Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat gestern beschlossen, dass dem Europäischen Gerichtshof verschiedene Fragen im Zusammenhang mit dem Plattformvertrieb von Markenware vorgelegt werden (Az.: 11 U 96/14 (Kart)). Im Wesentlichen geht es um die Frage, ob die Sicherstellung eines „Luxusimages“ ausreicht, um ein zulässiges selektives Vertriebssystem zu begründen. Eine der umstrittensten Fragen des Online-Vertriebs wird damit durch den EuGH entschieden werden müssen.
Im Kartellrecht findet seit einiger Zeit eine spannende Diskussion darüber statt, wie weit Online-Vertriebswege beschränkt werden dürften. In der Regel geht es dabei um Vertragsklauseln zwischen Herstellern und Vertragshändlern, nach denen bestimmte Plattformen nicht genutzt werden dürfen. Häufig begründen dies die Hersteller damit, dass sie das Markenimage ihrer Produkte vor dem „schlechten Ruf” einiger Plattformen schützen wollten. Einige Vertragshändler und auch Verbraucherschützer sehen in derartigen Vertragsklauseln jedoch wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen. Aus diesem Grund kam es in der letzten Zeit bereits mehrfach zu gerichtlichen Auseinandersetzungen über die Zulässigkeit derartiger Vereinbarungen.
Grundsätzlich gilt, dass wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen gemäß Art. 101 Abs. 1 AEUV verboten sind. Hierunter fallen zunächst auch vertikale Vereinbarungen zwischen Herstellern und Händlern, da sie den sogenannten Intrabrand-Wettbewerb beeinträchtigen können. Händler derselben Marke könnten weniger wettbewerblichen Handlungsspielraum haben. Von diesem Grundsatz gibt es jedoch auch Ausnahmen: manche Produkte benötigen bestimmte Vertriebsformen, damit sie überhaupt erst wettbewerbsfähig sind. Zum Beispiel benötigen Kunden bei einigen Produkten zunächst eine qualifizierte Einweisung für ihre Kaufentscheidung. Für die Zulässigkeit eines solchen sogenannten „selektiven Vertriebssystems” kommt es maßgeblich auf drei Kriterien an: Erstens müssen die Händler anhand objektiver Kriterien ausgewählt werden, die vorher einheitlich für alle festgelegt wurden und diskriminierungsfrei angewendet werden. Zweitens muss das Vertriebssystem erforderlich sein, um die Qualität des Produkts zu wahren und den richtigen Gebrauch zu gewährleisten. Drittens dürfen die festgelegten Kriterien nicht über das erforderliche Maß hinausgehen.
Der Fall vor dem OLG Frankfurt a.M. hat jedoch eine Besonderheit: die Klägerin argumentierte maßgeblich damit, das Angebot auf der Plattform Amazon werde ihren Qualitätsvorstellungen an eine angemessene Verkaufsumgebung für Luxuskosmetik nicht gerecht. Dies sah noch die Vorinstanz anders und verwies auf das Urteil des EuGH zu Pierre Fabre Dermo-Cosmétique SAS. In dieser Entscheidung findet sich auch folgende nicht weiter begründete Aussage:
[46] Das Ziel, den Prestigecharakter zu schützen, kann kein legitimes Ziel zur Beschränkung des Wettbewerbs sein und kann es daher nicht rechtfertigen, dass eine Vertragsklausel, mit der ein solches Ziel verfolgt wird, nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fällt.
Das OLG scheint dies anders zu sehen und hat dem EuGH diese Frage nun zur Auslegung vorgelegt. Weitergehend fragt es, ob sogar ein pauschales Plattformverbot ohne qualitative Anforderungen zulässig wäre. Zwei weitere Fragen behandeln die Auslegung der sogenannten schwarzen Klauseln in Art. 4 der Vertikal-GVO. So wird zum einen gefragt, ob ein Plattformverbot auch eine Beschränkung der Kundengruppe nach Art. 4 lit. b Vertikal-GVO darstellt. Zum anderen fragt das Gericht, ob es sich bei Plattformverboten um Beschränkungen des passiven Verkaufs nach Art. 4 lit. c Vertikal-GVO handelt.
Kann also das – vom Hersteller bestimmte – Prestige ein zulässiges Selektivvertriebssystem als tatbestandliche Ausnahme von Art. 101 Abs. 1 AEUV begründen? Ich sehe dies kritisch, da das Prestige oder Image eines Produkts bereits ausreichend durch das Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht geschützt ist. Zum Beispiel können Hersteller im Zusammenhang mit Art. 13 Abs. 2 GMV bzw. § 24 Abs. 2 MarkenG ihre berechtigten Interessen an einem Imageschutz geltend machen. Darüber hinausgehende Leistungsschutzinteressen kann der Hersteller zwar vertraglich absichern – er muss sich dabei jedoch am Kartellrecht messen lassen. Dieses schützt jedoch nicht das selbstgewählte Image der Hersteller.
Die Voraussetzungen des selektiven Vertriebssystems orientieren sich nur daran, das Ob des Wettbewerbs zu sichern. Das hat auch der EuGH immer wieder festgestellt: Ein selektives Vertriebssystem kann nur dann zulässig sein, wenn durch die eigentlich kartellrechtwidrige Vereinbarung gerade Wettbewerb ermöglicht wird. Daran könnte man hier insofern denken, als dass es um die Aufrechterhaltung von Innovationswettbewerb geht. Teilweise wird argumentiert, wegen des starken Preisdrucks auf Plattformen bestünde die Gefahr, dass sich alle Produkte zu sehr angleichen und niemand mehr starke Markenprodukte kaufen würde. Damit würde für Hersteller weniger Interesse bestehen, in ihr Produkt und den Aufbau einer Marke zu investieren. Allerdings wird durch Plattformverbote der Preiswettbewerb beschränkt. Ist dies bereits wegen des vermeintlich gefährdeten Innovationswettbewerbs gerechtfertigt? Das passt jedenfalls dann nicht so richtig, wenn die Hersteller das angemessene Image ihrer Produkte sogar selbst bestimmen wollen, um ihre Investitionen zu schützen. Denn dieses Schutzinteresse ist durch das Kartellrecht nicht mehr erfasst.
Zur Pressemitteilung des OLG FFM.
Ausführliche Besprechung der Entscheidung der Vorinstanz auf Telemedicus.
Themenseite „selektives Vertriebssystem“ auf Telemedicus.
Update vom 28.04.2016: Der Vorlagebeschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main ist heute veröffentlicht worden und findet sich auch bei Telemedicus in der Datenbank. Wie erwartet resultiert die Hauptfrage, ob und wie ein Luxusimage als wettbewerbliche Umstand für die Begründung eines selektiven Vertriebssystems herangezogen werden kann, aus der fraglichen und nicht weiter begründeten Passage der EuGH-Entscheidung Pierre Fabre Dermo-Cosmétique SAS.
Update vom 08.12.2016: Das Aktenzeichen beim EuGH lautet C-230/16.