1 VwVfG ebenfalls zur Nichtigkeit führen.

Verfahrensmängel

Zu den Mängeln in der Form treten Mängel im Verfahren hinzu. Die Verfügung ist im Wesentlichen so begründet, als ginge es hier um ein Strafverfahren gegen den Provider. Tatsächlich handelt es sich aber, wie oben angedeutet, um präventives Handeln, d.h. Handeln im Rahmen der Gefahrenabwehr. Um einen Verwaltungsakt im Rahmen der Gefahrenabwehr zu erlassen, müssen aber eigentlich zuvor diverse Verfahrenschritte durchgeführt werden: Vor allem muss der „Störer”, d.h. der Provider angehört werden, soweit das möglich ist (§ 28 VwVfG, § 6 SächsPolG).

Materielle Fehler

Da die Verfügung ihre Rechtsgrundlage nicht angibt, überrascht es nicht, dass sie auch an den eigentlichen Tatbestandsmerkmalen völlig vorbeischreibt. Einschlägig wäre hier wohl § 59 Abs. 3 RStV. Dieser besagt (verkürzt):

Stellt die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde einen Verstoß gegen die Bestimmungen mit Ausnahme des § 54, § 55 Abs. 2 und 3, § 56, § 57 Abs. 2 oder der Datenschutzbestimmungen des Telemediengesetzes fest, trifft sie die zur Beseitigung des Verstoßes erforderlichen Maßnahmen gegenüber dem Anbieter. Sie kann insbesondere Angebote untersagen und deren Sperrung anordnen. Die Untersagung darf nicht erfolgen, wenn die Maßnahme außer Verhältnis zur Bedeutung des Angebots für den Anbieter und die Allgemeinheit steht. Eine Untersagung darf nur erfolgen, wenn ihr Zweck nicht in anderer Weise erreicht werden kann. Die Untersagung ist, soweit ihr Zweck dadurch erreicht werden kann, auf bestimmte Arten und Teile von Angeboten oder zeitlich zu beschränken. Die Befugnisse der Aufsichtsbehörden zur Durchsetzung der Vorschriften der allgemeinen Gesetze und der gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der persönlichen Ehre bleiben unberührt.

Weder § 59 RStV noch der subsidiär anwendbare § 3 Abs. 1 SächsPolG (strittig) sind hier erfüllt. Es fehlt bereits an einem Verstoß gegen „die Bestimmungen” (gemeint sind u.A. auch die allgemeinen Gesetze, d.h. auch das StGB). Das LKA wird immerhin so konkret, dass es sich um den „Straftatbestand der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten gem. § 111 StGB” handeln soll, wobei diese „Straftaten” die strafbare Störung von Versammlungen gem. § 21 VersG sein soll. Der Provider soll dabei nicht Täter, sondern Gehilfe sein (§ 27 StGB).

Die Webseite enthält aber keine „Aufforderung zu Straftaten” i.S.d. § 111 StGB. Auf der Webseite ist lediglich die Rede davon, eine rechte Demonstration „durch Aktionen des zivilen Ungehorsams mit Massenblockaden” zu „blockieren”. Dies reicht für eine Strafbarkeit nach § 21 VersG jedoch nicht aus – zusätzlich notwendig ist das Merkmal „Gewalttätigkeiten” oder eine „grobe Störung” der Versammlung. Die Aufforderung auf der Webseite besagt allerdings lediglich, dass die Demonstration „blockiert” werden soll – ergänzt um den Satz „Von uns wird dabei keine Eskalation ausgehen”.

Die Webseite wird in einem hoch grundrechtsrelevanten Bereich veröffentlicht. Zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs zählen 8 Bundestags- und 6 Landtagsabgeordnete, viele prominente Personen und ein breites Bündnis verschiedener Organisationen. Nicht nur, dass die Urheber von ihrem Recht aus Meinungsfreiheit Gebrauch machen, es handelt sich auch um die Aufforderung zu einer Gegendemonstration – auch dies eine nach Art. 8 GG geschützte Versammlung. Das BVerfG sagt in ständiger Rechtsprechung, dass zweifelhafte, mehrdeutige Aussagen im grundrechtlich geschützten Bereich jeweils zu Gunsten des Äußernden auzulegen sind – im Strafrecht, wo der strenge Bestimmtheitsgrundsatz gilt, gilt das um so mehr. Ein Aufruf, der klar sagt, man wolle zivil Ungehorsam leisten, bzw. nicht eskalieren, kann kein Aufruf zu Straftaten sein.

In diesem Bereich lassen sich wohl auch andere Ansichten vertreten. Dies geht allerdings nur mit gewichtigen Argumenten. Die Verfügung tut dies in keiner Weise – es gibt nur den knappen Hinweis auf eine Norm im StGB.

Hinzu kommt, dass eine Sperrung einer Webseite ausweislich § 59 Abs. 3, Abs. 5 RStV nur unter strengsten Verhältnismäßigkeitsvorgaben zulässig ist. Kein Wunder – handelt es sich bei der Sperrung einer Webseite doch um einen hoch invasiven Eingriff in die Kommunikationsgrundrechte ihrer Betreiber (Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags). Zu all dem enthält die Begründung der Verfügung keine Ausführungen – es ist zu vermuten, dass die Sperrung auch unverhältnismäßig ist. Als ein gleich effektiver, weniger eingriffsintensiver Weg wäre es z.B. möglich gewesen, sich mit dem Domainholder der Webseite oder den namentlich genannten Unterzeichnern des Aufrufs in Verbindung zu setzen.

Fassen wir also zusammen:

Rechtsgrundlage (–)

Formelle Rechtmäßigkeit

Zuständigkeit (–)
Verfahren (–)
Form (–)

Materielle Rechtmäßigkeit

Voraussetzungen des § 59 Abs. 3 RStV (–)
Ermessen (–)
Verhältnismäßigkeit (–)

Netzpolitik.org zu der ganzen Geschichte.

RA Thomas Stadler kommt zum selben Ergebnis und weist auf Mängel bei der Störerauswahl hin.

, Telemedicus v. 24.01.2010, https://tlmd.in/a/1623

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